Zissy M. Baumann: Willkommen in meinen Gedanken
Zissy M. Baumann

Robin Hood (BBC)

Fanfiktion zu Robin Hood (BBC)

 

Änderungen:

·         Lady Marian von Knighton hat eine jüngere Zwillingsschwester Namens Lucy.
·         Lucy und Marian sind zweieiige Zwillinge.
·         Als Robin von Locksley nach Jerusalem ging, ging Marian ins Kloster.
·         Lucy ist der „Nightwatchman“.

 

Kapitel 1: Erste Begegnung

 

Es klopfte an der Türe. Lord Edward von Knighton war ob der späten Ruhestörung ungehalten. Immerhin hatte er vorgehabt ein entspannendes Bad zu nehmen und sich danach zur Nachtruhe zu betten. Die Magd hatte schon alles vorbereitet und er wollte sich gerade nach oben begeben, als jemand an die Türe pochte. „Wer ist da?“ fragte Edward laut und befehlsgewohnt. „Sir Guy von Gisborne!“, kam die vor Wut verzerrte Stimme des „schwarzen Ritters“, der rechten Hand des Scheriffs von Nottingham. „Öffnet die Türe! Sofort!“, verlangte er unwirsch.

Noch vor drei Jahren hätte Edward wegen der späten Ruhestörung und des mangelnden Respekts von Gisborne den Eintritt verwehrt und den jüngeren Mann zurechtgewiesen. Doch in diesen Zeiten war einzig das Wort des neuen Scheriffs und dessen Handlanger Gisborne Gesetz. Und diesem durfte sich Edward auf keinen Fall wiedersetzen, sonst würde es ihm so ergehen wie manch einem anderen Adligen. Manche verschwanden einfach spurlos, die meisten wurden einfach nur enteignet. Edward wollte daher auf keinen Fall Unfrieden zwischen sich und dem Scherriff stiften. Vor allem da vor ein paar Tagen erst erfahren hatte, dass seine Tochter Lucy gegen die Unterdrückung kämpfte. Zumeist nachts und verkleidet schlich sie als sogenannter Nightwatchman von Haus zu Haus und verteilte Essenspakete und Geldrationen an die Armen und Bedürftigen. Zuerst war ihr Vater aufgebracht gewesen, denn damit bedrohte sie den Frieden zwischen ihrer Familie und dem Scherriff, doch solange sie unerkannt blieb, das sah ihr Vater bald ein, war sie auf der richtigen Seite und half den Menschen damit.

„Was wollt Ihr zu so später Stunde?“, fragte Edward gezwungenermaßen höflich, während er die Türe aufsperrte. Gisborne stürmte sofort herein und verschwendete keine Zeit mit irgendwelchen Erklärungen. „Ist Eure Tochter im Haus?“. Edward juckte es brennend zu fragen welche Tochter Sir Gisborne den im Sinn hatte, doch er besann sich eines Besseren. Wenn Gisborne in einer solch schlechten Stimmung anzutreffen war, sollte man nicht mit ihm Scherzen. „Warum wollt Ihr sie zu dieser Zeit noch sprechen?“, fragte Edward und hoffte er fand eine Möglichkeit Gisborne wieder zum Gehen zu bewegen. Doch dieser wandte sich grimmig um und seine Augen funkelten gefährlich als er knurrte: „Ist sie da oder nicht?“.

Sie war nicht da. Lucy war wieder einmal als Nightwatchman unterwegs. Doch was sollte ihr Vater sagen? Warum sollte sie alleine und zu so später Stunde aus dem Haus sein? Also blieb Edward nichts übrig als zu lügen.

„Sie ist oben. Ich nehme an sie schläft bereits“, antwortete er und hoffte damit sei alles geklärt. „Ich muss sie sofort sprechen“, stellte Gisborne nur fest und stürmte bereits die Treppe nach oben.

Eigentlich hätte Edward deswegen erbost werden müssen, denn immerhin war Gisborne weder mit seiner Tochter verheiratet noch mit ihr verlobt und hatte damit kein Recht sie in der Nachtruhe zu stören. Jedoch war ihm angst und bange ob der Entdeckung Gisbornes, dass Lucy nicht im Haus war und ihr Vater damit gelogen hatte. Er rannte ihm daher hinterher und wollte an seine Vernunft appellieren, als dieser bereits die erste Türe aufgerissen hatte.

Gisborne stoppte in der Bewegung und als Edward ihn erreichte, erkannte er warum.

Lucy stand mit dem Rücken zu ihnen vor der gefüllten, dampfenden Wanne und hatte sich augenscheinlich gerade daraus erhoben, denn sie war zum einen klatschnass und zum anderen nackt. Sie drehte sich wegen der Störung zu ihnen um und bekam einen großen Schrecken. „Sir Guy!“, rief sie vorwurfsvoll und ihre Augen suchten nach einem Handtuch um sich zu bedecken. Doch diese waren ausgerechnet auf der anderen Seite der Wanne. Daher bedeckte sie ihre Blöße mit ihren Händen und wandte sich wieder ab.

Edward reagierte instinktiv und packte Gisborne etwas zu grob an der Schulter um ihn aus dem Türrahmen zu ziehen und die Türe wieder zu verschließen. „Was fällt Euch ein?“, fragte Edward wütend und warf alle Vorsicht über Bord. Gisborne hingegen war noch immer so überrascht von dem was er gesehen hatte, dass er gar nicht bemerkte wie er angefahren wurde. Blinzelnd stammelte er: „Es… ich…“ Dann besann er sich etwas, straffte die Schultern und erklärte: „Verzeiht mir Lord Knighton. Ich lag offensichtlich falsch in der Annahme Eure Tochter eben in Nottingham gesehen zu haben.“ Er wandte sich ab und wollte gehen, als er noch hinzufügte: „Richtet Eurer Tochter mein Bedauern über die Störung aus.“ Da Edward nichts erwiderte, ging er davon.

Als die Türe hinter Gisborne ins Schloss fiel, atmete Edward erleichtert aus und klopfte an die Türe hinter sich. „Lucy? Sir Gisborne ist weg, darf ich eintreten?“. „Komm herein“, kam die Antwort.

Sie hatte sich inzwischen ein Handtuch umgeschlungen und saß nun auf einem Stuhl neben dem prasselnden Kaminfeuer. Jetzt, da er mehr Zeit hatte erkannte Edward eine Spur von nassen Fußstapfen vom Fenster zur Wanne und direkt neben der Wanne ein Haufen von triefenden Kleidungsstücken. „Was…?“ setzte Edward fragend an, als Lucy ihren tropfenden Rotschopf schüttelte und nur seufzte. „Es ist besser wenn du nichts weißt“, antwortete sie dann. „Ich weiß du warst in Nottingham!“ reagierte ihr Vater aufgebracht und verlangte zu wissen: „Was ist geschehen?“ Lucy sah auf und seufzte wieder, diesmal jedoch um sich zu überlegen wie sie ihrem Vater alles erzählen konnte.

„Es war eine Falle vom Scherriff um mich zu fangen und das wäre auch fast geschehen. Doch ich konnte ein Pferd stehlen und bin so schnell ich konnte davon. Im Sherwood Wald stieg ich dann vom Pferd ab, denn wenn sie das Pferd in unseren Stallungen gefunden hätten, wäre ich enttarnt gewesen und bin zu Fuß weitergerannt. Dabei bin ich im Dunkeln in den See gefallen. Als ich hier ankam, habe ich meine Kleidung ausgezogen und wollte mich eigentlich abtrocknen, als auch schon Gisborne in der Türe stand“, berichtete sie und wrang dabei ihre Haare aus. „Ich dachte ich sterbe!“, fügte sie noch hinzu. Edward war sich sicher sie meinte es in doppeltem Sinne. Dass ein Mann sie nackt gesehen hatte und dass sie fast am Galgen gebaumelt hätte.

„Zum Glück hat er die nasse Kleidung und deinen Trampelpfad nicht entdeckt“, seufzte Edward auf. „Warum war er überhaupt hier? Niemand konnte mich erkannt haben“, wunderte sich Lucy. Ihr Vater war davon etwas beunruhigt und erklärte ihr: „Er meinte er habe dich in Nottingham gesehen. Heute Abend.“ Lucy bekam große Augen und schien zu wissen warum. „Was?“ fragte ihr Vater alarmiert. „Er könnte meine Haarspange gefunden haben“, vermutete sie. „Ich hatte zwei im Haar, aber als ich hier ankam hatte ich nur noch eine. Ich hatte angenommen sie im See verloren zu haben.“

Edward bebte vor Wut und wetterte: „Ich habe dir von Anfang an gesagt, dass sich so etwas nicht ziemt! Du bist eine junge Frau und kein Mann! Es war nur eine Frage der Zeit bis du allein wegen deiner Haare enttarnt werden würdest. Ich verbiete dir weiterhin diesem Unfug nachzugehen.“ Lucy stand erbost auf. „Aber ich muss etwas unternehmen! Ich ertrage es nicht mitanzusehen wie Kinder verhungern und Kranke leiden!“, rief sie aufgebracht. „Und trotzdem verbiete ich es dir!“, bestimmte Edward und Lucy stürmte zornig davon. Als er alleine im Zimmer war, beruhigte er sich etwas und flüsterte: „Und ich ertrage es nicht mitansehen zu müssen wie meine jüngste Tochter am Strick baumelt.“

 


Kapitel 2: Fieber

 

Es vergingen einige Tage in denen Lucy und ihr Vater sich anschwiegen und Lucy sich, wenn auch nur teilweise, an den Befehl ihres Vaters hielt. Teilweise deshalb, da sie zwar nicht als Nightwatchman unterwegs war, jedoch Robin beauftragt hatte Essens- und Geldrationen zu verteilen die sie ihm übergab.

Aber auch Gisborne schwieg beharrlich. Er war seit dieser Eskapade nicht mehr in Knighton Hall zu sehen und lies auch nichts ausrichten. Eine Tatsache die Lucy mehr als begrüßte wenn man bedachte, dass er regelmäßig vorstellig wurde um sie zu irgendwelchen Festen einzuladen, sich selbst zum Essen einzuladen oder ihr einfach nur irgendwelche Sachen schenkte. Er hegte offensichtlich den Wunsch ihre ungeteilte Aufmerksamkeit zu sichern. Nur war Lucy überhaupt nicht an ihm interessiert. Nicht dass sie überhaupt an irgendeinem Mann interessiert war.

Seitdem ihre Schwester Marian vor fünf Jahren von ihrem Verlobten Robin so sehr verletzt wurde, dass sie Trost in einem Kloster suchte, waren für Lucy alle Männer aus ihren Gedanken verbannt. Sie dachten ja sowieso nur an sich. Auch diejenigen von denen man wirklich angenommen hatte, dass sie tiefe Gefühle hegten. So wie Robin zu Marian. Doch am Ende war der Kreuzzug, ein unsinniges Unterfangen, wichtiger als eine Familie mit Lucys Schwester zu gründen.

Abgesehen von den wenigen nächtlichen treffen mit Robin, begann Lucy sich bald nach Gesellschaft zu sehnen. Natürlich hatte sie noch die Mägde und die Bauern aus Knighton Hall mit denen sie die meiste Zeit des Tages verbrachte, doch sie sahen in ihr immer die Adlige und waren daher zumeist etwas gehemmt. Selbst die Kinder mit denen sie spielte und denen sie Geschichten erzählte waren höflich und achteten darauf sie niemals ohne ihren Titel anzureden. „Lady Knighton hier“ und „Lady Knighton dort“.

Eines Tages beschloss Lucy daher auszureiten. Und zwar nicht nur einmal über die Felder, sondern den ganzen Tag lang. Jeden Stock und jeden Stein in Nottingham zu besuchen und den großen Sherwood Wald zu durchforsten. Sie stattete sich mit Proviant aus und legte sich einen leichten Umhang um die Schultern. Zwar war es bereits tiefster Herbst, aber der Schnee blieb aus und auch die Temperatur war angenehm solange die Sonne schien. Wolken waren heute keine in Sicht.

Es war bereits nachmittags als es zu dämmern begann. Lucy dachte zumindest, dass es dämmerte, denn sie war im Wald und erkannte erst zu spät, dass sich ein Gewitter zusammengebraut hatte. Als eine eisige Windböe sie umhüllte, wurde ihr bewusst, dass sie es nicht mehr rechtzeitig vor dem Gewitter nach Hause schaffen würde. Dass sie sogar bis auf die Knochen nass werden würde. Trotzdem zog sie sich den Umhang dichter um den Hals und ritt in Richtung Knighton Hall davon.

Sie war bereits durchnässt und durchgefroren, als ihr klar wurde, dass sie sich verirrt hatte und da der Schauer nicht abriss, hielt sie an und wollte sich einen notdürftigen Unterstand suchen. Einen hohlen Baum, eine Höhle oder eine überdachte Futterkrippe würde schon reichen. Doch da sie weder das eine noch das andere entdecken konnte, band sie ihr Pferd an einen Baum und kugelte sich in einer Mulde am Fuß des Baumes zusammen und zog den nassen Umhang enger um sich. Das schlimmste war der eisige Wind der sich durch ihre regennasse Kleidung zwängte und sie vor Kälte schlottern ließ. Irgendwann wurde ihr so kalt, dass sie in einen Dämmerzustand überglitt der ihr die Schmerzen in den Gliedern linderte und ihr wohltuende Gefühllosigkeit schenkte. Sie war bereits so betäubt, dass sie weder mitbekam wie langsam der morgen dämmerte, noch wie sie von zwei starken Armen emporgehoben und davongetragen wurde. Der Regen dauerte weiterhin an und verkündete endgültig das Ende der warmen Tage des Jahres. Bald würden die Regentropfen zu Schneeflocken werden.

Lucy erwachte hin und wieder aus ihrem traumlosen Zustand, jedoch immer nur für wenige Augenblicke. So bemerkte sie mit wohltuen, dass sie zwar der nassen Kleidung entledigt wurde, sie sich aber bald darauf in warmen Daunendecken wiederfand. Die aufkeimende Wärme lullte sie so schnell ein, dass sie nicht sagen konnte wo sie sich befand.

Anschließend suchten sie wirre Fiberträume heim und sie fühlte wie ihr Körper von innen heraus verbrannte wenn sie nicht bald etwas kühlte. Ab und zu fühlte sie wie jemand mit einem kalten Lappen ihre Stirn abtupfte und jemand leise flüsterte dass sie in guten Händen sei. Dann war sie wieder in ihren wirren Träumen gefangen.

Schließlich öffnete Lucy nach einem langen traumlosen Schlaf die Augen.

Langsam gewöhnte sie sich an die Lichtverhältnisse des Raumes. Es war Nacht und ein warmes, angenehmes Feuer prasselte im Kamin rechts neben dem breiten Bett. Schwere und wohlige Daunendecken bedeckten ihren nackten Körper. Auf ihrer Stirn lag ein Lappen, der bereits dieselbe Temperatur wie ihr Körper aufwies. Links neben dem Bett direkt neben ihr saß ihr Vater in einem Stuhl und schien vor Erschöpfung eingeschlafen zu sein.

Obwohl Lucy erfreut war ihren Vater so dasitzen zu sehen, fragte sie sich wo sie sich eigentlich befanden. Dieses Zimmer befand sich nicht in ihrem Zuhause.

Ruhig erhob sie sich und nahm den Lappen von ihrer Stirn. Doch ihre Kräfte verließen sie und sie sank wieder in die Kissen zurück. Dabei stöhnte sie erschöpft auf, was ihren Vater aufschrecken ließ. Er erkannte, dass seine Tochter wach war und sich aufzurichten versucht hatte und stand auf um ihr sanft über die Stirn zu streicheln. „Lucy, bin ich froh dass es dir wieder besser geht“, erklärte Edward und nahm den Lappen aus ihren Händen.

„Wo…“, krächzte Lucy und brach ihren Satz ab. Ihr Hals schmerzte und ihre Kehle war trocken. Edward verstand und füllte einen Becher mit Wasser aus einem Krug neben dem Bett. „Hier“, sagte er und half seiner Tochter etwas Wasser zu trinken. Nachdem sie ihren Durst gestillt und wieder im Bett versunken war, ließ sich Edward wieder im Stuhl nieder und berichtete: „Es hat in Strömen geregnet und du bist die ganze Nacht nicht nach Hause gekommen. Da habe ich mir Sorgen gemacht und habe den einzigen Mann um Hilfe gebeten der mir eingefallen ist. Sir Gisborne war so freundlich und begab sich auf die Suche nach dir. Er hat dich auch gefunden und sich um dich gekümmert.“ Lucy riss erschrocken die Augen auf und wollte etwas fragen, als ihr Vater noch hinzufügte: „Das war vor vier Tagen. Du hattest schweres Fieber und ich bin sofort gekommen als ich darüber unterrichtet wurde.“

„Wir… sind in Locksley?“, fragte Lucy mit rauer Stimme. Ihr Vater brauchte nicht zu antworten. Sie wusste es bereits. Sie wollte es einfach nicht wahrhaben. „Mir geht es gut Vater, lass uns nach Hause gehen“, bat sie. Doch nicht ihr Vater antwortete.

„Das wäre keine gute Idee Mylady. Ihr seid noch nicht kräftig genug um zu reisen.“ In der Türe zum Zimmer lehnte Gisborne mit verschränkten Armen am Türrahmen. Seine Lederhose spiegelte das Licht vom Kaminfeuer, während das schwarze Tuch seines Oberteils jedes Licht zu verschlucken schien.

„Ich muss Sir Gisborne Recht geben Lucy. Das wäre noch zu gewagt. Lass uns bis morgen warten. Vielleicht geht es dir dann besser und wir können dann gehen“, erklärte Edward seiner Tochter ruhig und konnte nur schwer seine wahren Gefühle dazu aus seinen Augen bannen. „Leider muss Euer Vater die Nacht in Knighton Hall verbringen“, erklärte Gisborne kalt und ohne bedauern.

Edward stand auf. „Sir Gisborne, das kann nicht Euer Ernst sein! Bedenkt…“, weiter kam er nicht, denn Gisborne stemmte sich vom Türrahmen ab und kam näher an das Bett heran während er unterkühlt feststellte: „Dieses Haus hat kein freies Gästezimmer. Natürlich könnt Ihr hier übernachten aber dann müsstet Ihr mit dem Pferdestall vorlieb nehmen.“ Edward wollte etwas erwidern aber seine Tochter kam ihm mit krächzender Stimme zuvor.

„Sir Guy, mein Vater könnte hier in diesem Raum schlafen.“ Ihr wurde übel bei dem Gedanken alleine und ohne Bekleidung in Locksley zu sein. In Gisbornes Nähe zu sein.

„Und wo soll er ruhen? Im Stuhl? So wie die letzten Nächte? Euer Vater ist völlig erschöpft und sollte sich in einem Bett erholen. Immerhin ist er nicht mehr der Jüngste“, erklärte Gisborne mit unverhohlener Genugtuung und richtete sein Wort dann an Edward. „Ihr könnt morgen früh jederzeit wiederkommen, aber bedenkt Eure eigene Gesundheit. Eure Tochter ist hier in guten Händen.“ Damit blieb Edward nichts anderes mehr übrig als sich zu fügen. Er hauchte seiner Tochter noch einen liebevollen Kuss auf die Wange und verließ das Zimmer. Jedoch nicht ohne sich noch einmal umzudrehen und Lucy besorgt anzusehen.

Gisborne stand mit verschränkten Armen am Bett und hatte gewartet bis Edward gegangen war, dann sah er Lucy direkt in die Augen. Es schien als wollte er etwas sagen, doch Lucy wurde dabei unangenehm bewusst, dass sie kaum eine Armlänge von ihm entfernt lag und nichts trug. Lediglich die Decke schütze sie vor seinem Blick. Er sah sie nur an und sie dachte unwillkürlich an den Moment zurück, als er sie tatsächlich nackt gesehen hatte und sie errötete.

„Gute Nacht Mylady…“, sagte er schließlich und wandte sich zum Gehen. Bevor er die Türe hinter sich schloss, sah er sie noch einmal an und sein Blick wurde weich als er leiser sagte: „Lucy.“

Lucy erschauerte und erinnerte sich mit Entsetzen, dass sie in ihren Fieberträumen Gisbornes Stimme gehört hatte, wie er sagte sie sei in guten Händen. Hatte sich Gisborne um sie gekümmert? Hatte er sie ausgezogen und ins Bett gelegt? Hatte er sie schon wieder nackt gesehen? Ekel und Abscheu stiegen in ihr auf, bei dem Gedanken daran, dass sie nicht bei Bewusstsein gewesen war.

 


Kapitel 3: Erster Versuch

 

Es vergingen noch zwei weitere Tage bis Lucy soweit genesen war, dass sie aufstehen konnte. Tagsüber besuchte sie ihr Vater und kümmerte sich um sie, während sie nachts wach lag und nicht wieder ohne Bewusstsein in Gisbornes Nähe sein wollte. Obwohl dieser nur ab und zu während des Tages ins Zimmer sah und nach ihrem Befinden fragte. Ansonsten bekam sie ihn nicht zu Gesicht.

In der Nacht des zweiten Tages wurde Lucy rastlos und sie konnte einfach nicht mehr länger im Bett liegen bleiben. Dank ihres Vaters hatte sie inzwischen ein Nachthemd und eine Tunika für die Reise zurück nach Knighton Hall, daher zog sie sich an und nahm sich vor ein wenig in Gisbornes Haus herumzustöbern. Vielleicht konnte sie ein paar wertvolle Gegenstände entdecken oder gar eine Geldkassette. Für den Fall dass sie wieder irgendwann als Nightwatchman aktiv sein würde.

Lucy öffnete die Zimmertüre einen Spalt breit und lauschte in die Dunkelheit. Nichts zu hören. Die Wachen und Dienstboten von Gisborne waren wohl alle bereits zu Bett gegangen. Auf leisen Sohlen schlich Lucy Barfüßig durch das Haus und hielt die Ohren gespitzt. Schließlich sah sie in den einen oder anderen Raum, aber jeder der Räume im oberen Stockwerk war entweder leer (was Wertvolle Gegenstände betraf) oder unbenutzt. Daher schlich sie die Treppe nach unten und befand sich im großen Wohnsaal des Hauses. Ein Geräusch ließ sie herumfahren.

Gisbornes Wachen hatten wohl draußen Patrouillendienst, denn zwei von ihnen kamen zur Haustür herein und unterhielten sich gedämpft. Lucy reagierte blitzschnell, öffnete die nächstgelegene Türe und verschwand gerade im rechten Augenblick in dessen angrenzenden Raum. Die Wachen sahen sich im Saal um und begaben sich anschließend in den Dienstbotentrakt. Lucy atmete erleichtert aus.

„So spät noch unterwegs?“, kam die tiefe Stimme Gisbornes hinter ihr. Sie klang leicht amüsiert. Lucy erstarrte in der Bewegung. Sie wagte nicht einmal zu atmen. Was sollte sie sagen? Wie konnte sie ihr unerlaubtes Eintreten erklären? Sie wollte nicht, aber sie musste sich umdrehen und alles aufklären.

Als sie kehrtmachte sah sie, dass sie in einem Gästezimmer war. Offensichtlich hatte Gisborne ihr sein Zimmer zur Genesung bereitgestellt, denn dieses Zimmer war kleiner und mit einem einfachen Bett ausgestattet. Dennoch prasselte auch hier ein Kaminfeuer. Schwach nur noch, aber genug um den Raum in eine wohlige Wärme zu hüllen.

Direkt vor dem Kamin stand Gisborne. Den rechten Arm auf den Kaminsims gelehnt und mit einem Becher (der vermutlich mit Wein gefüllt war) in der Hand. Die andere Hand hatte er in seine Hüfte gestemmt. Das verstörende an diesem Anblick war für Lucy nicht seine Präsenz und seine Haltung, sondern was er trug. Denn er trug lediglich eine schwarze Stoffhose, von ähnlicher Verarbeitung wie die Hosen die Ritter unter ihren Rüstungen trugen. Sein Oberkörper war nicht bekleidet.

Lucy schluckte und meinte: „Ich wollte nicht stören, eigentlich hatte ich vor etwas spazieren zu gehen und frische Luft zu schnappen. Jedoch habe ich mich offensichtlich in der Türe geirrt.“ Sie stellte fest, dass Gisbornes Oberkörper gut gebaut war. An seinem Bauch zeichneten sich harte Muskeln ab, die man ihm niemals zugetraut hätte.

Er hatte die ganze Zeit ins Feuer gestarrt und sie nicht einmal angesehen. Doch nun wandte er den Blick ihr zu und stellte seinen Becher auf dem Kaminsims ab. „Und das soll ich Euch glauben?“, fragte er sie nun nicht mehr amüsiert. Sie konnte nicht sagen was für eine Stimmung in seiner Stimme mitschwang. War es Wut? Interesse? Drohung? Seine Augen verrieten nichts sondern ruhten einfach nur auf ihr. Sie wusste nicht was sie sagen sollte und war hauptsächlich damit beschäftigt ihn nicht weiter zu mustern. Es wäre ihr unerträglich wenn er sie dabei ertappen würde wie sie seinen wohlgeformten Körper anstarrte.

Langsamen Schrittes trat er nun auf sie zu während er ruhig sagte: „Ich glaube eher, dass Ihr versuchen wolltet Euch mitten in der Nacht davon zu stehlen, um nach Hause zu kommen.“ Er war noch nicht bei ihr angelangt, aber Lucy spürte wie ihr Herz mit jedem Schritt den er tat schneller raste. „Ihr liegt falsch“, schaffte Lucy lahm zu erwidern. Seine Augen glitzerten vor Spott: „Ach ja?“ Er legte den Kopf etwas schief und sah ihr tief in die Augen während er immer näher kam. „Oder wolltet Ihr zu mir?“, fragte er leiser.

Lucy konnte nicht mehr denken. Er war bereits so nahe, dass sie seinen Geruch einatmen konnte und sie sich sicher war, dass er ihr Herzklopfen bereits vernehmen konnte. Sie konnte nicht umhin zu bemerken, dass er keinesfalls unangenehm roch, wie sie immer angenommen hatte. Für Lucy war von Anfang an klar, dass der Scherriff und Gisborne so böse waren, dass sie nach Blut und Verwesung riechen mussten. All das schlechte und üble das sie verbreiteten musste an ihren Körpern kleben und sich nicht abwaschen lassen. Doch Gisborne roch nicht nach Blut oder Verwesung oder sonstigen schlechten Dingen. Er roch etwas nach Pferd und Wald, aber auch eine leichte Note Schweiß lag darüber. So als wäre er erst eben ausreiten gewesen. Lucy liebte Pferde und sie mochte den Geruch des Waldes.

Inzwischen war er bei ihr angelangt und beugte sich leicht zu ihr herab um…

… sie zu küssen!

Lucy kam wieder zu sich und stieß ihn von sich. „Sir Guy, was tut Ihr da?“, rief sie aufgebracht, dann riss sie die Türe hinter sich auf und stürmte davon. Gisborne warf frustriert den Kopf in den Nacken und wollte aufseufzen, als er hörte wie nicht nur die Haustüre aufging, sondern auch eines seiner Pferde wieherte. Ohne weiter darüber nachzudenken dass er abgewiesen wurde, rannte er hinter Lucy her. „Lucy, wartet!“, rief er ihr hinterher, doch alles was er in der kalten Nacht zu sehen bekam, war das wehende Tuch von Lucys Nachthemd, das hinter dem Pferd her wehte.

Unzufrieden mit sich und einmal mehr in dieser Nacht enttäuscht darüber, dass er nicht erreicht hatte was er wollte, atmete er bebend ein und versuchte sich zu beruhigen indem er langsam wieder ausatmete. Er wollte sie. Und eines Tages würde sie ihm gehören. Noch nicht heute Nacht, aber eines Tages ganz sicher. Gisborne wandte sich wieder zum Haus um und ging hinein.


Kapitel 4: Abendessen

 

Zuhause angelangt fand Lucy ihren Vater bereits schlafend vor, daher begab sie sich in ihr eigenes Zimmer zur Ruhe. Sie benötigte lange Zeit um ihr Herz wieder zur Ordnung zu rufen, doch schließlich hatte sich ihr Herzschlag wieder beruhigt und sie schlief ein.

Am nächsten Tag erklärte Lucy ihrem Vater lediglich, dass sie sich bei Gisborne verabschiedet und für seine Hilfe bedankt habe und anschließend nach Hause geritten sei. Edward glaubte ihr und zweifelte mit keiner Sekunde an der Aufrichtigkeit ihrer Worte. Lucy fühlte sich als hätte sie ihren Vater betrogen, doch sie konnte ihm nicht von den wahren Ereignissen erzählen. Das würde sie niemandem erzählen können. Eher wollte sie sterben.

Es vergingen nur wenige Tage bis Edward seiner Tochter verkündete sie solle sich elegant kleiden, denn er habe Sir Gisborne zum Abendessen eingeladen. Lucy wollte protestieren, doch ihr Vater brachte sie augenblicklich zum Schweigen.

„Ich habe Sir Gisborne eingeladen um ihm formell dafür zu danken, dass er mir in einer meiner sorgenvollsten Stunde beigestanden hat und dich gefunden und gepflegt hat. Ohne ihn…“, Edward strich liebevoll über die Wange seiner Tochter „…hätte ich dich für immer verloren.“ Lucy verstand ihren Vater, wollte Gisborne jedoch am liebsten nie wieder sehen. Edward erkannte, dass sie weiterhin ungehalten war und befahl mit harter Stimme: „Und du wirst dich benehmen und ihn bewirten wie es eine wohlerzogene Tochter tut!“

Lucy kamen die Tränen in die Augen doch sie kämpfte sie nieder. „Ja, Vater“, presste sie zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor und ging nach oben um sich umzuziehen.

Sie hatte gerade die letzte Locke ihrer roten Haare drapiert, da hörte sie bereits wie ihr Vater die Türe für Gisborne öffnete und ihn begrüßte. Sie schluckte und atmete tief ein und aus um sich auf das erneute Treffen mit Gisborne einzustellen. Sie nahm sich vor so ruhig und reserviert sein wie sie nur konnte. Damit begab sie sich nach unten.

„Ah, da ist meine Tochter schon“, richtete Edward in gespielter Höflichkeit Gisbornes Blick auf Lucy. Dieser war mit dem Rücken zu ihr gestanden und wandte sich nun zu ihr um. Lucy kam angemessenen Schrittes die letzten Stufen herab und nickte ihm höflich zu. Ohne ihn anzulächeln oder ihre Abneigung zu zeigen. „Sir Guy“, sagte sie tonlos.

Gisborne trug wieder sein normales Lederoutfit und hatte inzwischen seine Lederhandschuhe ausgezogen um ihre Hand zu nehmen und sie sachte zu küssen. „Mylady“, hauchte er und wandte während des Handkusses den Blick nicht von ihr ab. Lucy sah ihn ungerührt an und entzog ihm sofort danach ihre Hand.

Der Rest des Abends bestand aus oberflächlichen Gesprächen zwischen Gisborne und Edward und einsilbigen Bemerkungen von Lucy. So sehr sich beide Männer die Mühe machten sie mehr an der Unterhaltung zu beteiligen, so sehr weigerte sich Lucy dem nachzukommen. Dennoch sorgte sie dafür, dass Gisbornes Teller gut gefüllt gewesen und sein Becher nie leer war. Schließlich hielt es Gisborne nicht mehr aus und er meinte unterkühlt und ohne Umschweife: „Mir scheint, dass Ihr meine Anwesenheit nicht schätzt Mylady. Wo ich doch Euer Leben gerettet habe und ein wenig mehr Dankbarkeit erwartet hätte.“ Edward sah Lucy mahnend an und bedeutete ihr mit Blicken sich erkenntlich zu zeigen und sich zu betragen.

Lucy ignorierte den Blick ihres Vaters und antwortete berechnend: „Es fällt mir schwer einem Mann dankbar zu sein, der mein Leben rettet und unschuldige Bauern verhungern lässt.“

Er wusste auf was sie anspielte.

Der Scherriff hatte angeordnet, dass eines der Dörfer in der Nähe Locksleys, nicht mehr mit Lebensmitteln aus der Umgebung versorgt werden sollte. Die Bauern von Clun waren nicht so arm wie andere und hatten angenommen, dass sie sich deswegen gegen den Scherriff stellen könnten. Doch ohne die Zulieferungen aus den anderen Dörfern waren sie hilflos und das sollten sie dem Scherriff eingestehen. Sich seiner Gnade ergeben. Dann erst dürfe Gisborne anordnen das Dorf wieder freizugeben.

„Das war nicht meine Entscheidung“, wehrte Gisborne ab. „Alles ist eine Entscheidung!“ schnappte Lucy bissig und Edward sog scharf die Luft ein.

Weder Gisborne noch Lucy waren sich der Anwesenheit des älteren Mannes gegenwärtig und ignorierten ihn damit einfach. „Und was hätte ich tun sollen? Mich gegen den Scherriff stellen und seine Autorität in Frage stellen wie einer dieser Gesetzlosen?“, fragte er scharf zurück. Seine Augen begannen vor Wut zu glitzern. „Dann verliere ich alles was ich habe und kann unmöglich weiter aufsteigen.“ Lucy lachte gehässig auf und meinte kalt: „Das ist nicht sehr viel, denn weder Locksley gehört von Rechts wegen Euch, noch Euer Geld, dass Ihr aus den Kassen des Scherriffs habt. Und dieser stielt es den Bauern und den Armen.“

Edward erkannte, dass Lucy einen Schritt zu weit gegangen war und bangte bereits um ihr Leben. „Verzeiht der losen Zunge meiner Tochter, Sir Guy“, versuchte Edward sofort beruhigend zu intervenieren. „Sie-“, „Nein!“, unterbrach Gisborne Edward wirsch und wandte sich dann wieder mit wutglitzernden Augen an Lucy. „Ich habe Euch aus purer Freundlichkeit geholfen und Euer Leben gerettet und als Dank dafür ladet Ihr mich ein und beleidigt mich?“, fragte er leise und drohend zugleich. Dann stand er auf und fügte noch hinzu: „Und nicht nur das, Ihr redet als wäret Ihr eine Verbündete der Gesetzlosen von Hood. Seid gewarnt, dass wenn ich auch nur den geringsten Beweis für diesen Verdacht finde, Euch rücksichtslos vor den Scherriff zerren werde. Guten Abend.“ Ohne ein weiteres Wort verließ Gisborne das Haus.

Für ein paar Sekunden blieben Edward und Lucy stumm sitzen. Dann erkannte Lucy, dass ihr Vater vor Wut gleich zu platzen drohte. Hastig stand sie auf und wollte gehen, doch Edward schlug mit der Faust auf den Tisch ein und befahl ihr sich wieder zu setzen. Gehorsam und schuldbewusst ließ sie sich wieder nieder.

„Was fällt dir eigentlich ein? Du hättest auch gleich zum, Scherriff gehen können und zugeben dass du dieser Nightwatchman bist. Du hast diese Familie jetzt für immer und ewig verdammt! Gisborne hat keine Skrupel uns dem Scherriff auszuliefern wenn er auch nur den winzigsten Verdacht bestätigt sieht. Selbst wenn er sich irren sollte, werden wir hängen. Es gibt keinen Grund warum er sich für uns einsetzen sollte nach dem was du ihm gesagt hast!“, Edward war schon rot vor Wut und schritt inzwischen auf und ab. Lucy hatte den Blick gesengt und murmelte leise eine Entschuldigung, doch ihr Vater schickte sie davon. Er wollte sie erst einmal nicht mehr sehen.

Kaum war sie aus dem Raum, griff sich Edward an die Brust und lies sich erschöpft auf einen Stuhl nieder. Sein Gesicht schmerzverzerrt. Sein Atem ging stoßweiße und er hoffte, dass dies jetzt nicht sein Ende war. Doch der Schmerz verebbte langsam und er entkrampfte sich wieder. Er musste dafür sorgen, dass Lucy nicht in ihr verderben rannte. Erst dann konnte er diese Welt endgültig verlassen.

 


Kapitel 5: Zweite Begegnung

 

In dieser Nacht wollte Lucy als Nightwatchman nach Locksley um Gisborne seine Geldkassette abzunehmen, die sie im Gästezimmer entdeckt hatte. Dafür hatte sie schon alles längst vorbereitet. Sie hatte ihn nur deswegen so gut mit Wein versorgt, weil sie ihm einen Schlaftrunk beigemischt hatte. Er würde seine Wirkung erst zeigen wenn er sich bereits auf dem Heimweg befand und bis sie bei ihm Zuhause war, würde er bereits friedlich schlafen.

Dass die Unterhaltung zwischen ihr und Gisborne so aus dem Ruder gelaufen war, verdankte sie ihrer Abscheu Gisborne gegenüber. Sie hatte die ganze Zeit mit sich gerungen ihn nicht anzusehen oder sich seinen Körper unter der Lederkleidung vorzustellen. Wie sich seine Muskeln anspannen würden wenn er vor Wut zitterte.

Lucy schüttelte den Kopf und versuchte ihn wieder frei von diesen Gedanken zu bekommen, während sie auf ihrem Pferd nach Locksley ritt.

Dort angelangt, band sie ihr Pferd in sicherer Entfernung an einem Baum an und huschte den restlichen Weg zum Haus zu Fuß weiter. Zwei Wachen patrouillierten wieder um das Haus, aber sobald sie um die Ecke waren, kletterte Lucy mit geübtem Griff an der Hauswand empor zu einem Fenster im zweiten Stock. Es war eines der unbenutzten Zimmer. Von dort aus fand sie den Weg zum großen Schlafzimmer in dem sie geschlafen hatte. Dort würde Gisborne sicher wieder ruhen und seine Kassette in der Nähe haben.

Aber als sie in das Schlafzimmer blickte, war das Bett zwar frisch bezogen, aber weder ein Feuer brannte im Kamin, noch lag jemand im Bett. Konnte es möglich sein, dass Gisborne das große Schlafzimmer gar nicht nutzte?

Mit gerunzelter Stirn schloss sie die Türe wieder und schlich wie Nächte zuvor durch das Haus nach unten. Sie öffnete lautlos die Türe zum Gästezimmer und warf einen Blick hinein. Es brannte kein Feuer und keine Kerze, aber sie konnte in der Dunkelheit erkennen, dass Gisborne auf dem Bett lag. Auf dem Bauch und alle viere von sich gestreckt, steckte er noch immer in seinen Klamotten und Schuhen.

Lucy schlüpfte mit einem boshaften grinsen in das Zimmer und schloss leise die Türe. Zielstrebig ging sie auf den Kaminsims zu, auf dem die Geldkassette stand und öffnete den Deckel. Im inneren entdeckte sie acht lederne Beutel und jeder davon war prall mit Münzen gefüllt. Hastig steckte sie die Beutel in ihre Taschen, verschloss den Deckel wieder und wollte diesmal durch das Fenster den Raum verlassen.

Als ihr auffiel, dass Gisborne gar nicht schnarchte. Sie drehte sich ihm zu und schlich sachte zu ihm. Gespannt lauschte sie, ob er gar so tat als würde er schlafen und war schon bereit loszurennen und zu flüchten, aber als sie am Bett angelangt war, hörte sie ebenmäßige Atemzüge.

Er schlief.

Aber er schnarchte nicht.

Ihr Vater schnarchte.

Robin schnarchte.

Ja sogar ihre Schwester hatte geschnarcht.

Aber Gisborne nicht. Er schlief, eindeutig. Sie gab ihm sogar einen Klaps ins Gesicht um ganz sicher zu gehen. Aber er zuckte nicht einmal mit einer Wimper. Lucy lächelte unbewusst und verschwand eilig aus dem Fenster und in die Nacht davon.

Erst am Nachmittag sollte Gisborne feststellen, dass seine acht Lederbeutel verschwunden waren. Es wäre ihm vielleicht aufgefallen, dass Lucy etwas damit zu tun gehabt hätte, wenn er die Geldbeutel am Tag zuvor überprüft hätte. Doch eben das hatte er schon seit einiger Zeit nicht mehr getan. Damit wusste er nicht, seit wann sein Geld schon fehlte. Aber er gab Lucy dennoch die Schuld. Denn wenn das rothaarige Mädchen nicht ständig in seinen Gedanken herumspuken würde, wäre ihm der Verlust sicher früher aufgefallen.

Ihm hätte der gestrige Abend, an dem sie sich so gestritten hatten, verhasst sein müssen, doch immer wenn er an ihren furiosen Anblick dachte, glitten seine Gedanken zu ihrem nackten Körper in seinen Händen zurück und er wünschte sich, sie ebenso leidenschaftlich erregt unter sich liegen zu sehen.

Nachdem er sie das erste Mal nackt gesehen hatte, hatte ihn dieses Bild in den Nächten verfolgt und ihn nicht schlafen lassen. Er hätte ihr nicht mehr in die Augen sehen können, denn sonst hätte er sie sicher mit Gewalt genommen. Doch dann war ihr Vater wirr vor Sorge bei ihm aufgetaucht und hatte ihn um seine Hilfe bei der Suche nach ihr gebeten. Gisborne war sofort losgeritten und hatte sie gesucht und schließlich gefunden. Er bemerkte besorgt ihren unterkühlten Körper und ihren abwesenden Geist und hatte sich persönlich um sie gekümmert. Er wollte, dass sie niemand anders berührte und ansah als er selbst.

Sachte hatte er sie in das große Zimmer gebracht, ihr die Kleider ausgezogen und sie unter die weichen Decken gelegt. Doch auch das warme Feuer änderte nichts an ihren eisigen Gliedern und daher hatte er sich ebenso ausgezogen und zu ihr unter die Decke gelegt. Er wusste nicht ob seine eigene Körperwärme etwas bei ihr ausrichten würde, doch er wollte sie nicht einfach gehen lassen. Behutsam legte er sich auf sie und stützte sich gerade genug ab, dass er sie nicht einfach mit seinem Gewicht erdrückte. Dann vergrub er sein Gesicht in ihrem Nacken und hoffte inständig, dass es half sie wieder gesund zu machen.

Seltsamerweise brachte ihn die intime Berührung ihrer nackten Körper nicht in Wallung wie er es sich immer vorgestellt hatte. Zwar klopfte sein Herz wie wild, aber er hatte viel zu viel Angst um sie, als dass er diesen Augenblick hätte genießen können.

Erst als sie anfing zu schwitzen, nahm er etwas Abstand von ihr und musterte ihren Körper. Sie hatte die straffen Kurven einer jungen Frau die noch nie ein Säugling geboren und genährt hatte und es zeichneten sich sogar ein paar leichte Muskeln an ihrem Bauch ab. Sie war so wunderschön wie er es in Erinnerung hatte und wünschte sich sie würde für immer ihm gehören. Doch er ließ sie alleine im Bett zurück und zog sich wieder an. Dann ließ er ihren Vater über ihren Zustand unterrichten und stellte diesem alles bereit was er für die Pflege seiner Tochter benötigte.

Als sie ein paar Nächte später seinen Kuss zurückwies, verfluchte er sich selbst dass er die Gelegenheit nicht beim Schopfe ergriffen hatte und sie geküsst hatte als sie ihm ausgeliefert war. Es war jedoch zu spät. Und nun hatten sie sich nicht nur ein hitziges Wortgefecht geliefert, sondern auch noch richtig gestritten. Aber er würde niemals aufgeben.

 


Kapitel 6: Enttarnt?

 

Lucy freute sich diebisch über den Raubzug und konnte dank Robins Hilfe eine Menge des Geldes in die Hände von Bedürftigen zurückgeben. Aber sie kaufte auch Essen ein und begann diesen Vorrat in Bündel einzupacken und es den hungernden Bauern in Clun, nahe Locksley zu überbringen. Natürlich als Nightwatchman. Und natürlich würde ihr Vater davon ebenso wenig erfahren wie er über ihren Raubzug bei Gisborne erfahren hatte. Zwischen ihnen herrschte angespannte Stimmung.

Lucy konnte ihrem Vater zwar sein Verhalten verzeihen, aber dass er ihren Standpunkt einfach nicht verstehen wollte, ließ sie traurig stimmen. Während Edward versuchte darauf zu achten, dass Lucy nichts dummes mehr tat. Leider entging ihm dabei, dass sie eine geübte Kletterin war und vollkommen lautlos das Haus aus dem zweiten Stock verlassen konnte.

Es waren inzwischen einige Wochen vergangen als sich Lucy mit ein paar ihrer Proviantpäckchen nach Clun aufmachte.

Kaum war sie dort angelangt und hatte zwei ihrer Pakete verteilt, als Gisbornes Soldaten aus den Häusern und Ställen stürmten und sie umstellten. Sie fluchte lautlos und suchte eilig nach einem Weg aus der Umstellung, als sie Gisbornes tiefe, dröhnende Stimme hörte: „Haben wir dich auf frischer Tat ertappt. Ich wusste, dass wenn Menschen hungern du nicht weit entfernt sein kannst.“ Er saß auf seinem dunkelbraunen Pferd und ritt gemächlich zu seinen umstellenden Soldaten. Dort angelangt, stieg er ohne Eile ab.

Lucys Gehirn ratterte. Wie konnte sie der Übermacht entkommen?

„Mal sehen wer sich hinter der Maske verbirgt“, meinte Gisborne flachsend und schmunzelte mit Genugtuung. Langsam kam er zu ihr, während er sein Schwert zog und sie damit taxierte. Lucy ließ die restlichen Pakete fallen und zog ihr eigenes Schwert. Bisher hatte sie es niemals nötig gehabt es zu benutzen. Bisher hatte sie immer entkommen können. Aber diesmal fand sie keinen anderen Ausweg.

Gisborne sprang auf sie zu und schwang seine Klinge gekonnt, aber sie wich ihm ebenso gekonnt aus und parierte seinen nächsten hieb. So ging es eine Weile hin und her. Gisborne attackierte und Lucy wehrte ihn ab. Er war ein wirklich guter Schwertkämpfer und sie wusste nicht wie lange sie gegen ihn noch standhielt, aber sie wollte einfach nicht angreifen. Es lag ihr fern jemanden verletzen zu wollen. Selbst Gisborne nicht.

Schließlich wurde Gisborne von ihrer Art zu kämpfen genervt und brüllte erzürnt: „Kämpft wie ein Mann und nicht wie ein Feigling!“ Lucy sah ein, dass ihr die Kräfte schwanden und sie dachte in Panik daran, dass wenn sie enttarnt wurde, auch ihr Vater sein Leben verlieren würde. Daher fasste sie einen Entschluss und griff mit der linken Hand unter ihren Mantel nach einem Dolch.

Mit zwei Schritten war sie Gisbornes Deckung ausgewichen und verletzte ihn am Oberschenkel. Als er durch den Schmerz zurückstolperte, drehte sie sich um, warf ihren Dolch auf den Soldaten vor ihr. Dieser klappte schreiend vor Schmerz zusammen und sie wollte durch die Lücke davon.

Da spürte sie wie sich Gisborne hinter ihr aufgerappelt hatte und nach ihr aushieb. Ein brennender Schmerz durchfuhr ihren Rücken und sie biss sich krampfhaft auf die Lippen bis diese bluteten. Dennoch rannte sie so schnell sie konnte durch die entstandene Lücke und in die Dunkelheit davon. Sie hatte es geschafft. Gerade noch.

Aber sie konnte nicht mit dem Schnitt in ihrem Rücken nach Hause gehen. Sie musste die Wunde versorgen und daher besuchte sie eine vertraute Magd im Dorf von Knighton Hall.

Mary versicherte Lucy, dass sie niemandem von der Wunde der Mylady erzählen würde selbst wenn ihr Leben auf dem Spiel stünde. Sie reinigte die Wunde und nähte sie anschließend zu. Lucy traten vor Schmerzen die Tränen ins Gesicht, aber sie war froh dass die Wunde nicht tief war. Mary legte einen festen Verband an und wies Lucy an sie jeden Tag zu besuchen, damit sie die Wunde ansehen und den Verband wechseln konnte. Es durfte sich weder entzünden, noch aufbrechen und erneut bluten. Aber Mary war zuversichtlich, dass alles gut gehen würde, solange sich Lucy nicht zu sehr körperlich anstrengte.

Am darauf folgenden Tag musste sich Gisborne vor dem Scherriff dafür verantworten, dass der Nightwatchman wieder einmal durch seine Finger geschlüpft war. Der Scherriff tobte und wetterte und tötete sogar wieder einen seiner Vögel um Gisborne zu zeigen, dass es ihm beim nächsten Mal ähnlich ergehen würde, sollte so etwas wieder einmal geschehen.

Obwohl Gisborne eine betretene und unterwürfige Mine zierte, war er die Ruhe selbst. Die Rage des Scherriffs war nichts Neues. Dasselbe geschah auch beim Thema Robin Hood. Gisborne wusste, dass er der einzige war auf den sich der Scherriff verlassen konnte und dem er vertraute und er somit sicher vor dem Galgen war. Und was das Thema Nightwatchman anging, das würde sich sicher bald erledigt haben. Denn er hatte ihn verwundet. „Entweder“, so berichtete der dem Sherriff, „wird er an der Wunde sterben, oder ich werde ihn vorher daran erkennen.“

Der Scherriff hielt inne und begann diabolisch zu lächeln. „Sehr gut Gisborne! Und die Bauern werden Euch helfen jeden auszuliefern der eine Wunde auf dem Rücken hat wenn wir eine hohe Prämie aussetzen!“ Damit war alles geklärt und Gisborne wurde entlassen.

Lucy kam tagsüber erst zur Mittagszeit herunter um etwas zu frühstücken, dabei wurde ihr von der Magd gesagt, dass ihr Vater sich morgens nicht wohl gefühlt hatte und sich wieder zurückgezogen hätte. Lucy ging sofort zum Schlafgemach ihres Vaters um nach dem Rechten zu sehen.

„Vater?“, fragte sie als sie anklopfte. Als er keine Antwort gab, bekam sie es mit der Angst zu tun und öffnete panisch die Türe. Edward lag im Bett und war kreidebleich und hustete leise. „Lucy…“, sagte er mit heiserer Stimme und hob eine Hand um nach ihr zu greifen. Lucy rannte zu ihm und kniete sich neben sein Bett. „Was ist mit dir? Gestern war doch noch alles okay, oder nicht? Wie kann das sein?“, fragte sie verwirrt und bang zugleich. Edward versuchte zu lächeln und erklärte kaum hörbar: „Mir geht es schon länger nicht gut, aber ich wollte dir keine Sorgen bereiten.“

„Du wolltest mir keine Sorgen bereiten? Wenn du etwas gesagt hättest, hätte ich dir nicht so viele Sorgen bereitet. Es tut mir leid dir so wenig Beachtung geschenkt zu haben!“, erklärte Lucy traurig und wünschte sie wäre gehorsamer gewesen.

Statt sich jetzt jedoch in bedauern zu versenken, wies sie die Magd an eine heiße Suppe zu kochen und begann sich um ihren kranken Vater zu kümmern. Offensichtlich hatte er sich eine Lungenentzündung zugezogen. Sie wagte nicht daran zu denken, dass er vielleicht ebenso im strömenden Regen nach ihr gesucht hatte und dabei krank geworden war.

Mit jedem Tag der verging, heilte ihre Wunde. Aber die Gesundheit ihres Vaters erholte sich nicht. Im Gegenteil. Sein Zustand verschlimmerte sich immer stärker und er nahm zusätzlich rapide ab. Er konnte kaum mehr etwas essen so schwach war er. Lucy konnte nicht glauben was sie sah und tat ihr Möglichstes um ihm Suppe einzuflößen, seine Laken und Gewänder zu wechseln, ihn zu waschen und ihn immer warm zu halten.

Als der Arzt sich wieder einmal ihren Vater ansah, meinte die Magd, dass sie sich etwas ausruhen solle und sie sich eine Zeit lang um ihren Vater kümmern würde. Lucy war erschöpft vor Sorge und Aufopferung und nahm das Angebot dankend an. Sie saß im Wohnsaal, als der Arzt zu ihr kam.

Mit ehrlichem bedauern erklärte er: „Lord Knightons Körper ist so geschwächt, dass er die Krankheit nicht mehr bekämpfen kann. Ich fürchte, er wird die nächsten Tage nicht überstehen Mylady. Es tut mir sehr leid Euch diese Nacht überbringen zu müssen.“ Lucy wollte nicht glauben was sie hörte und drängte die Tränen zurück. Sie begleitete den Arzt noch bis zur Türe und verabschiedete ihn dort.

 


Kapitel 7: Verlust

 

Kaum war der Arzt eine Stunde fort, da klopfte es stürmisch an der Türe. Lucy war nicht nach Besuch zumute, doch sie hoffte der Arzt wäre zurückgekommen und berichtete ihr von einem Heilmittel. Daher öffnete sie die Türe.

„Ich habe gerade erfahren wie es um Euren Vater steht“, erklärte Gisborne außer Atem. In seinem Blick lag ehrliche und aufrichtige Sorge um ihren Vater und Lucy konnte die Wahrheit über den Zustand ihres Vaters nicht mehr länger verdrängen, noch ertragen. Hemmungslos begann sie in Tränen auszubrechen und ihm in die Arme zu fallen.

Gisborne war überrascht von ihrem unnatürlichen Verhalten, hielt sie jedoch fest und geleitete sie wieder zurück in die Wärme des Hauses. „Ich bin eine schreckliche Tochter und habe ihm das angetan! Ich wollte ihn niemals verletzen und nun wird er nur meinetwegen sterben. Das darf nicht geschehen. Ich wünschte ich könnte an seiner Stelle sterben!“, schluchzte Lucy an Gisbornes Brust. „Das dürft Ihr nicht sagen!“, rief Gisborne und packte sie um sie wachzurütteln. Lucy sah ihn überrascht an und hörte für kurze Zeit auf zu weinen. „Euer Vater hat sein Leben gelebt und es mit Sicherheit niemals bedauert für seine Töchter da gewesen zu sein. Ihr hingegen habt Euer Leben noch vor euch und solltet so etwas niemals leichtfertig sagen. Denn wenn Ihr an seiner Stelle euer Leben geben könntet, würde ihn der Schmerz umbringen. Also reist Euch zusammen und lasst ihn in Würde gehen!“ Gisbornes tiefe, besonnene Stimme drang in ihr Bewusstsein ein und sie wusste augenblicklich was er meinte. Weitere Tränen rannen ihr über die Wangen, aber er packte ihr Gesicht liebevoll mit seinen Händen und strich ihr die Tränen aus dem Gesicht. „Lasst Euren Vater nicht sehen, dass Ihr seinetwegen geweint habt“, riet er ihr und entließ sie aus seinen Händen und trat einen Schritt zurück.

Lucy überforderte die gesamte Situation ein wenig. Die Tatsache, dass ihr Gisborne gerade indirekt gesagt hatte, dass sie sich von ihrem Vater verabschieden sollte reichte um sie sprachlos zu machen und ihren Kopf zu blockieren. So konnte sie nicht über Gisborne nachdenken und was eben geschehen war.

Benommen wandte sie sich um und trat ihren Weg zu ihrem Vater an.

Er bekam kaum mit, dass sie da war so müde war er. Doch sie nahm seine schlaffe Hand und streichelte sie sanft während sie der Magd bedeutete, dass sie bei ihm bleiben würde. Sachte stimmte Lucy ein Lied an, welches sie von ihrer Mutter immer vorgesungen bekommen hatte, wenn sie Angst vor der Dunkelheit und dem Einschlafen hatte. Dabei starrte sie unentwegt vor sich hin.

Als die Hand ihres Vaters erstarb, richtete sie ihren Blick hastig auf das Gesicht ihres Vaters und sah zu wie sein Gesicht einen entspannten Ausdruck bekam. Ein Schluchzer erstarb in ihrer Kehle als sie seine Hand liebevoll küsste und auf seiner Brust zu der anderen Hand legte.

Sie deckte das Gesicht ihres Vaters mit der Decke zu und stand auf um die Fensterläden zu öffnen und die frische, kalte Winterluft hereinzulassen und die Seele ihres Vaters freizugeben. Nach ein paar Minuten schloss sie die Läden wieder und verließ das Zimmer und ging in ihr eigenes. Nur um vor dem Bett stehen zu bleiben und reglos in die Ferne zu starren.

Es klopfte hinter ihr und als sie den Kopf wandte, stand Gisborne in der Türöffnung. Er sah sie nur an um zu wissen was geschehen war. Sofort durchquerte er den Raum mit wenigen Schritten und schloss sie in seine Umarmung. Lucy ließ es wortlos über sich ergehen. Erst als er sich mit ihr auf die Bettkante gesetzt hatte und sie weiterhin hielt, brach sie erneut in Tränen aus.

Lord Edward von Knighton, ihr Vater war tot.

Gisborne strich ihr sachte über die Haare und sagte nichts.

Lucy weinte bis sie keine Tränen mehr hatte und die Erschöpfung der letzten Stunden und Tage sich bemerkbar machte und sie in Gisbornes Armen einschlief. Dieser strich ihr noch einmal über ihren Kopf und bettete sie vorsichtig zur Ruhe. Dann verließ er Knighton Hall.

Am nächsten Tag ließ Lucy einen Boten mit einer Nachricht nach Kirklees Abby reiten. Marian musste vom Tod ihres gemeinsamen Vaters unterrichtet werden. Aber nicht nur Marian kam und machte ihrem Vater beim Begräbnis die letzte Aufwartung, sondern auch Robin und seine Männer kamen dazu, sowie Bauern aus den umliegenden Dörfern und Adlige die den alten Scherriff geliebt und geschätzt hatten. Man drückte den beiden jungen Frauen sein Bedauern aus, bot ihnen Gesellschaft in ihren trostlosen Stunden an und erinnerte sich an die guten alten Zeiten.

Marian wollte von Lucy alles genau wissen und diese unterrichtete ihre Zwillingsschwester über alles was geschehen war. Dabei ließ sie geflissentlich all die peinlichen Situationen mit Gisborne weg. Am Ende bot sie sogar an mit in das Kloster zu kommen. Jetzt wo sie nichts mehr hier hielt.

„Nein. Ich kann nicht. Knighton Hall gehört jetzt zwar dem Scherriff, aber vielleicht kann ich erwirken dass ich es weiterhin bewohnen und bewirtschaften darf. Ich muss für die Dörfer hier sorgen. Vater ist nicht mehr da, der Scherriff ist ungebrochen stark und wenn der Nightwatchman ebenfalls verschwindet, werden die Bauern noch härtere Zeiten erleben als jemals zuvor“, erklärte Lucy ihrer Schwester und schlug das Angebot damit aus. „Wie du meinst“, ergab sich Marian und lächelte ihre kleine Schwester aufmunternd an. „Du bist schon immer viel stärker gewesen als ich es je hätte sein können. Aber wenn du jemals meine Hilfe brauchst, werde ich für dich da sein. Ich liebe dich über alles. Du bist alles was ich noch habe.“ Lucy lächelte dankbar über die Worte ihrer großen Schwester, sagte aber: „Robin denkt noch immer an dich.“

Marian seufzte tief. „Ich weiß. Er besucht mich manchmal heimlich in Kirklees.“ Lucy stutzte. „Was?“, fragte sie ungläubig. Marian lächelte verstohlen. „Du liebst ihn noch immer!“, freute sich Lucy unbändig. „Ssscht!“, machte Marian und legte einen Finger auf ihre Lippen. „Aber sag ihm das nicht. Er soll ruhig noch etwas leiden“, erklärte sie leise. „Aber was ist mit deinem Gelübde?“, fragte Lucy neugierig. Marian zwinkerte und erzählte: „Das habe ich noch nicht abgelegt. Noch bin ich Novizin und keine Nonne. Bis dahin muss ich mir erst sicher sein ob Robin mich wirklich liebt und immer noch heiraten möchte. Dann werde ich mein Gelübde nicht ablegen.“ Lucy kicherte und flüsterte ihr ins Ohr: „Lass ihn zappeln, Marian.“

Die beiden trennten sich zwei Wochen nach dem Begräbnis und Lucy fühlte sich dank ihrer Schwester nicht so elend wie sie befürchtet hatte. Mit der Zeit würde sie über ihres Vaters Tod hinweg kommen. Bis dahin hatte sie noch eine Menge zu erledigen.

Sie bat den Scherriff vor dem Rat der Noblen und Gisborne um das Privileg weiterhin Knighton Hall bewohnen und bewirtschaften zu dürfen. Der Scherriff zeigte sich dem erst abgeneigt und verschob seine Antwort auf ihre Bitte auf ungewisse Zeit. Mutlos kehrte sie nach Hause zurück.

 


Kapitel 8: Zweiter Versuch

 

Lucy verbrachte die meiste Zeit damit das Haus zu verwalten und die Unterlagen ihres Vaters durchzugehen. Das hatte dreierlei Gründe. Zum ersten war sie so beschäftigt, zum zweiten brauchte sie damit nicht darüber nachzudenken was der Scherriff entscheiden würde und vor allem musste sie so nicht über Gisborne nachdenken.

Er kam wieder ebenso regelmäßig wie früher vorbei, machte das eine oder andere Geschenk und leistete ihr einfach nur Gesellschaft. Er sprach dabei nur selten und akzeptierte, dass Lucy noch immer trauerte und ihr nicht zum Reden zumute war.

Sie nahm sich ihres Vaters letzte Sorgen was Gisborne betraf sehr zu Herzen. Sie warf ihn nicht hinaus oder wies ihn ab, nur um seinen Unmut nicht auf sich zu lenken. Er würde sie mit einer Hand zerquetschen können, jetzt da sie auf sich selbst gestellt war.

Eines Nachmittags jedoch kam Gisborne guter Dinge bei ihr vorbei und berichtete erfreut: „Der Scherriff hat sich bereiterklärt Euch Knighton Hall vollkommen zu übergeben!“ Lucy hatte ihm die Türe geöffnet und sah ihn überrascht und sprachlos an. „Hört Ihr mich nicht?“, fragte er und trat an ihr vorbei um sich am Kaminfeuer aufzuwärmen. Lucy schloss die Türe und lehnte sich daran an. „Wirklich?“, fragte sie hoffnungsfroh. Er zog sich seine Handschuhe aus und legte seinen Schneebedeckten Umhang ab. „Wirklich!“ erklärte er und wandte sich ihr mit einem Lächeln zu.

Lucy konnte ihr Glück kaum fassen. Das war mehr als sie sich erhofft hatte. Knighton Hall gehörte ihr nun sogar. Sie durfte nicht nur darin wohnen bleiben, sondern es behalten. Sie konnte es nicht glauben.

„Wo ist der Haken?“, fragte sie zweifelnd. Gisbornes lächeln verschwand aus seinem Gesicht und seine Augen glitzerten kurz. Lucy hatte es geahnt und sie wurde mit einem Mal wieder nüchtern. „Aha, raus damit. Was verlangt er von mir?“, verlangte sie zu wissen.

„Das Ihr Euch mit mir verlobt“, kam die prompte Antwort.

Lucy prustete los. „Das kann nicht Euer Ernst sein! Ich würde Euch niemals heiraten! Das war so klar, warum wundere ich mich nur? Wenn Ihr mich heiratet, fällt Euch Knighton Hall zu und damit erhaltet nicht nur Ihr mehr Ansehen und Gut, sondern der Scherriff hat damit mehr Land das er nach seinem Gutdünken demütigen kann wie Locksley!“, wetterte Lucy und sah Gisborne wieder kalt an. „Nein. Lieber kehre ich Knighton Hall den Rücken und werde Nonne!“

Gisborne war offensichtlich enttäuscht von ihrer Antwort. „Dachtet Ihr ich würde Ja sagen?“, fragte Lucy höhnisch und etwas ungläubig zur selben Zeit. Gisborne ertrug nicht mehr ihrer Demütigungen und bebte vor unterdrückter Wut.

Mit eisigkalter Stimme sagte er beherrscht: „Ihr werdet mir Eure Hand zum Bund reichen, ob Ihr wollt oder nicht.“ Er schritt langsam auf sie zu. „Und warum sollte ich das tun, Sir Guy?“, fragte sie und dehnte seinen Titel spöttisch in die Länge. „Weil ich seit geraumer Zeit Euer Geheimnis kenne“, kam seine Antwort und er nahm mit Genugtuung wahr, dass sie bleich wurde. „Welches… welches Geheimnis?“, fragte Lucy nun nicht mehr belustigt sondern bang.

Gisborne stand nun vor ihr und beugte sich ihrem Ohr zu, um ihr mit seiner tiefen Stimme zuzuflüstern: „Dass Ihr der Nightwatchman seid.“

Lucy drohte vor Angst in Ohnmacht zu fallen. Lasch wagte sie ein letztes Aufbäumen: „Ich bin nicht-“, aber weiter kam sie nicht. Gisborne hatte seinen Zeigefinger auf ihren Mund gelegt und sah sie drohend und amüsiert zugleich an während er flüsterte: „Wagt es nicht zu Lügen, Lucy. Ich weiß es seit ich Euch in Clun am Rücken verletzt habe.“

Sie riss die Augen auf und wollte fragen warum er es da erkannt hatte und warum er nicht schon lange etwas deswegen unternommen hatte. Aber er schüttelte nur langsam den Kopf. „Das erzähle ich Euch irgendwann anders“, flüsterte er und beugte sich zu ihren Lippen um sie zu küssen.

Lucy war geschockt ob dieser Entdeckung, reagierte aber dennoch instinktiv. Sie nahm ihre gesamte Kraft zusammen und stieß Guy von sich weg bevor er ihre Lippen fühlen konnte. Überrascht taumelte er zurück. „Wagt es nicht mich anzufassen Guy!“, rief sie wütend und hob drohend einen Zeigefinger um ihn auf Distanz zu halten. Guy fing sich augenblicklich wieder und sah sie kämpferisch und mit einem erregten Glitzern in seinen grauen Augen an. „So seid Ihr mir am liebsten, angriffslustig, stark und mir ebenbürtig“, meinte er erfreut. Lucy hatte das ungute Gefühl, dass sie ihn nicht aus dem Haus würde werfen können. Daher versuchte sie auf Zeit zu spielen und ihn abzulenken. Langsam trat er wieder auf sie zu und sie bewegte sich seitlich von ihm weg während sie fragte: „Woher wollt Ihr wissen, dass ich der Nightwatchman bin?“

Er folgte ihr berechnend und antwortete: „Als ich Euch am Rücken verletzte, durchschnitt ich Eure Tunika und ich konnte Euer Herzförmiges Muttermal am rechten Schulterplatt erkennen.“ Sie wollte fragen woher er von ihrem Muttermal wusste, da fiel ihr wieder ein, dass er sie nicht nur einmal nackt gesehen hatte. Ihr wurde wieder schlecht bei dem Gedanken daran. „Warum habt Ihr so lange damit gewartet mich mit Eurem Wissen zu erpressen?“, fragte sie zischend.

Während er ihr weiterhin durch den Raum mit langsamen Schritten folgte, erklärte er Schulterzuckend: „Ich wollte Euch nie erpressen. Die Verlobung war die Idee des Scherriffs. Ich habe mich für Euch eingesetzt und er gab diese Auflage.“ Lucy lachte boshaft auf. „Und das kam Euch gerade recht, gebt es doch zu!“ Guy schüttelte den Kopf. „Ich wollte Euch nicht so. Da Ihr Euch aber nun standhaft weigert, bleibt mir keine andere Möglichkeit als Euch zu zwingen. Werdet meine Frau und Knighton Hall bleibt Euer und ich werde den Nightwatchman begraben und Euch vor dem Scherriff schützen solange ich lebe“, bot er an und streckte eine Hand nach ihr aus.

Lucy sprang seitwärts, riss eines der beiden Schwerter aus der Wandverankerung über dem Kamin und rief: „Dann beende ich jetzt Euer Leben Guy!“ Dieser sprang aus der Reichweite des Schwertes und rollte sich auf dem Boden ab. Noch während Lucy das Schwert nach ihm schwang, hatte sich Guy darunter weggeduckt und sprang auf sie zu. Mi voller Wucht riss er sie mich sich zu Boden und entriss ihr das Schwert.

Statt es ihr an die Kehle zu halten, wie sie befürchtet hatte, warf er es außer Reichweite und saß auf ihr. Mit aller Kraft versuchte sie sich gegen ihn zu wehren, doch er packte ihre Handgelenke und presste sie rechts und links neben ihrem Kopf auf den Boden. „Hört auf mit diesem sinnlosen Widerstand, Lucy!“, warnte er und verstärkte seinen Griff soweit, dass sie kurz ihr Gesicht vor Schmerz verzerrte und aufhörte sich zu winden. Ihr blieb nur ihn mit Blicken zu erdolchen.

Guy zeigte sich ungerührt und fasste ihre Handgelenke über ihrem Kopf zusammen, damit er sie mit nur einer Hand festhalten konnte und die andere frei hatte. Damit strich er ihr eine rote Haarsträhne aus dem Gesicht und flüsterte leise: „Ihr seid eine solche atemberaubend schöne und starke Frau und die einzige die mich vor Wut und Erregung gleichzeitig außer Fassung bringen kann.“ Er beugte sich näher zu ihren Lippen herunter und hauchte: „Ich liebe Euch, Lucy.“

Noch bevor er ihre Lippen in einem Kuss berühren konnte, hatte sich sein Griff für kurze Zeit gelockert und Lucy entwand sich seinem Griff. Blitzartig hatte sie seinen Dolch ergriffen, ihn diesmal auf den Rücken gedreht und ihm die Waffe an die Schlagader gelegt.

„Ich sagte doch, Ihr sollt mich nicht anfassen Guy“, meinte Lucy hämisch.

 


Kapitel 9: Dritter und letzter Versuch

 

Guy lag unter ihr und war einmal mehr überrascht von ihrer Schnelligkeit und ihrem Können. Er hätte besorgt sein müssen, doch er lächelte amüsiert. „Ihr werdet mich weder töten, noch schwer verletzen, My Lady“, erklärte er, sich seiner Sache sicher. Dabei betonte er schelmisch, dass sie seine Lady war. Lucy hätte ihm gerne sein grinsen aus dem Gesicht geschlagen, doch sie wagte es nicht. Sie wollte die Oberhand nicht aus Unvorsichtigkeit wieder verlieren.

Angestrengt dachte sie nach was sie jetzt tun konnte.

Sie könnte ihn töten und eine Gesetzlose werden. Oder sie schaffte es ihn irgendwie so zu verletzen, dass er überlebte und sie schlug sich nach Kirklees durch um doch Nonne zu werden. Doch weder die eine, noch die andere Option war sehr ansprechend.

Durch ihre Überlegungen hindurch bemerkte sie wieder den Geruch von Guy. Da war wieder der Geruch von Pferden, Winterluft aber auch die angenehme Note Schweiß. Diesmal erkannte Lucy, dass aber auch Erregung von ihm ausströmte. Freude über das bereits geschehene oder das was noch geschehen würde schwang in diesem Geruch mit. Ihr wurde schwindelig bei der Kombination dessen was sie roch und dessen was sie vor ihrem geistigen Auge unter seiner Kleidung sah. Seine Muskeln, die angespannt waren und sich überdeutlich abzeichnen würden. Wie bei einem Panther, der bereit war anzugreifen.

Sie schüttelte den Kopf und versuchte ihre Gedanken zur Ordnung zu gemahnen.

„Findet Ihr keine Lösung für Euer Problem?“, stichelte er und sah sie eindringlich an. Sie war froh, dass er ihre Gedanken nicht gänzlich gelesen hatte.

Sie beugte sich zu seinem Ohr herab und flüsterte genüsslich: „Ich werde Euch töten und hier verrotten lassen.“ Dabei sog sie tief seinen Geruch ein und bat inniglich darum, dass ihm nicht auffiel was sie da tat. Dann richtete sie sich wieder soweit auf, dass sie ihm tief in seine Augen sehen konnte. „Und dann werde ich Nonne.“

Guy riss der Geduldsfaden. Er packte ihre Hand die seinen Dolch hielt fest mit seiner, bewegte den Dolch jedoch nicht sondern ritzte sich mit Absicht am Hals. Lucy war erschrocken, hatte aber angenommen, dass er ihr den Dolch abnehmen würde nicht jedoch sich selbst verletzen. Sie keuchte entsetzt auf, doch er kümmerte sich nicht um die Schmerzen an seinem Hals sondern packte mit der anderen Hand ihren Hinterkopf und zog sie zu sich herunter.

Ihre Lippen trafen sich in einem leidenschaftlichen Kuss.

Ihre beiden Hände umschlangen noch immer den Dolch an seinem Hals, doch keiner der beiden kümmerte sich darum. Seine Hand presste ihren Kopf und damit ihre Lippen hart an seine aus Angst sie könnte sich ihm wieder entziehen. Doch schon in dem Moment als sich ihre Lippen einander begegneten, gab Lucy ihren Wiederstand auf.

Seine Zunge suchte den Weg in ihren Mund und zeichnete zärtlich ihre weichen Lippen nach, bis sie nachgab und sich mit einem Seufzer seiner Zunge öffnete. Er erforschte ihre Mundhöhle und forderte ihre Zunge zu einem kleinen Kampf heraus, den er aber gleich gewann. Er spürte ihre Unerfahrenheit und erkannte mit Befriedigung, dass er der erste war der sie küsste. Und er wollte mehr. Viel mehr.

Ohne weitere Mühen drehte er sie wieder auf den Rücken und hielt ihre Hand mit dem Dolch weiterhin eisern fest. Immerhin bewegte er die Klinge etwas aus der Reichweite seines Halses.

Er unterbrach den Kuss für wenige Sekunden und spreizte ihre Beine, die von ihrem langen Kleid bedeckt waren, mit seinem Unterleib auseinander, worauf sie kurz aufstöhnte. Augenblicklich nahm er den Kuss wieder auf und intensivierte ihn weiter. Während er sich verlangend an sie presste, spürte er wohlige Schauer durch ihren Körper gleiten und knabberte an ihrer Unterlippe.

Als sie ein weiteres Mal aufstöhnte, kam ihm ein Gedanke.

Es war kein erfreulicher Gedanke wenn man bedachte was er eigentlich vorgehabt hatte, trotzdem war Guy von diesem Einfall so beflügelt, dass er sich zusammenriss und den Kuss löste.

Guy entwand ihr den Dolch, löste sich von ihr und stand auf.

Lucy fühlte sich als hätte er sie geschlagen. Sie verstand gar nicht was geschehen war. Von jetzt auf nachher hatte er etwas in ihr ausgelöst von dem sie bisher keine Ahnung gehabt hatte und dann tat er als wäre nichts geschehen. Sie zog ihre Beine hastig wieder zusammen und sah ihn verwirrt an.

Guy steckte seinen Dolch an seinen Platz an seinem Gürtel zurück und sah sie emotionslos von oben herab an. „Ich richte dem Scherriff aus, dass Ihr Euch bereit erklärt habt eine Verlobung mit mir einzugehen und mich heiratet sobald König Richard aus dem Heiligen Land zurückgekehrt ist“, erklärte er nüchtern, packte seine Handschuhe und seinen Umhang und verließ ihr Haus.

Vor der verschlossenen Haustüre blieb er stehen und ließ die fallenden Schneeflocken seinen erhitzten Körper abkühlen. Guy atmete einmal tief ein und wieder aus, bevor er sich seinen Umhang anzog und seine Hände wieder in seine Handschuhe steckte.

Er wollte sie, das war sicher. Aber was er noch viel mehr wollte, das wurde ihm eben siedend heiß bewusst, war dass sie ihn wollte. Sie sollte ihn darum bitten. Erst dann würde er seinem eigenen Verlangen nachgeben.

Aber bis dahin, Guy schmunzelte bei dem Gedanken daran, würde er in ihren Kopf herumspuken. Er war der erste Mann der sie geküsst hatte. Etwas das er sich noch nicht einmal in seinen kühnsten Träumen hätte vorstellen können. Guy würde jetzt schon für immer ein Teil ihrer Erinnerungen sein. Ob sie wollte oder nicht. Er berührte kurz den leichten Schnitt an seinem Hals, um zu prüfen wie sehr er blutete und ging dann zu seinem Pferd.

Im inneren rappelte sich Lucy inzwischen langsam vom Boden auf. Was war nur geschehen? Wie hatte sie das alles so bereitwillig zulassen können? Sie ging auf das Schwert zu, das Guy davongeschleudert hatte, um es wieder an seinen angestammten Platz über dem Kamin zurückzuhängen. Guy hatte sie einfach mit allem überrumpelt. Zuerst mit dem Schnitt, den er sich selbst zugefügt hatte und dann mit dem Kuss.

Sie schloss die Augen und wollte nicht daran denken. Im inneren ermahnte sie sich selbst, sich nicht ihren Erinnerungen zu ergeben. Sie wollte alles was geschehen war vergessen und nie wieder daran denken.

Lucy wollte nicht an das Gefühl denken, dass sich von ihren Lippen zu ihrem Hals und ihrer Brust ausgebreitet hatte, als seine Zunge mit der ihren gespielt hatte.

Sie wollte auch nicht daran denken, dass sich Teile ihres Körpers bemerkbar gemacht hatten, von denen sie niemals dachte sie würden eine Rolle während eines Kusses spielen.

Lucy schüttelte den Kopf genervt und schimpfte mit sich selbst: „Hör auf damit!“

Sie würde nie wieder an den heutigen Tag denken.

Und wenn sie Guy sah?

Dann würde sie ihre Erinnerungen verdrängen und selbst bestimmen an was sie sich zu erinnern hatte. Wie er andere Menschen quälte und tötete, wie es ihm Freude bereitete wenn andere litten und wie er allein schon durch sein auftauchen Angst und Schrecken unter den Bauern verbreitete.

Ja, daran würde sie denken.

Lucy spürte die alte Wut gegen Guy aufkeimen und verfluchte sich selbst, ihn nicht doch einfach getötet zu haben.

 


Kapitel 10: Einladung

 

Als Lucy am nächsten Vormittag vor dem Kamin saß und stickte, hörte sie Pferdewiehern von draußen hereinwehen. Augenblicklich sprang sie auf und lief zum Fenster, um nachzusehen wer sie da besuchen kam. Nicht aus Freude, sondern um sich zu wappnen.

Als sie Guy auf seinem Pferd auf das Haus zureiten sah, machte ihr Herz einen kurzen Hüpfer.

Einen Hüpfer?

Lucy griff sich an ihr Herz. War es nicht eher ein angstvoller Aussetzer gewesen? Einen Hüpfer machte ein Herz nur wenn man sich auf etwas freute, oder nicht?

Sie freute sich nicht auf seinen Besuch. Nicht schon wieder!

Mit, vor Zorn zusammengekniffenen Augen beobachtete sie, wie er langsam mit seinem Pferd näher kam. Wie er aufrecht und Stolz dahinritt, so als hätte er alle Zeit der Welt. Als würde sie auf ihn warten. Der schwarze Ritter auf seinem dunklen Ross, dessen Mantel vom kalten Wind nach hinten geweht wurde.

Lucy bebte vor aufkeimender Streitsucht.

Guys Person troff vor Selbstüberheblichkeit und es schien als würde er wissen, dass sie ihn beobachtete. Seine lederne Kleidung wirkte durch den Schnee noch dunkler, während sie gleichzeitig in der kalten Wintersonne leuchtete. Sie kam nicht umhin zu bemerken, wie sich zwar sein Oberkörper kaum regte, jedoch sein Unterleib die typische Vor- und Rückwärtsbewegung ausführte, die man benötigte um ein Pferd zu reiten.

Lucy durchzuckte die Erinnerung daran, wie er ihre Beine gespreizt und an sie gepresst hatte. Dieselbe Bewegung.

Eine harte Ohrfeige erzielte die gewünschte Wirkung und sie rannte zu einer nächstgelegenen Truhe um darin den vorbereiteten Dolch unter ihr Kleid an ihr Bein zu binden. Guy würde mit Sicherheit darauf achten, dass sie den Schwertern über dem Kamin nicht zu nahe kam.

Er klopfte und trat sofort ein.

Lucy wandte sich ihm zu und funkelte ihn böse an. Eigentlich wollte sie ihn anfahren, dass er einfach eingetreten war, aber er hob die rechte Hand und hinderte sie am Sprechen.

„Der Scherriff gibt heute Abend einen Ball und er erwartet, dass Ihr mich begleitet und wir unsere Verlobung bekannt geben“, erklärte er mit tiefer und sachlicher Stimme. Dann zog er seine linke Hand hinter sich vor und stellte die Schmuckschatulle die er getragen hatte auf dem Esstisch ab. „Ich erwarte, dass Ihr das hier tragt.“

Guy wartete keine Antwort ab, sondern ging sofort wieder.

Lucy wollte sich mit ihm streiten, sie wollte ihn zurückhalten und ihn anschreien, aber es kam kein Ton über ihre Kehle.

Die Türe fiel ins Schloss und er bestieg wieder sein Pferd um zurück nach Nottingham zu reiten.

Lucy ging zur Schatulle und öffnete sie.

Im inneren befand sich ein wunderschönes, silbernes Kollier, in das kleine grüne Smaragde eingearbeitet waren. Sie waren nicht sehr groß und verliehen der Kette damit ein erhabenes Glitzern. Es war geschmackvoll, elegant und vor allem würde die Kette ihre grünen Augen unterstreichen.

Sie wollte nicht, aber Lucy musste zugeben, dass Guy kultivierter war, als sie angenommen hatte.

Am Abend hatte sich Lucy der Anweisung gefügt und sich ein weißes, schlichtes aber ihre Kurven betonendes Kleid angezogen, welches allein durch eine grüne Borte um ihre Hüfte und der silbernen Kette an ihrem Hals verziert wurde. Die meisten ihrer roten Locken hatte sie nach oben gesteckt, der Rest fiel über ihre Schulter in ihr Dekolleté. Sie war mit Sicherheit nicht die prunkvollste Frau an diesem Abend, aber sicherlich die erlesenste.

Sobald der Abend vorbei war, würde sie die Kette verkaufen und Essen für die Hungernden kaufen.

Sie wurde von den Guys Soldaten eskortiert und in einer Kutsche nach Nottingham gefahren. Dort angelangt, führten sie die Soldaten in die Festhalle des Schlosses, in dem das Fest bereits in vollem Gange war.

Die Noblen des Shires, welche das Fest aus Höflichkeit und vor allem aus Angst besuchten, waren nur wenige an der Zahl. Die meisten Menschen, die mit einer Vielzahl an Juwelen behangen waren, kannte Lucy nicht. Es waren sicher Freunde und Anhänger des Scherriffs, soweit er Freunde haben konnte. Menschen wie Guy.

Apropos Guy, als er Lucy hereinkommen sah, kam er mit großen Schritten die Treppe zu ihr hoch um sie zu begrüßen. Bei ihr angelangt, blieb er stehen und musterte sie bewundernd. Lucy fühlte sich, als wäre sie nackt.

„Ihr seid wahrlich eine Augenweide, Lucy“, stellte Guy befriedigend fest. Lucy wollte nicht, dass er sie informell ansprach. Sie war eine Lady und abgesehen davon, dass sie Zwangsverlobt waren, teilten sie keinerlei Gefühle füreinander. „Sir Guy…“, wollte sie ihn darüber belehren, als er einen Schritt auf sie zumachte, ihre Hand ergriff und sagte: „Bitte, Sir Guyt mich nicht. Immerhin werden wir bald heiraten.“

Lucy entzog ihm hastig ihre Hand und fragte erschrocken: „Aber Ihr sagtet doch, wir heiraten erst wenn King Richard wieder da ist!“ Das war ihre einzige Hoffnung.

Dass der König entweder niemals wiederkam und sie Guy niemals heiraten musste, oder aber dass er wiederkam und den Scherriff und Guy zum Teufel jagte bevor sie ihm angetraut wurde.

Guy ließ sich von ihrem Verhalten nicht beirren und nahm wieder ihre Hand um ihr einen Kuss zu geben. Sie spürte seine Bartstoppeln auf ihrem Handrücken und wie seine Lippen ihre Haut berührten.

„Natürlich, und ich stehe zu meinem Wort. Aber wer weiß? Vielleicht wird der König früher kommen als wir es uns wünschen?“, erklärte Guy. „Sprecht für Euch selbst“, zischte Lucy kaum hörbar. Sie wollte, dass der König wiederkam, aber am besten erst in ein paar Jahren.

Guy richtete sich wieder auf und lächelte sie aalglatt an. Dann nahm er ihre Hand und hakte sie bei sich unter um sie nach unten zu geleiten.

Obwohl sie nicht wollte, dass er sie berührte, ließ sie es mit sich geschehen. Was sollte sie schon tun?

Sie wurde von Gast zu Gast geführt und vorgestellt. Dabei übernahm Guy die Aufgabe sie bekanntzumachen, denn Lucy fühlte wie sich in ihr Übelkeit über den bevorstehenden Abend übermannte. Daher blieb sie zumeist Wortkarg und Einsilbig.

Vor allem wenn sie als „zukünftige Lady Gisborne“ vorgestellt und sogar angesprochen wurde.

Guy genoss es aus tiefsten Zügen. Nicht nur, dass sie nun offiziell seine Verlobte war, sondern weil Lucy es offensichtlich anwiderte aber dennoch mitspielte. Er hatte sie völlig in der Hand und er gedachte seine Macht über sie noch weiter auszunutzen.

Irgendwann würde er sie soweit mit dem Rücken an die Wand gedrängt haben, dass sie nicht mehr konnte und irgendetwas unternehmen würde. Das war immer das schönste an ihr. Der Moment wo sie nicht mehr mitspielte und ein Feuer in ihr brannte. Wenn sie gewillt war zu kämpfen.

Guys Blick ruhte auf ihrem Profil.

Ihre wachen, grünen Augen funkelten zwar im Kerzenschein, aber noch glitzerte keine Kampfeslust in ihnen. Sie lächelte, aber es war aufgesetzt. Sie sprach, aber es klang als wäre sie gar nicht wirklich hier.

Er konnte nicht anders, er wollte sehen sie war noch am Leben.

„Ihr seid die beste Frau, die sich ein Mann nur wünschen könnte“, flüsterte er ihr liebevoll ins Ohr und beobachtete ihre Reaktion. Wie seine Worte in ihren Geist drangen und sie sich überlegte wie sie reagieren solle.


Kapitel 11: Aufeinandertreffen

 

Lucy hätte am liebsten aufgeschrien.

Ihn hier und jetzt erwürgt.

Aber stattdessen, funkelte sie Guy zornig an, riss sich aus seinem Arm und erklärte eiskalt: „Entschuldigt mich, ich muss mich frisch machen.“ Damit wandte sie sich ruckartig ab und huschte durch die Menge davon.

Sie hoffte, er würde ihr nicht folgen, denn dann würde sie sich ein Pferd nehmen und einfach nach Hause reiten. Doch kaum war sie auf den schwach beleuchteten Gang vor der Halle angekommen, hörte sie, wie sich Guy hinter ihr dafür entschuldigte, dass er die Menschen anrempelte. Sofort raffte sie ihr Kleid und rannte einfach den Korridor entlang.

Aber das Kleid ließ sie nicht sehr schnell vorankommen, sodass Guy sie bald eingeholt hatte und ihr den weiteren Weg versperrte.

„Ihr wollt schon gehen?“, fragte er mit Spott und sein Mundwinkel zuckte vor Hohn. Er wusste was sie vorhatte, es brachte nichts zu leugnen. „Ich kann Euch nicht mehr länger ertragen!“, keifte sie und ließ ihr gerafftes Kleid wieder auf den Boden fallen. Dann riss sie sich die Kette vom Hals und schmiss sie ihm zu. „Nehmt die, ich werde sie sonst verkaufen.“

Guy fing die Kette auf und trat bedächtig auf sie zu. „Sie war ein Geschenk an Euch. Macht damit was Ihr wollt, aber gebt sie mir nicht zurück“, erklärte er gefasst und keineswegs drohend. Dann legte er ihr die Kette wieder um den Hals und band sie in ihrem Nacken zu.

Lucy reagierte nicht, sondern stand einfach nur da als wäre sie erfroren.

Dann, als die Kette wieder an ihrem Hals lag, ließ er seine Hände von ihrem Nacken zu ihren Wangen gleiten und hob ihr Gesicht etwas an. Langsam näherte er sich ihren Lippen und achtete wachsam darauf, dass sie sich ihm nicht entzog. Während er seine Augen offen hielt und sie beobachtete, konnte Lucy einfach nicht anders und schloss ihre Augen.

Da war wieder dieser Geruch. Pferde, Natur und frische Luft, aber auch Leder. Diese Mischung, die sie Hypnotisierte je intensiver sie wurde. Je näher er ihr kam.

Ihre Wangen brannten unter seinen Händen wie Feuer. Sie wollte seine Lippen spüren.

Guy erkannte ihr Verlangen und kam ihren Lippen nicht näher. Im Gegenteil, er entfernte sich etwas von ihnen und sah sie amüsiert und innig zugleich an. Er hatte sie schon fast.

Er wollte etwas sagen, aber der ausbleibende Kuss ließ Lucy ihre Augen wieder öffnen und als sie erkannte, dass er sie angrinste, stieß sie ihn von sich weg.

„Ihr…“, Lucy fiel kein Wort ein mit dem sie ihn beschimpfen könnte und das ihn verletzen würde. Sie war wütend über ihn und vor allem wütend über sich selbst. Wie konnte sie sich nur so die Blöße geben?

„Wollt Ihr Euch jetzt mit mir duellieren?“, fragte er spöttelnd und breitete seine Arme aus um zu zeigen, dass er unbewaffnet war. Lucy war ebenso unbewaffnet, aber sie hätte ihn liebend gerne erstochen.

„Warum gebt Ihr nicht einfach zu, dass Ihr etwas für mich empfindet?“, fragte er ehrlich und trat wieder auf sie zu. Lucy wich ihm aus. „Abscheu und Ekel, das empfinde ich!“, rief sie erbost.

Er schwenkte den Zeigefinger. „Nicht doch, das war aber gerade etwas ganz anderes“, stellte er fest.

Guy machte sie rasend.

„Ich erzähle es auch niemandem“, bot er ihr an und konnte nur schwer den Spaß den er hatte unterdrücken. „Ich vertusche, dass Ihr der Nightwatchman seid, werde niemandem erzählen, dass Ihr euch zu mir hingezogen fühlt und meinetwegen könnt Ihr allen Schmuck den ich Euch schenke verkaufen und den Armen das Geld geben.“ Er ging weiter auf sie zu. Lucy hörte ihn zwar, zeigte jedoch keine Regung auf sein Angebot. „Alles was ich dafür verlange ist Eure Zuneigung“, schloss er seinen Vorschlag ab.

„Ihr seid so überzeugt von Euch selbst, dass mir schlecht wird. Niemals würde ich etwas zugeben was nicht stimmt. Ich hasse Euch“, spie Lucy aus und spürte mit Schrecken, dass hinter ihr eine Wand war. Es gab kein Entkommen mehr.

Guy wusste es auch und er lächelte selbstzufrieden. Als er vor ihr stand, stützte er sich mit seinen Händen recht uns links von ihr ab. Sie presste sich so fest sie konnte an die Wand und drehte ihren Kopf von ihm weg. Nicht schon wieder!

Aber er kam ihr immer näher und versenkte sein Gesicht in ihrem Nacken. Seine Bartstoppeln strichen sachte über ihre Wange und ihren Hals, während er tief ihren Geruch einsog. Lucy kniff die Augen zu und dachte wie ein inneres Mantra an die Dinge die sie an ihm hasste.

Wie er andere Menschen quälte. Die Angst und den Schrecken den er verbreitete. Seine hochgewachsene Gestalt und seine schwarze Kleidung. Seine wutglitzernden Augen. Den Spott den er ihr immer wieder entgegenbrachte. Wie er mit ihr spielte. Die Gefühle die er in ihr auslösen konnte. Wie er andere Menschen quälte…

Lucy begann wieder von vorne und spürte, wie er mit seinen Lippen ihre Halsstränge entlangzeichnete und seinen Körper begierig an den ihren presste. Lucy unterdrückte ein aufseufzen. Sie wollte nicht, aber sie begann sich zu entspannen und ihr Mantra veränderte sich.

Wie er mit ihr spielte. Welche Gefühle er in ihr auslöste. Seine Bartstoppeln und den Geruch den er verströmte. Seine amüsiert funkelnde Augen. Wenn er seine Muskeln anspannte um anzugreifen oder ihr näher zu kommen. Seine Lippen und seine wunderschönen Augen wenn er ganz tief in die ihren sah. Seinen sonoren Bass, der in ihrem Bauchnabel vibrierte. Wie er mit ihr spielte…

Lucy riss die Augen auf.

Sie verstand was vor sich ging.

Hass und Liebe waren nicht sehr weit voneinander entfernt. Darum hatte sich ihr Mantra verändert. Nicht mehr die Dinge die sie hasste, sondern die, die sie an ihm mochte. Liebte.

Guy konnte nur mit ihr spielen weil sie ihren Gefühlen immer wieder auswich. Das ewige hin und her ihrer Gefühle nutzte er für sein Spiel aus und konnte sie so eines Tages fügsam machen. Lucy spannte sich an und dachte: nicht mit mir! Mal sehen wie viel er von seiner eigenen Medizin ertragen konnte.

Sie packte ihn, aber nicht um ihn von sich zu stoßen, sondern um ihn diesmal an die Wand zu drücken. Guy hatte mit allem gerechnet, aber nicht damit und schnaubte überrascht auf.

Bevor er etwas sagen konnte, hatte sie ihn in einem Kuss gefangen. Bevor er reagieren konnte, war sie in seinen Mund eingedrungen und rang mit seiner Zunge um die Vorherrschaft. Lucy gab nicht auf und trug tatsächlich bald den Sieg davon. Dann entzog sie sich ihm und beendete den Kuss so überraschend wie sie ihn begonnen hatte.

Guy war viel zu verblüfft und blieb an der Wand stehen als sie sich von ihm entfernte. „Möge das Spiel beginnen, Guy“, flötete Lucy reizend und ihre Augen funkelten kampfeslustig als sie sich abwandte und zurück in die Halle zum Fest ging.

 


Kapitel 12: Auseinandergehen

 

Lucy nahm sich auf ihrem Weg in die Festhalle vor, Guy von seiner eigenen Medizin kosten zu lassen. Wie viel würde er ertragen können? Wie würde er reagieren, wenn sie ihn zuerst rasend vor Zorn machte, ihm dann den Kopf verdrehte nur um ihn dann wieder abzuweisen? Sie würde so lange dieses Spiel spielen, bis er sie nicht mehr wollte. Bis er sie entweder tötete oder diese verfluchte Hochzeit absagte. Beide Optionen waren ihr sehr recht. Hauptsache sie war ihn los.

Sie war so guter Dinge wie schon lange nicht mehr und beschloss sogar an den Tänzen teilzunehmen. Warum sollte sie sich nicht auch amüsieren? Sie war nicht Guys Eigentum, auch wenn er es gerne so hätte.

Lucy schmunzelte. Das war erst die Idee!

Sie könnte mehr Zeit mit anderen Männern verbringen. Ihnen schöne Augen machen und es Guy unter die Nase reiben. Hier und jetzt, beim Tanz zum Beispiel. Hoffentlich würde ihn das richtig ärgern.

Es dauerte nicht lange, da wurde Lucy von einem jungen Mann zum Tanz aufgefordert und sie reihte sich bei den anderen tanzenden Frauen ein. Sie kannte jeden Tanz den England gerade tanzte. Nach diesem kamen der nächste Tanzpartner und der nächste und so weiter. Jeder ihrer Partner erkannte, dass sie nicht nur schön, sondern auch eine begabte Tänzerin und eine angenehme Gesprächspartnerin war. Sie war im Handumdrehen von Verehrern umringt und an ihren Lippen hängten.

Jedes Mal wenn Lucy kokett mit den Augen blinzelte und ein schüchternes „Ja, gerne“, hauchte, stellte sie sicher, dass sie dabei Guys Gesicht sah. Dessen Gesicht wurde immer düsterer.

Er hatte an diesem Abend mehrmals versucht sie zu erreichen und um den nächsten Tanz zu bitten, aber sie war ihm immer entwischt, sodass er seine erfolglosen Versuche einstellte. Inzwischen stand er mit verschränkten Armen etwas abseits der Gäste und beobachtete sie.

Spät in der Nacht, als bereits alle Gäste die noch nach Hause fahren würden gegangen waren, brachen die übrigen Menschen auf und suchten ihre Bleibe im Schloss auf. Für manche, wie Lucy, war es mühselig mitten in der Nacht noch nach Hause zu fahren. Dafür hatte der Scherriff Zimmer bereitgestellt.

Lucy hakte sich bei ihrem letzten Tanzpartner unter, einem jungen Mann ihres Alters. „Geleitet eine junge Lady zu ihrem Schlafgemach, ja?“, fragte sie und neigte ihren Kopf bittend etwas zur Seite. Ihr bezauberndes Aussehen ließ den jungen Herrn auf Wolken schwelgen als er sie aus der Halle die Korridore entlangführte.

Vor ihrem Gemach angekommen, bedankte sie sich höflich und hauchte ihm sogar einen schnellen Kuss auf die Wange. Lucy erkannte mit Genugtuung, dass ein Mann in Schwarz in den Schatten des Korridors verschwand. Guy.

Lucy drehte sich um und betrat ihr Zimmer.

Sie schloss die Türe hinter sich leise und lehnte sich seufzend an das kalte Holz.

Auf der anderen Seite der Türe ging der junge Mann federnden Schrittes davon und bemerkte gar nicht, wie er Guy passierte, so guter Dinge war er. Dieser hatte seine Arme weiterhin verschränkt und an eine schwere Säule gelehnt um dem Schauspiel von eben zu folgen.

Doch er kochte.

Zorn wallte in ihm auf und sein Stolz war gekränkt.

Sie hatte ihn den ganzen Abend lang vorgeführt. Seine Verlobte hatte vor allen Augen mit anderen Männern geflirtet und ihn nicht eines Blickes gewürdigt.

Er trat an die Türe und packte den schweren Türgriff.

Er würde ihr zeigen was es hieß einen Guy von Gisborne zu reizen.

Aber was tat er da?

So würde er sie niemals dazu bringen ihn zu wollen. Ihm zu verfallen. Denn wenn er nun da reinging, würde er toben vor Wut und sie sicherlich mit Gewalt nehmen. Ihr zeigen, dass sie nur ihm gehörte. Und dann hätte er sie bereits verloren. Für immer.

Er ließ den Griff los und schniefte wütend. Dieses Frauenzimmer!

Zackig drehte er sich um und verschwand schnellen Schrittes in die Dunkelheit.

Im Schloss von Nottingham fand Lucy einfach keine Ruhe. Irgendwie hatte sie Angst einzuschlafen, denn immerhin war sie mitten in Feindesland. Der Scherriff und Guy waren ebenfalls irgendwo in diesem Schloss zugegen und überall waren Soldaten vor denen sie eigentlich immer davonrannte. Daher wälzte sie sich von einer Seite auf die andere, bis der Morgen graute und die Sonne ihre Strahlen in ihr Zimmer schickte.

Sie verschwendete keine Zeit und packte all ihre Gegenstände um sich mit der erst besten Kutsche nach Hause zu begeben. Sie wollte niemandem und vor allem Guy nicht begegnen.

Tatsächlich schaffte es Lucy sogar noch in Nottingham die Halskette zu verkaufen und mit dem Geld eine größere Lieferung von Nahrungsmitteln nach Hause zu bestellen, bevor sie aufbrach. Sobald die Lebensmittel geliefert würden, konnte der Nightwatchman wieder Gutes tun.

Dass Guy von ihrer wahren Identität wusste, störte sie nicht im Geringsten. Sollte er sie doch verraten, dann würde er sie verlieren. Und sie bezweifelte, dass das sein Ziel war. Sie war sich sicher, dass er sie unbedingt wollte. Nur worauf er wartete, war sie sich nicht sicher. Er hätte sie schon einmal haben können. Aber vielleicht täuschte sie sich auch? Vielleicht war alles ganz anders?

Egal, Lucy zuckte mit ihrer Schulter. Sie würde nicht aufhören für die Armen und Hungernden da zu sein. Dazu musste er sie schon töten.

 


Kapitel 13: Nightwatchman

 

Die nächsten Tage vergingen, ohne dass sich Guy sehen ließ oder Geschenke schickte. Der Nightwatchman war jede Nacht unterwegs um wieder Essensrationen zu verteilen. Lucy war sich nicht sicher ob Guy überhaupt versuchte sie aufzuhalten, denn sie traf nicht einmal auf eine Falle oder Soldaten.

Aber vielleicht war sie einfach zu unberechenbar geworden. Sie hielt sich nie sehr lange in einem Dorf auf und besuchte danach nicht das nächstgelegenste sondern das, welches am weitesten weg war.

Während sie tagsüber ausritt und einige Dörfer einfach aus Freundschaft besuchte, schnappte sie einige Informationen darüber auf, was für Grausamkeiten der Scherriff nun wieder durchsetzte. Oder welches Dorf gerade von den Steuern am meisten niedergedrückt wurde. Und vor allem, welche Adligen gerade am meisten Geld besaßen.

Robin und seine Bande brachten Lucy einiges ihres geraubten Geldes, wovon sie wiederum Essen kaufte und verteilte. Manchmal jedoch bestahl sie auch selbst einen Reichen.

So kam es, dass Lucy noch einmal in Locksley einstieg. Sie wollte Guy noch etwas mehr von seinem Geld erleichtern.

Es lief genau gleich wie beim letzten Mal. Lucy schüttelte den Kopf vor Unglauben. Wie konnte Guy nur so dumme Soldaten beschäftigen? Es reichte einfach nicht, wenn ab und zu zwei von ihnen um das große Anwesen patrouillierten. Sie konnte wieder einmal ohne Probleme durch den zweiten Stock einsteigen und schlich wie gewohnt durch das Haus. Vorbei an einem hell erleuchteten Nebenraum, in dem die Soldaten gerade derbe Witze rissen und nicht auf das Haus achteten.

In Guys Zimmer brannte ein Feuer, denn das Licht drang unter der Türe hervor. Lucy hielt und fragte sich, wie sie ihn aus seinem Zimmer locken konnte, um an seine Wertsachen zu gelangen.

Da kam eine Magd aus dem Dienstbotentrakt. Lucy verschmolz mit den Schatten und wartete ab was geschehen würde. Das junge Mädchen klopfte an Guys Türe und wurde von seiner Stimme hereingebeten.

Neugierig wagte Lucy etwas aus dem Schatten zu treten und einen Blick nach drinnen zu werfen, aber sie sah Guy nicht. Stattdessen hörte sie Wasserplätschern und bald darauf kam das Mädchen wieder raus. Der Eimer den sie mitgebracht hatte, war leer.

Nachdem die Magd verschwunden war, kam Lucy aus den Schatten hervor.

Sie kannte diese Prozedur genau. Guy nahm ein Bad.

Das bedeutete, dass er sich nicht wehren würde wenn sie ihm jetzt sein Geld stahl, denn er hatte weder seine Kleidung, noch seine Waffen in Reichweite. Zumindest hoffte sie das.

Kurzentschlossen schlüpfte Lucy durch die Türe und schloss sie leise hinter sich. Sie wandte sich um.

Vor ihr stand eine große, mit dampfendem Wasser gefüllte Wanne und darin saß ein gereizter Guy. Als er erkannte, dass nicht die Magd zurückgekommen war, sondern ausgerechnet Lucy als Nightwatchman verkleidet, war er überrascht. Lucy nahm ihren Gesichtsschutz ab und sah ihn herausfordernd an.

„Bleibt sitzen Guy, ich wollte Euch nur eure Wertgegenstände abnehmen, dann bin ich auch schon weg“, erklärte sie schadenfroh. Guy legte seine Arme auf den Rand der Wanne und erklärte zwanglos: „Ich besitze gerade nichts von Wert. Ihr habt mir doch erst alles genommen, erinnert Ihr Euch?“ Lucy huschte an der Wanne vorbei und zu seiner Geldkassette.

„Ich bitte Euch, ich weiß genau, dass Ihr erst gestern einem kleinen Dorf alles abgenommen habt, was sie besaßen. Da hat sich der Scherriff sicher erkenntlich gezeigt, oder nicht?“, tadelte sie ihn für seine Lüge.

Guy zuckte mit der Schulter und wandte seinen Kopf um sie nicht aus den Augen zu lassen. „Was macht Euch so sicher, dass ich nicht aufstehe und euch aufhalte?“, fragte er sie. Lucy  hatte die Kassette inzwischen geöffnet und drehte sich nun zu ihm um.

„Nur zu“, forderte sie ihn auf und verschränkte abwartend ihre Arme vor der Brust.

Guy glitzerte drohend mit seinen Augen, tat aber nichts weiter.

„Das habe ich mir gedacht“, stellte sie fest und grinste breit. Sie wandte sich wieder der Kassette zu und entnahm die vier Beutel und den Schmuck ohne ihn genauer zu betrachten. „Wolltet Ihr mir wieder etwas schenken? Das wäre doch nicht nötig gewesen“, neckte sie und ging gemächlichen Schrittes zum Fenster um abzuhauen. Guy wurde es zu bunt und er brüllte aus Leibeskräften: „Soldaten!“

Lucy streckte ihm die Zunge heraus und versteckte ihr Gesicht wieder unter ihrem Gesichtstuch bevor sie durch das Fenster kletterte. Hinter sich hörte sie, wie Guy aus dem Wasser aufstand und nach einem Handtuch griff.

Etwa drei Meter neben ihr ging die Haustüre auf und Soldaten stürmten heraus. Die Schwerter gezückt und die Bögen gespannt, hielten sie Ausschau nach ihr. Leider erfasste sie das Licht vom inneren des Hauses und sie erkannten den Dieb.

Während sie losrannte, hörte sie einen Pfeil neben ihrem Kopf vorbeisausen und sich fluchte innerlich. Hinter sich hörte sie Guy brüllen: „Nein! Ich will ihn lebend!“

Guy hatte sich das Handtuch um die Hüfte geschlungen und war zu seinen Soldaten gerannt, genau in dem Moment als einer seiner Männer einen Pfeil abgeschossen hatte. Als ein anderer gerade seinen Pfeil losschicken wollte, wurde Guy eiskalt bewusst, dass Lucy in Gefahr war.

Er sprang vor und riss den Bogen nach oben. „Nein! Ich will ihn lebend!“, brüllte er seine Männer an. Diese sahen verdutzt drein und Guy riss der Geduldsfaden. „Na los, fang ihn endlich und bringt mir mein Geld wieder ihr nutzloses Pack!“

Seine Soldaten spurteten und rannten alle zur selben Zeit los. Aber Guy wusste, dass Lucy schon lange verschwunden war. Sie war ihm nicht das erste Mal entkommen. Er hatte Übung darin sie zu verlieren. Hauptsache war, dass sie nicht verletzt wurde.

Aber der Scherriff würde sicherlich wieder toben. Wenn er es ihm erzählte. Was er lieber nicht tat. Der Scherriff musste nicht alles wissen und solange es Guys Geld war und nicht das des Scherriffs, behielt er diesen Abend für sich.

Dennoch, der Nightwatchman war ein echtes Problem. Lucy durfte nicht mehr stehlen und Essen verteilen. Damit gefährdete sie Guys Ruf und stellte ihn in den Augen des Scherriffs immer niedriger. Das durfte er nicht zulassen.

Guy musste den Tod des Nightwatchman glaubhaft vorführen und Lucy irgendwie davon abhalten sich weiterhin als dieser zu verkleiden.

 


Kapitel 14: Feuer

 

Guy ließ natürlich nicht lange auf sich warten. Er besuchte sie schon am folgenden Nachmittag. Als er klopfte, fragte Lucy durch die Haustüre hinweg: „Warum sollte ich Euch einlassen?“ Guys Mine verfinsterte sich. „Öffnet diese Türe, oder ich werde sie eintreten“, kam die gedämpfte Antwort. Er hatte sich nahe an die Tür gelehnt und ihr leise gedroht.

Mit einem tiefen Seufzer öffnete sie die Türe.

„Warum habe ich die Ehre?“, fragte Lucy mit einem aufgesetzten lächeln und gespielter Höflichkeit und Unwissenheit. Guy stürmte herein und fauchte: „Ich habe keine Zeit für Euer Spielchen. Ich bin gekommen um Euch anzuweisen nie wieder als Nightwatchman auszureiten.“

Nachdem sie die Türe wieder geschlossen und er ausgesprochen hatte, versschränkte Lucy abwehrend ihre Arme vor der Brust. „Das werde ich nicht.“

„Dann werde ich Euch zwingen müssen“, kam seine prompte Antwort und er trat auf sie zu. Lucy ließ ihre Arme wieder fallen und trat hastig einen Schritt von ihm weg. „Ihr müsst mich schon umbringen. Erst dann werde ich aufhören für das gute einzustehen“, fuhr sie ihn an und er blieb stehen.

„Sagt so etwas nicht“, erklärte er mit gesengtem Blick. Als er wieder aufschaute, fügte er mit unterdrücktem Zorn hinzu: „Denn sonst werde ich dieses Angebot noch annehmen.“ Lucy verengte ihre Augen und antwortete: „Gut!“ Blitzartig packte Guy sie am Oberarm und zog sie brutal zu sich her. „Ihr wollt nur einer Heirat mit mir entkommen, aber das würde Euch so passen“, zischte er bedrohlich und kam ihrem Gesicht dabei so nahe, dass sich ihre Nasenspitzen fast berührten. So plötzlich wie er sie gepackt hatte, ließ er sie wieder los und trat an ihr vorbei zur Türe. Während er sie öffnete, meinte er noch: „Ich finde einen anderen Weg Euch aufzuhalten.“

Lucys Augen sprühten Funken der Wut und als er die Türe hinter sich geschlossen hatte, rieb sie sich mit schmerzverzerrtem Gesicht ihren Oberarm. Er hatte sie wirklich grob gehalten.

Nach dieser kurzen Unterredung verging eine Woche, in denen sie sich nicht einmal sahen. Lucy und Guy sich nicht sahen. Der Nightwatchman hingegen ging seinen gewohnten Geschäften nach und wurde mehr als einmal fast von Guy geschnappt.

Lucy bemerkte, dass Guy bisher keine Möglichkeit gefunden hatte, sie aufzuhalten. Aber auch, dass er immer darauf achtete, dass sie weder verletzt, noch geschnappt wurde. Er entrichtete ein hohes Kopfgeld auf sie, das beinhaltete, dass sie lebend gefangen werden musste. Wenn sie von ihm in die Enge gedrängt wurde, ermöglichte er ihr immer irgendeinen Rückzugsort. Das war ihr nicht entgangen.

Natürlich hatte sie schon früher Auswege gefunden, aber Guy war früher nie so unvorsichtig gewesen. Er gab ihr absichtlich den Weg frei wenn sie alleine waren. Oder lenkte einen Soldaten mit Befehlen so sehr ab, dass sie einfach davonrennen konnte. Anschließend schlug er zwar den Soldaten, aber eigentlich hatte er sie damit beschützt. Ohne es zu wollen, war ihm Lucy dankbar dafür. Dankbar dass er sie nicht einfach verriet oder sein Wissen dazu nutzte sie zu zwingen. Guy lag offensichtlich mehr an ihrer gemeinsamen Heirat als am Scherriff. Augenblicklich fühlte sich Lucy immer gleich schuldig, wenn sie daran dachte was er sich beim Scherriff alles anhören musste, wenn er sich wieder erklären sollte.

Trotzdem machte sie weiter.

Eines Nachmittags, Lucy bürstete ihr Lieblingspferd, stürzte plötzlich ein Bursche aus dem Dorf in den Stall.

„Lady Knighton! Der Nightwatchman, er brennt die Häuser der reichen nieder!“, rief der Junge aus und hielt sich die Seiten. Er war aus dem Dorf zu ihrem Haus gerannt, um ihr die Neuigkeit sofort zu berichten. Sein Gesicht glühte vor Aufregung und Freude. „Der Nightwatchman?“, fragte Lucy verwirrt und legte den Striegel aus der Hand. „Ja Mylady. Männer aus Treeton, Clun und Milton haben berichtet, dass der Nightwatchman dabei beobachtet wurde, wie er die Häuser der Noblen in Brand setzte“, erzählte der Junge. Lucy verstand nicht richtig. „Wann?“, fragte sie. „Gestern Nacht brannten die ersten Häuser, das letzte wurde erst vor einer Stunde angesteckt.“

Jetzt erst verstand sie die Tragik der Situation.

Jemand hatte sich als sie verkleidet und dachte, dass er gutes damit vollbrachte wenn er Reiche von ihrem Hab und Gut erlöste indem er es verbrannte. Es gab nur einen Menschen, der zu so einer Tat in der Lage war. „Ich muss fort. Geh und nimm so viele Männer und Frauen aus Knighton Hall mit, um beim Löschen der Feuer zu helfen“, beorderte sie dem Jungen. Dieser sah sie verständnislos an, nickte aber und trollte sich. Für ihn war das, was dieser falsche Nightwatchman tat eine Genugtuung.

So schnell sie konnte, ritt Lucy mit ihrem Pferd nach Locksley und pochte dort wütend gegen die Türe. „Sir Guy!!“, rief sie laut aus. Ein Soldat öffnete ungehalten die Türe und raunte sie an: „Was fällt Euch ein? Lord Gisborne ist nicht zu sprechen.“

„Das dachte ich mir“, antwortete Lucy und drängte sich an dem Soldaten vorbei. Im inneren waren mehrere Männer einsatzbereit und wollten sie aufhalten, als Guy in die Halle kam und fragte: „Was soll dieser Lärm?“

Wutstaubend ging Lucy auf ihn zu und zeigte mit dem Finger auf ihn, als sie rief: „Ihr! Wie konntet Ihr es nur wagen?“ Mit einem amüsierten glitzern und ehrlicher Verwirrung, fragte er: „Von was redet Ihr da?“

Sie blieb stehen und zischte: „Das wisst Ihr ganz genau!“

Guy wusste nicht um was es ging, aber er erkannte pfeilschnell, dass es um den Nightwatchman ging. Mit Blick zu seinen wartenden Soldaten, nickte er in Richtung Ausgang und wartete, bis der letzte verschwunden war. Dann richtete er seine Augen wieder auf Lucy.

Etwas leiser erklärte Lucy: „Ihr habt einen Doppelgänger beauftragt Häuser von Adligen niederzubrennen, damit Ihr ihn fangen und verurteilen könnt.“ Guy lächelte und verschränkte seine Arme vor der Brust. „Ehrlich, das klingt interessant. Aber ich fürchte, ich muss Euch bitten mir zu erklären warum Ihr ausgerechnet glaubt ich hätte etwas damit zu tun?“

Lucy stutzte, trotzdem erklärte sie langsam: „Clun, Milton und Treeton. Diese Dörfer liegen alle um Locksley herum. Eurer Residenz. Und hier brennt nichts. Also war das Eure Idee.“ Sie pausierte und fügte leise hinzu: „Abgesehen davon habt Ihr selbst gesagt, dass Ihr einen Weg finden würdet mich aufzuhalten.“

Guys lächeln wurde immer breiter. „Trotzdem muss ich Euch enttäuschen. Ich erfahre gerade eben erst von dieser Sache.“ Und mit einem leichten vorwärtsneigen gab er noch zu bedenken: „Knighton Hall liegt auch in der Nähe und Euer Haus brennt nicht.“

Lucy riss die Augen auf.

Knighton Hall!

Sie machte auf dem Absatz kehrt, sprang auf ihr Pferd und ritt wie der Teufel zurück nach Hause. Der Rauch und die Schreie der Menschen bedeuteten nichts Gutes.

Als Lucy ankam und von ihrem Pferd sprang, brannte ihr Zuhause bereits lichterloh. „Nein!“, wimmerte Lucy und wollte losrennen um noch das eine oder andere aus den Flammen zu bergen. Aber Guy, von dem sie nicht einmal gewusst hatte, dass er ihr gefolgt war, umschlang sie mit seinen Armen und sagte beruhigend in ihr Ohr: „Nicht, du kannst nichts mehr tun!“

Lucy wand und wehrte sich gegen seinen starken Griff und schrie.

Das Haus in dem sie geboren und aufgewachsen war, wurde von riesigen, orangenen Flammen verschluckt, die sich malerisch vom schneebedeckten Umfeld abhoben. Um Lucy wurde es schwarz.

 


Kapitel 15: Der Plan

 

Guy, der Lucy zurückgehalten hatte, spürte wie sie sich noch einmal aufbäumte und schrie und dann plötzlich in seinen Armen zusammenbrach. Wie leblos erschlaffte sie in seiner Umarmung und er hob ihre Beine hoch, um sie zu tragen.

Der Anblick des brennenden Hauses ihrer Familie war einfach zu viel für sie gewesen. Guy orderte einen der umherrennenden Männer an, eine Kutsche für Lady Knighton zu holen. Da sie nun kein Zuhause mehr hatte, wollte Guy sie nach Nottingham ins Schloss des Scherriffs bringen. Dieser wäre sicherlich nicht erfreut darüber, aber Lucy gehörte immer noch zu den Adligen des Shires und diese füllten die Truhen Prince Johns am meisten. Wenn einer der anderen Noblen erfahren würde, wie der Scherriff eine hilfesuchende Adlige abwies, könnte er vom Prinzen selbst gerügt werden. Guy kannte sich in den Machenschaften des Hofes zu gut aus und wusste, dass der Scherriff niemals den Zorn des Prinzen riskieren würde.

Natürlich hätte er selbst Lucy gerne zu sich nach Hause genommen, aber sie waren noch nicht verheiratet. Verlobt, ja. Dennoch war es nicht gut für ihren Ruf, wenn sie dasselbe Haus teilten. Es mussten die moralischen Regeln eingehalten werden, sonst würde Guy nicht nur den Ruf von Lucy gefährden, sondern auch seine weiteren Karrieremöglichkeiten.

Gesagt, getan. Guy quartierte die Ohnmächtige Lucy in einem der vielen Gemächer des Schlosses ein und machte sich auf den Weg um Nachforschungen anzustellen.

Auch wenn Lucy an diesem Nachmittag alles verloren hatte und Guy sich dafür rächen würde, kam ihm dieser Doppelgänger gerade recht. Wenn er diesen finden und fangen konnte, würde dieser anstelle von Lucy sein Leben verlieren und das Kapitel Nightwatchman wäre endlich beendet.

Die Tatsache, dass weder er, noch der Scherriff etwas damit zu tun gehabt hatte, ergab nur noch zwei mögliche Lösungen: entweder steckte Hood hinter dieser Geschichte, oder es war schlicht und einfach irgendein Bauer. Selbstverständlich dachte Guy auch daran, dass einer der Soldaten auf diese Idee hätte kommen können, aber er verwarf den Gedanken gleich wieder. Seine Soldaten und die des Scherriffs waren nun wirklich nicht die Hellsten. Keiner würde etwas ohne einen Befehl tun. Dazu hatten sie zu wenig Grips und zu große Angst.

Hood würde ebenso keine Häuser niederbrennen, denn er würde niemals jemanden verletzen wollen. Außerdem war das nicht sein Stil. Damit konnte es nur ein Bauer gewesen sein. Irgendein dummer Mann oder ein Bursche, der vielleicht selbst alles an einen Adligen verloren hatte und nun Rache suchte. Warum er sich dabei jedoch als Nightwatchman verkleidete ergab für Guy noch keinen Sinn.

In seinem Haus in Locksley stand Guy, umringt von seinen Soldaten, an seinem Tisch und brütete über einer Landkarte des Gebiets. Die Punkte die er markiert hatte, zeigte jedes einzelne Haus in der Umgebung das niedergebrannt worden war. Offensichtlich hatte Lucy recht mit ihrer Vermutung, dass Locksley das Zentrum der Taten war.

„Locksley Village“, kommandierte Guy seinem Befehlshaber und warf sich seinen Mantel um. Mal sehen ob er die Bauern des Dorfes nicht zum Reden zwingen konnte.

Während seine Soldaten zu Fuß nach Locksley Village einmarschierten, ritt Guy auf seinem braunen Hengst in das Dorf und befahl allen Bauern sich sofort zu versammeln. „In dem vergangenen Stunden hat der sogenannte Wohltäter den alle als „Nightwatchman“ bezeichnen, neun Häuser in direkter Umgebung niedergebrannt. Da diese Häuser allesamt den Noblen und Adligen von Nottinghamshire gehörten, verlangt der Scherriff Genugtuung. Hiermit setze ich eine Belohnung von 100 Pfund für die Ergreifung dieses Wohltäters aus!“, rief Guy den Menschen zu.

Einige von ihnen staunten, manche tuschelten und die meisten taten so, als wären sie empört über die Taten des Nightwatchman. Guy wusste, sie alle fanden die Vorstellung von brennenden Adelsresidenzen apart.

Dann fügte er noch hinzu: „Und sollte jemand wissen wer der Nightwatchman ist und er setzt mich darüber in Kenntnis, wird diese Person sogar mit 300 Pfund belohnt!“ Mit einem leichten Lächeln auf den Lippen wendete er sein Pferd und verließ mit seinen Männern das Dorf.

Keiner der Bauern würde verraten wer der Täter war. Das wusste Guy und daher hatte er eine Belohnung nur erfunden. Was er wirklich bezweckt hatte war, dass sich der Doppelgänger umstellt fühlte. Immerhin würde sich rasend schnell verbreiten, dass er die Belohnung nur in diesem Dorf verkündet hatte und der Täter, wer es auch immer war, würde schleunigst das Weite suchen. Seine Soldaten würden rings um das Dorf in Stellung gehen und unerkannt beobachten was vor sich ging und jeden, der versuchen würde in der Dunkelheit zu verschwinden, aufhalten und gefangen nehmen.

Guy konnte also in Locksley warten, bis ihm der Täter gebracht wurde. Danach würde er ihm persönlich das Geständnis herauskitzeln.

Mitten in der Nacht war sein Plan von Erfolg gekrönt. Die Soldaten hatten einen jungen Mann im Schlepptau, der sich davonstehlen wollte. Er hatte bereits gestanden die Feuer gelegt zu haben, beteuerte aber vehement, nicht der Nightwatchman zu sein.

„Bitte, tut mir nichts, ich flehe Euch an Sir!“, bettelte der Mann vor Guy kniend. „Meine Frau und meine kleine Tochter sind letztes Jahr in unserem Haus niedergebrannt worden und das alles nur, weil ein Adliger versucht hatte meine Frau als Mätresse zu gewinnen. Als sie meinte sie würde lieber sterben, hat er sie in unserem Haus eingesperrt und es niedergebrannt. Ich kam von der Arbeit im Steinbruch und fand nur noch schwelende Asche vor. Ich habe ein Jahr benötigt um die Wahrheit zu erfahren und da ich nie herausfand welcher Adlige dies verbrochen hatte und der Scherriff nie eine Untersuchung anstellte, habe ich jedes Haus in der Umgebung abgebrannt“, erzählte der Mann und begann dabei bitterlich zu weinen. Trotzdem erklärte er: „Aber ich schwöre bei Gott, ich bin nicht dieser Nightwatchman. Die Menschen die mich sahen, haben nur meinen Umhang gesehen und dies behauptet.“

Guy bedeutete ohne irgendein Gefühl zu zeigen, dass seine Männer den Mann nach Nottingham in den Kerker bringen sollten. Bevor sie ihn einhakten und mit sich zerrten, beugte er sich dich an dessen Ohr und meinte: „Ich werde dich schon noch dazu bringen die Wahrheit zu sagen.“

Der Mann riss die Augen ängstlich auf und jammerte: „Ich spreche die Wahrheit, Mylord!“ Als er hinausgeschleift wurde, bettelte er darum ihn zu verschonen. Guy wandte sich einfach ab und lächelte zufrieden. Alles lief besser als er sich ausmalen konnte.

 


Kapitel 16: Gefangen

 

Lucy erwachte erst am nächsten Morgen und sah sich verwirrt im Raum um. Dies war ganz offensichtlich weder Locksley, noch Knighton Hall…

Die Erinnerung an den vergangenen Abend suchten sie mit voller Wucht heim. Ihr Zuhause war bis auf die Grundmauern niedergebrannt! Sie hatte nichts mehr bis auf ihren Titel und den Ertrag ihres Guts. Mit einem tiefen stöhnen ließ sie sich wieder in das Bett fallen und überschattete ihre Augen mit ihrem Arm.

Alles war weg. Die Erbstücke ihrer Familie, die Erinnerungsstücke ihrer Kindheit und vor allem alles das, was sie an ihre Mutter und ihren Vater erinnerte. Alles war für immer dahin.

Doch noch viel drängender war die Frage, wo würde sie wohnen?

Sie nahm den Arm von ihren Augen und setzte sich auf, um sich umzusehen. Die schweren Steinmauern verrieten ihr, dass sie sich im Schloss von Nottingham befinden musste. Guy hatte sie sicher hierhergebracht. Überraschend, wenn sie bedachte, dass er ihre Hilflosigkeit sofort hätte ausnutzen können und nach Locksley bringen hätte können. Doch sie befand sich hier.

Während sie aufstand und sich zur Waschschüssel begab, überlegte Lucy ob sie anfangen sollte ein Haus zu bauen. Irgendwo, aber nicht in der Nähe von Knighton Hall. Sie würde niemals wieder an diesen Ort zurückkehren, um den Schmerz der Erinnerungen nicht wieder ertragen zu müssen.

Sie könnte sofort beginnen zu bauen, sobald kein Schnee mehr lag und bis dahin einen geeigneten Ort für ihr zukünftiges Heim suchen.

Sofort verdüsterte sich ihre Mine wieder.

Es hatte keinen Sinn sich ein Zuhause aufzubauen, wenn sie sowieso irgendwann Guy heiratete. Der König war schon fünf Jahre im Krieg, es würden sicher keine weitere fünf Jahre dauern bis er hier war. Vor allem da sie wusste, dass Robin versuchte den König darüber zu informieren so bald wie möglich wieder zurückzukehren. Lucy befürchtete, dass Robin damit erfolgreich sein würde und das bedeutete, dass der König schon im nächsten Jahr heimkehren könnte. Ein Haus zu bauen wäre keine gute Idee.

Lucy seufzte diesmal genervt auf, da klopfte es an ihrer Türe.

„Herein!“, rief sie und trocknete sich ihr Gesicht ab.

Der Scherriff trat beschwingt ein und unterdrückte keinesfalls sein amüsiertes lächeln. Guy folgte ihm mit verschränkten Armen und nickte ihr nur einmal knapp zu. „Nun denn, nun denn, die jüngste Tochter Lord Edwards hat es geschafft das Erbe ihres Vaters in Flammen aufgehen zu lassen“, flötete der Scherriff genüsslich und Lucy schluckte hart. Dann wandte er sich mit erhobenem Zeigefinger um und erklärte: „Und nicht nur das, jetzt liegt sie den Steuerzahlern auf der Tasche weil sie nirgendwo wohnen bleiben kann als in meinem Schloss!“

Lucy blinzelte und erklärte stolz: „Ich werde Euch keineswegs auf die Tasche fallen. Mein Geld und mein Einkommen besitze ich noch immer. Ich werde für meine Unterkunft bezahlen, bis-“, sie stockte. Der Scherriff grinste.

„Bis ihr Euch vermählt habt“, beendete er genießerisch ihren Satz. Lucy erwiderte nichts, wollte sie doch eigentlich sagen: „Bis der König zurückkommt“. Da sie nicht auf die Sticheleien des Scherriffs einging, wurde es ihm schnell Langweilig und er fügte geschäftiger hinzu: „Da Ihr nun schon einmal hier seid, könnt Ihr das Schauspiel morgen genießen. Gisborne hat den Nightwatchman gefangen und er wird endlich hängen.“ Er rieb sich die Hände und verlies Lucys Zimmer ohne ein weiteres Wort zu verlieren. Guy blieb stehen wo er stand und zeigte keinerlei Regung, wohingegen Lucy ihn fragend und anklagend zugleich ansah.

„Was…? Wen…?“, stammelte sie und trat einen Schritt auf ihn zu.

Guy sah sie nur an, lies seine Arme fallen und folgte dann doch dem Scherriff. Lucy schrie ihm hinterher: „Gebt mir eine Antwort!“, doch er kam nicht zurück.

Sie hatte keine Angst um sich. Wenn der Scherriff gewusst hätte, dass sie der Nightwatchman war, hätte er das mit der Heirat gar nicht erst erwähnt. Wenn sie morgen hängen würde, würde sie zum einen nicht mehr heiraten und zum anderen im Kerker sitzen und nicht hier. Also bedeutete dies, dass Guy jemand unschuldiges Hängen ließ, oder den Brandstifter. Egal wer es war, sie musste ihn davon abhalten.

Sofort verließ sie ihr Zimmer und suchte nach dem Kerkereingang.

Auf ihrem Weg durch das Schloss wurde sie von keiner Wache oder Soldaten aufgehalten, aber als sie durch die schwere Kerkertüre wollte, boten ihr die beiden Wachen davor Einhalt. „Es tut mir leid Lady Knighton, aber der Zutritt ist für Unbefugte verboten“, erklärte der linksstehende Mann und hatte ihr den Weg versperrt. „Ich muss mit einem Gefangenen reden“, erklärte sie herablassend und wollte dem Mann zeigen, dass sie von Adel war und wusste wie man kommandierte. Leider zeigte es nur keinerlei Wirkung.

„Sir Gisborne hat angeordnet, dass er nicht gestört werden darf“, erklärte der andere Mann.

Wie aufs Stichwort kamen vom inneren schmerzerfüllte Schreie. Guy folterte den Gefangenen!

Lucy wurde unruhig und sie drängte: „Sprecht mit Sir Gisborne, ich muss auch dringend mit ihm reden.“ Die beiden Männer sahen sich an, dann zuckte der linke mit seiner Schulter, bedeutete Lucy ihm zu folgen und ging durch die Türe.

Lucy kam ihm sofort nach. Zuerst ging es ein paar Treppen nach unten, dann kam eine weitere, leichte Türe und dahinter lagen die Kerkerzellen. In der hintersten, der größten, war ein junger Mann an einen Pfahl gebunden, ein Henker hielt ihm ein glühendes Eisen an die Rippen und Guy stand mit verschränkten Armen seitlich davon und sah nur emotionslos zu.

Als die Wache bei der Zelle ankam, sah Guy unwillig auf und als er Lucy hinter der Wache erkannte, bedeutete er dem Henker aufzuhören. Mit wütendem Blick kam Guy auf die Wache zu und knurrte: „Ich habe mich doch deutlich ausgedrückt, ich wollte von niemandem gestört werden.“ Die Wache nickte, erklärte aber, dass Lucy mit ihm sprechen wollte.

Lucy trat an dem Mann vorbei und auf Guy zu. „Was tut Ihr da mit diesem Mann? Seht ihn doch an, er leidet Höllenqualen!“, rief sie aus und sah den Mann mitleidig an. Dieser hatte, abgesehen von zwei Brandlöchern in seinem Oberkörper, ein völlig zerschundenes und verquollenes Gesicht. Guy musste ihn zuerst geschlagen haben. Guy nickte dem Henker und der Wache zu sich zu entfernen und trat dann an Lucy vorbei um Abstand zwischen sich und dem wimmernden Gefangenen zu bekommen. „Das ist Barbarisch!“, rief Lucy aus als die beiden anderen Männer gegangen waren und wollte auf den Gefangenen zu rennen.

Aber Guy hielt sie von hinten am Arm fest.

„Ihr macht Euch nur schmutzig und der Scherriff wird sich fragen was Ihr hier zu suchen hattet“, erklärte er berechnend und lies sie los. Lucy wandte sich ihm zu und sah ihn wütend an. „Dieser Mann ist unschuldig!“

„Das glaubt Ihr“, kam seine kalte Antwort.

 


Kapitel 17: Todeskampf

 

„Was soll das heißen?“, schnappte sie bissig, wovon sich Guy jedoch nicht beeindruckt zeigte. „Das soll heißen, dass dieser Mann das Leben von drei Menschen auf seinem Gewissen hat. Er zeigt keine Reue weil er denkt er habe seine Frau und sein Kind gerächt“, erklärte Guy langsam und verschränkte wieder seine Arme als er sich an die Kerkergitter lehnte. Auf Lucys Fragenden Blick hin berichtete er: „Lord James‘ Frau und seine beiden Söhne. Seine Frau war im brennenden Haus eingesperrt und ihre beiden Jungs haben versucht sie zu retten und kamen in den Flammen um. Jetzt bleiben Lord James nur noch seine drei Töchter. Er hat keinen Erben mehr und wird mit jeder Heirat seiner Töchter ärmer.“

Lucy kannte Lord James von Miltons Familie. Sie waren enge Freunde der Knightons solange sie denken konnte. Seine beiden Söhne David und Allan waren um ihr eigenes alter und seine drei Töchter Rosemary, Caroline und Elizabeth waren gerade einmal um die vierzehn. Bald würden sie heiraten und Lord James würde jeder seiner Töchter eine Mitgift geben müssen, was nun, da er keinen Erbfolger mehr hatte, seinen Ruin bedeutete. Ganz davon abgesehen, dass er seine Frau Katherine geliebt hatte und der Verlust ihn sicher ebenso schwer traf.

„Was hat das mit der Familie dieses Mannes zu tun?“, fragte Lucy jedoch verwirrt.

Guy erzählte ihr von der Geschichte des Mannes wie er es ihm berichtet hatte und daher einfach alle Häuser niedergebrannt hatte die es in der Umgebung gab. Als er geendet hatte, fügte er noch hinzu: „Aber seine Geschichte entspricht nicht der Wahrheit und das glaubt er mir nicht.“ Guy stieß sich von den Gittern ab und trat langsam auf den Mann zu.

„Er will mir nicht glauben, dass seine Frau nie ermordet wurde, sondern Selbstmord verübt hatte und dabei ihr eigenes Kind mit in die Hölle riss. Die Bauern aus Locksley haben ihm die Wahrheit verschwiegen um ihm den Kummer zu ersparen“, sagte Guy während er versuchte dem Mann in die Augen zu sehen. Dieser hatte inzwischen aufgehört zu wimmern und schaffte es zu sagen: „Lüge! Euch glaube ich nicht!“ Guy lächelte schief und wandte sich wieder Lucy zu. Mit ausgebreiteten Armen kam er auf sie zu, postierte sich hinter sie und legte seine Arme auf ihre Schultern während er dem Mann erklärte: „Aber Lady Knighton werdet Ihr glauben, oder nicht?“

Lucy schluckte schwer. Der Mann sah sie mühevoll an, denn seine zugeschwollenen, blutriefenden Augen erschwerten ihm die Sicht. „Mylady?“, fragte er hoffnungsvoll.

Sie ertrug den Anblick des leidenden Mannes nicht und schlug ihre Augen nieder.

Sie wusste von was Guy sprach. Vor etwa einem Jahr war dieser Fall vor den Rat der Noblen gebracht worden. Lord Robert von Treeton hatte seit Jahren eine Mätresse aus Locksley, die er wirklich liebte jedoch nicht heiraten durfte, da sie nicht von Adel war. So kam es, dass sie schwanger wurde und aus Panik vor der öffentlichen Demütigung eines Bastards einen jungen Arbeiter aus dem Treetonschen Steinbruch heiratete. Jeder wusste, dass das Mädchen dass sie gebar nicht das Kind ihres Ehemannes war, außer ihr Gatte. Diesem verschwieg man die Wahrheit, weil er sie augenscheinlich wirklich liebte und man das Glück der Familie nicht zerstören wollte. Aber Lord Robert wollte sein Kind bei sich aufnehmen und wandte sich hilfesuchend an den Rat der Noblen und den Scherriff. Auch wenn Lucy das Vorhaben von Lord Robert guthieß, konnte sie die Verordnung des Scherriffs nicht billigen, der Soldaten bereitstellte, die der Frau ihre Tochter entreißen sollten. Die Mutter verbarrikadierte das Haus und setzte es in Flammen. Zwar versuchten die Soldaten anfangs noch die beiden, Mutter und Tochter, zu retten, aber sie gaben es bald auf. Beide starben im Flammenmeer und als der Ehemann nach Hause kam, verschwieg man ihm die Wahrheit darüber, damit er angemessen trauern konnte. Lord Robert, dessen Hände und Arme seitdem unheilbar verbrannt sind, wurde fast wahnsinnig vor Trauer und Verlust. Seitdem bekam man ihn nur noch selten zu Gesicht.

Lucy berichtete von dieser Geschichte und erkannte dabei, dass der Mann tatsächlich schuldig war.

Schuldig, drei gute Menschen getötet zu haben und das nur, um seine Frau zu rächen, deren Seele unrettbar in der Hölle schmorte.

Der Anblick des Mannes brach Lucy fast das Herz. In ihm keimte dieselbe Erkenntnis auf wie in Lucy und er sackte gebrochen in sich ein. Er war ein Mörder. Er musste hängen. Es gab keine Entschuldigung für das was er getan hatte.

Lucy wandte sich Guy zu, der seinen Blick ebenso wieder auf sie richtete. Sie ergriff seinen Arm und sah ihn bittend an. „Er ist trotzdem nicht der Nightwatchman. Bestraft ihn nicht auch noch deswegen weil Ihr einen Schuldigen benötigt“, flehte sie leise. Guy sah auf ihre Hand, die auf seinem Arm ruhte und schließlich wieder in ihre Augen. „Sterben wird er trotzdem und ich bezweifle, dass es ihm jetzt noch etwas ausmacht wenn ich ihn deswegen ebenfalls anklage“, erklärte Guy gleichmütig und deutete mit einem nicken seines Kopfes in Richtung des Mannes. Dieser hing am Pfahl und starrte einfach nur ins leere.

„Ich könnte aber dennoch nicht damit leben. Nicht auch noch damit!“, stellte Lucy traurig fest. Guy packte sie bei ihren Oberarmen und sagte eindrücklich: „Selbst wenn ich dem Scherriff jetzt noch sagen würde, dass dieser Mann doch nicht der Nightwatchman ist, wird er mich nach Beweisen fragen. Und ich gebe Euch zu bedenken, dass alle, die ihn gesehen haben, geschworen haben den Nightwatchman gesehen zu haben. Wie sollte ich dem Scherriff das erklären? Woher sollte ich wissen, dass dies nicht der Gesuchte ist?“ Lucy richtete ihren Blick auf den Kerkerboden und sah ein, dass sie nicht weiterkam.

Guy ließ sie los und sagte: „Lasst den Tod dieses Mannes nicht ganz umsonst sein und verkleidet Euch nie wieder. Wenn der Nightwatchman nicht wieder auftaucht, ist der Scherriff zufrieden und dieser Mann hat doch noch etwas Gutes mit seinem Tod bewirkt.“ Er hatte gewonnen, das war ihr bereits klar. Zwar konnte sie nicht ertragen zu wissen, dass dieser Gefangene zu Unrecht angeklagt werden würde, aber ihn zu verraten, indem sie weiterhin als der Nightwatchman kämpfte, wäre unmöglich für sie. Stumm nickte sie und wurde von Guy aus dem Kerker geführt.

Am Tag darauf, hatten sich alle Schaulustigen auf dem Schlosshof versammelt um dem Urteil und der anschließenden Vollstreckung beizuwohnen. Lucy stand auf der Treppe direkt neben Guy, der wiederum zwei Stufen tiefer auf der rechten Seite des Scherriffs stand. Während der Scherriff dem Volk mit unverhohlenem Spaß erzählte, dass sie den Rächer namens Nightwatchman endlich auf frischer Tat ertappt und nun seiner gerechten Strafe zuführen würden, stand Guy regungslos und wieder mit verschränkten Armen da. Sein Gesicht spiegelte keinerlei Emotionen, während Lucy weiß war wie eine Wand. Das war nicht ihre erste Hinrichtung, aber die erste, an deren Stelle sie eigentlich stehen sollte. Ihr war übel bei dem Gedanken daran, dass ihr Vater dies immer befürchtet hatte und vor allem, dass der Mann der baumeln würde, eigentlich nicht deswegen verurteilt werden sollte.

Doch der Gefangene war nicht mehr hier.

Zwar wurde sein geschundener Körper auf das Podest geführt, aber sein Geist war bereits entschwunden. Er sprach nicht, blinzelte nicht und zeigte auch sonst keine Anteilnahme am bevorstehenden. Lucy bemerkte, dass der Mann bereits mit seinem Leben abgeschlossen hatte und friedlich abtreten würde. Er es sich sogar wünschte. Und sie bedauerte aus tiefstem Herzen ihre Rolle an dieser Geschichte.

Immerhin hatte sie dem Mann die Geschichte Guys bestätigt. Guy hatte er nicht geglaubt, auch wenn es die Wahrheit war. Aber ihr hatte er geglaubt.

Sie hätte lügen sollen.

Aber war nicht genau das, was alle Menschen um diesen Mann getan hatten? Jeder hatte ihn belogen. Seine Frau, aber auch die Freunde aus dem Dorf und er hatte sich deswegen zum Mörder gemacht. Einmal musste er die Wahrheit erfahren, das hatte Lucy erkannt und dennoch hasste sie sich dafür.

Es gab einen hörbaren ruck und die Menge sah betreten zu, wie der Mann zappelte. Er hatte nicht das Glück gehabt, sich seinen Nacken zu brechen. Nun sahen alle bei seinem Todeskampf zu.

Lucy hatte in dem Moment als der Schemel unter dem Gefangenen weggekickt wurde weggesehen. Sie hatte Guy am Arm gepackt und ihr Gesicht an seinen Oberkörper gepresst. Mit zusammengekniffenen Augen versuchte sie das zappeln, strampeln und röcheln aus ihren Ohren zu verbannen. Erst als sie spürte wie Guy seinen Arm um sie legte und einfach nur festhielt, blendete sie den Todeskampf des Sterbenden aus und wünschte ihm im nächsten Leben viel Erfolg und ein schöneres Leben als dieses hier.

 


Kapitel 18: Festlichkeiten?

 

Zwei Tage vergingen.

Lucy verbrachte die meiste Zeit in ihren Gemächern im Schloss und sah dem Schneetreiben zu. Ihre Gedanken kreisten um den Scherbenhaufen der sich ihr Leben nannte. Sie hatte ihren Vater nicht genug gewürdigt, sich nicht richtig um ihn gekümmert, sodass er schließlich wegen ihr starb, dann hatte sie durch den Nightwatchman und ihre Unvorsichtigkeit einen Mann als Verlobten den sie verachtete, dann wurde ihr Zuhause niedergebrannt und schließlich wurde ein junger Mann als Nightwatchman verurteilt und gehängt.

Immer wieder fragte sich Lucy, ab wann sie ihr Leben so sehr verpfuscht hatte und ob sie es hätte ändern können. Doch egal wie lange sie grübelte, es änderte nichts daran, das alles so war, wie es ist.

Leider war es im Schloss auch nicht unterhaltsamer. Die meisten Bediensteten hatten Angst vor dem Scherriff und den Wachen und hielten sich damit auch nicht lange in Lucys Gegenwart auf. Mit den Wachen und dem Scherriff wollte Lucy überhaupt nichts zu tun haben.

Einzig Robin hatte sie am Tag nach der Hinrichtung besucht.

Jedoch nur kurz.

Robin hatte von den Verbrechen des Mannes erfahren und nicht versucht ihn zu retten. Obwohl auch er am liebsten eingegriffen hätte. Aber deswegen hatte er sie nicht besucht. Er war gekommen um Lucy darüber zu informieren, dass Marian und er nun verlobt seien und vor hatten zu heiraten wenn der König wiederkam.

Das war die einzig schöne Nachricht gewesen.

Marian hatte ihr Gelübde nicht abgelegt sondern war, nachdem sie erfahren hatte das Knighton Hall nicht mehr war, nach York zu einer befreundeten Adligen gereist. Lady Elisa von York und ihr Mann Michael waren Freunde ihres Vaters und versprachen, Marian aufzunehmen und ihr eine Mitgift bereitzustellen für den Tag wenn Robin und sie heiraten würden. Obwohl sich Lucy darüber freute, schlug sie Robins Angebot ab nach York zu gehen.

„Ich habe so viel wieder gut zu machen, dass ich nicht einfach gehen kann“, war ihre Antwort gewesen. Und egal was Robin tat oder sagte, sie ließ sich nicht umstimmen. Schließlich sah er ein, dass er es nicht schaffte sie umzustimmen. „Du bist ebenso stur wie Marian. Sie hat mich auch ewig abgewiesen, sodass ich schon dachte ich würde sie für immer an die Kirche verlieren“, hatte Robin liebevoll geschimpft. Lucy lächelte ihn fröhlich an und übergab ihm ihren gesamten Schmuck und ihr Geld mit der Bitte es den Armen zu übergeben. „Ich kann als Nightwatchman nichts mehr tun, aber du könntest das was ich dir gebe für gute Zwecke verwenden“, erklärte sie und er kam ihrer Bitte mit einem dankbaren Kuss auf die Wange nach. Dann verschwand er.

Seitdem hing Lucy wieder ihren Gedanken nach.

Sie war auch einmal spazieren, aber die Armen und Bettelnden vor dem Schloss ließen sie frösteln und hundeelend werden. Warum hatte sie nur alles gleich Robin mitgegeben? Sie wollte etwas Gutes tun, aber wenn sie Essen aus dem Schloss holte, würde der Scherriff sie dafür belangen.

Es klopfte an der Türe und Lucy wurde davon aus ihren Gedankengängen gerissen.

„Herein“, rief sie matt.

Guy trat ein und sah sich kurz um und entdeckte Lucy am geöffneten Fenster sitzend. Zwar war es warm im Raum, durch das riesige Kaminfeuer, aber er runzelte dennoch die Stirn.

„Ihr solltet nicht so lange in der Kälte sitzen“, tadelte er und Lucy kehrte ungerührt ihren Blick wieder nach draußen. „Was wollt Ihr?“

Guy spielte mit seinen Handschuhen, die er bereits ausgezogen hatte als er eingetreten war. „Nun, ich war mir nicht sicher ob Ihr mich überhaupt empfangen würdet, aber ich dachte ich könnte es dennoch versuchen…“, er stockte und suchte Händeringend nach besseren Worten.

Lucy sah weiterhin nach draußen.

„Wie Ihr sicher wisst, wird heute Abend im ganzen Land gefeiert und ich dachte, Ihr hättet ebenso Eure Freude daran“, sprach er weiter und wartete auf eine Antwort. Lucy blieb ihm diese jedoch schuldig. „Was sagt Ihr dazu?“, fragte er nach einigen Minuten des Schweigens.

Diesmal sah ihn Lucy verwirrt an und fragte: „Sir Guy, ich verstehe Eure Frage nicht und kann Euch daher nicht antworten.“ Guy schniefte einmal und verschränkte seine Hände hinter dem Rücken bevor er langsam erklärte: „Ich bitte Euch darum, heute Abend in meinem Haus den Festlichkeiten beizuwohnen.“ „Welchen Festlichkeiten?“, fragte Lucy ehrlich.

Guy blinzelte durcheinander. „Weihnachten. Heute ist Heiliger Abend“, erinnerte er sie.

Langsam dämmerte beiden, dass Lucy schon völlig vergessen hatte, dass es bereits der 24. Tag des Dezembers im Jahre 1192 des Herrn war. Sie bekam nur ein betroffenes „Oh“, zustande. Guy wurde ungeduldig und trat von einem auf den anderen Fuß. „Würdet Ihr mir die Freude bereiten diesen Abend in meinem Haus zu feiern?“, stellte er seine Frage noch einmal. Lucy wollte ablehnen, dachte aber zugleich daran, dass es hier im Schloss sicher keine Feier geben würde.

Der Scherriff war nicht gerade dafür berühmt an den Herrn und Jesu Christ zu glauben. Hier würde nur alles weiterhin so trostlos dahingehen wie immer. Diese Umgebung machte sie krank.

„Ja, ich werde kommen“, antwortete sie knapp und richtete wieder ihre Aufmerksamkeit auf das Schneetreiben. Guy freute die Antwort ungemein und er sagte: „Dann werde veranlassen, dass Euch heute Abend eine Kutsche abholen kommt.“ Mit einem Lächeln drehte er sich um und verlies ihre Gemächer.

Ihre Augen verfolgten die Flocken die auf den Zinnen des Schlosses niederfielen und wie die Menschen in ihre Umhänge gehüllt über den Schlossplatz huschten und tiefe Furchen im Schnee hinterließen. Dabei konnte sie auch Guy beobachten, wie er auf den Platz ging, sein Pferd bestieg und es aus Nottingham lenkte.

Wie konnte sie nur Weihnachten vergessen? Wie konnte sie nur so sehr von ihrem eigenen Unglück gefangen sein, dass sie das Unglück der anderen um sie herum gar nicht mehr richtig wahrnahm?

Lucy stand entschlossen auf, verschloss das Fenster und raffte alle schweren Umhänge auf, die sie besaß. Dann ging sie schwer bepackt vor die Tore der Stadt und verteilte diese an jeden der fror.

Nein, sie würde niemals aufgeben etwas Gutes zu tun. Vielleicht konnte sie nicht mehr als Nightwatchman etwas tun können und vielleicht war sie als Lucy von Knighton zu sehr an die Gesetze gebunden, aber sie konnte dennoch etwas tun. Wenn sie also heute Abend zu Guys Feier ging, wollte sie dafür sorgen, dass alles was übrigblieb an die Hungernden und Armen verteilt werden würde. Das war das mindeste was er für sie tun konnte. Was er tun musste, wenn er sie nicht einfach wieder ins Schloss zurückreiten sehen wollte.

Er wollte ihre Gesellschaft? Dann musste er etwas dafür geben.

 


Kapitel 20: Heiligabend

 

Lucy stieg aus der Kutsche, als Guy bereits die Türe geöffnet hatte und auf sie zukam. Als sie draußen war, bot er ihr seinen Arm mit den Worten „Lucy, es freut mich sehr, dass Ihr meiner Einladung entsprochen habt“ an. Er wartete keine Antwort ab, sondern wollte sie schon zur Türe führen, als Lucy etwas an ihm zog und ihn dadurch abhielt.

„Wartet, ich habe da zuerst eine Bitte an Euch“, erklärte sie und Guy antwortete sofort: „Ich erfülle Euch jeden Wunsch.“ Sie entzog ihm ihren Arm. „Dann sorgt dafür, dass Eure Soldaten den Hungernden und Armen in Locksley etwas zum Essen vorbeibringen“, forderte sie. Guys Mine verdüsterte sich und sie fügte hastig hinzu: „Es ist Heiliger Abend, wie Ihr so schön festgestellt habt. Andere würden den Tag des Herrn auch gerne Feiern, aber sie haben nicht einmal etwas zu essen.“ Da sich seine Mine weiterhin nicht erhellte, blieb Lucy nur noch eine Möglichkeit.

Sie trat auf ihn zu und nahm seine Hand in die ihre. „Ich verspreche Euch, an diesem Abend werdet Ihr keinen Grund haben ungehalten zu sein. Ich werde mich in Eurem Haus benehmen und keinen Streit suchen“, bot sie ihm an.

Dies verfehlte seine Wirkung nicht. Guy lächelte gnädig und hob ihren Handrücken zu seinem Mund. Bevor er einen Kuss darauf hauchte, versprach er ihr: „Ihr habt mein Wort, Mylady.“ Er geleitete sie nach drinnen und trug seinen Männern auf, alles was sie an gekochtem und ungekochtem Essen im Haus fanden an die Bedürftigen zu verteilen. Danach dürften sie selbst Feiern gehen. Der Nightwatchman sei nicht mehr da und sein Geld wäre zumindest heute Nacht sicher. Lucy lächelte unmerklich.

Dann, als die beiden alleine waren, führte er Lucy an den reichgedeckten Tisch. Das Kaminfeuer des Wohnsaals und die Kerzen tauchten den weihnachtlich geschmückten Raum in eine angenehme Atmosphäre. Lucy gab zu, dass sie Locksley schon seit Jahren nicht mehr so gemütlich erlebt hatte. Nicht seit Robin in den Krieg gezogen war.

Während des Essens unterhielten sich Guy und Lucy über alles außer den Scherriff, Robin Hood, Prince John, Steuern und unterdrückte Menschen. Vor allem da Lucy sich an ihr Versprechen hielt und Guy den Abend nicht mit Sticheleien verderben wollte. Stattdessen unterhielten sie sich über Pferde, Bücher, Schwerter, Kampfkunst und sogar Religion.

Lucy und Guy stellten fest, dass sie ähnliche Interessen hatten. Beide liebten sie Pferde und lange ausritte, beide waren sie belesen und vor allem: sie konnten zum ersten Mal ihre Leidenschaft für den Schwertkampf teilen. So sehr wie Lucy über die Belesenheit Guys überrascht war, so sehr war Guy erstaunt wie gut sich Lucy in der Kampfkunst auskannte. Beide teilten sie dem anderen mit das dem so war und so kam es schließlich, das Lucy von ihrer Kindheit erzählte. Im Gegenzug berichtete Guy von der seinen. Knapp nur, denn es gab da einige Dinge in seinem Leben die er niemandem aufbürden wollte und die er sich selbst erst vergeben musste, bevor er anderen davon erzählte. Trotzdem lernte Lucy ihn zum ersten Mal erst richtig kennen.

Es gab vieles von dem sie gar nicht gewusst hatte. Zum Beispiel dass Guy halb Franzose war und Französisch sprechen konnte. Dass er sogar französisches Königsblut in seinen Adern hatte. Er stammte zwar von einer Nebenlinie ab, aber es war immer noch mehr als Lucy hatte. Da Guy jedoch seine Kindheit in Locksley verbracht hatte, schlug sein Herz für England. Lucy verstand endlich, warum Locksley für ihn eine solch Immense Bedeutung hatte.

Nach dem Essen lud Guy sie ein, sich vor dem Kaminfeuer niederzulassen und aus einem Buch zu lesen. Lucy nahm dankbar an und setzte sich auf das weiche Fell vor dem Feuer. Guy setzte sich in einen Stuhl und schlug ein Buch auf, dass er auf dem Kaminsims lag.

Es handelte von einem Ritter namens Parzival, der auszog um den Heiligen Gral zu suchen.

Irgendwann, die Nacht war bereits vorangeschritten, sagte Lucy unvermittelt: „Ich habe Eure Geschenke an die Armen verschenkt.“

Guy unterbrach die Lesung und sah sie unvermittelt an. „Ihr habt was?“, fragte er ruhig und ungläubig zugleich. Lucy sah ins Feuer und erklärte: „Ich dachte ich müsste im Schloss ersticken. All das Elend dass sich um Nottingham versammelt hat. Das einzige, dass ich geben konnte, waren meine Umhänge und den Schmuck.“ Dann sah sie ihm in die Augen. „Ich bereue nichts. Ich habe Euch immer gesagt, dass Ihr mir nichts schenken sollt“, stellte sie fest.

Sie wollte ihn nicht damit ärgern.

Es war einfach plötzlich über sie gekommen, dass er ihr immer entgegengekommen war. Er hatte sich um sie gekümmert als sie jemanden brauchte und hatte ihr immer wieder und wieder Geschenke überreicht. Sie wollte einmal ehrlich zu ihm sein. Ihm sagen was sie von diesen Geschenken wirklich hielt. Da er sie emotionslos ansah, vermutete sie, dass er so wütend war, dass er einfach keine Worte fand. Sie richtete ihren Blick wieder ins Feuer. „Ich verstehe wenn Ihr mir nichts mehr schenkt. Ich dachte nur, Ihr solltet endlich die Wahrheit über den Verbleib Eurer Geschenke wissen.“

Während sie weiterhin ins Feuer sah und vergeblich auf eine Antwort von Guy wartete, klappte dieser das Buch zu, stand auf und legte es zurück auf den Kaminsims. Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, drehte er sich um und ging in das kleine Gästezimmer, das er bewohnte.

Lucy schluckte hart.

Sie hatte ihr Wort anscheinend gebrochen.

So wütend war er noch nie gewesen. Er hatte immer noch irgendwelche Worte gefunden. Dass er sie anschwieg war eine unerträgliche Qual.

Doch dann kam er zurück und kniete neben ihr nieder. Lucy sah ihn fassungslos an und erkannte, dass er ein kleines, schön verarbeitetes Kästchen in der Hand hielt.

„Ich wusste schon immer dass Ihr meine Geschenke weiterverschenkt und ich habe deswegen nie aufgehört“, erklärte er weich und öffnete das Kästchen. Im inneren befand sich ein kleiner Gegenstand, den Lucy nur zu gut kannte. Hatte sie es doch erst vor zwei Monaten in Nottingham verloren. Während Lucy ungläubig hineingriff um ihre Haarspange herauszuholen, fügte Guy noch hinzu: „Ich hoffe noch immer, Euch etwas schenken zu können was Ihr nicht einfach wieder hergebt.“

Lucy war sprachlos und zu Tränen gerührt.

Die Haarspange gehörte zu einer anderen Spange, die sie von ihrer Mutter an ihrem letzten Geburtstag geschenkt bekommen hatte, bevor ihre Mutter an Typhus erkrankt und verstorben war. Zuerst hatte sie die eine verloren geglaubt, als sie als Nightwatchman unterwegs war und dann hatte sie die andere im Feuer verloren. Nun hatte sie wenigstens eine wieder. Dieses Geschenk bedeutete ihr mehr als sie mit Worten ausdrücken konnte.

„Danke Guy. Vielen Dank!“, rief sie aus und umarmte ihn dankbar. Als sie sich wieder von ihm entfernte, lächelte er. Ein Lächeln ohne Spott oder Amüsement.

Kurze Zeit darauf geleitete er Lucy zurück in die Kutsche, wünschte ihr eine gute Nacht und sah ihr durch den Schnee hinterher. Dieser Abend war für Guy das schönste Geschenk gewesen, das Lucy ihm hätte machen können. Sie hatten miteinander geredet und nicht gestritten, sie waren ehrlich zueinander gewesen und vor allem: sie hatte ihn mit ihrer Freude über sein Geschenk zum glücklichsten Mann in der Welt gemacht.

 


Kapitel 21: Rückkehr des Königs

 

Nach diesem Abend verging ein ganzer Monat, in dem nichts weiter geschah. Zwar sahen sich Guy und Lucy regelmäßig und Lucy bekam wieder regelmäßig kleine Präsente von Guy, aber diese Treffen verliefen höflich und distanziert. Sie stritten sich nicht, aber sie hatten auch keine tiefgründigen Unterhaltungen. Guy blieb immer gerade lange genug wie er konnte und bis Lucy wieder etwas besserer Stimmung war.

Wie Lucy erzählt hatte, war das Schloss eine einzige Tortur für sie. Sie konnte sich nicht frei bewegen, überall waren Wachen und verschiedene Räume waren für sie verboten, draußen litten die Menschen und sie konnte ihnen nicht mehr geben als sie hatte und schließlich gab es niemanden mit dem sie ihre Zeit verbringen konnte. Die wenigen Besuche von Guy und auch Robin waren die Highlights ihrer Tage.

Manchmal hatte Robin wieder irgendetwas im Schloss angestellt oder gestohlen und kam dann nur zu Lucy um schnell Hallo zu sagen, die Geschenke Guys mitzunehmen oder sich zu verstecken. Nicht selten kam kurz darauf ein wütender Guy, der sich in Lucys Gegenwart zusammenriss, sie höflich grüßte und weitereilte.

So schön der Schnee auch war, Lucy hatte ihn satt. Sie wollte endlich wieder lange ausreiten können und frische Luft schnappen. Früher, in Knighton Hall, waren die Winterabende angenehm gewesen. Sie konnte ausreiten und wenn ihr kalt war, kehrte sie heim und verbrachte den Abend vor dem Kamin mit ihrem Vater. Aber jetzt wurde sie beim Ausritt von Wachen begleitet und abends saß vor dem Kamin niemand außer sie selbst.

Es war daher nicht verwunderlich, dass Lucy am ersten, warmen Tag der den Frühling verkündete einen Ausritt über die Felder machte. Wachen hin oder her, sie wollte sehen ob der getaute Schnee bereits einigen Blumen den Weg frei gemacht hatte. Dabei kam sie im Dorf Kingsley vorbei. Ohne es beabsichtigt zu haben, hörte sie wie sich zwei Bauern unterhielten.

„Es wurde auch Zeit, dass er nach Hause kommt. Prince John hat uns-“, „Schhht, Soldaten des Scherriffs!“, zischte der eine dem anderen zu und unterbrach ihn damit wirsch. Lucy bedeutete den Wachen auf sie zu warten und sie stieg ab.

Sie wollte wissen um was es bei den Männern ging. Bei ihnen angelangt, grüßte sie und erklärte wer sie war und warum die Wachen bei ihr waren. Schließlich fragte sie frei heraus, von wem die Männer gesprochen hatten. Der, der so unfreundlich zu seinem Freund gewesen war, sah Lucy überrascht an und sagte: „Ich hatte angenommen, die Kunde wäre bereits in Nottingham angekommen. Der König kehrt aus dem Heiligen Land zurück. Er müsste bereits in England und auf dem Weg nach London sein, Lady Knighton.“

Lucy vergas zu atmen.

Konnte es wirklich sein? Hatte Robin mit seinen Bemühungen bereits Erfolg gehabt?

Sie bedankte sich hastig für die Information und sprang zurück zu ihrem Pferd um nach Nottingham zurückzukehren. Die Wachen folgten ihr.

In Nottingham hatte sich die Kunde bereits rumgesprochen und alle tuschelten aufgeregt. Viele waren froh und hofften auf ein baldiges Ende der Schreckensherrschaft. Lucy erreichte den Schlosshof und sprang aus dem Sattel, als Guy aus dem Tor gerannt kam und sie entdeckte. Er lächelte und eilte sofort zu ihr.

„Wo wart Ihr?“, fragte er und wartete keine Antwort ab. „Der König ist in England angekommen. Momentan entladen sie noch die Schiffe, aber es wird nicht mehr lange dauern und er wird England wieder regieren. Wir müssen heiraten bevor es soweit ist“, schloss er seine Ausführungen. Lucy wurde Bang ums Herz. „Aber wir können doch nicht…“, begann sie und er schnitt ihr das Wort ab. „Ich habe keine Zeit, der Scherriff hat mich beauftragt Hood eine letzte Falle zu stellen. Ich werde alles in die Wege leiten, sodass wir bereits morgen heiraten können. Bis dahin-“, er sah sie liebevoll an, „Verweilt mein Herz bei Euch.“ Er beugte sich vor und hauchte ihr einen Kuss auf die Wange. Entweder ignorierte er es einfach, oder er hatte nicht bemerkt wie Lucy ihren Kopf weggedreht hatte. Er bestieg sein Pferd und ritt mit seinen Soldaten davon.

Lucy verlor keine Zeit und packte alles was sie besaß in schwere Holztruhen, als es klopfte und der Scherriff eintrat. „Mylady, ich habe von der frohen Botschaft gehört“, flötete er und ging auf und ab. Sein Blick glitt über die Truhen die Lucy zu füllen begonnen hatte. Obwohl Lucy den Scherriff gerne wegen seines Betragens angefaucht hätte, schwieg sie betreten. „Offensichtlich seid Ihr die einzige im gesamten Shire die sich nicht über die Rückkehr des Königs freut“, stellte der Scherriff fest. Lucy blieb ihm die Antwort schuldig. Auch wenn sie sicher war, dass er gar keine Antwort hören wollte.

„Ich bin sofort hergekommen um persönlich sicher zu gehen, dass Gisbornes Verlobte nicht das Weite sucht. Er ist da immer etwas sehr vertrauensselig“, erklärte der Scherriff und verließ das Zimmer. Lucy hörte mit drohender Ohnmacht, wie der Scherriff die schwere Türe von außen verschloss. Panisch rannte sie zur Türe und trommelte wie wild darauf ein. „Ihr könnt mich doch nicht einsperren wie eine Gefangene!“, rief sie und hörte nur die Schritte des Scherriffs wie er sich von der Türe entfernte.

Ohne Zeit zu verlieren, drehte sie sich um und rannte zum Fenster. Sie stieß es auf und warf einen Blick nach unten und anschließend nach oben. Doch leider vergebens. Die Mauern waren zu glatt und vor allem zu hoch um einfach zu springen. Das würde sie nicht überleben. Natürlich würde sie lieber sterben als Guys Frau zu werden, aber Selbstmord war keine Lösung.

Wütend schrie sie aus dem Fenster und zog sich dann wieder zurück.

Sobald sie wieder aus diesem Zimmer konnte, würde sie eine andere Möglichkeit suchen um frei zu kommen.

Aber vielleicht…

Und dieses kleine Wörtchen veränderte schon die gesamte Sichtweiße.

Vielleicht würde sie es einfach ertragen können.

Vielleicht würde sie Guy heiraten und ihn irgendwie als ihren Ehemann akzeptieren können.

Sie hatte im vergangenen Monat viel Zeit mit ihm verbracht und spätestens seit dem Heiligen Abend hatte sie so etwas wie Freundschaft für diesen Mann empfunden. Sie war nicht die erste Frau die einen Mann heiraten würde, den sie nicht liebte. Wenigstens war sie schon soweit den Gedanken an die Hochzeit ertragen zu können.

 


Kapitel 22: Hochzeit

 

Der nächste Tag brach an und Lucy hatte kein Auge zugetan. Als die Wachen kamen und Mägde in ihr Zimmer ließen, die ihr dabei halfen sich für die Hochzeit anzukleiden, fand Lucy keinen Fluchtweg. Sie trug ein weißes Unterkleid und darüber ein eng geschnürtes Mieder. Darüber trug sie ein hellbraunes Kleid, das ihre Figur umschmeichelte und im Kerzenschein golden glänzte. Zu guter Letzt wurden ihre roten Locken nach oben gesteckt und ihr Kopf mit einem weißen, spitzenbesetzten Tuch bedeckt, sodass der Bräutigam die Braut erst nach der Trauung richtig ansehen konnte.

So wurde sie von den Wachen des Scherriffs in eine Kutsche verfrachtet und auf dem Weg nach Locksley eskortiert. Inständig hoffte Lucy, dass der Treck von Robin aufgehalten werden würde, aber alles verlief ohne weitere Zwischenfälle. Sehr zum Leidwesen von Lucy.

In Locksley angelangt, kam Guy sofort auf die Kutsche zu und bot ihr seine Hand für den Ausstieg an. Lucy ignorierte seine Hand und kletterte selbst heraus.

„Es bringt Unglück die Braut vor der Trauung zu sehen“, stellte sie nüchtern fest. Guy blinzelte und sagte nur „Oh?“

Unwillkürlich musste sie lächeln und sie war froh, dass er ihr Gesicht dank des Schleiers nicht genau ausmachen konnte. „Ihr wart wohl noch nie auf einer Hochzeit?“, fragte sie neugierig und sein betretenes Schweigen war ihr Antwort genug. Etwas gütiger erklärte sie ihm: „Ihr müsst vor dem Altar auf mich warten.“

Sie nickte in Richtung der kleinen Kapelle. Guy lächelte unsicher und verbeugte sich leicht, bevor er sich umdrehte und seinen Weg zur Kirche antrat. Lucy war versucht die Beine in die Hand zu nehmen und zu rennen, als sich bereits die Bauern aus Locksley um sie versammelten.

Jeder von ihnen trug seine festlichsten Gewänder und lächelten sie fröhlich an. Bald war sie von guten Wünschen und Glücksbezeugungen überhäuft. Irgendwie freuten sich die Menschen für sie, auch wenn sie einen Mann heiraten würde, der diesen Menschen mehr als verhasst war. Selbst der Hausdiener Jonathan, der Robin früher gedient hatte, wünschte ihr alles Liebe und Gute zu ihrem Hochzeitstag.

Lucy mochte den alten Mann und bat ihn daher um eine kurze Unterredung. Er nickte, hakte sie bei sich unter und ging ein Stück am See entlang.

„Was bedrückt Euch?“, fragte er ohne Umschweife. Lucy erklärte ihm, dass sie nicht verstehen könne, wie sich die Bauern aus Locksley für sie freuen konnten, wo sie und auch sie selbst diesen Mann verachteten. „Wie ist es möglich, dass mir diese wesensguten Männer und Frauen zu meiner Hochzeit mit Sir Guy gratulieren, wo sie ihn hassen? Wo ich ihn selbst hasse?“, fragte sie verwirrt. Jonathan lächelte verständnisvoll.

„Ihr seht es von der falschen Warte aus, Mylady“, erklärte er ihr besonnen. „Ihr denkt, dass dieser Mann schlecht ist und sich das schlechte auf die Ehe und Euch übertragen wird, aber die Menschen aus diesem Dorf haben auch die andere Seite gesehen.“

„Welche andere Seite?“, fragte Lucy bitter.

Jonathan blieb stehen und sah sie eindringlich an. „Wir glauben, dass Ihr eine gütige und gerechte Frau seid und dass sich das auf die Ehe und auf Sir Gisborne auswirken wird als das schlechte. Das habt Ihr am Heiligen Abend bewiesen. Es war ein wirklich freudiges Fest dieses Jahr. Das erste seit vielen Jahren und die Menschen hoffen, dass es mit Euch an seiner Seite und King Richards Rückkehr auf den Thron wieder viele dieser Freuden geben wird. Deswegen sind all ihre guten Wünsche bei Euch“, berichtete er.

In Lucys Augen traten Tränen.

Wieder einmal hatte sie nur an sich selbst gedacht.

Jonathan hatte Recht und seine Worte berührten sie tief.

„Danke“, brachte sie leise hervor und umarmte ihn herzlich.

Jonathan wusste von den Schicksalsschlägen in Lucys Leben und wollte, dass sich das veränderte. Wie er vermutet hatte, war sie mit ihren Gedanken seit dem Tod ihres Vaters alleine und hatte sein Zureden jetzt wirklich gebraucht.

„Würdet Ihr mir die Ehre erweisen Euch an Eures Vaters Stelle in die Kirche zu führen?“, wagte er zu fragen und bot ihr seinen Arm dar.

Lucy nickte dankbar, strich sich ihre Tränen aus dem Gesicht und hakte sich ein.

Sie war eine starke Frau und hatte bisher alles überstanden. Sie würde auch diese Hochzeit überstehen und vielleicht hatte Jonathan Recht. Sie würde endlich wieder etwas Gutes tun können, schon allein weil sie nun in Locksley residieren würde und nicht mehr länger im Schloss. Der Gedanke daran diese Gruft verlassen zu können, beflügelte sie schon fast.

Im inneren der Kapelle hatten sich bereits alle Menschen der Umgebung versammelt. Vorne standen die Adligen die mit ihrer Familie befreundet waren und auch einige, die sich bei Guy immer gut stellten. Vor dem Altar stand Guy, in seiner schwarzen Lederhose, einer schwarzen Tunika und einem ledernen Wams darüber. Er wandte sich ihr zu und lies seine Arme augenblicklich fallen.

Jonathan geleitete Lucy bis an den Altar, übergab ihre Hand Guy und trat zu den anderen Menschen zurück.

Der Priester hielt eine kurze Rede über das heilige Eheversprechen und kam dann zu seiner Frage, die er einem leicht lächelnden Guy stellte: „Wollt Ihr, Sir Guy von Gisborne, die junge Lady Lucille von Knighton lieben und ehren, bis das der Tod Euch scheide?“

„Ja, ich will“, antwortete Guy mit seiner tiefen Stimme gefasst und blinzelte nicht einmal als er ihr in die Augen sah.

„Und wollt Ihr, Lady Lucille von Knighton, Sir Guy von Gisborne lieben und ehren, bis das der Tod Euch scheide?“, wurde die Frage an Lucy gerichtet. Guy war offensichtlich nervös wegen ihrer anstehenden Antwort, denn Lucy antwortete nicht gleich. Sie sah noch ein letztes Mal hilfesuchend in die Menge.

Jonathan lächelte sie aufmunternd an und alle anderen zierten eine hoffnungsvolle Mine.

„Ja, ich will“, erklärte Lucy leise aber dennoch hörbar und senkte den Blick.

Sie hatte ja gesagt und das ohne dass sie jemand dazu gezwungen hatte. Obwohl sich Guy bewusst darüber war, dass sie nicht ganz freiwillig hier stand, machten diese drei Worte ihn zum zweiten Mal zum glücklichsten Mann der Welt. Er hätte sie am liebsten sofort geküsst und nie wieder losgelassen.

„Hiermit erkläre ich die beiden zu Mann und Weib! Ihr dürft ihr den Ring anstecken“, wies der Priester Guy an, der aus seiner Hosentasche einen einfachen, aber schönen Ring mit grünen Smaragden hervorholte und auf ihren Ringfinger schob.

Als Guy den Schleier von Lucys Gesicht anhob um sie zu küssen, brachen sogar ein paar Frauen in Tränen aus vor Freude.

Der Kuss war eine reine Formalität.

Zwar berührte Guy ihre Lippen, aber nur für wenige Sekunden, dann war er schon wieder weg. Trotzdem konnte Lucy spüren, dass er angespannt war.

Er geleitete sie hinaus vor die Kirche, wo das Fest stattfinden sollte. Alles war vorbereitet und die Musiker begannen zu spielen. Insgesamt, das gestand sich Lucy ein, war es ein schönes Fest und alle freuten sich über das reichliche Essen, die gute Stimmung und die Musik. Nur stellte sich einfach kein Hochgefühl bei ihr ein.

Sie fühlte sich verkauft, nicht verliebt.

 


Kapitel 23: Hochzeitsnacht

 

Das Hochzeitsfest dauerte den ganzen Tag an und es begann bereits zu dämmern, als noch immer kein Ende in Sicht war. Guy und Lucy hatten kaum ein Wort gewechselt und schweigend das Mahl genossen, während alle anderen sich köstlich über Geschichten über die Ehen amüsierten.

Später hielt es Lucy nicht mehr aus und sie nutzte die Gelegenheit und verschwand von Guys Seite an der Hochzeitstafel, um mit den Kindern aus dem Dorf zu tanzen.

Guy verschränkte die Arme auf dem Tisch und ruhte sein Kinn darauf, während er seiner frischgebackenen Frau dabei zusah, wie sie einen Jungen und ein Mädchen an der Hand nahm und mit ihnen hin und her tanzte. Sie hatte ihren Schleier, den sie nun nicht mehr benötigte abgenommen und ihre roten Locken hatten sich gelöst. Während nicht nur ihr goldbraunes Kleid im Wind wehte, wallten auch ihre Haare um sie herum.

Seitdem sie erfahren hatte, dass der König zurückgekehrt war, hatten ihre Augen nicht mehr so freudestrahlend geleuchtet, wie jetzt als sie mit den Kindern umherhüpfte. Für Guy war klar, dass sie eine wundervolle Mutter werden würde und je eher, desto besser.

Er wusste, dass er sie niemals so glücklich machen könnte wie diese Bauernkinder.

Natürlich hatten sie es bereits weit geschafft. Er würde sogar sagen, dass sie ihm seit geraumer Zeit so etwas wie Freundschaft oder Dankbarkeit entgegenbrachte, aber er war sich nie sicher, wie lange das anhalten würde. Es lag nicht nur an ihren Launen, sondern auch an der vertrackten Situation mit dem Scherriff. Er diente dem Scherriff und wollte es auch so, denn bei ihm hatte er echte Aussichten auf Ansehen, Besitz und eine gute Position. Nur war Lucy der Scherriff und alles was sich um ihn herum abspielte verhasst.

Was auch immer Guy tat, seine Arbeit und seine Familie würde sich niemals verbinden lassen.

Er schmunzelte in sich hinein.

Sie war jetzt seine Familie.

Immerhin das hatte er erreichen können.

Unruhe bereitete sich aus, als jemand wie wild die Alarmglocke des Dorfes betätigte und schrie. Guy stand auf und rannte so schnell er konnte zu der Person, ebenso wie alle anderen auf dem Fest ebenfalls.

Als die gesamte Festgesellschaft auf dem Dorfplatz ankam, erkannte Guy mit aufkeimender Wut, dass einer von Hoods Leuten die Feier störte. Er wurde jedoch augenblicklich blas als er verstand, was der Mann rief.

„König Richard war ein Scharlatan, der vom Scherriff beauftragt wurde um seine Feinde aufzuspüren und hinrichten zu lassen! König Richard war ein Scharlatan…“, rief Much weiter und betätigte unaufhörlich die Glocke.

Guy wollte seinen Wachen befehlen ihn zu ergreifen, als ihm das Wort im Halse stecken blieb. Lucy hatte sich in der Menge vor Guy zu ihm gedreht und funkelte ihn zornig und enttäuscht an.

„Lucy…“, begann Guy eine Erklärung und wollte auf sie zugehen, als sie ihr Kleid raffte und sich davonmachte. Sofort stieb Guy ihr nach und folgte ihr. Die Bauern um sie herum raunten ängstlich und es war schnell klar, dass das Fest beendet war. Much rief seinen Satz ein letztes Mal und spurtete los um den herannahenden Wachen zu entkommen.

Lucy war bereits im Haus verschwunden, als Guy sie endlich erreichte.

Im inneren hatte sie sich ihm zugedreht und hielt ein Schwert auf ihn gerichtet.

„Kommt mir bloß nicht näher!“, rief sie aufgebracht.

„Lucy, lass es mich erklären-“, aber Lucy schwang das Schwert und hätte ihn fast erwischt, wenn er nicht augenblicklich nach hinten ausgewichen wäre. „Ihr habt von dieser ganzen Geschichte gewusst! Ihr wusstet, dass dieser König nicht echt war und habt es genutzt um mich zu heiraten! Wie konntet Ihr nur so etwas tun?“, rief Lucy hysterisch aus. Guy breitete seine Arme aus, um ihr zu zeigen, dass er keine Waffen trug und wehrlos war. Außerdem hoffte er, sie damit beruhigen zu können.

„Ich habe nichts gewusst. Ich bin ebenso überrascht wie du, das musst du mir einfach glauben“, erklärte er ruhig und trat einen Schritt vor. Lucy schrie: „Bleibt stehen oder ich schwöre ich bin noch vor dem Morgengrauen eine Witwe!“ Guy blieb stehen.

„Ich habe dir schon vieles angetan, aber ich habe dich nie belogen. Ich war immer ehrlich oder nicht?“, gab er zu bedenken. Lucy schluckte hart und blinzelte. „Woher soll ich das wissen? Immerhin habt auch Ihr verschiedenes einfach nicht erwähnt. Wie zum Beispiel, dass Ihr wusstet dass ich der Nightwatchman bin!“ Guy nickte bedächtig erklärte aber: „Stimmt, aber ich schwöre ich habe dich nie belogen. Gestern erst habe ich dir selbst gesagt, dass der König zurück sei. Ich hätte gelogen wenn ich da gewusst hätte was wirklich geschah. Der Scherriff hat mich beauftragt Hood mit einer Falle zu beschäftigen und das habe ich auch ausgeführt. Offensichtlich sollte ich Hood damit aufhalten die Wahrheit herauszufinden und den Menschen davon zu erzählen.“

Er versuchte noch einmal einen Schritt auf sie zuzugehen und Lucy schwang ihr Schwert. Bevor sie ihn jedoch berühren konnte, sagte er: „Ich werde nicht ausweichen. Töte mich wenn du musst, aber ich sage die Wahrheit.“

Lucy hielt das Schwert auf, bevor es ihn berühren konnte und sah Guy nur tief verletzt an. „Ihr würdet mir alles erzählen um Euch herauszuwinden. Ich kann die Wahrheit nicht erfahren, wie soll ich Euch da jemals vertrauen können?“, fragte sie leise und lies das Schwert sinken.

Guy senkte die Arme und kam ihr nicht näher.

„Meine Unschuld kann ich dir nicht beweisen. Das kann niemand, du hast Recht. Ich kann nur hoffen, dass du irgendwann erkennst, dass ich nichts mit dieser Sache zu tun hatte. Bis dahin biete ich dir an, mich von dir fern zu halten“, erklärte Guy leise und senkte geschlagen den Blick. Lucy traute ihren Ohren kaum. „Du bist die Lady Gisborne und wir sind verheiratet, aber ich schwöre, ich werde das Bett nicht mit dir teilen und dich auch sonst auf keine Weise berühren oder dir nahe kommen. Ich weiß du hasst mich und ich kann sogar verstehen warum, umso mehr war ich überrascht, dass du mich vor dem Altar nicht einfach stehen lassen hast. Das ist das einzige was ich tun kann, um zu zeigen, dass ich dich nicht auf diese Weise heiraten wollte“, meinte Guy und richtete seinen Blick wieder auf sie.

Lucy legte das Schwert wieder dahin zurück, wo sie es her hatte und meinte kalt: „Gut, das soll mir recht sein. Auch wenn ich die Wahrheit nie herausfinden kann, werde ich dieses Angebot annehmen.“ Dann raffte sie ihr Kleid ein weiteres Mal und wollte nach oben in das große Schlafgemach gehen. Auf dem Treppenabsatz blieb sie stehen und sagte ohne sich umzudrehen: „Vergesst diesen Schwur niemals oder Ihr werdet mich kennen lernen und dann Gnade Gott eurer Seele.“ Mit stolzen Schritten ging Lucy nach oben und ließ Guy alleine zurück.

Dieser kochte vor Wut.

Nicht wegen Lucy, sondern wegen des Scherriffs.

Wie konnte der Scherriff sich so etwas ausdenken und ihn nicht darüber informieren? Wenn er gewusst hätte, dass King Richard nicht echt war, hätte er Lucy eingeweiht. Er hätte sie niemals geheiratet, es sei denn sie hätte ihn trotzdem heiraten wollen. Jetzt war alles zerstört. Das würde er niemals in Ordnung bringen können. Obwohl er mit der Frau seiner schlaflosen Nächte verheiratet war, war er ihr jetzt so fern wie noch niemals zuvor.

Frustriert lenkte Guy seine Schritte zum kleinen Gästezimmer im Erdgeschoss.


Kapitel 24: Frühlingsblumen

 

Die ersten Tage ließ sich Lucy nicht einmal blicken. Guy war immer schon früh wach und beorderte jeden Tag den Mägden, das Essen auf ihr Zimmer zu bringen, bevor er das Haus verließ. Erst am Abend, wurde er darüber informiert, dass Lucy weder etwas gegessen, noch das Zimmer verlassen hatte. Obwohl er sich sorgen machte, dass sie sich zu Tode hungerte, wagte er es nicht nach oben zu gehen und mit ihr zu reden.

Er akzeptierte ihr Verhalten und wies die Mägde immer wieder von neuem an Essen vorbeizubringen. Irgendwann versuchte Jonathan es selbst und war, zu Guys Überraschung, erfolgreich. Abends berichtete Jonathan seinem Herrn pflichtbewusst: „Sie hat nicht viel mit mir geredet. Sich hauptsächlich für das Essen bedankt und es hastig runtergeschlungen.“ Guy, der in einem Stuhl vor dem Feuer saß, nickte und winkte Jonathan davon. Das war alles was er wissen wollte. Dass sie wieder etwas aß. Mehr konnte er nicht tun.

Weitere Tage vergingen, in denen Lucy das Zimmer nicht verließ. Was Guy nicht wusste war, dass Jonathan sein bestes versuchte mit Lucy zu reden. Er wollte sie nicht von Guys Unschuld überzeugen, denn er selbst wusste auch nicht was wahr war und was nicht. Jonathan beabsichtigte, sie dazu zu bringen endlich die Zügel in die Hand zu nehmen.

„Sir Gisborne ist jeden Tag beim Scherriff und kommt nur selten mittags vorbei um seine Kleidung und Waffen zu wechseln. Ihr könnt Euch also frei bewegen, ausreiten oder irgendetwas an diesem Haus verändern. Ich weiß, dass ihr Blumen liebt. Der Frühling lässt die Natur wieder erblühen, freut Euch darüber“, hatte Jonathan mehr als einmal gesagt. Doch nach einer weiteren Woche riss auch ihm der Geduldsfaden. „Mylady! Ihr müsst leben. Wollt Ihr für den Rest Eures Lebens in diesem Zimmer sitzen?!“, rief er einmal laut und sah augenblicklich betreten drein. „Es tut mir Leid, Mylady.“

Lucy war zusammengefahren und sah Jonathan das erste Mal wieder richtig an. Sie hatte seit vielen Tagen nichts anderes getan, als zu sticken oder im Bett zu liegen. Nachts hatte sie immer einen Stuhl vor die Zimmertüre gestellt, damit niemand während der Nachtruhe zu ihr kam. Sie traute Guy nicht mehr.

„Ihr habt Recht Jonathan. Ich würde wirklich gerne mal wieder ausreiten“, stellte sie langsam fest und stand auf. „Ja, das sollte ich wirklich tun.“

Kurze Zeit später hatte sie sich in den Sattel ihres geliebten Pferdes geschwungen und preschte durch die Felder.

Die kühle Frühlingsluft belebte ihre Sinne und sie fühlte wieder neue Kraft in sich aufsteigen. Sie überstand alles. Sie hatte diese Kraft, weil es immer noch Menschen gab, denen es schlechter gingen als ihr.

Da Jonathan Guy jeden Abend berichtete, wie es Lucy ging, versuchte dieser sie milde zu stimmen, indem er sich weiterhin Tagsüber vom Haus fernhielt und ab und zu ein kleines Geschenk für sie da ließ. An einem Tag war es Geschmeide, am nächsten ein Kleid, am nächsten ein Buch und wieder am nächsten ein Pferd. Bis auf das Pferd und das Buch, verschenkte Lucy alles weiter. Entweder gab sie die Kleider den Frauen im Dorf, oder sie verkaufte das Geschmeide und kaufte Essen für Hungernde. Abends las Lucy in den Büchern die sie geschenkt bekam.

Nicht weil sie diese schätzte, sondern um die Abendstunden in denen Guy das Haus bewohnte, zu überbrücken.

Mit Freuden stellte Lucy fest, dass Guy nicht einmal versucht hatte sie zu sehen oder zu sprechen. Selbst als sie in Nottingham war um eine Halskette und Ohrringe zu verkaufen. Er war zu Fuß unterwegs und blieb stehen als er sie erkannte. Mit einem kurzen, unsicheren lächeln sah er was sie tat und nickte knapp, bevor er wortlos vorbeiging. Lucy hatte befürchtet er würde etwas sagen oder aufhören ihr Geschenke zu machen, aber beides war unnötig. Im Gegenteil, die Schmuck- und Kleidergeschenke wurden sogar häufiger.

Irgendwann kam in Lucy eine Idee auf.

Auf ihren Ausritten mit dem neuen Pferd, welches nicht nur wunderschön weiß, sondern auch stark und temperamentvoll war, war ihr aufgefallen, wie viele Kinder ihre Eltern wegen Krankheiten und Hungersnöte verloren hatten. Die Klöster der Umgebung waren überfüllt und auf die wenigen Spenden der Menschen angewiesen. Doch das war nicht genug. Die Kinder hausten teilweise wie Wilde im Wald und überfielen jeden der ihnen über den Weg lief. Robin hatte seine liebe Not mit diesen jungen Konkurrenten.

Doch für ihr Vorhaben benötigte sie eine Menge Geld.

Natürlich hatte sie noch immer ihr Einkommen aus den Erträgen der Felder von Knighton Hall, aber es würde nicht reichen. Daher begann sie den Schmuck und die Kleider nicht mehr zu versetzen, sondern anzusparen.

Fast wie aufs Stichwort, kam sie eines Morgens nach unten in den Wohnsaal des Hauses um zu frühstücken, als sie Guy gewahr wurde. Er stand in seiner üblichen Ledermontur und mit verschränkten Armen am Esstisch und wartete offensichtlich auf sie. Lucy blieb auf der Treppe stehen und sah ihn nur abwartend an.

Blinzelnd und offensichtlich nervös, lies er seine Arme fallen und erklärte: „Ich weiß, ich habe dir gesagt, dass ich mich von dir fern hallte, aber reden darf ich doch, oder?“ Lucy antwortete nicht, nickte aber gnädig. „Der Nebel beginnt sich zu lichten und da der Himmel wolkenlos ist, wollte ich dich fragen ob du mir bei einem Picknick Gesellschaft leistest“, fragte er und deutete auf einen Korb mit Essen und einer weichen, grünen Stoffdecke nahe der Türe.

Langsam kam Lucy die restlichen Stufen herunter.

„Wo wollt Ihr den picknicken? Was ist mir Euren Wachen und hat der Scherriff heute keine Verwendung für Euch?“, fragte sie kühler als sie beabsichtigt hatte. Guy gab ihr bereitwillig Antwort, auch wenn seine Lippen etwas schlechtgelaunt zuckten: „Ich wollte mit dir auf die Anhöhe hinter Locksley, direkt vor dem kleinen Waldstück. Die Wachen dienen heute dem Scherriff, der sich mit den Steuern gerade persönlich auf dem Weg nach London begeben hat. Ich vermute er will sich bei Prince John nach einigen Eskapaden wieder gut stellen.“

Er schwenkte beide Arme Richtung Türe und zog fragend eine Augenbraue nach oben als er noch einmal fragte: „Kommst du mit?“

Lucy ging an ihm vorbei zur Türe, nahm die Decke vom Korb und ging voran. Guy lächelte erleichtert und folgte ihr sofort. Nicht jedoch ohne den Korb vorher zu ergreifen.

Auf der Anhöhe bereitete Lucy die Decke aus und lies sich darauf nieder. Guy ebenso, achtete aber bedächtig darauf, Lucy nicht zu nahe zu kommen. Gemeinsam nahmen sie etwas von dem Frühstück zu sich und begannen sich irgendwann miteinander zu unterhalten.

Es war noch nicht dieselbe Unterhaltungsqualität wie am Heiligen Abend, aber für Guy war es erst einmal mehr als er sich erhofft hatte. Gegen Mittag gingen sie wieder zurück und verbrachten den Rest des Tages getrennt voneinander. Lucy ritt aus, Guy übte den Schwertkampf.

Am folgenden Tag war es ähnlich. Sie picknickten auf der Anhöhe, dann kümmerte sich Lucy um ein neu entstandenes Blumenbeet vor dem Haus und Guy ritt aus. Die Abende verbrachten sie getrennt in ihren Zimmern.

So ging es weitere zwei Tage zu, bis Guy beiläufig erwähnte, dass er das Blumenbeet vor dem Haus wunderschön gediehen fand. Dass Frühlingsblumen seine Lieblingsblumen waren. Lucy lächelte und erklärte: „Das sind auch meine Lieblingsblumen. Sie sind die ersten die nach einem langen, kahlen Winter blühen und der Welt neue Farbe verleihen. Nichts könnte die Wiedergeburt der Natur so deutlich unterstreichen wie Frühlingsblumen.“

 


Kapitel 25: Waisenhaus

 

„Du bist meine persönliche Frühlingsblume“, platzte Guy einfach heraus. Lucy sah ihn mit gemischten Gefühlen an. „Sir Guy…“, begann sie sachte und er hob nur die Hand.

„Bitte, lass mich ausreden“, bat er sie und sie schloss wieder ihren Mund.

„Ich habe erkannt, dass ich durch all meine Taten eine Wand aus Eis um mein Herz gebaut habe. Ich dachte alles wäre in mir gestorben. Aber als du in meine Welt getreten bist, hast du diese Wand zum Schmelzen gebracht. Zuerst war ich mir nicht sicher ob mir gefiel was du da mit mir angestellt hast, aber spätestens seit wir so lange nicht mehr miteinander geredet haben, bin ich mir sicher, dass ich nie wieder so fühlen möchte“, erzählte er hastig und hätte am liebsten seine Hand auf die ihre gelegt. Aber er erinnerte sich an seinen Schwur.

„Ich würde alles tun, nur damit ich nie wieder Winter in meinem Herzen verspüre. Hilf mir, was kann ich tun?“, flehte er sie an.

Lucy war wegen seiner Worte tief berührt und sie wollte ehrlich sein. „Ich kann Euch nicht sagen was Ihr tun könntet. Ich verstehe ja bis heute nicht, wie Ihr so tiefe Gefühle für mich hegen könnt, wo ich Euch stets abgewiesen habe. Weder kann ich Eure Arbeit für den Scherriff akzeptieren, noch Eure Freude am Unglück anderer. Eure Selbstüberschätzung, Eure Arroganz und Eure Grausamkeit sind keine lobenswerten Eigenschaften und doch…“, sie schluckte „Habt Ihr es geschafft mich immer wieder mit Eurer guten Seite zu überraschen. Für mich da zu sein wenn ich Euch gebraucht habe und das ohne etwas dafür zu verlangen. Deswegen kann ich einfach nicht glauben, dass Ihr diese Heirat so schändlich in die Wege geführt haben sollt.“ Guy wollte etwas darauf sagen, aber Lucy unterbrach ihn, bevor er etwas über die Lippen brachte.

„Vor allem aber vermisse ich tatsächlich die alten Zeiten. Wenn wir uns gestritten haben und Ihr mich trotzdem unterstützt habt. Aus diesem Grund habe ich eine Bitte an Euch“, endete sie.

Guy erklärte sofort, dass er ihr alles erfüllen würde.

„Gebt mir die Möglichkeit ein Waisenhaus in Locksley aufzubauen“, verlangte sie.

Guy stutzte kurz und wog seine Antwort ab.

Wenn er sie unterstützte, wäre diese Waisenhaus-Sache auch irgendwie sein Problem. Wenn der Scherriff erfuhr, dass sich Guy von Lucy so leicht ausnutzen lies, könnte dies zu einem großen Problem werden. Lucy wusste worüber Guy nachdachte und drängte ihn nicht weiter. Damit würde er erst einmal eine Weile brauchen.

„Gut“, sagte er schlagartig und Lucy zwinkerte verblüfft. „Wie bitte?“

„Einverstanden, ich werde dir dabei helfen ein Waisenhaus zu eröffnen. Ich werde dir nicht nur das Geld geben, sondern dir bei der Planung und der Umsetzung zur Hand gehen, dafür verlange ich nur eine einzige Sache im Gegenzug“, fügte er leiser hinzu.

Lucy runzelte die Stirn, fragte aber was er von ihr wollte.

Guy sah ihr direkt in die Augen und sagte: „Verbring wieder mehr Zeit mit mir. Iss mit mir, sprich mit mir, lies mit mir oder meinetwegen streite dich mit mir, aber bitte geh mir nie wieder aus dem Weg oder schweig mich an.“

Sie musste nicht lange nachdenken. Der Preis für das Waisenhaus war völlig akzeptabel, es war sogar mehr als sie sich erträumt hatte. „Einverstanden.“

Die nächsten Wochen waren Sir und Lady Gisborne damit beschäftigt die Bewohner Locksleys zu verwirren, indem sie eine leerstehende Scheune umbauten und die Waisen der Umgebung darin einquartierten. Es waren genügend Betten vorhanden, eine Feuerstelle und ein langer Tisch, an dem alle Kinder Platz hatten. Zusätzlich wurden die Kinder von Müttern der Umgebung betreut, die für ihre Arbeit im Waisenhaus bezahlt wurden.

Das Waisenhaus war noch nicht perfekt, aber Lucy war sich sicher, dass sie es irgendwann soweit hatte, dass sie damit zufrieden sein konnte.

Guy und Lucy verbrachten nicht nur beim Umbau der Scheune viel Zeit miteinander, sondern auch zu fast jeder Stunde des Tages. Der Scherriff würde noch weitere Wochen in London verweilen und solange Guy das sagen hatte, ging es in Nottingham wieder einigermaßen voran. Da Guy viel Zeit Zuhause verbrachte, gingen zwar die Steuern etwas zurück, aber dafür begann der Markt in Nottingham wieder zu blühen. Sogar Robin schien eine kleine Auszeit von seinen Raubzügen zu nehmen.

Wie Lucy bald erfuhr, war er nach York zu Marian geritten um etwas mehr Zeit mit ihr zu verbringen.

Guy war sich bewusst, dass der Scherriff toben würde, wenn er wiederkam und seine Schatztruhen nicht so viel Gold aufwiesen wie er es erwartet hatte, aber ihm war der Scherriff egal. Er war nach drei Jahren endlich zu dem Entschluss gekommen, dass er ihn nicht mochte. Solange er Lucy an seiner Seite hatte, würde er sich mit jedem anlegen.

Irgendwann war es sogar soweit, dass sie wieder einen freundschaftlichen Umgang pflegten. Auch wenn Lucy ihn noch immer höflich und distanziert anredete, hatte sie einmal schallend darüber lachen müssen als er sich mit dem Hammer auf den Daumen gehauen hatte.

Sie hatten vor die Fenster des Waisenhauses Blumenkästen angebracht. Guy hatte die Kästen gezimmert und Lucy hatte sie mit Blumen gefüllt. Als sie aus der Hocke aufgestanden war um den Kasten an die Eisenvorrichtung zu hängen, war Guy etwas von ihrem kurvigen Hinterteil abgelenkt gewesen. Prompt hatte er danebengehauen und sich verletzt. Lucy hatte nicht mitbekommen, dass er sie beobachtet hatte, aber die Tatsache, dass er beim letzten Kasten erst danebengeschlagen hatte war einfach zu viel für sie gewesen. Guy hatte sie noch nie so lachen hören und er grinste sie schräg an.

Natürlich freute er sich darüber, dass sie wieder ungezwungener miteinander umgingen und sogar so viel Zeit miteinander verbrachten wie niemals zuvor, trotzdem lastete sein Eid schwer auf ihm. Jedes Mal wenn er Zeit hatte, beobachtete er sie. Ihre Augen, ihre Haare, ihre Lippen und ihren Körper. Er wollte sie so unbedingt berühren und fühlte sich jeden Abend, wenn er alleine in seinem Bett lag so unzufrieden, dass er schon mehr als einmal vor ihrer Zimmertüre gestanden hatte.

Nur gestanden.

Er wagte es nicht zu klopfen oder einfach einzutreten. Aber das Wissen, dass sie hinter dieser Türe schlummerte, war beruhigend für ihn. Dann trollte er sich irgendwann und ging seinerseits schlafen.

 


Kapitel 26:

 

Lucy genoss die Tage wie schon seit vielen Monaten nicht mehr. Sie hatte Tagsüber viel zu tun, half den Waisenkindern, verbrachte Zeit mit Guy, der nicht einmal auf Tuchfühlung gegangen war und nachts schlief sie so gut wie noch nie. Sie hatte sogar so viel Vertrauen zu Guy aufgebaut, dass sie den Stuhl nicht mehr vor die Türe stellte. Er hatte viele Gelegenheiten gehabt und in keiner einzigen Sekunde genutzt. Schon alleine die Tatsache, dass er Nottingham nicht mit eiserner Hand regierte wie der Scherriff zeigte ihr, dass er mit diesem falschen König nichts zu tun gehabt haben konnte. Er begann sich gegen den Scherriff zu wenden, indem er dem Shire die Zeit gab sich selbst zu heilen.

So sehr sie auch versuchte, sie konnte einfach nicht glauben, dass der Guy, der sich hier so aufopferte, dafür verantwortlich war, dass sie fälschlicherweise geheiratet hatten. Es passte einfach nicht.

Aber von diesen Gedanken berichtete sie ihm nicht. Sie sprachen über alles, aber sie erwähnte nichts darüber, dass sie ihm inzwischen Glauben schenkte. Denn das hätte bedeutet, dass er vielleicht wieder versuchen würde ihre Nähe zu suchen. Intimer zu werden.

Obwohl sich Lucy manchmal dabei ertappte, wie sie wieder darüber nachdachte wie er aussah wenn er ein Bad nahm oder wie sie seinen Geruch begierig in sich aufsog wenn er gearbeitet hatte. Manchmal wünschte sie sich sogar, dass er sich zu ihr lehnen würde und sie küsste. Und ab und zu lag sie nachts lange wach, in der Hoffnung, dass Guy irgendwann hereinkommen würde.

Zwar hatte sie vor diesem Moment Angst, aber sobald sie eingeschlafen war, kreisten ihre Träume um all die intimen Begegnungen die sie bereits miteinander geteilt hatten. Allerdings endeten sie alle ganz anders als sie es in Wirklichkeit getan hatten.

Eines Morgens, der Frühling war schon fast zu Ende und die warme Luft verhieß einen heißen Sommer, kam Lucy zum Frühstück und stellte fast enttäuscht fest, dass Guy nicht da war. Er ließ sich auch den restlichen Tag nicht blicken. Weder in Locksley, noch im Haus. Erst am späten Nachmittag kam er zur Türe hereingestürzt und suchte sie mit freudestrahlendem Blick.

„Lucy, ich muss dir unbedingt etwas zeigen!“, rief er aus und kam mit schnellem Schritt auf sie zu. Lucy war von ihrer Stickarbeit aufgestanden und sah ihn verwirrt an. „Was denn?“, kam ihre Frage, als er einen Schaal aus einer Truhe holte und ihn ihr reichte.

„Es ist eine Überraschung. Darum darfst du nicht einmal sehen wohin wir reiten werden“, erklärte er und wartete darauf, dass sie den Schaal um ihre Augen band. Lucy sah ihn skeptisch an, seufzte und nahm den Schaal mit nach draußen. Dort bestieg sie ihr Pferd und verband sich ihre Augen. Guy packte die Zügel ihres Pferdes und schwang sich auf sein eigenes.

„Halte dich gut fest“, wies er sie an und trat seinem Pferd in die Flanken. In einem gemächlichen aber stetigen Galopp, lenkte Guy sein Pferd in die richtige Richtung und führte Lucys Pferd wie an der Leine hinter sich her.

Irgendwann hielten sie und er befahl ihr abzusteigen. Lucy orientierte sich an seiner Stimme, denn er reichte ihr nicht die Hand um sie zu führen. „Stehe ich so richtig?“, fragte sie unsicher und hörte, wie er plötzlich von hinter ihr sprach: „Ja, genau so.“ Er löste den Schaal an ihrem Hinterkopf und trat einen Schritt weg von ihr. Aber er blieb immer noch so nah bei ihr stehen, dass er ihre Mine über ihre Schulter ausmachen konnte. Mit einem erfreuten lächeln stellte er fest, dass sie ungläubig ihre Augen aufriss.

„Das ist… das kann doch gar nicht…“, begann sie zusammenhangslos zu brabbeln.

Sie streckte ihre Arme aus, weil sie berühren wollte was sie sah, dass es wirklich real war und kein Traum.

Vor ihr stand Knighton Hall!

Und zwar genauso, wie es früher gewesen war.

Da sie noch zu weit entfernt war, um das Haus anfassen zu können, rannte sie einfach los und hielt vor der Haustüre an. Mit zitternden Fingern berührte sie vorsichtig das Holz der Türe.

Nein, es war nicht Knighton Hall.

Diese Türe bestand aus frischem Holz.

Ihr altes Haus hatte aus alten Balken und Türe bestanden.

Trotzdem sah dieses Haus genauso aus wie ihr altes.

Hastig öffnete sie die Türe und rannte ins Innere.

Dort angelangt, stellte Lucy mit Unglauben fest, dass sogar die Inneneinrichtung stimmte. Es waren nicht dieselben Gegenstände und teilweise am falschen Ort, aber trotzdem sah die Wohnhalle aus wie sie es in ihren Erinnerungen tat. Der Tisch mit seinen vier Stühlen, die breite Truhe vor dem Fenster und den Kissen auf ihr, ja sogar das Familienwappen mit den zwei Schwertern hing über dem Kamin.

Guy war Lucy wortlos gefolgt und freute sich stumm.

Diese drehte sich um und rannte nach oben.

Und riss die Türe zu ihrem Schlafzimmer auf.

Auch dieses sah ihrem alten verblüffend ähnlich. Das breite Bett, die weißen Vorhänge, der kleine Schminktisch und der große, schwere Schrank.

„Das kann doch nicht sein!“, flüsterte Lucy ungläubig und wurde von der Flut an Erinnerungen überwältigt. Guy war ihr gefolgt und lehnte im Türrahmen.

„Doch, es ist wahr“, sagte er. „Ich habe es wiederaufgebaut. Begonnen habe ich am Tag nach dem Feuer. Zuerst wollte ich dir davon erzählen, aber dann hatte ich nie den richtigen Augenblick gefunden. Dann wollte ich dir in unserer Hochzeitsnacht erzählen, aber sie fand nicht statt und jetzt, so ich die letzten arbeiten an diesem Haus beendet habe, übergebe ich es dir. Es soll mein Hochzeitsgeschenk an dich sein. Hoffentlich das Geschenk, dass du nicht weiterverschenkst oder verkaufst.“

Guys Worte brannten sich tief in Lucys Seele.

Sie konnte einfach nicht fassen, wie viel ihr dieses Geschenk und vor allem seine Worte bedeuteten.

Lucy wandte sich zu Guy um und fiel ihm um den Hals.


Kapitel 27: Ende gut, alles…?

 

„Das ist das schönste, was Ihr mir jemals geschenkt habt. Vielen Dank!“, beteuerte sie überglücklich und drückte ihm einen Kuss auf seine Wange.

Guy lächelte und als sie sich etwas von ihm zurückzog, bemerkte er, dass sie noch immer ihre Arme um seinen Nacken geschlungen hatte und diese nicht zurückzog. Ihre grünen Augen strahlten die pure Freude aus und eine leichte röte zierte ihre Wangen, während sie ihn einfach nur anlächelte. In diesem Moment war sie so schön wie an ihrer Hochzeitsfeier und er konnte einfach nicht mehr anders als sie zu küssen.

Er hatte ihr versprochen sich von ihr fern zu halten, aber ihre Nähe und ihre Begeisterung berauschten ihn einfach zu sehr.

Lucys lächeln verschwand, als er sich ihren Lippen näherte, aber sie entzog sich ihm nicht. Guy bemerkte beides und küsste sie trotzdem. Zuerst einfach nur auf die Lippen. Aber als sie sich an ihn zu pressen begann, kam auch seine Zunge ins Spiel und forderte Einlass. Währens Lucys Hände weiterhin in seinem Nacken ruhten, packte er sie am Rücken und drückte sie so fest er konnte an sich. Fast so als hätte er Angst, dass sie sich wieder von ihm entfernen würde. Doch das tat sie nicht.

Sie erwiderte seinen Kuss.

Davon angespornt, lenkte er sie sachte Richtung Bett und begann gleichzeitig sich ihrer und seiner Kleidung zu entledigen. Dabei achtete er geflissentlich darauf, dass Lucy nie länger als einen Herzschlag ohne seine Küsse blieb. Er spielte mit ihrer Zunge, knabberte an ihren Lippen und liebkoste ihren Hals und Nacken. Immer wieder kehrte er zu ihrem Mund zurück und entlockte ihr mit seinen heißen Küssen weitere Seufzer.

Er würde nicht zulassen, dass sie ihn abservierte. Nicht diesmal.

So kam es, dass er sie rücklings aufs Bett manövrierte und ihr dabei half eine bequeme Lage zu finden. Ohne auch nur ein einziges Mal aufzuhören sie zu küssen, drapierte er ein Kissen unter ihrer Hüfte.

Es war nicht Guys erste Entjungferung. Aber es würde seine letzte sein. Es würde etwas ganz Besonderes werden. Nicht nur für ihn, sondern vor allem für sie. Das einzige, das er jetzt noch wollte, war…

Guy unterbrach seine Zärtlichkeiten und wartete. Lucy öffnete ihrerseits die Augen und sah ihn bewusst an. Wie er splitterfasernackt über ihr kniete und sich seine muskulösen Arme links und rechts von ihr abstützten. Wie seine grauen Augen in ihre Seele zu blicken schienen.

„Bitte mich darum“, erklärte er mit seiner tiefen Stimme.

In seinen Augen spiegelten sich seine Gefühle wieder. Hoffnung auf die richtige Antwort, Angst über die Falsche und vor allem lag darin eine Bitte. Die Bitte ihn zu erhören und endlich zu erlösen.

Lucy flüsterte fast lautlos: „Nimm mich.“

Guy hatte die Luft angehalten und stieß sie nun geräuschlos aus. Für eine Sekunde war er sich nicht sicher gewesen. Aber nun spreizte er ihre Beine mit seiner Hüfte und drang vorsichtig in sie ein. Er wollte ihr nicht wehtun oder ihr Schmerzen bereiten. Sie sollte ebenso viel Lust verspüren wie er. Dabei achtete er genau auf ihre Mimik, denn Lucy hatte ihre Augen geschlossen seit dem Moment in dem seine harte Männlichkeit in sie eingedrungen war. Sachte zog er sich etwas aus ihr zurück, nur um im nächsten Moment etwas tiefer in sie vorzustoßen. Zuckte ihr Gesicht, hielt er inne mit seiner Vorwärtsbewegung und küsste sie leidenschaftlich. Unbezähmbares begehren brandete in ihm auf, seitdem er in ihr war. Die Enge ihres Schoßes, die Hitze ihres Körpers und ihr leichtes stöhnen machte ihn fast wahnsinnig vor Verlangen.

Bald darauf war es soweit. Guy wusste, dass er ihr nun kurz Schmerzen bereiten würde, denn er würde ihr nun ihre Jungfräulichkeit nehmen. Er stoppte seine rhythmischen Bewegungen und küsste sie erst einmal so lange, bis sie beide nach Luft ringen mussten. Dann vergrub er sein Gesicht in ihrer Halsbeuge und biss ihr ins Ohr, während er kräftig in sie stieß.

Lucy schrie einmal kurz auf und verkrampfte sich am ganzen Körper, aber so schnell die Schmerzen in ihrem Unterleib und ihrem Ohr aufgetaucht waren, so schnell bereitete sich die Woge der Leidenschaft in ihr aus. Seine Bewegungen wurden wieder rhythmisch und seine Lippen suchten unaufhörlich all die Stellen ihres Körpers, die sie zum aufseufzten brachten.

Die Lust der beiden steigerte sich ins Unerträgliche, bis sich Lucy mit ihren Fingernägeln in Guys rücken krallte und beide mit einem stöhnen zum Höhepunkt kamen. Der Schmerz in seinem Rücken, darüber war sich Guy sicher, war die Vergeltung für ihr Ohrläppchen. Er musste lächeln. Alles war beim alten.

Wenn auch nicht wirklich alles.

In dieser Nacht bat ihn Lucy noch weitere fünf Mal und Guy war einmal mehr erstaunt und erfreut darüber, wie lernbereit sich seine Schülerin zeigte. Er führte sie auf viele Gipfel und achtete stets darauf, dass sie ihm folgte und ebenso viel Spaß hatte wie er.

Sie konsumierten ihre Liebe bis der Morgen graute. Ihre verschwitzten Körper lagen dicht gedrängt nebeneinander. Lucy auf dem Rücken, die rechte Hand neben ihrem Gesicht ruhend und die linke auf ihrem Bauch. Guy lag auf ihrer rechten Seite und stütze sich mit seiner linken Hand vom Bett ab, um sie so anzusehen. Seine rechte spielte mit einer ihrer roten Haarlocken. Dabei lächelte sie ihn nur erschöpft an und erkannte, dass sie ihm ebenso in die Seele sehen konnte, wie er ihr. Er war nicht vollkommen, aber zusammen ergaben sie eine Einheit.

„Ich liebe dich“, flüsterte sie sanft und machte Guy von Gisborne zum dritten Mal in seinem Leben zum glücklichsten Mann der Welt.





Kommentare zu dieser Seite:
Kommentar von Cadda, 03.09.2013 um 20:44 (UTC):
Ich liebe deine fanfiktions<3



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