18. Mai 2015
Dritter Wocheneintrag einer Leidenden
Heute beginnt die fünfte Woche meiner Therapie und obwohl ich mir vorgenommen hatte, jede Woche irgendetwas zu schreiben, ist es doch nicht so geschehen. Wen überrascht es? Aber es gab auch einfach nichts Neues zu sagen. Und eigentlich gibt es auch jetzt nichts Neues zu berichten. Ich fühle mich noch immer schlecht.
Das einzig Neue ist, dass mir letzte Woche vom Therapeuten gesagt wurde, dass es mir wohl inzwischen besser ginge. Als Hausaufgabe sollte ich mir übers Wochenende überlegen, auf wann ich meinen Entlassungstermin legen würde. Natürlich hat er sofort hinzugefügt: „Das bedeutet aber nicht, dass ich sie so bald wie möglich entlassen will!“
Ich bin kein Psychologe und Therapeut und auch wenn ich immer so tu als würde ich etwas darüber wissen, dann nur um auch meinen Senf dazuzugeben. Trotzdem meine ich, dass mein Therapeut es besser wissen sollte. Allein seine Formulierung der Hausaufgabe hat mich unendlich demotiviert.
Falsch.
Ich bin schon lange nicht mehr motiviert und ich wäre schon viel früher einfach nicht mehr zur Therapie erschienen, aber jetzt frage ich mich auch noch, was die letzten vier Wochen im Vergleich zu den letzten Monaten gebracht haben sollen.
Ich stehe noch immer am selben Punkt wie am Anfang auch.
Ich bin müde, kann nicht einschlafen oder gut schlafen, ich kann mich nicht konzentrieren, sehe keinen Sinn darin aufzustehen und mir erscheint jede Aktion die ich tun soll unendlich anstrengend. Ich habe noch weniger Lust irgendetwas zu tun als ich es sowieso schon keine hab.
Und da soll es mir inzwischen besser gehen?
Zugegeben, die dämliche Einzeltermine mit dem Therapeut waren so unfruchtbar, dass ich ihm irgendwann das erzählt habe, von dem ich den Eindruck hatte, dass er das hören will. Ich habe ihm das gesagt, was alle anderen auch immer sagen und von dem ich auch in meiner Ausbildung gehört habe:
„Vermutlich bin ich in diese Phase gerutscht, weil ich zuvor viel gearbeitet und zu wenig auf mich selbst geachtet habe. In meinem Beruf achtet man immer zuerst auf das Wohl von anderen und danach auf sich. Das sollte ich in Zukunft ändern.“
In Wirklichkeit habe ich das nur gesagt, damit ich wenigstens das Gefühl habe, endlich eine sinnvolle Einzelstunde gehabt zu haben. Denn das einzige worin ich wirklich gut bin ist, nur auf mich selbst zu achten und dementsprechend nur das zu tun, was ich auch tun will. Mein eigenes Wohl steht mir immer an erstes Stelle. Daher ist meine Erklärung nicht wahr.
Warum es mir wirklich schlecht geht ist, dass ich nicht die Kraft habe zu tun, was mir gut tut. Weil mir gerade nichts gut tut oder Spaß macht, sonst hätte ich ja die Kraft dafür.
Das hört sich paradox an.
Aber wenn es mir gut geht, tu ich alles was ich will und was mir Spaß macht. Vielleicht geht es mir deswegen auch gut.
Momentan geht es mir schlecht und ich habe weder eine Idee was ich tun kann, noch was mir Spaß macht. Darum geht es mir vermutlich auch schlecht. Ich habe einfach keine Kraft und keine Lust und alles erscheint mir fragwürdig.
Vor allem diese sogenannte Therapie.
Ich muss nur so tun als ob alles gut wäre und plötzlich glaubt mir jeder!
Vorher hieß es, dass ich nur vermeiden würde. Z.B. als ich nach Hause wollte als es mir schlecht ging. Oder dass andere morgens verschlafen, weil sie genauso schlecht schlafen wie ich.
Tu ich so als wäre alles gut, möchten sie nur hören, dass mir Ergotherapie und Kunsttherapie geholfen haben mein Problem zu erkennen und schon fragen sie nach dem Entlassungstermin.
Dass ich damit eigentlich nur vermeiden will, weiterhin mit denen Zeit zu verschwenden, darüber denkt niemand nach. Denn dann müssten sie sich ja eingestehen, dass mir die vier Wochen Therapie nichts gebracht haben und sie an mir gescheitert sind.
Ich bin enttäuscht darüber, dass diese ach so klugen Therapeuten, die sich ständig in Gruppensitzungen selbst rühmen, wie gut sie an gesunden Menschen erkennen, wie schlecht es ihnen wirklich geht, so leicht an der Nase herumführen lassen.
Während ich dies schreibe, kann ich schon die entrüsteten Atmungsschnapper gewisser Leser hören, die mir in den Kommentaren (oder Privat) vorwerfen werden, dass ich ja auch eine schwierige Person sei, die dem Therapeuten nie auch nur eine einzige Chance gegeben hat. Dass ich von Anfang an nie überzeugt war und immer nur nach dem Haar in der Suppe gesucht habe.
Hier möchte ich höflich intervenieren.
Ihr wart nie dort.
Euch geht es nicht wie mir.
Ihr seid nicht ich.
Lasst euch was Besseres oder Neues einfallen, das höre ich schon zu oft.
Und was ich schreibe ist nur ein kleiner Teil dessen, was in meinem Kopf herumgeht.
Ich gebe jedem eine Chance und ich habe der Therapie jede Chance eingeräumt, die es gibt. Sonst wäre ich wirklich bereits abgehauen.
Mir geht es schlecht und ich weiß nicht warum das immer mal wieder kommt.
Ich kann nicht über meine Probleme reden, weil ich gut darin bin, zu funktionieren. Ich weiß daher nicht, was meine Probleme sind. Ich verstecke sie sogar vor mir selbst.
Was kann ich also dafür, dass ich erwartet habe, dass die Therapie mir helfen soll? Das ich erkenne, woran ich arbeiten muss?
Aber Therapeuten sind auch nur Menschen und ich habe in meinem Leben gelernt, dass andere Menschen nie wissen wollen, was wirklich los ist. Solange alles läuft, läuft‘s.
Schade nur, dass die, die einem helfen sollen, das auch so sehen und mir so leicht abkaufen, dass alles ok ist. Dabei hat er selbst in unserer ersten Sitzung gesagt, dass ich dissimiliere. Ich sage, dass alles ok ist, aber eigentlich ist es das nicht.
Ich bin sehr geneigt, so schnell wie möglich zu verschwinden und mich eher früher als später zu entlassen. Nur leider fühle ich mich eben nicht „geheilt“. Mir graust es jedoch davor, das zu sagen. Weiß ich doch, dass alle anderen, die entlassen wurden, dasselbe sagten und meinten, sie würden „das alles hier vermissen“.
Ich werde nichts vermissen, weder die Therapeuten, noch Mitpatienten, noch das drum rum. Ich vermisse nie etwas und ich traure nichts nach. Ich gehe nicht zu Klassentreffen und ich vergesse Menschen schnell wieder. Ich fühle mich dort auch nicht Zuhause oder wohl. Um ehrlich zu sein, habe ich mich schon am ersten Tag darauf gefreut, endlich gehen zu dürfen. Denn dann wäre ich „geheilt“ und könnte weiter funktionieren.
Jetzt stehe ich vermutlich kurz vor der Entlassung und ich freue mich nicht darauf. Denn ich fühle mich weder „geheilt“, noch kann ich in meinem momentanen Zustand funktionieren.
Ich schreibe mit Absicht das geheilt mit „“, da mir natürlich auch bewusst ist, dass der Heilungsprozess länger dauert. Mir ging es hautsächlich um meine Symptome. Die ich aber noch immer habe und die ich auch noch immer den geneigten Therapeuten beschreibe. Auf die aber nie jemand eingeht. Denn das kann in der Therapie nicht behandelt werden.
Das Fazit meiner letzten Wochen lautet also wie folgendes Zitat:
„Gib einem Menschen die Chance dich zu enttäuschen und er wird dich nicht enttäuschen“ (Zissy M. Baumann)
Ich habe mir zu viel von der Therapie erhofft und konnte nur enttäuscht werden. Dass mich selbst ein hochtrabender Therapeut nicht durchschauen konnte, enttäuscht mich nur umso mehr. Das einzig Gute ist nur, dass ich ihn hinters Licht führen konnte. Vielleicht gelingt es mir dann auch wieder, mich selbst zu täuschen. Die einzig letzte Frage ist nur: Wie lange halte ich das noch durch?
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