Thor (Teil 1) - Brisingamen
Brisingamen
von Zissy M. Baumann
Diese Fanfiktion spielt im Universum des Films Thor aus den Marvel Studios und handelt vor allem um die Fiktive Geschichte zwischen Loki (Thors jüngerem "Bruder") und Freya, einer Cousine der beiden.
Das erste Mal dass er daran gedacht hatte seine Cousine zu küssen war, als sie als Kinder am Fluss unter eine Weide gespielt hatten. Sie hatte über ihn gelacht als er hinter einem Fisch hergesprungen war. Wasser hatte ihre goldenen Haare dunkler gemacht und glitzerte in ihrem Gesicht. Ein Tropfen fiel von ihrer Nase. Sie war schon damals, mit sechs Jahren, eine Schönheit gewesen. Mit ihren goldenen Haarsträhnen, ihrem Puppengesicht und ihrem rosigen Teint. Er hatte damals unbedingt seine Hand durch ihre Haare streichen wollen und ihr Gesicht zu seinem emporheben um ihre zarten Lippen zu liebkosen. Stattdessen hatte er einen kleinen, zappelnden Fisch gefangen und sie dazu gezwungen diesen zu küssen. Das hatte sie an diesem Tag so wütend gemacht, dass sie den restlichen Tag nicht mehr mit ihm gesprochen hatte.
Das hatte er schon immer gekonnt. Seine Gefühle verstecken und etwas Gegenteiliges davon tun, was er wirklich tun wollte. Er wollte sie küssen, aber er ließ sie einen Fisch küssen. Er wollte ihr sagen dass er dachte sie sei vollkommen, aber er zeigte ihr dass sie Fehler hatte. Er wollte ihr das geben was sie sich wünschte, aber er gab ihr immer das vor dem sie Angst bekam. Er wollte ihr sagen dass er sie liebte, aber er ließ sie spüren dass er sie verachtete. Er wusste dass er damit genau das Gegenteil dessen erreichte was er sich immer wünschte. Der Grund warum er es dennoch tat, war simpel.
Freya wurde von allen geliebt und verhätschelt. Niemand konnte ihr böse sein oder ihr etwas Böses wollen. Und genau darum besaß Loki von klein auf eine Monopolstellung. Wenn Freya wütend war, war niemand anderes daran schuld als Loki. Es erschien Loki logisch dass Freya mehr über ihn nachdachte – oder besser gesagt, sich nur über ihn ärgerte und damit automatisch über ihn nachdachte – als über alle anderen die nie etwas anderes taten als sie zu loben, zu streicheln und ihr Geschenke zu machen. Lieber wurde er von Freya misstrauisch beäugt, wusste er doch genau dass sie gerade an ihn dachte, als dass er sie verhätschelte und nur einer von vielen war.
Und er wusste stets genau wie er sie wieder auf die Palme bringen konnte. Es reichte meist nur ein Wort um sie an eine vergangene Missetat zu erinnern oder er sah sie so an, als würde er sich gerade über sie lustig machen – obwohl er sie eigentlich vergötterte. Freya sprang immer darauf an. Entweder versuchte sie selbst etwas Cleveres zu sagen, was immer misslang und sie nur noch wütender werden ließ, oder sie versuchte ihn herablassend anzusehen. Und das konnte sie sehr gut. Dann fühlte sich Loki meist wie ein mickriges Insekt und vergas dass er nicht niedriger stand als sie, sondern ebenfalls ein Thronanwärter Asgards war. Eine andere Methode Freyas, gegen Lokis Streiche, Sticheleien oder neckenden Blicke anzugehen, war das Ignorieren. Loki wusste dass Freya ihn versuchte zu ignorieren, bis er aufhörte sie zu aufzuziehen. Und er wusste auch dass sie diese Methode nur selten anwandte. Das hatte mehrere Gründe: erstens war es generell nicht leicht für Freya jemanden zu ignorieren solange sie wütend war, zweitens war es schwierig Loki zu ignorieren weil es in seiner Nähe meist sehr abenteuerlich werden konnte – ein Umstand von dem auch Thor wusste – und zu guter Letzt ließ sich Loki nur schwer ignorieren solange er es nicht wollte.
Freya hatte ihn also den Rest des Tages, an dem er sie den Fisch küssen ließ, erfolgreich ignoriert. Sie war so stinksauer auf Loki dass sie es schaffte ihn zu ignorieren und ihn nicht gleich mit ihren zarten Fingern zu erwürgen. Und Loki seinerseits war viel zu beschäftigt mit seinen eigenen Gedanken gewesen als dass er sie weiterhin damit sticheln konnte. Er hatte sich für den restlichen Tag in der großen Bibliothek zurückgezogen in die niemals ein anderer hineinging. Loki und Freya waren die einzigen die in den alten Runenbüchern schmökerten – bzw. Loki lernte in der Bibliothek auch den Gebrauch der Magie. Dort war er ganz sicher ungestört, denn Freya würde gerade heute diesen Ort meiden.
Er hatte seine Cousine – geschweige denn irgendein anderes Mädchen – niemals zuvor küssen wollen und daher war es nicht verwunderlich dass ihn dieser Gedanke verwirrte. Er dachte daran als er sie im Fluss stehend gesehen hatte, mit ihren glitzernden Haaren und ihrem tropfnassen aber glücklich lächelnden Gesicht, das Kleid vom Wasser an die Beine geklebt und ihre freien Oberarme um ihren Oberkörper geschlungen um nicht zu platzen vor Freude. Das Gefühl das bei der Erinnerung an diesen Moment in ihm aufkam war dasselbe wie das, das er in diesem besagten Moment verspürt hatte. Seine Wangen wurden heiß, seine Finger wurden schweißnass, er konnte nicht mehr schlucken, sein Herz raste als würde es bersten und schließlich bereitete sich in seinem gesamten Körper eine Wärme aus die er niemals zuvor so gespürt hatte. Bei längerem nachdenken, so fand Loki, fühlte es sich an als wäre er krank, nur mit dem Unterschied dass es sich gut angefühlt hatte.
Während er so darüber nachdachte, ließ Loki seine Beine über die Lehne des Sofas baumeln. Wenn schon der Gedanke Freya zu küssen, sich so wohlig anfühlte, wie war es dann Freya tatsächlich zu küssen? Er schüttelte den Kopf bei dem Gedanken daran. Loki hatte schon früher gesehen wie sich Erwachsene küssten und er fand das wollte er niemals ausprobieren. Es hatte eklig ausgesehen. Und wenn er das schon dachte, was würde dann Freya erst denken? Sie würde sich wieder über ihn aufregen.
Loki richtete sich auf. War nicht genau das, nach dem er immer strebte? Neue Wege wie er die kleine Prinzessin Freya an den Rand der Raserei bringen konnte? Er dachte darüber nach und verwarf die Idee mit einer wegwerfenden Handbewegung. Wenn er Freya damit ärgern würde und sie küsste, würde sie Vater und Mutter davon erzählen und jeder würde wissen was er getan hatte. Er wollte auf keinen Fall dass irgendjemand erfuhr dass er jemanden geküsst hatte. Es sollte ein Geheimnis zwischen ihm und ihr sein, an das sie sich für immer erinnern würde und mit dem er sie wann er wollte aufzog, ohne dass jeder wusste um was es ging. Doch wie brachte er es fertig dass Freya von dem Kuss niemandem erzählte?
Wieder ließ sich Loki in das Sofa fallen, schwang seine Beine über die Lehne und grübelte. Pläne zu schmieden war eine Leichtigkeit für ihn und bereitete immer Freude. Doch das schönste war, wenn er seinen Plan erfolgreich umsetzen konnte. Einen Tag später war Loki bereit für seinen neuesten Streich, von dem niemand jemals erfahren sollte.
***
An diesem Tag suggerierte Loki seinem älteren Bruder Thor die Idee, dass sie sich nach Schwarzalfenheim davonschleichen sollten. Dieses Reich war für seine Schmiede-, Zauberkundigen aber leider auch schlechtgelauntesten Alfen bekannt. Vielleicht konnte Thor dort eine Rüstung erstehen die zu einem zukünftigen König Asgards passte. Kaum hatte Thor diese Idee – die gar nicht seine eigene war – laut ausgesprochen, erklärte sich Loki bereit Heimdall abzulenken, sodass sie ungestört den Bifröst passieren konnten. Obwohl Freya auch an diesem Tag vorgehabt hatte Loki zu ignorieren – am gestrigen Tag hatte sie ja nichts mehr von ihm gehört und erklärte es damit dass sie ihn damit in die Flucht geschlagen hatte – hörte sie Lokis Angebot. Das konnte nur bedeuten dass dieser und Thor in ein anderes Reich gingen – wie schon so oft – und da wollte sie mitgehen.
„Ich geh auch mit!“, hatte sie freudig ausgerufen und klatschte vor kindlicher Vorfreude auf eine verbotene Sache in die Hände. „Das ist viel zu gefährlich“, erklärte der zehnjährige Thor pflichtbewusst und bedeutete ihr dass sie da bleiben musste. Freya zog einen Schmollmund, lächelte dann aber liebenswürdig und sah ihren ältesten Cousin mit großen, bittenden Augen an.
Thor konnte Freya in diesem Moment niemals wiederstehen, doch er riss sich tapfer zusammen und wandte sich von ihr ab. „Geh in die Bibliothek und lies ein Buch. Das ist weniger gefährlich.“
Freya erkannte dass sie diesmal nicht weiterkam und verfiel auf eine andere Taktik. Trotzig stampfte sie mit dem Fuß auf und verschränkte die Arme. „Wenn ihr ohne mich geht, werde ich Onkel davon erzählen wo ihr hingegangen seid.“
Thor erstarrte. Das war der Moment in dem Loki sich einmischte. Er huschte fast unmerklich an Thors Seite und flüsterte: „Nehmen wir sie doch mit, ich passe schon auf sie auf. So wie damals in Jötunheim, weißt du noch? Da ist auch nichts passiert.“ Thor seufzte. „Also gut Freya, aber du bleibst in unserer Nähe und wenn ich nicht da bin, hörst du auf Loki, verstanden?“ Freya nickte fröhlich.
Kurze Zeit später befanden sie sich auf einem Marktplatz von Schwarzalfenheim. Da nicht nur Alfen sondern auch andere Wesen von anderen Reichen auf diesem Markt einkaufen gingen, fielen die drei jungen Asen nicht weiter auf. Vielleicht dachten die anderen Personen dass ihre Eltern gerade irgendwo ein Kaufgespräch führten und sie alleine herumziehen durften.
Während Thor bei jedem Waffenstand stehen blieb, drängte Freya zum Schmuck, nur um ebenfalls dort stehen zu bleiben und sich die kostbarsten Geschmeide anzusehen. So zerrten Thor und Freya zu zwei verschiedenen Richtungen. Und auch wenn Loki gerne selbst zu einem Magierstand gegangen wäre, war es Teil seines Plans nichts darüber zu sagen. Schließlich seufzte Thor genervt auf.
„Freya, wen interessiert den Schmuck? Mit Schmuck kann man keinen Kampf gewinnen. Man gewinnt vielleicht Schmuck wenn man auch den Kampf gewonnen hat, aber das war auch schon der Nutzen daran“, belehrte Thor. Freya sah ihn nur kurze böse an und richtete ihren Blick wieder auf den Schmuck. „Tante hat mir von einer Halskette erzählt, von der meine Mutter einst schwärmte. Es war eine Kette die, wenn eine Frau sie einmal getragen hatte, sie nur noch von ihr getragen werden konnte. Sie soll wunderschön gewesen sein.“ Sehnsüchtig glitt ihr Blick über die Ketten des Standes und wandte sich dann ab. „Doch diese Kette ist hier auch nicht.“
„Du suchst eine Kette?“, fragte Thor verblüfft. „Ich dachte du wärest an Schmuck generell interessiert.“ Freya lächelte. „Natürlich bin ich an Schmuck interessiert, aber ich kann mir auch Schmuck in Asgard machen lassen. Hier suche ich nach dieser besonderen Kette.“ Ihr Blick wurde traurig und glitt in die Ferne. „Ich will diese Kette, weil sie meine Mutter auch schon haben wollte aber niemals bekam“, flüsterte sie.
Thor sah Loki an und fuhr sich dann mit einer Hand durch seine goldenen Haare. „Wenn das so ist…“ fing er an, „dann sollten wir uns aufteilen. Vielleicht kann einer von uns die Kette irgendwo finden. Sie muss hier irgendwo sein.“ Thor wandte sich zum Gehen und auch Freya ging in die entgegengesetzte Richtung davon. Loki folgte ihr stumm.
Gemeinsam durchstreiften sie den Markt so, dass sie in der Mitte wieder auf Thor treffen sollten. Dabei redeten sie kein einziges Wort. Schließlich stand Thor ihnen gegenüber. „Ich habe sie nicht gefunden. Und ihr?“ Loki schüttelte den Kopf und wollte gerade etwas sagen, als Freya plötzlich aufgeregt hinter Thor auf einen Marktstand zusprang. „Da ist sie!“, rief sie fröhlich aus.
In der Mitte der Auslage lag eine Kette von unbeschreiblicher und unbezahlbarer Schönheit. Mit Smaragden in jeder Grünfarbe und feinen goldenen Gliedern glitzerte sie und lockte Kunden heran. „Wie viel kostet diese Kette?“ fragte Thor einen der vier Schmiede. Dieser sah Thor an und lachte laut. „Zum einen mehr als du jemals besitzen könntest, Kleiner und zum anderen ist sie unverkäuflich.“ Thor wollte etwas erbost erwidern, dass er sich erdreisten konnte einen Prinzen Asgards zu beleidigen, als sich Loki hastig einmischte. „Was ist an dieser Kette so besonderes wenn sie unverkäuflich ist?“ Der Schwarzalf sah Loki an und überlegte ob diese Kinder es Wert waren mit ihnen zu reden. Doch schließlich überwog sein Stolz über die verrichtete Arbeit und er erzählte den dreien alles. „Ich und meine Brüder“, er deutete auf die anderen drei Schwarzalfen „haben diese Kette Brisingamen getauft. Ein solch kostbares Stück verdient einen Namen. Die Juwelen die ihr hier seht, stammen aus allen neun Reichen, daher die unterschiedlichen Grünfarben und Lichtintensität. Das Gold haben wir mit einem Zauber belegt. Nur eine Frau die äußerlich ihrem Herzen gleicht, kann diese Kette tragen. Und wenn sie sie einmal angezogen hat, kann niemand anderes diese Kette mehr anlegen.“ Thor schloss seinen offenen Mund, der während der Erzählung des Alfen aufgegangen war und Freya lächelte verträumt. „Und was geschieht wenn eine Frau nicht ihrem Herzen gleicht?“, fragte Loki neugierig. Der Alf lachte und meinte ungezwungen: „Sie stirbt.“
Thor zog Freya und Loki von dem Stand weg. „Ich glaube es wäre besser wir lassen das Kleinod wo es ist. Nur für den Fall…“, er wurde von Freya unterbrochen. „Dass ich meinem Herzen nicht ähnlich sehe, danke für dein Vertrauen Thor.“ Sie sah sehnsüchtig zu der Kette zurück. „Ich muss diese Kette nicht unbedingt tragen, aber ich will sie unter allen Umständen Besitzen. Es ist das was meine Mutter auch gewollt hatte.“ Thor rüttelte Freya kurz, so als müsse er sie wachrütteln. „Aber sie ist unverkäuflich. DAS ist der Grund warum deine Mutter sie niemals besessen hatte. Finde dich damit ab. Außerdem-“ er sah zum Stand der Sonne hinauf „wir müssen wieder zurück, bevor jemandem Auffällt dass wir gar nicht mehr in Asgard sind.“ Freya ging trottend und trübsaalblasend hinter Thor und Loki her, für die das Thema Kette erledigt zu sein schien und miteinander schwatzten.
***
Später an diesem Abend ging Freya in die Bibliothek um zu lesen. Sie konnte an nichts anderes mehr denken als an diese Kette, daher hoffte sie dass sie bei einem Buch vergas an sie zu denken. Kaum war sie unter einem der großen Fenster in die weichen Kissen gesprungen und wollte ihr Buch aufklappen, da trat Loki aus dem Schatten eines Bücherregals.
„Magie ist eine wundervolle Sache“, lies Loki wie nebenbei verlauten. Freya erschrak und klappte das Buch wieder zusammen. „Ach, nur du…“ grummelte sie, als sie Loki erkannte und wollte ihr Buch wieder aufklappen. Doch sie hielt inne. Loki konnte nicht anders und musste hinterhältig grinsen, weil er genau wusste dass sie auf seine Andeutung angesprungen war. „Magie“, flüsterte Freya als müsse sie angestrengt nachdenken. Dann sprang sie aus dem Kissen heraus und wandte sich an ihn. „Kannst du nicht irgendeinen Trick anwenden um mir die Kette zu beschaffen?“, fragte sie ihn hoffnungsfroh.
Loki tat als würde er nachdenken. „Nun, es wäre sicher nicht leicht, aber ich kann vielleicht etwas machen.“ Freyas Augen leuchteten auf und sie vergaß dass sie mit Loki sprach. „Wirklich? Das würdest du für mich tun?“ Loki verschränkte seine Arme vor der Brust und sah sie ernüchternd an. „Ich tu es nur, wenn du mich dafür bezahlst. Immerhin kann ich richtig ärger bekommen.“ Freya sah ein dass er Recht hatte. „Ich gebe dir all meine Spielsachen“, bot sie ihm an, doch Loki lachte nur kurz. „Die interessieren mich nicht.“ Freya dachte nach und sagte dann: „All meinen Schmuck!“ Loki winkte ab. „Ich trage keinen Schmuck, also bringt mir das nichts.“ Freya grübelte nach und sagte dann mit quälender Stimme „Ich gebe dir mein Lieblingspferd!“ Loki schüttelte desinteressiert den Kopf und wollte schon gehen, als Freya verzweifelt und mit Tränen in den Augen sagte: „Ich gebe dir alles was du willst. Ich tu sogar alles aber bitte besorg mir diese Kette.“ Das war Lokis Stichwort. Mit dem Rücken zu ihr, konnte er nicht anders als diabolisch zu grinsen.
„Du würdest also nochmal einen Fisch küssen?“ fragte er, während er sich langsam wieder umdrehte. Freya schluckte, nickte aber tapfer. Loki tat wieder als müsse er nachdenken, dann nickte er und hielt ihr seine Hand zum Einschlag entgegen. „Gut, damit haben wir eine Vereinbarung. Ich besorge dir die Kette, du tust danach etwas was ich will und niemand wird von unserem Deal erfahren. Es bleibt unser Geheimnis. Wenn du jetzt einschlägst bist du an dein Wort gebunden“, erklärte er ihr. Freya wollte einschlagen, als er sie ermahnte: „Und du musst dein Wort auch halten. Egal was passiert!“ Freya nickte, schluckte einmal hart und legte ihre Hand in die seine.
Loki hätte die Zeit gerne angehalten. Ihre Hand war etwas kleiner als seine, aber sie fühlte sich weich an. Ihm fiel erst da auf, dass er sie nur selten bewusst angefasst hatte. Es gab so viele Dinge die ihm vorher niemals aufgefallen waren. Doch so schnell der Augenblick da war, war er schon wieder verschwunden und Freya entzog ihm wieder ihre Hand. Obwohl er sie am liebsten gleich wieder gepackt hätte, drehte er sich ruckartig um und verließ die Bibliothek. Freya starrte ihm hinterher und sah auf ihre Hand hinab.
***
Fast eine Woche später saß Freya an einem See, der inmitten einer Waldlichtung lag. Es blühten Blumen in allen Farben und sie war damit beschäftigt einen Blumenkranz zu binden. Thor hatte sie in den Wald geleitet um ihr diese Lichtung zu zeigen. Während Thor jedoch wieder durch die Wälder streifte und Tiere beobachtete und gelegentlich jagte, war sie hiergeblieben. Das Sonnenlicht das nicht durch die Bäume dringen konnte, fiel hier jedoch auf die Lichtung und erhellte Freyas goldenes Haar.
Loki stand am Rand der Lichtung und beobachtete Freya aus den Schatten heraus. Schließlich ging er raschen Schrittes zu ihr. Die Hände hinter dem Rücken verborgen. Als er sich ihr bis auf wenige Schritte genähert hatte, drehte sie sich freudestrahlend zu ihm um und hielt den fertigen Blumenkranz empor. Als sie erkannte dass es nicht Thor sondern Loki war, verdunkelte sich ihre Miene nur für wenige Sekunden. Und obwohl sie gleich wieder lächelte, war Loki dieser Wechsel nicht entgangen.
Mit einem diebischen grinsen ging er neben ihr in die Knie herunter und sagte „Ich habe etwas für dich.“ Er holte das Etwas hinter seinem Rücken hervor und überreichte es Freya. Sie erkannte Brisingamen sofort und schrie freudig auf, nur um dem überraschten Loki um den Hals zu fallen. Er landete rücklings auf dem Gras, mit Freya um seinen Hals geschlungen. „Ich dachte schon du könntest es mir doch nicht mehr bringen“, nuschelte Freya in sein Gewand. Obwohl Loki so glücklich war wie noch nie zuvor, riss er sich zusammen, packte Freya und richtete sie auf. Als sie sich gegenüber saßen, sah er sich hektisch um. „Du musst es schnell anlegen. Ich glaube die Schwarzalfen sind nicht glücklich dass ich es ihnen gestohlen habe.“ Freya sah Loki geschockt an. „Du hast es-“ wollte sie beginnen, wurde jedoch von ihm unterbrochen. „Nun mach schon. Wenn du es einmal trägst, kann niemand anderes es mehr anlegen und es gehört dann dir.“ Freya sah auf die Kette in ihren Händen.
„Und wenn es mich tötet?“, fragte sie leise und bang. Loki sah sie wieder an und runzelte die Stirn. „Unmöglich.“ „Aber was wenn doch?“, beharrte sie. Loki griff nach der Kette und meinte: „Vertrau mir.“ Bevor Freya etwas tun konnte, hatte Loki ihr die Kette schon umgelegt. Freya wollte aufschreien, aber da war die Kette schon um ihren Hals. Brisingamen leuchtete kurz auf und verkleinerte sich dann um Freyas Hals. Aber nur soweit dass die Kette richtig um den Kinderhals lag. Ansonsten geschah nichts weiter.
Freya hatte ihre Augen vor Schreck geschlossen und öffnete sie wieder langsam. „Siehst du, nichts geschehen“, meinte Loki leichthin und stand auf. Freya konnte nicht fassen dass sie ihre heißbegehrte Kette trug und sie ihr niemand mehr wegnehmen konnte. Das einzige das sie dafür getan hatte war – ja was hatte sie getan? Freya fiel das Versprechen wieder ein und sie erhob sich, um in den See zu waten. Loki hatte sie schweigend beobachtet. Als sie versuchte einen Fisch mit ihren Kinderhänden zu fangen, fragte Loki: „Was machst du da?“ Freya erklärte, ohne aufzuhören „Ich versuche einen Fisch zu fangen um ihn zu küssen.“
Loki wollte grinsen, unterdrückte den Drang jedoch. „Und warum willst du einen Fisch küssen?“, fragte er scheinheilig. Freya ließ von ihrem Vorhaben ab und wandte sich Loki zu. „Du sagtest doch ich solle einen Fisch küssen“, meinte sie unsicher. Loki konnte nicht mehr anders und begann schallend zu lachen. Während Freya mit ärgerlicher Miene ihre Arme verschränkte, beruhigte sich Loki wieder. „Ich habe nur gefragt ob du auch einen Fisch küssen würdest, um zu sehen ob du es ernst gemeint hattest dass du alles tun würdest. Ich sagte nie dass du ihn wirklich küssen sollst.“ Freya verstand nun und wollte ihn gerade fragen was sie tun solle, als Loki sich zum Gehen wandte. „Ich lass es dich wissen was du tun sollst“, meinte er und ging in die Schatten der Bäume davon.
***
Schon kurze Zeit nach den Geschehnissen auf der Lichtung, sprachen vier Schwarzalfen am Hof von Odin vor. Sie klagten seinen jüngsten Sohn Loki als Dieb an. Er hatte die wertvolle Kette Brisingamen entwendet. Obwohl Odin ein Machtwort gesprochen hatte und Loki vor den Augen der Alfen befahl das Kleinod wieder herzugeben, konnte Loki nur schelmisch grinsen. Er erklärte freimütig dass er die Kette Freya geschenkt habe und diese sie schon getragen hatte. Für Odin war damit alles geklärt. Der Allvater wusste von der Magie der Kette und erklärte den betrübten Alfen, dass es jetzt nichts mehr zu holen gab. Da jedoch Loki etwas gestohlen hatte, versicherte der Allvater dass er ihn bestrafen würde. Die Alfen wetterten und forderten eine hohe Strafe, doch allen war klar dass Loki noch zu jung für eine solche Strafe war. Odin ließ Gnade vor Recht walten und verdonnerte Loki dazu den vier Schmieden aus Schwarzalfenheim für ein Jahr zur Hand zu gehen.
Loki nahm die Strafe gelassen hin. Für ihn war das keine Bestrafung, sondern eher die Gelegenheit von den zauberkundigen Alfen eine Menge zu lernen. Freya ihrerseits verschwieg, wie versprochen, warum Loki die Kette gestohlen hatte und freute sich jeden Tag am Glanz ihrer Kette. Jedem einzelnen in Asgard fiel auf dass nicht Freya durch die Kette liebreizender wurde, sondern die Kette wegen Freya schöner wurde. So ging ein Jahr ins Land, in dem Loki bei den Alfen zu tun hatte und Freya nicht mehr sah. Dementsprechend konnte Loki auch das Versprechen Freyas nicht einfordern.
Schließlich war Lokis Zeit in Schwarzalfenheim vorüber und er wurde freudig von seiner Familie in Asgard erwartet. Seine Eltern, Thor und seine besten Freunde, sowie ein paar weitere entfernte Verwandte hatten sich in der großen Halle versammelt um den jüngsten Prinzen zu begrüßen.
Er wurde gerade von Thor zerquetscht, als die Hallentüre aufschwang und Freya hereineilte. Sie atmete schwer, so als wäre sie gerannt und lächelte Odin an. Ihre Kammerzofe hatte getrödelt und darum war sie so spät dran. Loki blieb die Luft weg, ob wegen Thors Umarmung oder wegen der Erscheinung seiner Cousine, konnte er nicht mit Sicherheit bestimmen.
Freya hatte längere Haare und trug sie nun in Locken, die ihr wohlgeformtes Gesicht umrahmten. Ihre großen grünen Augen waren von unglaublich langen Wimpern umrahmt und unter ihrer Stupsnase verzog sich ihr kleiner, voller Mund zu einem Lachen. Loki konnte seine Augen nicht von ihrem Gesicht lassen und bemerkte nur am Rande dass sie ein grünes Kleid mit goldenen Borten trug, das zu Brisingamen passte. Ihm wurde in vollem Ausmaß bewusst wie sehr er sie vermisst hatte. Seine kleine Prinzessin.
Um Lokis Rückkehr gebührend zu feiern, wurde ein kleines aber dennoch prachtvolles Fest abgehalten, an dem die Erwachsenen eifrig tranken. Loki zog sich schon sehr bald zurück. Wusste er doch genau dass die Verwandten und Freunde nicht zum Fest gekommen waren weil sie sich freuten ihn wieder hier zu haben, sondern weil entweder Odin es befohlen hatte oder reichlich Met versprochen worden war. Da Thor der Mittelpunkt des Geschehens war, hatte Loki bald keine Lust mehr auf sein Willkommensfest.
Während er gedankenverloren durch die Gänge des Palastes schlenderte, glitt sein Blick aus dem Fenster. Es dämmerte bereits und die Sterne über Asgard warfen noch ein letztes Gold über die Dächer, bevor es dunkel wurde. Im Zwielicht erkannte er Freya im Rosengarten.
Der Rosengarten war der andere Ort an dem man Freya antreffen konnte, abgesehen von er Bibliothek. Schon als Freya gerade erst laufen gelernt hatte, hatte sie immer gerufen: „Freya Rosen!“ Daher hieß jede Rose in Asgard nun Freya-Rose. Während Loki sie beobachtete wie sie durch den Garten lustwandelte und hier und da an einer Rose schnupperte, dachte Loki dass Freya die Göttin der Liebe oder der Schönheit werden würde. So wie Thor der Gott des Donners geworden war und Loki, sobald er zehn wurde, zum Gott der Streiche ernannt werden würde.
Freya freute sich dass ihre Rosen so wundervoll blühten und ihren lieblichen Geruch verströmten. An Abenden wie diesen nahm sie sich meistens ein Buch mit und las hier, zwischen ihren Roten, Grünen, Rosa und gemischtfarbigen Rosen. Jedoch nicht ohne ihrer Lieblings Rose, einer goldenen, guten Abend zu wünschen. Kaum hatte sie das getan und hatte sich auf einer Parkbank niedergelassen, vernahm sie eine Stimme.
„Es gibt Dinge die ändern sich niemals“, meinte Loki und kam hinter einem der Rosenbüsche hervor. Freya lächelte ihn an. „Da hast du Recht. Und du schleichst dich noch immer an andere Leute an.“ Loki ließ seine schlanken Finger an den Rosen entlanggleiten und kam auf sie zu. „Man kann eine Menge erfahren wenn man sich anschleicht. Das könnte ich mir niemals abgewöhnen. Bist du nicht froh dass ich noch der bin, der ich vor einem Jahr war?“, fragte er neugierig. Freya zuckte mit den Schultern, meinte dann aber „Natürlich freue ich mich dass du wieder da bist, aber wenn du mir immer noch Streiche spielen willst, dann freue ich mich nicht mehr so.“
Loki legte eine Hand auf sein Herz und tat gekränkt. „Das trifft mich tief, kleine Prinzessin.“ Freya runzelte unwillig die Stirn ob so einer anrede. „Hast du nicht ein Fest an dem du teilnehmen solltest? Was willst du hier?“, fragte sie brüsk. Loki lächelte hinterlistig und meinte „Ich wollte dich an ein Versprechen erinnern.“ Freya dachte nach. Schließlich erinnerte sie sich daran was er meinte und griff unbewusst an ihre Halskette. „Genau an das“, bestätigte Loki als er ihre Bewegung verfolgte.
Mit einem unhörbaren Seufzer, richtete sich Freya auf. „Und was soll ich tun?“, fragte sie fast ungeduldig. Loki trat zu ihr, bis er direkt vor ihr stand. Dabei fiel ihm auf dass sie gewachsen war. Seit der Zeit als er ihr die Kette angelegt hatte, war sie größer geworden und reichte ihm nun bis zu den Augenbrauen.
„Schließ die Augen“, Freya schloss die Augen, „und bleib ruhig stehen“, befahl er ihr. Loki bezweifelte dass Freya wusste was er vorhatte und so hatte er alle Zeit der Welt. Er bemerkte dass seine Hände schwitzten und sein Herz bis zum Hals schlug. Freya wartete geduldig. Vielleicht weil sie wusste dass sie diese Sache, was es auch immer war, hinter sich bringen musste um Brisingamen endgültig ihr eigen nennen zu können. Dabei fiel Loki ein dass er nicht genau wusste was er zu tun hatte. Er hatte alles genau geplant gehabt und nun scheiterte sein Vorhaben daran? Nein, er musste es tun. Er wollte es tun. Jetzt und hier.
Er lehnte sich vor und beugte sich gleichzeitig ein wenig zu ihr herab, damit er ihre Lippen traf. Sein Herz raste und wollte vor Aufregung zerspringen, während er seine zittrigen Finger in seine Tunika vergrub. Er berührte ihre Lippen zuerst nur ganz sachte und kaum merklich, dann faste er sich neuen Mut und presste sie stärker aber gleichzeitig behutsam auf die ihren. Er schloss die Augen um den Augenblick in sein Gedächtnis einzubrennen. Ihre Lippen wie sie sich weich an die seinen schmiegten, ihren Geruch den er noch nie so intensiv wahrgenommen hatte und den Geschmack den sie auf seinem Mund hinterließ waren die Dinge, die er niemals vergessen wollte.
Loki hatte das Gefühl für die Zeit verloren. Es konnten nur Sekunden vergangen sein oder Tage, aber was er bemerkte war, dass sie Luft benötigten als sie den Kuss unterbrachen. Loki entfernte sich einen Schritt von ihr und wollte etwas sagen. Doch er entschied sich um und setzte sein spitzbübisches Grinsen auf, so als wäre auch dies nur einer seiner Streiche gewesen. Damit verschwand er wortlos in die angebrochene Nacht. Freya sah ihm nur einmal mehr hinterher.
Sie hatte nicht erwartet dass er sie küssen würde. Als er es tat, wollte sie sich zuerst entsetzt zurückziehen, erinnerte sich aber an das Versprechen und harrte aus. Doch was dann kam, war etwas vollkommen Neues für sie gewesen. Ihre Haut hatte begonnen zu prickeln und es breitete sich in ihrem gesamten Körper eine Wärme aus, die sie niemals zuvor in Gegenwart Lokis gespürt hatte.
Obwohl Loki bereits in der Nacht verschwunden war, sah sie noch hinter ihm her und berührte ihre Lippen mit den Fingern. Davon könnte sie niemals jemandem erzählen, selbst wenn sie es nicht schon versprochen hätte.
Während sie ebenfalls zum Palast zurückging, kam Freya ein Gedanke. Brisingamen würde sie ihr Leben lang an diesen Kuss erinnern. Mit einem fröhlichen lächeln sagte sie ihren Rosen gute Nacht.
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