Unheilige Liebe im geheiligten Krieg
Zissy M. Baumann
Im geheiligten Krieg der Engel, gegen das Böse,
Verliebten sich Dämonen, in das Gute.
Sonne und Mond, Engel und Dämon müssen einander hetzen.
Doch lernen sich diese dabei kennen und schätzen,
Wird die Liebe erwachen, doch es gibt kein Entrinnen, denn sie sind,
Wie kleine Flammen im Wind.
Aber wenn sich das Leben und der Tod wirklich lieben und finden,
Kann die Sehnsucht das heilige mit dem unheiligen Blut verbinden.
Diesen Roman widme ich meinem Nesthäkchen,
das diesen Roman so vergötterte.
Sie richtete sich auf, denn sie sah ihn aus dem Bürogebäude kommen. Sie startete ihr Auto, während er sein nachtschwarzes Motorrad bestieg, dann fuhr sie ihm mit großem Abstand hinterher. Sie hoffte, nun zu erfahren, wo seine Wohnung lag oder ob er ein Haus besaß, stattdessen bemerkte sie bald, dass er in eine Gegend fuhr, die ihr nachhaltig als “kriminell und bösartig“ beschrieben wurde. Schon nach kurzer Zeit musste sie feststellen, dass sie sich nicht mehr zurecht fand. Die Gegend war einfach extrem düster und unheimlich, eben so, wie man sich Straßen in einem Horrorfilm vorstellte. Er hielt an und stieg ab und auch sie stieg aus, um ihn nun zu Fuß durch die dunklen, düsteren Gassen zu verfolgen. Sie sah, wie er abbog und als sie um die Ecke bog, war er nicht mehr da.
„Vitus? Bist du da irgendwo? Bitte sag etwas.“
Rief sie, aber es kam keine Antwort. Sie zitterte, als ein eiskalter Wind durch die Gasse fuhr. Da hörte sie ein rascheln und aus der Dunkelheit vor ihr kam ein kläffender Hund, der aber keine Notiz von ihr nahm und einfach an ihr vorbei rannte. Plötzlich griff etwas nach ihrem Bein. Sie schrie auf und machte einen Schritt zur Seite, als sie sah, was das war. Ein alter Obdachloser saß in einem Berg aus Müll und grinste sie mit seinem Zahnlosen Mund an. Sie erschauerte und ging weiter, als der Mann hinter ihr her rief:
„Nicht! Geh nicht da lang Mädchen, wenn dir dein Leben lieb ist!“
Sie nahm aber keine Notiz von ihm, denn sie war hier her gekommen um Antworten zu finden und nicht, um sich von dunklen Gassen oder Obdachlosen einen Schrecken einjagen zu lassen. Sie trat auf eine Kreuzung und entschied sich dazu, nach rechts zu gehen, bereute es aber nach wenigen Schritten. Sie hätte nie für möglich gehalten, dass die Gasse noch dunkler hätte werden können, als sie eh schon war. Wieder hörte sie ein Geräusch. Sie sah hinter sich und bemerkte, wie Schatten auf sie zukamen. Sie wich aus, aber sie waren schneller als sie. Die Schatten stürzten auf sie, worauf sie zu Boden fiel. Mit aufsteigender Panik versuchte sie zu erkennen, was sie angegriffen hatte. Aber, trotzdem dass sich ihre Augen verbesserten, sah sie nichts weiter, als undeutliche Schatten, mit glühend roten Augen, die sie zu schlitzen verengt hatten. Es wurden immer mehr von ihnen, die sich um sie sammelten. Sie versuchte auf dem Rücken krabbelnd ihnen auszuweichen. Daraufhin machten sich die Schatten zum Sprung bereit und bleckten nun ihre Spitzen Zähne. Sie sah weg, denn sie wollte nicht zusehen, wie der Schatten sie zerfleischte. Es kam nie dazu. Sie wartete, aber sie spürte keine Zähne, die sich in ihre Haut bohrten, daher sah sie auf. Zwischen ihr und den vielen Schatten stand ein Mann, mit dem Rücken zu ihr, aber etwas stimmte nicht an ihm, denn er hatte große, schwarze Flügel, die aus seinem Rücken heraus ragten. Nach seiner Körperhaltung aus zu schließen, musste er von einem Dach herunter gesprungen sein.
„Vitus! Du versaust unser Essen!! Was soll das? Wenn du etwas abhaben willst, dann warte, bis wir gegessen haben, immerhin haben wir sie zu erst gesehen!!“
Sie hörte, wie einer der Schatten das zischte, aber ihr wollte nicht recht klar werden, was sie gerade gehört hatte. Der Mann vor ihr zischte:
„Das ist nicht euer Essen, Antto. Nicht heute Abend.“
Einer der Schatten weiter hinten, jaulte auf, knurrte und sprang den Mann an. Dieser holte aus und hielt mit einem mal ein schwarzes Schwert in Händen, mit dem er blitzschnell den angreifenden Schatten zerteilte. Die restlichen Schatten zischten böse, wichen aber vorsichtshalber ein paar Schritte aus.
„Was soll das? Du hast dich nie eingemischt, wenn wir Abendessen. Warum heute? Willst du ernsthaft Streit mit uns? Du weißt doch genau, dass du allein keine Chance gegen uns alle hast. Gib uns das Mädchen!!“
Der Mann schüttelte den Kopf, erkannte aber ebenso wie Leaven, dass die Schatten sich anspannten, um ihn anzugreifen. Er drehte sich in einer schnellen Bewegung zu ihr um, das Schwert verschwand, wie es erschien und er ergriff ihre Hand. Sie wurde ruckartig in die Höhe gerissen. Mit einem schrecklichen Gefühl im Magen sah sie, dass der Mann flog und sie hinter sich her zog und mit einem weiteren Blick nach unten erkannte sie, dass die Schatten nicht hinter ihnen herkamen. Anscheinend konnten diese Kreaturen, die sie als ihr “Abendessen“ bezeichnet hatten, nicht fliegen. Sie sah wieder nach oben und stellte fest, dass der Mann auf einen der Wolkenkratzer zuflog. Im stillen dankte sie dafür, dass sie kein Problem mit dem fliegen oder mit der Höhe hatte. Oben angekommen, lies der Mann sie los, so dass sie einen Meter in die Tiefe und auf das Dach fiel. Sie landete ohne weitere Verletzungen auf allen vieren. Ohne darauf zu achten, was der Mann tat, vergrud sie erleichter ihr Gesicht in Händen. Sie war sich sicher, dass dieses Abenteuer ihr letztes gewesen worden wäre. Sie spürte, wie der Mann in einigen Meter Entfernung landete, daher sah sie nun doch auf, um ihren Retter genauer zu betrachten. Sie konnte nichts weiter erkennen als seinen Knieenden Umriss, der aber keine Flügel mehr aufwies. Er konnte anscheinend auch seine Flügel verschwinden lassen, wie er es auch mit seinem Schwert getan hatte. Sie stand auf.
„Ich glaube ich muss mich bei ihnen bedanken. Ohne sie wäre ich verloren gewesen. Danke.“
Der Mann kniete noch immer, doch als sie geendet hatte, richtete er sich auf und wandte sich von ihr ab.
„Wenn du nicht hier her gekommen wärst, dann wäre das alles erst gar nicht passiert.“
Die Stimme des Mannes war tief und wohlklingend und sofort fiel es ihr wie Schuppen von den Augen. Hatte das Schattenwesen gerade nicht den Namen Vitus genannt? Die Stimme des Mannes vor ihr, kannte sie so gut wie ihre eigene und nach dieser Stimme hatte sie die ganze Zeit gesucht.
„Vitus! Du bist es? Was waren dass für Kreaturen? Das waren keine Menschen, oder?“
Sie wollte auf ihn zu gehen, als sie ihn bedrohlich zischen hörte:
„Bleib wo du bist. Komm nicht näher zu mir her.“
Erschrocken blieb sie stehen, aber stattdessen fragte sie wieder:
„Woher kennen diese Wesen dich? Sie sind ja keine Menschen, also, was waren sie?“
Sie hörte, wie er verächtlich schnaubte, dann drehte er sich um und sagte:
„Sie sind genauso wenig Menschen wie ich. Daher kennen sie mich. Was suchst du hier?“
Etwas verdattert sah sie ihn neugierig an, dann kam sie entgegen seines Befehls näher zu ihm her.
„Dich suche ich hier. Und ich habe dich gefunden. Ich möchte nur wissen, weshalb du mich verlassen hast. Ich kann nicht verstehen, dass du, nachdem ich dir meine Liebe gestanden hatte und wir uns näher gekommen waren, einfach so gehen konntest. Warum hast du das getan? Ich bin morgens alleine erwacht, du warst weg und nirgends war eine Nachricht von dir. Selbst deine Freunde von deiner Band waren auf einmal fort. Dein Hotel, in dem du warst, sagte, du wärst abgereist und sie dürften mir keine Auskunft darüber geben, wo du wohnst. Weißt du eigentlich wie ich mich fühlte?“
Er reagierte nicht auf das was sie sagte und so erkannte sie auch nicht, ob es ihn überhaupt interessierte. Sie dachte noch einmal nach, dann fragte sie ihn:
„Was meintest du mit, „genauso wenig Mensch wie du“? Woher hast du diese Flügel und das Schwert?“
Diesmal reagierte er.
„Das was ich sagte, meinte ich auch so. Ich bin kein Mensch und das muss dir genügen. Aus diesem Grund sollst du nun gehen.“
„Nein, werde ich nicht. Ich will wissen wieso du mich wie Dreck behandelst. Vorher gehe ich nirgends hin.“
Er seufzte, als er ihre trotzige Haltung sah. So würden sie nie voran kommen. Widerwillig sagte er:
„Verdammt! Du willst es unbedingt wissen, was? Gut. Ich bin ein Dämon! Eine Brut der Hölle!!! Und ich lebe, um böses zu verbreiten, kapiert? Diese Wesen von vorhin sind nichts anderes als niedere Schattenwesen!!“
Er kam drohend auf sie zu und wollte ihr damit zeigen, dass sie durchaus nicht in besserer Gesellschaft war, als gerade eben noch. Doch sie reagierte nicht weiter darauf und sah ihm fest in seine Augen.
„Das ist mir egal, was du bist. Ich liebe dich und das ist das einzige, was zählt. Und im übrigen, ich habe schon immer geahnt, dass dich und deine Freunde etwas dunkles verbunden hat. Du bist Rockmusiker und schreibst dunkle, melancholische Texte. Dass da etwas böses ist, war mir klar. Aber das ist ein Teil von dir, den ich liebe!“
Da sie nicht vor ihm auswich und keinerlei Angst davor hatte, was er war, blieb er stehen.
„Schon einmal daran gedacht, dass Dämonen nicht dazu da sind, ein Mädchen zu lieben? Ich darf so etwas ebenso wenig, wie irgendein anderes Schattenwesen und nun halte die Klappe und geh wieder nach Hause!“
Da sie keinerlei Anstallten dazu machte, seinem Befehl zu gehorchen, verschränkte er seine Arme vor der Brust und erklärte ihr mit genervter Stimme:
„Du willst nicht verstehen, oder? Ich bin nicht gut für dich, versteh doch endlich!! Ich bin nur aus dem einen Grund gegangen, nämlich den, dass du durch mich zu riesigen Problemen kommen kannst. Und jetzt geh endlich und vergiss mich!“
Er versuchte sie fort zu schieben, aber sie kämpfte verbissen dagegen an und fragte:
„Aber warum? Ich kann nicht verstehen warum du das getan hast, warum sind wir uns nähergekommen und dann, als ich dachte, du liebst mich, hast du mich verlassen. Nicht nur das, du hast auch noch alle deine Spuren verwischt, so, als ob es dich nie gegeben hätte. Selbst dein Manager wollte nicht sagen, wo du wohnst und was für Gewohnheiten du hast.“
Er hielt inne und fragte nachdenklich:
„Wenn mein Manager dir nicht verraten hat, wo ich hingegangen bin, woher wusstest du, wo ich gerade hinfuhr?“
Sie lächelte leicht und kam näher zu ihm her, da er sie nicht weiter schob.
„Ich habe gewartet, bis du deinen Manager getroffen hast und bin dir hier her gefolgt. Und jetzt will ich doch nur wissen, warum du einfach verschwunden bist. Ich bitte dich, sag es mir, denn ich habe nie aufgehört, dich zu lieben und sterbe tausend Tode, wenn ich mir Gedanken darüber mache, warum du mich verlassen haben könntest.“
Er sah sie böse an und begann, sie wieder von sich weg zu schieben.
„Verschwinde! Ich habe dir doch gerade erklärt, dass ich nicht gut für dich bin, das muss Grund genug für dich sein.“
Mit trotziger Stimme stellte sie sich vor ihn und erklärte stur:
„Nein, denn in wie fern sollst du schlecht für mich sein, wenn ich vereinsame, wenn du nicht bei mir bist? Es ist viel schlimmer, wenn du nicht bei mir bist. Wenn du mich nicht liebst, dann sag es mir doch einfach!“
Er lies von ihr ab. Wieder verschränkte er die Arme, ging ein paar Schritte von ihr weg und sagte mit unterkühlter Stimme:
„Gut. Ich liebe dich nicht. Zufrieden?“
Mit einem Schlag sackte sie in sich zusammen und ihre Augen wurden leblos.
„Ja. Jetzt kann ich gehen.“
Sie ging rückwärts auf den Rand des Daches zu und als er sah, was sie tat, fragte er mit schneidender Stimme:
„Was tust du? Die Treppe ist da hinten.“
Sie hielt inne, da sie am Rand angekommen war und sah ihn mit ihren grünen, leblosen Augen an, dann erklärte sie mit schleppender Stimme:
„Jetzt, da ich weiß, dass meine Liebe vergebens ist, kann ich nicht mein ganzes Leben damit verbringen, auf jemanden zu warten, der nicht kommt. Ich möchte nur, dass du weißt, dass ich dich liebe.“
Sie machte einen Schritt nach hinten und fiel. Er riss seine Augen auf und schrie:
„Leaven! Neeeeiiin!!!“
Im rennen, breitete er seine Flügel aus, die wieder plötzlich erschienen und sprang ihr im Sturzflug hinterher. Kurz vor dem Boden holte er sie ein und fing sie auf. Mit der ohnmächtigen Leaven in den Armen stieg er wieder auf und flog sie zu ihrem Haus zurück.
Sie erwachte am nächsten Morgen und war sich im ersten Moment nicht sicher, ob sie alles nur geträumt hatte, oder nicht. Was hatte sie erfahren? Er war ein Dämon? Gab es so etwas denn überhaupt? Sie war kein Religiöser Mensch und glaubte weder an die guten noch die bösen Mächte, aber das was sie erlebt hatte, brachte ihre Einstellung ins schwanken. Außerdem war Vitus nicht der Mensch, der Lügen verbreitete. Andererseits, er liebte sie nicht, aber warum sollte er sie dann retten? Sie hatte sich vom Dach des Wolkenkratzers gestürzt und wenn das erlebte wirklich passiert war, dann muss er sie gerettet haben. Sie seufzte.
Im Badezimmer entschied sie sich, nicht weiter den Kopf zu zerbrechen und ihn zu vergessen, aber schon in der Küche brach sie in Tränen aus. Sie liebte ihn wirklich und konnte nicht glauben, dass sie ihn nie wieder sehen, geschweige denn, mit ihm etwas unternehmen würde.
„Ich werde alles über Dämonen, Engel und magische Wesen heraus finden, damit ich verstehen lerne, weshalb er mich verstoßen hat.“
Dies nahm sie sich fest vor und verbrachte die nächsten Wochen nur mit Büchern, Bibliotheken, Priestern, dem Internet und anderen Menschen, die behaupten magische Kräfte zu besitzen. Dies half ihr aber nichts. Nichts brauchbares kam heraus und so zog sie sich in ihre kleine Wohnung zurück. Sie traf niemanden mehr, nicht einmal ihre besten Freundinnen und vereinsamte in ihrer Wohnung. Über Schriften, alt überlieferten Vermutungen und anderen Magischen Utensilien brütend, tauchte sie in die Welt der Kobolde, Dämonen und Engeln ein. Nichts was sie herausfand, erschien ihr als wahr und nichts war zu finden über diese Schattenwesen, die sie meinte, gesehen zu haben.
Fast einen Monat lang verbrachte sie in Verzweiflung, bis ihr ein Gedanke kam. War es nicht so, dass Vitus ein Dämon war? Waren nicht dann auch seine Kumpels und Bandmitglieder Dämonen? Gab es dann vielleicht einen ganzen Stamm oder ein Rudel von Dämonen, die wie Menschen im alltäglichen Leben lebten? Vielleicht waren ja alle Metall oder Rockmusiker Dämonen? Mit einem Hechtsprung war sie bei ihrem Telefon und rief die einzige Person an, die im Stande war, etwas über Magie und böse Mächte zu wissen. Ihren Stiefbruder Jesse Dorn.
„Jesse?“
Sie atmete erleichtert auf, denn er war nämlich immer unterwegs und nur selten Telefonisch zu erreichen.
„Hi, ich bin’s Lev. Ich habe ein paar Fragen an dich, die in dein Hobby und Wissensbereich fallen. Hast du gerade Zeit für mich?“
„Für dich doch immer Süße. Was verschafft mir im übrigen die Ehre? Seit gut zehn Jahren haben wir uns nicht mehr unterhalten.“
„Ich weiß. Das tut mir auch leid, aber du weißt, dass ich nie wirklich verstanden habe, weshalb du dich schon mit neun Jahren für diese Gothic-Leute entschieden hast. Und deine fünf jährige, eingeheiratete Schwester alleine gelassen hast. Aber genau deswegen rufe ich an. Weißt du, ob es Dämonen gibt?“
Sie erwartete, dass er sie für Verrückt abstempeln würde, doch stattdessen sagte er nichts dergleichen. Nach ein paar Minuten Stille begann er misstrauisch zu fragen:
„Was soll diese Frage?“
Sie atmete tief durch und erzählte ihrem Stiefbruder die ganze Geschichte von ihr und Vitus:
„Du weißt doch, dass ich inzwischen Professionelle Tänzerin in dem Tanzstudio „Fantastic Five“ bin? Einmal bekamen ich und meine vier Freundinnen, mit denen ich das Tanzstudio gründete, einen Auftrag. In einer Schule sollten wir ein paar Mädels in die Zange nehmen. Wir haben hart gearbeitet und ernteten dafür, nach dem Auftritt, viel Applaus. Eine meiner Freundinnen lernte nach dem Auftritt eine Band kennen, die in der Stadt war und uns zufällig zugesehen hatte. Du kennst sie sicher, sie heißt THE BLACK DEATH. Auf jeden Fall wurde ich ihnen auch vorgestellt. Wir haben uns mit den fünf Bandmitgliedern angefreundet und dabei fanden Vitus Valerian, der Sänger der Band, und ich heraus, dass wir uns gut leiden konnten. Nach fast einem Monat kamen wir uns näher und ich gestand ihm, dass ich mich in ihn verliebt hatte. Er sagte ebenfalls, dass er mich lieben würde und am nächsten Morgen war er einfach fort. Ich habe keine Spur von ihm gefunden, denn er ist aus dem Hotel ausgezogen und ist einfach verschwunden. Vor einem Monat fand ich ihn dann doch. Er rettete mich vor so ein paar Schattenwesen, die mich fressen wollten und dabei sagte er zu mir, dass er mich nicht lieben würde und das er ein Dämon sei.“
Sie stoppte und atmete beruhigend wieder ein. Ihr Bruder müsste spätestens jetzt gestehen, dass sie völlig Bekloppt sein musste. Aber seine nächste Frage war anderer Natur:
„Und als ihr mit miteinander geschlafen habt, hast du ihm dein Muttermal gezeigt, ist das richtig?“
Sie erschauerte, denn er lag völlig richtig. Sie hatte Vitus wohl oder übel ihr Muttermal zeigen müssen, als sie miteinander schliefen. Misstrauisch darüber, dass er es darauf Anspielte, fragte sie:
„Das stimmt. Ich habe ihm das Muttermal gezeigt, dass ich schon seit meiner Geburt habe. Das Muttermal, auf meiner Hüfte, dass die Form eines Schmetterlings hat. Auf was willst du denn hinaus? Was soll denn das Muttermal damit zu tun haben, dass mich Vitus nicht mehr liebt?“
Ohne dass sie es bemerkte hielt sie sich ihre Hüfte, an der Stelle, wo ihr Muttermal war. Jesse antwortete:
„Klarer Fall, dass er dich nicht mehr liebt. Aber um dir das zu erklären, muss ich dich persönlich treffen. Ich kann dir nichts über das Telefon erzählen. Kannst du Morgen Nacht, um Mitternacht vor deiner Haustüre auf mich warten? Ich komme, so schnell ich kann.“
Sie konnte nur noch zustimmen, als er schon wieder aufgelegt hatte. Das war das seltsamste Gespräch, aller Zeiten.
Zur besagten Zeit wartete Leaven vor ihrer Haustüre darauf, dass Jesse vorbei kommen würde. Und um Punkt Mitternacht erschien er. Bevor sie ihn begrüßen konnte, legte er seinen Zeigefinger auf seinen Mund, zog sie mit sich und fuhr mit ihr, in seinem schwarzen Auto in die Stadt. Noch immer sagte er nichts und schob sie, nachdem er sie wieder aus dem Auto holte, nur in eine dunkle Gasse. Gerade als sie fragen wollte, wo er sie hin brachte, gingen sie auf eine versteckt liegende Türe zu und traten ein. Dahinter führte eine steile Treppe in die Tiefe. Am Ende der Treppe war ein großer Raum, gefüllt mit Menschen, die schwarz gekleidet waren und zu düsterem Rock oder auch Metall-Musik tanzten. Leaven war erstaunt und konnte sich nicht mehr retten von interessanten Menschen, die sie heimlich betrachtete. Jesse dagegen schob sie unbeeindruckt weiter, bis sie am anderen Ende des Raumes, durch eine weitere Türe, in einen kleinern Raum gingen. Darin war niemand und die laute Musik war schlagartig nicht mehr zu hören, als Jesse die Türe schloss. Leaven lies sich auf einem modrigen Sofa nieder, und wartete, dass Jesse nun endlich etwas sagte.
„Du bist tatsächlich das kleine Naive, wohl behütete Mädchen, für das ich dich schon immer gehalten habe.“
Stellte er fest und blieb mit dem Rücken zu ihr, an der Türe stehen. Sie sah verwirrt zu ihrem Bruder, und fragte:
„Was?“
Sie hatte keine Ahnung, worauf er hinaus wollte. Er drehte ruckartig herum, nahm auf einem alten Sofa gegenüber von ihr Platz und faltete die Hände so, dass er sein Kinn auf sie stüzen konnte. Ohne auf ihre Verwirrung einzugehen, betrachtete er sie und begann:
„Du hast keine Ahnung, oder? Ich meine über dass, was uns unterscheidet.
Ich werde dir jetzt etwas erklären. Meine Mutter wurde von meinem Vater geschwängert und verlassen. Ich habe erst sehr spät erfahren, wer und vor allem, was er war. Aber das kommt später. Mit neun Jahren, als ich es schließlich erfuhr, riss ich von zu Hause aus. Eben zu der Zeit, als meine Mutter ihre große Liebe, deinen Vater heiratete, der eine Tochter aus erster Ehe mitbrachte, nämlich dich. Auch bei dir habe ich relativ lange gebraucht, bis ich verstanden hatte, was deine Mutter war. Du warst damals gerade mal fünf und hattest keine Ahnung von gar nichts.“
Er atmete noch einmal aus und stellte fest, dass sie ihn unverständlich ansah. Wie konnte er ihr alles erklären?
„Meine Mutter war ein Mensch, ebenso wie dein Vater, aber deine Leibliche Mutter und mein Leiblicher Vater sind andere Wesen. Deine Mutter war eine Fee, und mein Vater war ein Dämon.“
Platzte er schließlich heraus, was sie zweifelsohne überforderte. Tatsächlich, war sie ungläubig und zweifelte nun an seinem Verstand.
„Was laberst du für Scheiße, willst du mich verarschen?“
Er wusste schon vorher, dass sie ihm nicht glauben würde, und daher hatte er sich vorbereitet. Er zog aus dem Rucksack, den er bei sich trug, ein altes Buch hervor, dass fast auseinander fiel, so alt war es.
„Moment, ich erkläre dir ein paar Dinge.“
Er schlug das Buch auf und begann daraus vorzulesen:
„Feen: Diese Wesen sind gute, magische Wesen und sind eine Untergeordnete Art. Über ihnen stehen nur noch die Engel. Unter ihnen stehen noch die Zauberinnen und weisen Hexen.
Ihre Gegenspieler sind die Dämonen. Hör zu!“
Er begann zu blättern und las auf einer anderen Seite vor:
„Dämonen: Diese Wesen sind böse, magische Wesen und sind nur dem Luzifer selbst unter geordnet. Unter ihnen stehen die Schattenwesen, Vampire und schwarzen Hexer.
Warte, es gibt noch mehr zu wissen.“
Er schlug das Buch auf der ersten Seite auf und las wieder vor.
„Es gibt auf Erden drei Wesenarten. Die guten Heerscharen des Herrn, die bösen Heerscharen des dunklen Herrn und die Menschen.
Der immer währende Kampf zwischen Gott und Luzifer wird auch heute, unter den Dienern der beiden Herren gefochten. Dabei gibt es bestimmte Rangfolgen.
Auf der Seite des guten Herrn gibt es an erster Stelle die Engel, dann deren unterstellte Feen, die Zauberinnen und die weisen Hexen. Diese Wesen sind immer und nur weiblichen Geschlechts. Da sie die reine und unverdorbene Macht verkörpern.
Auf der gegnerischen Seite, unter Luzifer, gibt es die Dämonen, dann deren unterstellte Schattenwesen, die Vampire und schwarzen Hexer. Diese Wesen sind nur männlichen Geschlechts.
Da alle Wesen nur aus einem Geschlecht bestehen, gibt es nur die einzige Möglichkeit der Fortpflanzung, nämlich über die Menschen.
Verstehst du jetzt? Ich bin ein Dämon, da mein Vater ein Dämon war, und du bist eine Fee.“
Hilflos sah Leaven ihren Stiefbruder an. Ihr gesunder Menschenverstand sagte ihr, dass sie nichts davon glauben kann und sollte. Andererseits wollte sie es doch wissen, oder?
„Du spielst mit mir, oder?“
Fragte sie ihn, selbst nicht recht überzeugt davon. Ihr Bruder seufzte auf, klappte das Buch zu und verstaute es wieder im Rucksack, dann nahm er ihre Hände in die seine und sagte:
„Glaub mir, ich würde nie mit dir spielen. Ich habe mich diesen Gothic-Typen, wie du sie nennst, nicht angeschlossen, weil ich sie geil fand, sondern weil ich zu ihnen gehöre. Ich weiß dass du sagen wirst, dass du keinerlei Zauberkräfte hast und keine Feen sein kannst, dass mag auch ein Stück weit stimmen. Ich habe heraus gefunden, dass die Kinder von Feen, nicht gleich Feen werden, sondern erst noch eine Zeit lang Menschen bleiben, bis sie sich in Feen verwandeln. Man nennt sie deshalb Schmetterlinge, weil sie so lange Verpuppt, also Menschen sind, bis sie sich und ihre eigentliche Kraft zeigen und zu Feen werden. Das einzige was den Engeln zeigt, dass sie eine Fee und keinen Menschen vor sich haben, ist ein Muttermal in Form eines Schmetterlings. Ein solches, wie du es besitzt.“
Jesse lies Leavens Hände los und stand auf. Er konnte nur noch hoffen, dass sie endlich verstand und sich für diese Dinge öffnete.
„Du erklärst mir also gerade, dass meine Mutter eine Fee war und ich zu einer Fee werde, wenn ich es schaffe, den Menschlichen Teil in mir zu besiegen? Also, mich aus meiner „Puppe“ befreie?“
Jesse lächelte, denn sie hatte es tatsächlich verstanden. Daher nickte er und setzte ein trauriges Gesicht auf.
„Ich freue mich nicht auf diesen Tag, ehrlich. Ich habe dich immer sehr geliebt. Wenn du aber zu einer Fee wirst, musst du gegen Wesen wie mich kämpfen. Und ich muss dich dann ebenso jagen. Das ist auch der Grund, weshalb Vitus gegangen ist. Wenn du dein wahres Ich gezeigt hättest, als er da war, dann hättet ihr miteinander Kämpfen müssen. Ihm ginge es dann wie mir jetzt, wenn du dich in diesem Moment verwandeln würdest.“
Jesse lies die Schultern hängen und sah auf den Boden. Leaven glaubte ihm inzwischen, aber etwas beschäftigte sie noch immer.
„Und was hat dieses Schwert damit zu tun? Und warum haben Dämonen Flügel?“
Jesse lächelte matt.
„Engel haben Flügel, ebenso wie Dämonen, nur die einen in weiß und die anderen in schwarz, ganz einfach. Engel besitzen Schwerter, um gegen Dämonen zu kämpfen, Dämonen haben verschiedene Waffen, die einen haben Krallen, Messer, Schwerter oder andere Gegenstände eben. Ich -“
Er drehte sich zu ihr um und hatte mit einem Schlag Flügel, die aus seinem Rücken heraus ragten. Aus seinen Händen sprangen statt vier Finger, vier lange scharfe Klingen hervor.
„Habe diese Klingen und Vitus hat anscheinend ein Schwert.“
Leaven schnappte nach Luft und quetschte sich schützend in das Sofa zurück. Sie betrachtete die Klingen, bis sich Jesse wieder zurück verwandelte und er wider halbwegs normal aussah. Was heißt Normal? Fragte sich Leaven und betrachtete ihren Stiefbruder genauer. Er hatte kurze schwarze Haare, von denen ein paar längere Strähnen in sein schmales Gesicht fielen und es etwas bedeckten. Er war groß und dünn, aber unter seinem schwarzen Shirt zeichneten sich ein paar Bauchmuskeln ab. Darüber trug er einen schwarzen Mantel, der bis zum Boden fiel. Seine schwarze Lederhose war darunter nur schwer zu erkennen, was aber öfter hervorblitze, war ein breiter, schräg hängender Gürtel, der als Schnalle, einen Totenkopf aufwies. Ansonsten trug er einige umgedrehte Kreuze, Totenköpfe, Pentagramme und verschiedene, schwarze Bänder.
„Sag mal, kennst du dich unter euch Dämonen aus?“
Leaven erhoffte sich von ihrer Frage eine bestimmte Antwort, die sie auch prompt bekam.
„Natürlich, jeder Dämon kennt jeden. Warum fragst du?“
„Dann kannst du mir doch sagen, wo Vitus lebt!“
Schlug Leaven vor, doch Jesse schüttelte entschieden den Kopf.
„Schlag dir das aus dem Kopf. Das beste wäre, ihn zu vergessen. Wo willst du hin?“
Fragte er, als sie aufstand und an ihm vorbei ging. Leaven drehte sich um, da sie auf dem Weg zur Türe war un erklärte trozig:
„Wenn du es mir nicht sagst, dann suche ich ihn von alleine.“
Jesse lächelte spöttisch und konterte böse:
„Du bist echt naiv! Ich habe dir doch erklärt, dass ein Dämon und ein Schmetterling niemals ein Paar werden können, das geht nicht. Dazu sind wir viel zu lange verfeindet. Schlag dir also deine Romeo & Julia Story aus dem, Kopf. Vitus liebt dich nicht, denn wenn er es sagt, dann ist es wahr! Nimm es hin und hör auf, wie ein Idiot hinter ihm her zu rennen!! Das ist deiner und meiner Unwürdig! Er wird dich sonst noch bevor du dich verwandelt hast, töten.“
Leaven lächelte ungerührt, hielt in der Türe noch einmal inne und stellte in den Raum:
„Das glaube ich nicht. Er hätte zwei mal die Chance dazu gehabt. Einmal bei den Schattenwesen und einmal als ich mich vom Hochhaus stürzte. Er hat mich beides mal gerettet. Leb wohl Jesse.“
Damit ging Leaven und lies einen grübelnden Jesse zurück. Sie hatte recht. Vitus hätte sie töten können, etwas das ein Dämon im Schlaf beherrschte, aber warum hatte er sie nicht einfach ignoriert und sie seinen Schattenwesen überlassen? Jesse zuckte mit den Schultern und sagte sich, dass Vitus wohl seine Gründe dafür hatte.
Zuhause angelangt verkroch sich Leaven in einer Ecke. Dort grübelte sie über alles erfahrene nach. Im Grunde war alles unmöglich, was sie erfahren hatte. Der blanke Unsinn, aber hatte sie Vitus und Jesse nicht mit eigenen Augen gesehen? Was, wenn sie sich jetzt in eine Fee verwandelte?
Diese Gedanken und die Ausweglosigkeit die sich ergab, machten sie so verrückt, dass sie nicht reagierte, wenn Freundinnen anriefen oder sie besuchen wollten. Sie blieb in ihrer Ecke sitzen und wollte nie wieder etwas tun. Der Tod hatte als einziger, etwas verlockend beruhigendes. Dann hatte man immerhin keinerlei Probleme mehr.
Ihre vier besten Freundinnen und Kollegen, erreichten sie nie, so dass sich Rosa begann Sorgen zu machen.
„Mädels, dass ist unmöglich, dass sie nicht zu Hause ist. Sie ist sicher da und macht nicht auf verdammt, ich wette es ist wegen Vitus. Wir müssen ihn finden und ihm erklären dass es ziemlich beschissen um sie steht. Wenn sie sich nicht schon lange etwas angetan hat.“
Beschloss Rosa eines Tages, als sie wieder vor einer verschlossenen Türe standen. Damit wollten Leavens Freundinnen nach Vitus suchen, aber diese Möglichkeit lies sich nur über die Plattenfirma und den Manager seiner Band regeln. Nach ein paar weiteren Tagen erfuhren die vier Freundinnen, nachdem sie alle Bars der Stadt abgeklappert hatten, dass es eine Bar gab, in der THE BLACK DEATH öfter zu Gast waren. Gleichzeitig rieten alle, die ihnen das erzählten, dass sie diese Bar am besten meiden sollten, denn dort gäbe es nur zwielichtige Gestalten und manches mal sogar Vermisste. Dennoch ließen sich die vier nicht abschrecken. Dass Leben ihrer Freundin war ihnen wichtiger, als alles böse.
Tatsächlich sahen sie Vitus und seine Bandmitglieder an der Bar sitzen, als sie sich eines Abends doch dorthin wagten.
„Vitus! Da bist du ja, wir haben dich gesucht!“
Rief Rosa und kam zu ihm, an die Bar. Vitus drehte sich erschrocken um und vergewisserte sich mit einem Blick, dass Leaven nicht unter ihnen war. Etwas cooler und desinteressiert fragte er:
„Und? Ihr habt mich gefunden. Was gibt es denn so wichtiges?“
„Das weißt du genau! Es geht um Lev. Verdammt, warum hast du sie so scheiße behandelt? Nur um sie ins Bett zu kriegen? Dann hättest du doch wenigstens noch eine Erklärung abgeben können!“
Vitus atmete missmutig aus, während seine Freunde feixten. Ohne auf sie zu achten sagte er:
„Ich habe ihr schon gesagt, dass ich nichts für sie empfinde. Sie weiß alles.“
Rosa erschrak. Das erklärte natürlich Leavens Verhalten.
„Du hast es ihr gesagt? Kein Wunder! Vitus!! Sie verschanzt sich seit über einer Woche zuhause und kommt nicht heraus, noch reagiert sie auf Telefonanrufe! Ich glaube sie hat sich etwas angetan. Bitte komm mit und hilf uns, in ihre Wohnung zu kommen. Bitte, tu es für uns!!“
Vitus stand auf und stellte sich drohend vor Rosa, die ihm langsam aber sicher auf die Nerven ging.
„Nein! Warum soll ich mitgehen, wenn ich noch nicht einmal etwas für das Mädchen empfinde? Ruft doch die Bullen oder so!! Und jetzt bewegt euren Arsch hier raus, ihr seid nämlich hier völlig fehl am Platz!!“
Erschrocken darüber wie sich Vitus mit einem mal verhielt, gaben die Mädchen klein bei und gingen traurig davon. Vitus setzte sich wieder an die Bar und sah in seinen Gin.
„Super Vitus, das war deine beste Vorstellung. Die haben’s dir echt abgekauft.“
Bemerkte einer von Vitus’ Freunden ironisch und Vitus sagte sauer:
„Was?! Ich meine es ernst. Was soll ich da? Ich habe mit Lev nichts mehr am Hut.“
Zweifelnd sahen sich seine Freunde an, sagten aber nichts mehr dazu. Es war immer besser, Vitus nicht zu wiedersprechen oder ihn zu reizen. Plötzlich und ohne Vorwarnung, stand Vitus fluchend auf, griff nach seiner Jacke und ging raschen Schrittes nach draußen. Seine Freunde grinsten sich wissend zu, dann folgten ihm drei von ihnen. Einer sah missmutig hinterher leerte mit einem Zug sein Glas und folgte Vitus nun doch.
Lautlos glitten fünf geflügelte Gestalten über die Dächer der Stadt hinweg. Sie waren auf dem Weg zu Leavens Wohnung, während ihre vier Freundinnen vergebens versuchten die Polizei zu verständigen.
Auf dem Balkon ihrer Wohnung landeten sie und als Vitus, die Hand nach der Balkon-Türe ausstreckte, hielt ihn einer seiner Freunde warnend zurück.
„Du weißt aber schon, dass sie ein Schmetterling ist? Was wir hier tun, ist totaler Schwachsinn. Jetzt magst du sie retten, aber wenn es erst einmal so weit ist, will sie dich töten.“
Vitus nickte, denn er wusste genau, dass es irgendwann so weit kommen musste. Dennoch wollte er nachsehen, ob mit ihr alles in Ordnung war. Noch war sie keine Fee. Er öffnete leise die Türe und trat ein. Er und seine Freunde sahen alle Zimmer durch, kamen aber zu keinem Ergebnis.
„Verdammt, wo steckt die Kleine?“
Fluchte einer seiner Freunde vernehmlich und sah sich noch einmal um. Vitus wies die anderen drei an, noch einmal alles genau zu untersuchen. Selbst ging er in ihr Schlafzimmer, um noch einmal jede Ecke nach ihr ab zu suchen. Irgendwo musste sie schließlich sein. Beim Anblick des Zimmers kamen schmerzliche Erinnerungen in ihm hoch und er wollte am liebsten sofort wieder gehen. Es war der schlimmste Augenblick seines Lebens, als sie ihm nichts ahnend ihr beschissenes Muttermal zeigte, denn damit veränderte sie alles.
Er hörte hinter sich ein leises Geräusch, weshalb er sich umdrehte. So sah er, wo sie sich versteckte, nämlich in einer kleinen Nische, zwischen Schrank und Wand. Sie musste ihn erkannt haben, denn sie kam hervor gekrochen und richtete sich mühsam auf.
„Vitus...“
Wisperte sie leise und versuchte einen Schritt auf ihn zu zu machen, aber ihre Kräfte verließen sie und sie fiel vorne über. Vitus machte einen Ausfallschritt auf sie zu, um sie rechtzeitig aufzufangen. Als er sie in Händen hielt, spürte er, dass sie abgenommen hatte und dass sie warm war, sogar regelrecht glühte. Seine Freunde kamen ins Zimmer.
„Sie glüht, fast so als ob sie gleich kochen würde.“
Stellte Vitus besorgt fest, als einer seiner Freunde erschrocken die Luft einsog und rief:
„Vitus!! Verfluchtnochmal! Geh weg da!“
Da Vitus nichts tat, sprang sein Freund zu ihm und zog ihn von Leaven fort. Vitus wollte gerade fragen was dass sollte, als es im Zimmer gleißend hell wurde. Mit einem Blick stellten die fünf fest, dass das Licht von Leaven kam.
„Scheiße, du hattest recht. Wenn du mich nicht von ihr weg gezogen hättest, hätte sie mich verbrannt, weil die Verwandlung statt findet!“
Sagte Vitus dankbar. Mit angehaltenem Atem sahen sie der Verwandlung zu. Es passierte nichts weiter, als dass Leaven für kurze Zeit durchsichtige, schmetterlingsartige Flügel bekam, ihre hellblonden Haare wurden blond und ihre grüne Augen wurden noch grüner, als sie schon waren. Ansonsten verschwanden alle Klamotten an ihr, die nicht Weis oder Blau waren. Dann war auch schon wieder alles vorbei. Von unsichtbarer Hand gehalten, sank Leaven auf den Boden zurück und blieb bewusstlos liegen. Vitus wollte zu ihr gehen, als sein Freund ihn wieder zurück hielt und bemerkte:
„Hast du vergessen, dass wir sie jetzt im Grunde genommen töten müssten?“
Vitus sah ihn böse an, schob seine Hand von seiner Schulter und ging auf sie zu. Sanft hob er sie hoch und legte sie auf ihr Bett, dann strich er ihr liebevoll über das Gesicht. Mit einem Ruck, riss er sich von ihrem Anblick los und ging wieder aus dem Raum. Die anderen gingen ihm, ohne ein Wort zu sagen, hinterher. Sie alle wussten, dass sie ein ungeschriebens Gebot brachen, indem sie nicht das taten, was der alte Hass zwischen Engeln und Dämonen, verlangte. Aber aus dem einen Grund, nämlich dass Vitus es nicht tat, taten es seine Freunde auch nicht. Nichts war schlimmer, als den Zorn von Vitus auf sich zu spüren, dass wussten seine Freunde gut und es wusste auch Vitus selbst. Doch andererseits wusste Vitus nicht, dass er damit einen Fehler beging...
Leaven erwachte am nächsten Morgen und erkannte, dass sie nicht alleine im Zimmer war. Es waren eine ganze Hand voller fremder Frauen in ihrem Zimmer, von denen ein paar sie untersuchten.
„Guten Morgen Leaven, haben sie gut geschlafen? Ich hoffe, wir haben sie nicht geweckt.“
Sagte eine der Frauen besorgt, die sich direkt neben dem Bett aufgebaut hatte und sie liebevoll ansah. Leaven musterte sie misstrauisch. Die Frau trug ein schlichtes, weises Gewand und hatte hellblonde Haare, durch die ihre Augen, aus strahlend blauer Farbe, hervorstachen. Durch ihre helle Haarfarbe und dem weisen Gewand erschien die Frau zerbrechlich und unerreichbar, dabei schien sie gerade mal um die 40 Jahre zu sein, denn sie hatte ein paar kleine Fältchen in ihrem Gesicht.
„Was tun sie hier? Was machen all diese fremden Menschen hier in meiner Wohnung?“
Fragte Leaven verwundert und versuchte sich in ihrem Bett aufzurichten, doch sie sank völlig entkräftet in das Bett zurück. Die Frau war nicht die einzige, die so hell und rein aussah. Die anderen Frauen hatten entweder hellblonde Haare und blaue Augen, oder blonde Haare und grüne Augen. Niemand hatte dunkelblonde oder gar schwarze Haare. Ausnahmslos alle trugen weise Kleidung und einzigst die Frauen, die blond waren und grüne Augenfarben hatten, trugen noch blaufarbige Kleidung. Leaven war völlig überfordert. Die Frau an ihrem Bett sah sie weiter liebevoll an, setzte sich und wartete, bis sich Leaven ihr wieder zu wandte. Als es so weit war, begann sie:
„Es ist eine lange Geschichte und du wirst nach und nach, in diese eingeführt. Was du jetzt wissen solltest, ist, dass du nun zu uns gehörst. Du hast deine Verwandlung erfolgreich durch geführt und nun können wir dich in unserer großen Familie willkommen heißen.“
„In ihrer Familie? Ich verstehe nicht ganz. Welche Verwandlung?“
Die Frau runzelte die Stirn und fragte:
„Dein Bruder hat dir doch alles erzählt, oder etwa nicht? Deine Wächter haben es mir zumindest so berichtet. Dein Bruder hat dich über die Geschichte im groben und ganzen aufgeklärt und auch darüber, was du bist. Also verstehe ich nicht, wieso du nicht weißt, von was ich rede.“
Leaven sah die Frau erstaunt an. Woher wusste sie, das ihr Bruder ihr alles erzählte? Niemand wusste davon, außer ihr Bruder und sie selbst, denn keiner hatte sie gesehen und sie hatte es bestimmt niemandem erzählt!
„Seit deiner Geburt begleiten dich deine Wächter, es sind kleine Feen, die immer und überall bei dir sind, um dich zu schützen und um deinen Weg und deine Entwicklung zu verfolgen. Von ihnen weiß ich, dass dein Bruder dir vor einiger Zeit alles über uns erzählt hat.“
Leaven riss die Augen auf. Sie wurde immer verfolgt? Wer war diese Familie, dass sie sich das herausnahm? Leaven fragte dies laut und fuhr die Frau an ihrem Bett regelrecht an, doch die blieb ungerührt und erklärte weiter:
„Ich bin ein Engel! Ich heiße Diana Laurens und bin diejenige, die die Geburten der Schmetterlinge überwacht. Meine Aufgabe ist es nun, dir einen neuen Namen zu geben und dich an deine Ausbilderin zu übergeben. Sie wird dich alles über unsere große Familie lehren und dich auf deine Aufgaben als Fee vor bereiten.“
Die Frau strahlte Leaven glücklich an und sah aus dem Fenster. Ein wunderschönes rot breitete sich über der Stadt, im Himmel aus. Die Frau betrachtete einige Momente das Morgenrot und lächelte dann wieder Leaven an.
„Deine Mutter gab dir den Zweitnamen Aurora, habe ich recht?“
Leaven nickte und erklärte matt:
„Ja, sie gab mir ihren Namen als Zweitnamen. Ich fand schon immer, dass Leaven Aurora Hall, nicht gut klingt.“
Die Frau lächelte freundlich weiter und erklärte liebevoll:
„Dennoch hat dein Zweitname eine Bedeutung. Dein Name Leaven ist Teil deines Menschlichen Lebens, dass du nun abgeschlossen hast. Dein Name Leaven, gibt es nun nicht mehr, ebenso wie dein bis jetzt gelebtes Leben. Dein neuer Name soll Aurinia lauten. Es ist eine andere Form von Aurora und bedeutet Morgenröte. Leg dich nun wieder schlafen. Wenn du wieder erwachst, wird deine Ausbilderin hier sein und dich deiner annehmen. Dann solltest du unbedingt ausgeruht sein.“
Aurinia wollte protestieren, als mit einem mal, alles vor ihr verschwamm und sie in einen tiefen, Traumlosen Schlaf versank.
Als Aurinia wieder erwachte, waren ganze zwei Tage vergangen. Diesmal war nur eine einzige Frau im Zimmer, die sich auf einen Stuhl gesetzt hatte und Notizen in ein Heft schrieb. Als Aurinia sich diesmal aufsetzen wollte, gelang es ihr sogar. Sie fühlte sich tatsächlich, wie neu geboren. Die Frau sah wegen der Geräusche auf, die Aurinia machte und betrachtete Aurinia über ihre kleine Brille. Auch diese Frau hatte hellblonde Haare und klare, blaue Augen, aber sie sah Diana nicht im mindesten ähnlich. Diese Frau trug ein weises knie-langes, auf Figur geschnittenes Kleid und war vielleicht gerade mal mitte oder ende 20. Sie schien nicht im geringsten auf Späße aus zu sein. Mit klarem und kalkulierendem Blick maß sie Aurinia, setzte die Brille ab, die sie anscheinden nur zum Lesen oder schreiben benötigte und stellte sich vor.
„Guten Morgen Aurinia, mein Name ist Minerva Muller, ich bin deine Ausbilderin. Ich komme gleich zum harten Teil der Sache. Ich habe deine Akte ausgiebig studiert und habe nun einige Einblicke in dein altes Leben erhalten. Du bist ein Nachzügler. Du bist also spät dran, andere deines Jahrgangs sind schon längst im Einsatz. Nun, so wirst du eben mit den anderen Ausgebildet. In deinen Akten stehen viele negative Dinge. Viele Menschliche Eigenschaften, wie: schnell reizbar, ungeduldig, oft kopflos und vorschnell und so weiter. Das lässt sich alles noch ändern, glaub mir. Weiterhin bist du sehr spät über dein wahres Leben aufgeklärt worden aber mach dir nichts daraus, es gab schon Fälle, die nie aufgeklärt wurden. Was ich mit Missgunst betrachte, ist deine Beziehung zu deinem Stiefbruder Jesse Dorn. So etwas gab es noch nie. Normalerweise werden diese Dämonen eliminiert, bevor sie sich auf Schmetterlinge auswirken können, aber dein Bruder ist uns immer wieder entwischt. Ich bin gespannt, wie sich das alles auswirken wird. Ein weiterer Minuspunkt für deine Ausbildung ist deine Beziehung zu dem Dämon Vitus Valerian. Uns ist leider erst viel zu spät klar geworden, dass zwischen euch etwas entstand, aber bevor wir uns einmischen konnten, hat Vitus Valerian eure Beziehung beendet. Ein kleiner Lichtblick, das muss ich gestehen.
Nun, hast du fragen? Denn sonst würde ich dich gleich mit nehmen.“
Aurinia hörte mit offenem Mund zu. Was sie gerade erfahren hatte, schockte sie bis ins tiefste. Diese Engel hatten sie ihr Leben lang beobachtet und behandelten sie nun, wie ein kleines Kind!! Alles wurde ausgewogen, erwägt, neu durchdacht, überdacht und aufs kleinste Kalkuliert! Dennoch faszinierte sie diese neue, unbekannte Welt und daher hielt sie sich mit ihren anklage Punkten fürs erste zurück.
Sie schüttelte den Kopf. Minerva stand auf und winkte Aurinia mit sich. Minerva gab Aurinia eine blaue Jeans und eine weise Bluse. Auch bei den Schuhen suchte sie ein weises Paar aus. Aurinia verbiss sich ihre Frage und nahm alles an. Dann gingen sie außer Haus. Minerva fuhr Aurinia in eine andere Stadt und zu einem großen Gebäude-Komplex, zu dem ein abgegrenzter Garten gehörte und ein riesiger, neumodischer Wolkenkratzer bildete das Zentrum. Weiter hinten auf dem Grundstück sah Aurinia eine stattliche Kirche. Minerva fuhr durch eine Kontrolle, am Eingang des Grundstückes, an der drei Frauen in weisen Uniformen, blonden Haaren und blauen Augen standen und den Ausweis von Minerva kontrollierten. Jede von ihnen trug ein Schwert an ihrem Gürtel, dass reich verziert war. Dann fuhr Minerva zu einem Gebäude, das etwas abseits lag und das eher wie ein kleines Hotel aussah. In dieses „Hotel“ führte Minerva ihren dazu gewonnenen Schützling.
In diesem Gebäude gab es in den oberen Stockwerken einige Schlafsääle, einen Gemeinschafts-Raum und eine große Küche. In den unteren Stockwerken gab es eine große Sporthalle, eine Art Klassenzimmer, eine Bibliothek und andere Räume, mit denen Aurinia noch nichts anfangen konnte.
„Hier wirst du die nächsten Monate leben. Dieser Schlafsaal ist deiner, du musst dir ein Bett aussuchen, das noch nicht belegt ist. Deine Klamotten werden schon zusammengestellt, so dass du dir darüber keine Gedanken machen musst. Nun stelle ich dir deine Kameraden vor.“
Minerva führte Aurinia zu dem Zimmer, in dem sich fünf Mädchen aufhielten, die alle um die 20 Jahre waren, also etwa vier Jahre jünger waren, als Aurinia.
„Hier ist eure neue Kameradin, sie ist frisch geboren und wird mit euch die Ausbildung beenden. Nun lasse ich euch alleine, damit ihr sie ein wenig einweihen könnt, wie es hier so ist.“
Damit ging Minerva und lies Aurinia alleine zurück. Die fünf Mädchen gingen freudig auf Aurinia zu und stellten sich vor. Sie hießen Selene, Vesta, Fauna, Flora und Helena. Da Aurinia nun wusste, dass sie alle neue Namen bekommen hatten, ebenso wie sie und diese nach besonderen Begebenheiten vergeben wurden, fragte Aurinia die fünf, wie sie zu diesen Namen gekommen waren.
„Mein Name lautet Selene und ich bekam ihn, da ich bei Vollmond geboren wurde, denn Selene heißt die Griechische Mondgöttin. Vesta wurde so genannt, da sie geboren wurde, als sie sich etwas zu essen machen wollte, also am Herdfeuer stand. Vesta war die Göttin des Herdfeuers. Fauna und Flora sind Zwillinge, die beiden verwandelten sich, als sie im Wald spazieren gingen. Fauna war die Waldgöttin und Flora die Blumengöttin. Helenas Name kommt von Helios, dem Sonnengott, da sie an einem strahlenden Tag zur Welt kam. Ich vermute, dein Name hast du deswegen bekommen weil an deinem Geburtstag ein Morgenrot den Himmel zierte, nicht wahr?“
Erklärte Selene und Aurinia nickte ergeben. Die fünf nahmen sich Aurinia an und erklärten ihr, dass das tägliche Programm aus verschiedenen Stufen bestand. Zuerst wurde ihnen die Geschichte der Engel bei gebracht, dann die Geschichte über den Heiligen Krieg und die innere Struktur der Heiligen Familie. Dazwischen erhielten sie Training im umgang mit Waffen und dem Verhalten im Kampf und außerdem noch in Zauberei. Erst am Ende der Ausbildung würde sich dann entscheiden, für was die Feen geeignet waren. Denn sie würden dann auf fünf Zentimeter schrumpfen und einem Engel zugeordnet werden, dem sie für immer dienen mussten.
Aurinia gab sich in ihr Schicksal und lernte eifrig. Sie lernte ihre neuen Freundinnen richtig kennen und lieben und bald wurden sie zu einer eingeschworenen Gemeinschaft. Drei Monate vergingen im Flug, in denen Aurinia lernte und bald „Klassenbeste“ wurde. Nach kurzer Zeit war sie wie verändert. Sie kannte sich in der Geschichte der Engel, also der Heiligen Familie aus.
Sie lernte, dass die Engel höher gestellt als die Feen waren und somit die Feen alles zu tun hatten, was ihnen aufgetragen wurde und das, ohne nach zu fragen. Feen waren daran zu erkennen, dass sie keine weise Flügel besaßen, sondern sie hatten durchsichtige, schmetterlingsartige Flügel, die ebenso zart und zerbrechlich waren. Außerdem hatten sie grüne Augen und blonde Haare. Engel konnten ihre Flügel verschwinden lassen und waren immer normal groß, aber Feen waren eben Feen. Sie waren maximal fünf Zentimeter groß und hatten immer ihre kleinen Flügel, aber dafür waren sie vor den Augen der Menschen unsichtbar, ganz im Gegenteil zu den Engeln.
Es gab aber sonst keine Unterschiede zwischen ihnen und den Engeln. Alle gingen Sonntags in die Kirche und alle kannten die Bibel in- und auswendig. Aurinia musste sie ebenfalls auswendig lernen, aber sie hatte Freude daran und lernte, ihren Herrn zu lieben. Außerdem lernte Aurinia, ihre Kräfte ein zu setzen und das es in der Himmlischen Familie auch noch andere Wesen und verschiedene Schichten gab.
Es gab drei Engel, die an höchster Stelle standen und den sogenannten Hohen Rat bildeten. Dieser bestand aus den drei Engeln: Raphaela, Michaela und Gabriela. Aurinia hatte den Rat noch nie gesehen und sie würde sie auch erst zu Gesicht bekommen, wenn ihre Ausbildung zu Ende wäre. Sie lernte auch schnell zu verstehen, dass Engel keinen Wiederspruch duldeten und ganz sicher keinen von einer Auszubildenden Fee. Daher blieb Aurinia meist stumm und ergab sich Nachts in Grübeleien. Keine ihrer fünf Freundinnen bemerkte, dass sie Nachts heimlich weinte. Seit drei Monaten weinte sich Aurinia in den Schlaf, seit ihr klar geworden war, dass es keinen Ausweg für sie geben würde. Sie musste irgendwann gegen Dämonen kämpfen und damit gegen ihren Bruder und gegen ihre große Liebe.
Das Ende der Ausbildung rückte näher und nun war der Tag gekommen, in der sie vor dem Hohen Rat zeigen mussten, was sie gelernt hatten. Dies schloss eine Kampf Probe, sowie eine Befragung mit ein. Aurinia war die dritte, die geprüft wurde. Ihre Freundinnen Vesta, Selene und Flora hatten alle schon bestanden.
Der Hohe Rat saß hinter einem halbrunden Tisch und sahen dem geschehen zu.
Zehn Engel warfen sich mit gezückten Schwertern auf Aurinia und Aurinia brauchte nicht lange, um alle zehn, im Handumdrehen zu besiegen. Natürlich verwundete sie keine einzige, aber jeder entriss sie ihr Schwert.
„Gut gemacht Aurinia. Nun komm näher zu uns.“
Befahl der hohe Engel, der Aurinia mit Michaela vorgestellt wurde. Sie war eine strenge aber strahlende, gutaussehende Frau, in einem weisen prunkvollen Gewand. Aurinia tat wie ihr Geheisen und kam näher. Da sie nur eine Fee war, kniete sie vor dem Hohen Rat nieder, um nicht ihren Unmut zu erwecken. Nun kam die Befragung. Sie antwortete immer auf alle Fragen und hoffte, dass sie bald gehen durfte, als die nächste Frage sie völlig unvorbereitet traf.
„Wie würdest du reagieren, wenn du auf einer leeren Straße auf einen Dämon treffen würdest, der dich angreift?“
Aurinia antwortete dennoch wie aus der Pistole:
„Ich würde mich verteidigen und den Dämon besiegen, euer Ehren.“
Michaela zog eine Augenbraue hoch und fragte weiter:
„Und wie würdest du reagieren, wenn sich herausstellen würde, dass der angreifende Dämon dein Bruder Herr Dorn oder Herr Valerian wäre?“
Aurinia vergaß all ihren Respekt, denn eine solche Frage hatte sie nicht erwartet. Sie stand auf und sah Michaela ungläubig an, dann antwortete sie ehrlich:
„Dann würde ich den Kampf beenden, in dem ich aufhören würde, mich zu verteidigen!!“
Michaela sah missmutig in Aurinias provozierend glänzende Augen. Die anderen beiden Engel sogen erschrocken die Luft ein, eine solche Antwort hatten sie noch nie gehört.
„Dann wird er dich töten.“
Bemerkte Michaela kalt und Aurinia schüttelte heftigst den Kopf.
„Nein, würde er nicht.“
Mit eiskaltem Blick richtete sich Michaela zu voller Höhe auf und sagte mit schneidender Stimme, die keinerlei Wiederspruch zuließ:
„Wo bleibt dein Respekt? Und wie kannst du es wagen, mir zu wiedersprechen? Hast du in diesen acht Monaten nichts gelernt? Dämonen sind böse und haben nur das Ziel, die Menschen und die Engel zu töten und du behauptest, dass dieser Dämon eine Ausnahme machen würde? Geh uns aus den Augen und zwar auf der Stelle!!“
Aurinia zuckte erschrocken zusammen, dennoch gab sie sich nicht die mühe, ein Entschuldigendes Wort hervor zu bringen und ging trotzig aus dem Raum. Dabei ging sie, wie sonst eigentlich absolut Verboten, mit dem Rücken zum Hohen Rat aus dem Raum. Ein weiterer Punkt, den noch nie ein Himmlisches Wesen sich getraute.
Aurinia kletterte auf die große Eiche, auf der sie und ihre Freundinnen sich oft setzten, und die auf dem Grundstück der Heiligen Erde befand (also auf dem Grundstück, auf dem das Zentrum der Engel stand). Oben angelangt fragte Vesta:
„Und? Wie lief es bei dir so?“
Aurinia schüttelte betrübt den Kopf.
„Nicht gut. Ich habe Michaela angefahren und habe den Respekt total fallen lassen. Ihre Frage hat mich völlig draus gebracht. Fragt mich aber bloß nicht, wie diese Frage lautete. Ich möchte nicht darüber reden.“
Aurinia zog ihre Beine an ihren Körper und umschlang sie. Traurig sah sie auf den Boden. Sie wusste nicht, was sie nun zu erwarten hatte, aber es war ihr vollkommen egal. Dass sie Michaela offen ausgebreitet hatte, dass sie nie gegen Vitus oder Jesse kämpfen würde, machte ihr zu schaffen. So wie sie sich nun auskannte in der Himmlischen Struktur und deren Vorgehensweisen, war dem Hohen Rat zu zutrauen, dass sie so schnell wie möglich versuchen würden Vitus und Jesse zu beseitigen. Denn diese wurden zu einer Gefahr, wenn sie, Aurinia, nicht gegen sie kämpfen konnte. Minerva kam herbei und fragte Aurinia besorgt:
„Aurinia!! Was hast du gesagt, oder getan? Der Hohe Rat ist aufgebracht und will mich unbedingt sprechen! Was hast du nur getan, um ihren Missmut so zu erregen?“
Aurinia zischte zu Minerva:
„Frag sie selbst! Ich will nicht darüber reden!“
Minerva zog gereizt eine Augenbraue hoch, aber sie sagte nichts dazu. Sie hatte die Hoffnung, Aurinias Reizbarkeit und ihre Respektlosigkeit zu ändern, aber sie hatte schon nach zwei Monaten Training aufgegeben. Aurinia war eben völlig anders als alle anderen Feen vor ihr. Minerva ging zum Hohen Rat und wappnete sich gegen das schlimmste. Die Hohen Engel hatten sich wieder hinter dem halbrunden Tisch nieder gelassen und warteten gefasst auf Minerva. Diese trat ein und verbeugte sich nur kurz. Da sie ebenfalls ein Engel war, musste sie nicht, wie Feen oder andere Wesen, vor dem Hohen Rat knien.
„Ihr habt mich rufen lassen Michaela?“
„Ja, ganz recht Minerva. Du hast noch nie versagt in der Ausbildung von Feen, also sag mir, was bei Aurinia schief gelaufen ist!“
Minerva sah Michaela nachdenklich an und antwortete ehrlich:
„Ich weiß es selbst nicht. Aurinia ist sehr willensstark und musste nie jemandem gehorchen, außer sich selbst. Sie ist eine Fee, wie es noch nie eine gab. Außerdem glaube ich, dass diese Beziehung zu diesem Dämon, die es auch noch nie gab, eine wichtige Rolle in dem Verhalten von ihr spielt. Es steht aber außer Frage, dass sie eine der besten Kämpferinnen ist, die wir je hatten, außerdem lernte sie mehr und besser, als irgendeine ihres Jahrganges und die sind immerhin schon im Einsatz.“
„Ja, das haben wir festgestellt. Wir haben Zehn Engel auf sie angesetzt. Und zwar unsere zehn besten, du weißt von welchen ich rede? Außerdem hatte sie Fragen richtig beantwortet, die selbst manche Engel falsch machten. Dennoch ist die Tatsache, dass sie diesen Herrn Dorn und Herrn Valerian nicht angreifen und besiegen kann, eine Bedrohung für unsere Ordnung. Minerva. Wir haben beschlossen, Aurinia, in den stand eines Engel zu erheben.“
Minerva sah Michaela und die beiden anderen ungläubig an. Dies war das letzte gewesen, mit was Minerva gerechnet hatte. Auch so etwas hatte es noch nie gegeben. Doch bevor sie fragen konnte, weshalb, antwortete Raphaela, die rechts von Michaela saß:
„Wir beabsichtigen damit, sie mehr an die Himmlische Familie zu binden. Als Engel muss sie mehr Verantwortung tragen. Wir wissen, dass es so etwas noch nie gab, aber wir wissen auch, dass diese Situation Entscheidungen bedarf, die außergewöhnlich sind.“
Minerva staunte noch immer, als Gabriela, auf der linken Seite von Michaela sagte:
„Dies ist nicht unsere einzige Entscheidung. Wir haben außerdem Beschlossen, dass Aurinia zu einer auserwählten Gruppe von Engel kommt, die den Auftrag erhalten Herr Valerian und ihren Bruder Herrn Dorn zu töten. Damit kommt sie in einen Gewissens Konflikt und muss sich in ihr Schicksal ergeben. Vielleicht weiß sie dann, wo ihr Platz ist.
Das wäre alles, was wir dir zu sagen hätten. Bereite Aurinia dafür vor, in sieben Tagen zu einem Engel erhoben zu werden.“
Minerva verbeugte sich ehrfürchtig und verlies hastig den Raum. Sie konnte noch immer nicht glauben, was sie gerade gehört hatte. Es war eine Ehre für Aurinia, ein Engel zu werden, keine Frage. Minerva freute sich für Aurinia und beschloss, die Nachricht, dass Aurinia und ein paar andere gegen zwei, ihr bekannte, Dämonen kämpfen sollten, noch zurück zu halten, bis sie es Aurinia zumuten konnte, es zu erfahren.
Aurinia war diese Nachricht, dass sie ein Engel werden sollte, völlig egal. Sie überlegte fieberhaft, was sich der Hohe Rat noch ausgedacht haben könnte, um sie zu bestrafen. Aber sie kam nicht dahinter. Ihre fünf Freundinnen bestanden unterdessen die Ausbildung und erhielten den Auftrag, Aurinia, wenn sie ein Engel werden würde, zu dienen. Darauf freuten sich die fünf, denn sie sahen in Aurinia nun nicht mehr nur eine Freundin sondern ein Idol. Keine Fee hatte es geschafft, ein Engel zu werden.
Am besagten Tag, wurde Aurinia in der Kirche, durch eine Zeremonie, in den Stand eines Engels erhoben. Nun bekam sie strahlend blaue Augen, hellblonde Haare und ein paar weiser Flügel. Sie musste geloben, das Reich des Herrn und alle Menschen vor den Bösen zu schützen, dann, bekam sie am Ende des Gottesdienstes einen Umschlag, in dem ihr erster Auftrag steckte.
Zusammen mit ihren Freundinnen und nun Untergebenen, öffnete sie noch am selben Tag, den Umschlag, in den Wipfeln der Eiche.
„Ja, ja, ich les ja schon vor. Also, wir freuen uns sie begrüßen zu dürfen... bla, bla, bla. Leider müssen wir mitteilen, dass sie sofort einen Auftrag erhalten, bla, bla und so weiter. Ah hier ist endlich der Auftrag beschrieben! Sie und ein paar andere erwählte Engel müssen noch in den nächsten Tagen herausfinden, wo sich die Dämonischen Clans von Vitus Valerian und Jesse Dorn aufhalten, und sie der sofortigen Eliminierung aussetzen.“
Aurinia sank in sich zusammen und lies das Schreiben fallen. Das konnte nicht sein! So hinterhältig hätte sie den Hohen Rat niemals eingeschätzt!! Ihre Freundinnen sahen sie erschrocken an und fragten, was denn mit ihr sei. Nach einer kurzen Überlegung beschloss Aurinia, ihnen alles zu erzählen. Sie waren ja verpflichtet, ihre Geheimnisse zu wahren und ihr zu folgen, egal wo hin.
Sie klärte die fünf über Vitus auf, darüber was sie vor dem Hohen Rat getan hatte und das sie niemals Vitus oder Jesse angreifen, geschweige denn töten könnte.
„Ich glaube du hast ein Problem Rinia. Und das auch noch kein kleines. Ich muss gestehen, so herzlos hätte ich den Hohen Rat auch niemals eingeschätzt, dennoch musst du diesen Auftrag ausführen. Vitus würde es ebenfalls tun.“
Sagte Fauna betrübt. Alle ihre Freundinnen standen hinter Aurinia und stärkten sie, aber sie wussten auch, dass Aurinia keine andere Wahl hatte, als den Befehl zu gehorchen.
Kühn beschloss Aurinia:
„Dann muss ich irgendwie, Vitus und Jesse, vor den anderen finden, und sie warnen. Es ist ein schwieriges Unterfangen, denn die anderen Engel müssen glauben, ich wollte sie ebenfalls töten, aber gleichzeitig muss ich Vitus klar machen, dass sie in Gefahr sind. Helft ihr mir dabei?“
Die fünf nickten, auch wenn ihnen anzusehen war, dass diese Idee, nicht die beste war. Dennoch wollten sie Aurinia helfen. Aurinia wurde sich nun erst wirklich bewusst, dass die Engel nicht mehr so unschuldig waren, wie es noch zu Beginn der Zeit war. Hatte sie nicht eigentlich gelernt, sich nur zu verteidigen? Doch alle Engel erwarteten, dass man hinsichtlich der Dämonen ein Auge zudrückt. Aurinia wurde so erzogen, dass sie automatisch jeden Dämon angriff, bis sie gewann, doch selbst Jesse hatte ihr doch erzählt, dass die Engel sich nur verteidigten und niemals angriffen. Bis jetzt war es Aurinia nie klar gewesen, doch nun erschien alles in einem anderen Blickfeld. Die Engel durften nicht kämpfen und wenn, dann nur zur Verteidigung!
Aurinia beschloss im stillen, diesen Grundsatz beizubehalten.
In einem der Räume, in den Bürogebäuden der Heiligen Erde, fanden sich die erwählten Engel ein, um die Führerin ihres Aufrags kennen zu lernen. Es waren neun an der Zahl, die anscheinend die Elite darstellte. Jede der neun Engel brachte ihre Feen mit, die im Zimmer umher schwirrten. Als die Anführerin sich erhob, schwirrten die Feen zu ihren jeweiligen Herrinnen zurück.
„Guten Tag meine Damen. Wenn ich nun um Ruhe bitten dürfte, ich habe einige Dinge zu verkünden. Zu aller erst meinen Namen. Ich bin Furia Schneider und werde die Anführerin sein. Ich erwarte von jedem Bereitschaft, Disziplin und unbedingten Gehorsam. Eigeninitiativen sind nur bedingt erlaubt. Meine Aufgabe ist es euch über den Stand unseres Wissens auf zu klären. Vitus Valerian ist Sänger der international bekannten Band THE BLACK DEATH. Wir wissen, dass er ein Dämonen ist. Weiterhin ist uns bekannt, dass Vitus Valerian und ein paar seiner Freunde einen starken Clan bilden, der sich aus mehreren bekannten Dämonen zusammensetzt und dem wir schon oft versucht haben bei zu kommen. Leider sind sie uns immer wieder entwischt. Von Jesse Dorn wissen wir nicht sehr viel. Er ist der Stiefbruder unseres Neuzugangs Aurinia -“
Furia deutete auf Aurinia und fuhr einfach fort, während die anderen sieben Engel im Raum, Aurinia neugierig musterten.
„Wir glauben, dass er kein Führer eines Clans ist, aber zu einem anderen Clan gehört, als Vitus Valerian. Nur wissen wir nicht sehr viel über diesen Clan, denn er ist relativ ruhig und nicht sehr aktiv. Nun lautet mein erster Befehl: Umziehen in die Stadt, in der sich der Clan vermutlich aufhält. Alles weitere kommt dann.“
Dies war soweit alles, was Aurinia an diesem ersten Treffen erfuhr. Sie zog mit den anderen Engeln, die sich alle darauf freuten, zu kämpfen, in die besagte Stadt um. Diese Stadt, war die, in der die Plattenfirma von Vitus ihr Büro hatte, und auch der Ort, an dem sie Vitus wieder gefunden hatte. Nach und nach fand Aurinia heraus, dass die Stadt von Dämonen und Engeln nur so wimmelte, man musste nur wissen, wo man zu suchen hatte. Im Untergrund lebten die Dämonen, sie gingen meist den Engeln aus dem Weg. Außerdem kamen sie nur selten bei Tageslicht hervor. Wenn sie dies aber doch taten, dann erkannte man sie an ihrer schwarzen Kleidung und ihrer blasen Haut. Sie hielten sich an verschiedenen Orten, meist Bars oder Discos auf, in die Engel nie gingen, und von denen allgemein bekannt war (auch unter Menschen), dass sie böse Orte waren.
Natürlich waren Engel Nachts nie unterwegs, außer sie hatten einen Auftrag. Wenn nicht dieser Krieg wäre, so dachte Aurinia oft, dann könnte man fast annehmen, dass sich Dämonen und Engel aus dem Weg gehen würden.
Dies stimmte auch fast, gäbe es da nicht immer wieder vermisste Engel oder Menschen. Diese konnten nur von Dämonen getötet worden sein. Aus Rache, erwischten die Engel auch, ein ums andere mal ein Schattenwesen, einen Vampir und nur selten einen Dämon, dessen Seele unter Qualen gereinigt wurde. Für Dämonen bedeutete dies nichts anderes, als das, was für einen Engel die Hölle bedeuten würde.
Aurinia erkannte, dass es im Grunde zwei Ansichten auf Erden gab, die sich gegenseitig aufs heftigste ausschlossen und bekriegten. Jedes Mal, wenn Aurinia darüber nach denken wollte, wie man dieses Problem beheben könnte, zwang sie sich dazu, aufzuhören, denn sie hatte einen anderen Auftrag. Einen offiziellen und einen geheimen. Den geheimen wollte sie unbedingt ausführen, bevor es zu dem offiziellen kam.
Ihre Feen klapperten die ganze Stadt ab, nach Orten, die dämonisch waren und bald hatte Aurinia einen groben Lageplan von Bars, Discos und anderen Orten, an denen sich manchmal Dämonen aufhielten. Natürlich war dies nur ein grober Plan, da es noch viele Orte gab, an die ihre Feen nicht gehen konnten.
Aurinia und die acht anderen Engel hatten eigene Häuser, um so wenig aufsehen wie möglich zu erregen. Aurinia konnte sich noch immer nicht daran gewöhnen, dass sie nur weise Klamotten tragen durfte, da sie nun ein Engel war. Alles andere wurde von ihrem Körper verbrannt. Als sie noch eine Fee war, durfte sie wenigstens noch blaue Klamotten tragen.
Nach fast einem Monat suche, entschloss sie sich eines Nachts dazu, in die Gassen zu gehen, in denen sie Vitus zuletzt getroffen hatte und dabei störte die weise Kleidung ungemein. Leider lies sich nichts dagegen unternehmen. Bevor sie ging, befahl sie ihren Feen ausdrücklich:
„Ihr bleibt hier, verstanden? Die Gasse ist gefährlich und ihr müsst hier Wache halten. Wenn ein anderer Engel kommen sollte, erklärt eben, dass ich unterwegs bin, die Clans aufzuspüren. Ja?“
Sie nickten widerwillig, denn so konnten sie Aurinia nicht beschützen, wenn ihr etwas zustoßen sollte.
„Pass auf dich auf! Immerhin sind und bleiben sie dennoch Dämonen!!“
Riefen ihr Flora und Selene hinterher. Sie nickte ein letztes mal und ging in die Nacht hinaus.
Nach kurzer Zeit hatte sie die Gassen gefunden und ging durch sie hindurch. Es war ja so anders, als beim letzten mal. Sie fühlte sich zwar nicht sicherer, aber anders. Immerhin war sie nun auch ein magisches Wesen und nicht mehr ganz so hilflos. Der Obdachlose vom letzten mal war nicht mehr hier, aber die Schattenwesen waren es. Sie konnte sie, dank ihrer Kräfte spüren. Ein paar griffen sie wieder an, als sie nach rechts ging, doch diesmal war sie nicht unvorbereitet. Mit einem Schlag hatte sie Flügel und ein silbern glänzendes Schwert in Händen, mit dem sie die Schattenwesen in kleine Teile zerteilte. Die anderen Wesen hielten inne und zischten böse. Dann sagte einer von ihnen mit Verachtung strotzender Stimme:
„Ein Engel!! In unserer Straße! Was verschafft uns die Ehre du garstiges Biest?“
„Ich brauche eine Auskunft. Wo hält sich Vitus versteckt? Ich muss mit ihm reden, ich verspreche, ich werde euch nichts tun, wenn ihr mir sagt, wo er sich aufhält, denn ich weiß, dass ihr es wissen müsst.“
Aurinia wusste, dass diese Wesen nicht so einfältig waren, und sie einfach so zu Vitus führen würden. Aber es war ein Versuch wert. Das Wesen zischte amüsiert:
„Genau, wir verraten dir, wo er steckt, dann rottest du uns und danach Vitus’ Clan aus. Das finde ich doch sehr nach dem Geschmack eines Engels. Tötet sie!!“
Aurinia reagierte sofort, als alle Wesen auf sie stürzten und erledigte einen nach dem anderen. Als die Wesen einsahen, dass es unsinnig war, sie angreifen zu wollen, hielten sie wieder inne. Das Wesen, dass zu ihr gesprochen hatte, sah auf die Leichen seiner Genossen, sah Aurinia wieder zornfunkelnd an und begann in einer so hohen Frequenz zu schreien, dass Aurinia sich die Ohren zu halten musste. Als es wieder still wurde, sah Aurinia sich um. Nichts war geschehen, im Gegenteil, die Wesen begannen zu flüchten!! Doch Aurinia wollte nicht nachgeben und folgte den Wesen, die Gasse entlang.
„So haltet doch! Ich muss wissen wo -“
Aurinia stockte im Satz und hielt mit ihrer Verfolgung inne. Der Himmel über ihr bestand aus flatternden kleinen Wesen, die sich nun kreischend auf sie stürzten. Es waren Millionen von Fledermäusen, die nun Aurinia umflatterten. Sie war so damit beschäftigt, sie abzuwehren, dass sie nicht bemerkte, dass noch andere Wesen unter den Fledermäusen waren und nun lautlos landeten, um sie zu umzingeln.
Erst als sie dachte, die Fledermäuse verjagt zu haben, sah sie, dass mehr als zehn Dämonen, sie umringt hatten und sie mit ihren unterschiedlichen Waffen bedrohten. Keiner von ihnen sah erfreut aus, allerdings war keiner von ihnen ein erhoffter Bekannter. Aurinia erkannte, dass sie Mist gebaut hatte, denn wenn sie nun nicht vorsichtig war, war dieses Abenteuer mit Sicherheit gleich zu Ende. Sie hielt den Griff ihres Schwertes mit schweisnassen Händen umklammert und wartete wie ein normaler Engel darauf, sich zu verteidigen, denn ein Engel durfte nie zuerst angreifen.
„Da ist das freche Biest, dass uns dezimiert hat. Na los! Greift sie an!!“
Rief der Schatten, der Aurinia seine Kumpel an den Hals gejagt hatte und der sich nun, im Schutz der Dämonen, wieder etwas näher an Aurinia heran traute.
„Nein!“
Befahl einer der Dämonen, trat vor Aurinia und hielt ihr seine Sense unter die Nase.
„Wir töten nicht ohne Grund, außerdem würde mich doch mal interessieren, was ein Engel zu dieser Stunde in unserem Revier tut! Na? Wie heißt du? Und was willst du hier?“
„Ich heiße Aurinia Hall und ich bin hier, um mit Vitus zu sprechen, ich habe eine wichtige Nachricht für ihn, die nur für ihn ist.“
Aurinia hoffte, dass Leo ihr glaubte und sie zu Vitus brachte. Doch so leicht würde sich das wohl nicht ergeben.
„Warum sollte ich dich zu Vitus bringen? Damit der Rest deines Haufens über uns her fällt und uns alle tötet? Da musst du schon mit einem besseren Grund aufwarten.“
Aurinia sah ein, dass die Feindschaft einfach zu alt war, um einfach so mal alles zu ändern. Sie atmete tief ein, stellte sich langsam, gerade hin und lies ihr Schwert verschwinden. Mit konzentriert beruhigter brachte sie dar:
„Ich ergebe mich, ihr seht, dass es mir nicht darum geht, irgend wen von euch zu töten oder zu verraten. Ich bin alleine hier und auf eigener Verantwortung. Bitte glaubt mir. Es ist wichtig, dass ich mit Vitus sprechen kann. Ich weiß nicht, ob das etwas bringt, aber früher hieß ich Leaven. Vitus kennt diesen Namen.“
Leo war nicht beeindruckt von dem Namen, der ihm nichts sagte, aber einer der Dämonen hinter Aurinia sog erschrocken die Luft ein.
„Lev? Was...? Ich verstehe nicht. Du müsstest doch eine Fee sein und kein Gottverdammter, Scheißdrecks Engel!! Das kann nicht sein!“
Rief der Dämon hinter ihr aus und kam um Aurinia herum, so dass sie sehen konnte, wer sprach. Es war Gin, ein Freund von Vitus und Bassist in der Band THE BLACK DEATH. Er stellte sich vor Aurinia, lies seine Waffe verschwinden und betrachtete Aurinia genau. Dann kam er zu einem Entschluss.
„Ja, das ist Lev. Die Augen und Haarfarbe stimmt nicht, aber ihr Gesicht erkenne ich überall wieder! Leo! Ich übernehme die volle Verantwortung dafür, wir müssen sie zu Vitus bringen, hier ist etwas seltsames im Gange. Sie war eigentlich ein Schmetterling und nun ist sie ein Engel!“
„Das ist ausgeschlossen! Wenn sie ein Schmetterling war, wäre sie nun eine Fee.“
Wiedersprach Leo und lies seine Sense weiterhin unter Aurinias Nase. Gin nickte aufgebracht und erklärte zustimmend:
„Eben!! Sie ist aber keine Fee. Glaub mir, ich habe ihre Verwandlung zu einer Fee mit eigenen
Augen gesehen. Und warum ist sie nun ein Engel? Wir müssen sie unbedingt zu Vitus bringen! Er entscheidet dann, was mit ihr geschieht“
„Ein Vorschlag Jungs, wenn ihr erlaubt, ich habe schließlich nicht die ganze Nacht Zeit, ich muss morgen früh spätestens zurück. Hier also mein Vorschlag. Verbindet mir die Augen, so dass ich nichts sehen kann und den Weg zu eurem Versteck auch nicht verraten kann. Egal was ihr nun tut, macht es schnell!!“
Erstaunt sahen Leo und Gin zu Aurinia und so stimmte Leo dann doch noch zu. Aurinia musste sich die Augen verbinden lassen und dann führten sie sie zu Vitus. Nach einer halben Stunde kamen sie an ihr Ziel und Aurinias Augenverband wurde abgenommen. Sie befand sich in einer Bar, die tief unter der Erde liegen musste, denn es gab keine Fenster. Es waren viele Dämonen anwesend aber nur wenige waren Aurinia bekannt. Leo war nicht der einzige allgemein bekannte, der ein Dämon war.
Vitus ging wortlos zur Bar, schenkte sich einen Whisky ein und steckte sich eine Zigarette an. Aurinia würdigte er keines Blickes. Die drei anderen Bandmitglieder, der Band THE BLACK DEATH, die Aurinia sahen, kamen zu ihr her und fragten sie verwirrt, was sie, zum Teufel, hier tat. Gin und Leo erklärten, was passiert war und alle verstummten dann, damit Gin ihr einige Leute vorstellen konnte.
„Darf ich dir Vorstellen Lev? Das hier ist Stephan Garner. Das hier ist Joe Arnold und das hier ist Leo Ylyon.“
Aurinia nickte den betreffenden zu, als sich plötzlich Vitus erhob und mit ruhiger Stimme befahl:
„Sofort alle raus hier!“
Alle gingen, außer die Freunde der vier wichtigsten Dämonen des Clans, die sich hier versammelt hatten. Gin verstummte schlagartig und zog sich zurück. Aurinia wusste dass Gin sich freute, sie wieder zu sehen, auch wenn sie ein Engel war. Das war eigentlich nicht gut und das wusste Vitus. Dieser sah Aurinia nachdenklich an und fragte barsch:
„Warum bist du ein Engel? Wir waren bei deiner Verwandlung anwesend. Du hattest dich in eine Fee verwandelt und nicht in einen Engel!“
„Das ist eine lange seltsame Geschichte. Deshalb bin ich nicht hier her gekommen. Ich möchte euch warnen. Ihr seid in Gefahr! Ich bin mit acht anderen Engeln dazu auserwählt worden, euch zu finden und zu eliminieren.“
Sofort versteiften sich alle Anwesenden und Vitus sagte misstrauisch:
„Schön dass du uns das vor unserer Vernichtung sagst Lev. Wann greifen sie an, in ein paar Minuten oder jetzt, in diesem Augenblick?“
„Nein, dass meinte ich nicht. Außerdem heiße ich nun Aurinia. Dann muss ich wohl alles erklären, wie?“
Aurinia begann alles zu erzählen, außer dass, was sie sich vor dem Hohen Rat geleistet hatte. Als sie endete, sah sie auf den Boden. Sie hatte sich so gewünscht, jemandem alles erzählen zu können. Sie verschwieg auch, dass sie Vitus noch immer liebte, dass sie ihn vermisste und dass es sie einige Mühe kostete, ihm nicht gleich um den Hals zu fallen. Vitus ging nichts ahnend zu seinem Whisky zurück und Gin sagte:
„Ich bin zwar nur ein kleiner Lakai, aber ich glaube Lev, äh, Aurinia diese Geschichte.“
Aurinia lächelte und sagte sofort:
„Ihr könnt mich Rinia nennen. So nennen mich alle.“
Alle nickten oder sahen sie dankbar an, dann starteten die anderen eine Diskussion darüber, ob sie Aurinia glauben schenken konnten oder nicht, bis Vitus sie schließlich alle unterbrach und sie alle ausnahmslos nach draußen schickte. Damit waren sie beide allein. Aurinia war unfähig etwas zu sagen, da sie nun alle ihre Gefühle für Vitus überschwemmten. Vitus drehte sich auf dem Barhocker zu ihr herum und lehnte sich auf den Tresen zurück. Nachdem er sie eine weile ungerührt gemustert hatte, bemerkte er trocken:
„Jetzt kannst du sagen, was du verschwiegen hast.“
„Woher..?“
Begann Aurinia verirrt, als sie Vitus unterbrach.
„Ich kenne dich Rinia. Man braucht man keine besondere Fähigkeit, um zu wissen wann dich etwas bedrückt.“
Aurinia gab auf, und erzählte Vitus auch den Rest der Geschichte. Damit beendete sie ihre Erzählung:
„Und nur, weil ich meinen Bruder und dich liebe, müsst ihr sterben. Nur weil ich euch nie etwas tun würde, seid ihr ein Problem für die da oben und so müsst ihr sterben. Nicht nur, dass ihr aus diesem Grund dran glauben müsst, nein, sie wollen auch noch, dass ich dabei bin, wenn sie euch Sinnloserweise hinrichten. Ich liebe dich Vitus, immer noch. Ich habe nie aufgehört, dich zu lieben, selbst als sie mir sagten, dass Dämonen nichts wehrt seien. Trotzdem dass Jesse sagte, dass es Schwachsinn sei, glaube ich immer noch daran, dass es eine Lösung gibt, dass Engel und Dämonen zusammen sein können. Ich glaube fest daran, auch gegen deine Aussage, dass du mich nicht liebst. Glaub mir, wenn ich sage, dass ich nicht hier stehen würde und euch vor meiner eigenen Familie warnen würde, wenn ich nicht mit vollem Herzen daran glaube.“
Aurinia fühlte sich hilflos, denn sie wusste nicht, wie sie Vitus verklickern konnte, dass sie zwar ihre Familie hintergehen aber niemals angreifen würde. Dass sie ihn zwar liebte, aber nicht für ihn, ihre Familie zerstören würde, um ihm zu beweisen, wie sehr sie ihn liebte. Sie sah ihn an und wartete darauf, dass er etwas sagte. Nun realisierte sie erst, wie er sich seit ihrer letzten Begegnung verändert hatte. Er war blasser, als er es normalerweise war und er hatte abgenommen. Nicht sehr viel, aber doch so, dass sie es sah. Seine dunkelbraune, lockigen Haare hatten viel von ihrem Glanz eingebüßt und nur seine graugrünen Augen glitzerten. Er sah sie aufmerksam an, dann schlug er die Augen nieder und sagte:
„Ich verstehe dich, dennoch muss ich dir sagen, dass es ein frommer Wunsch ist, an so etwas zu glauben. Weder Dämonen noch Engel würden dir zustimmen und du wirst keinen finden, der ähnlicher Meinung ist, wie du.“
„Aber du verstehst mich, dass ist doch schon ein Anfang.“
Sagte Aurinia hoffnungsvoll und kam ein paar Schritte näher zu Vitus heran. Vitus sah auf und als er ihr erklärte, weshalb er sie verstand, sah er ihr fest in die Augen.
„Ich verstehe dich, weil du mir mal etwas bedeutet hast, und ich selbst, oft darüber nachdachte über dass, was du mir gerade sagtest. Aber ich bin zu keiner Lösung gelangt, außer der, sich seinem Schicksal zu fügen und dieses lautet für mich: Dämon sein.“
Aurinia lächelte ihn liebevoll an und kam langsam immer näher zu ihm.
„Natürlich, ebenso, wie ich ein Engel bin. Aber das eine muss doch das andere nicht Ausschließen. Es ist doch schon ein großer Schritt, wenn du zugibst, dass ich dir tatsächlich etwas bedeutet habe. Ich glaube sogar fast, dass da noch etwas davon übrig ist.“
Aurinia kam immer näher zu Vitus, der sie nur ansah. Dann stand er unvermittelt auf und ging an ihr vorbei, zum anderen Ende des Raumes. Mit dem Rücken zu ihr meinte er:
„Möglich, dennoch hast du etwas in deinem tollen Traum vergessen. Dämonen können Engel nicht anfassen, ohne danach bestraft zu werden.“
Aurinia sah ihn fragend an. Nie hatte irgend jemand von den Engeln ihr erzählt, dass es so war. Davon hörte sie nun zum ersten mal. Selbst Jesse erzählte es ihr nicht. Was hatte er sich hier zusammen gereimt? War es nur wieder ein Trick von ihm, sie los zu werden? Dafür gab es nur eine Erklärung, nämlich ihn direkt zu fragen, was sie auch tat.
„Wie kommst du dazu, so etwas zu behaupten?“
Vitus drehte sich herum und sah sie eindringlich, fast genervt an.
„Ich wusste es zwar, habe es aber nie ausprobiert, ob es tatsächlich stimmt, wie die meisten der Dämonen. Aber nach deiner Verwandlung, habe ich dich in dein Bett gelegt, und schon wenige Minuten danach erschienen Schnitte an den Stellen auf meiner Haut, die deine Haut berührt hatten. Glaub mir, diese Erfahrung war äußerst schmerzhaft und ich möchte sie nicht unbedingt wiederholen. Bevor du aber dein Argument, dass Engel und Dämonen schon so oft miteinander gekämpft hatten, es aber den Engeln nie auffiel, dass es so ist, vorbringst, muss ich dir klar sagen, dass wir Dämonen darin eine Schwachstelle haben und wir eigentlich nicht wollen, dass es die Engel wissen. Der Witz ist nämlich, dass nur wir bestraft werden. Nie ein Engel! Daher könnten die Engel uns locker dran kriegen.“
Aurinia war erstaunt darüber, dass Vitus ihr dieses große Geheimnis der Dämonen einfach so anvertraute, obwohl sie ein Engel, und somit der Feind, war. Sie kam zu dem Schluss, dass er wohl noch Gefühle für sie hatte und dass diese Schuld daran waren, dass er all seine angeborenen Instinkte gegenüber Engeln außer acht lies. Mit aufsteigender Gewissheit flüsterte Aurinia leise:
„Dann ist da tatsächlich noch so etwas wie eine Spur von Liebe für mich?“
Vitus sah sie böse an. Mit zornigen Augen kam er mit ausufernden Schritten, drohend auf sie zu, während er laut schimpfte:
„Wenn du es verdammt noch mal wissen willst! Ich habe dich seit unserer ersten Begegnung geliebt und ich habe so oft, den Tag verflucht, an dem du mir diesen beschissenen Schmetterling zeigen musstest. Ja! Ich kann nur noch an dich denken. Ja! Ich werde bald verrückt, wenn ich keinen Ausweg für mich finde. Du bist mein gottverdammtes Problem!! Wenn ich dich nur vergessen könnte, aber nein, du mischst dich immer wieder in mein Leben ein. Was muss ich denn noch tun, um von dir erlöst zu werden?!“
Aurinia wich Vitus aus, der wütend auf sie zukam. Doch dann blieb sie einfach stehen, denn ihr fiel ein, dass er sie berühren musste, wenn er nicht stehen bleiben würde und dass wollte er ja nicht. So blieb er stehen. Mit zitternder Stimme sagte Aurinia:
„Es tut mir leid, wenn ich dir so viele Probleme bereite, dennoch müsst ihr in der nächsten Zeit auf der Hut sein und jedem Engel ausweichen.“
Sie schlug die Augen nieder. Trotz seines Geständnisses fühlte sie sich wie ausgelaugt. Vitus bemerkte, dass er sie gerade verletzt hatte und kam etwas näher an sie heran.
„Es tut mir leid Rinia, dass ich dich so angefahren habe, aber es gibt keine Zukunft für uns. Versteh doch, dass sie hinter uns her wären und wir nirgendwo auf Verständnis treffen würden. Es gibt da draußen verdammt viele Dämonen und Engel.“
Aurinia nickte leicht und ging an Vitus vorbei, dann drehte sie sich noch einmal herum und sagte:
„Kann mir jemand den Weg hier heraus zeigen? Ich werde sonst vermisst und das würde alles auffliegen lassen.“
Sie wurde von Leo aus den Gassen geführt, aber diesmal ohne eine Augenbinde. Anscheinend hatte Vitus erklärt, dass er sie für ungefährlich einstufte. Sie verabschiedete sich von Leo und sagte ihm noch einmal eindrücklich, dass sie auf sich acht geben sollten.
Die nächsten Tage waren für Aurinia der Horror. Sie plante mit den anderen Engeln Angriffe und ging Nachts auf Aufklärungs-Tour. Ständig dachte Aurinia daran, dass Vitus sie liebte, es aber aufgegeben hatte, dafür zu kämpfen und sich lieber seinem Schicksal ergab. Nach und nach, kamen die Engel der Gegend, in der Vitus’ Versteck lag, immer näher und Aurinia wurde dadurch zunehmend unruhiger. Die Engel glaubten, dass sei die Vorfreude auf ihre erste Schlacht, aber Aurinia war sich nicht sicher, ob Vitus wirklich verschwunden war und ob er Jesse Bescheid gegeben hatte. Den ihren Bruder hatte sie nicht finden und warnen können. Die Engel fanden heraus, dass Jesse Dorn Schlagzeuger der Band The 666 Sins war und dass der Sänger dieser Band auch der Anführer des Clans war, in dem Jesse die Rechte Hand des Führers war. Dieser Dämon hieß Jannik Sandell.
Eines Tages verkündete Furia fröhlich, dass sie das Versteck von Jesses Clan entdeckt hätten und dass sie schon am nächsten Abend angreifen würden. Am Abend davor ging es Aurinia schlecht! Sie übergab sich die halbe Nacht, bis sie nichts mehr zu in ihrem Magen hatte und selbst dann ging es ihr miserabel. Sie betete oft, dass ihr Herr ein Einsehen haben sollte und ihr dabei helfen musste, Engel und Dämonen zu vereinen.
Dann war es so weit. Jesses Clan hatte sich in einem leer stehenden Haus versteckt, das in einer Wohngegend lag, die fast nur aus Reihenhäusern bestand. Aurinia und vier andere Engel landeten auf einem nahe gelegenem Dach und beobachteten das Ziel-Haus. Aurinias Feen waren mit von der Partie und schwirrten immer um ihren Kopf herum. Sie waren ebenso angespannt, wie die Engel. Die anderen vier Engel wollten das Haus näher betrachten, und unter ihnen war auch Furia, die Aurinia das Kommando über die anderen vier übertragen hatte.
Als mit einem mal, auf dem Dach des Ziel-Hauses, die Hölle losbrach, hätte Aurinia fast geweint. Doch sie riss sich zusammen und gab den anderen Engeln das Zeichen für den Aufbruch. Sie flogen zu dem Dach und konnten nun erkennen, was passiert war. Furia und ihre Truppe wurden von zwei Dämonen angegriffen, die sofort von ihnen besiegt wurden. Gerade, als Aurinia fragen wollte, was denn passiert sei, griffen weitere Dämonen an. Doch diesmal waren es weit mehr, als nur zwei Dämonen. Aurinia stand in der Mitte der kämpfenden Engel und bekam kaum etwas mit. Erst, als ein Engel stürzte, kam ein Dämon zu ihr durch. Er sprang in hohem Bogen auf sie zu und schwang seine Axt, um sie zu treffen. Aurinia sah ihn erschrocken an, und wich im einfach aus, anstatt, wie sie es gelernt hatte, den Schlag zu parieren. Der Dämon sah sie irritiert an, als sein Schlag daneben ging, denn er hatte anscheinend damit gerechnet, sie zu erwischen oder selbst zu sterben. Doch anstatt hinter ihr her zu kommen, griff er den nächst besten Engel an, der sich schon gegen zwei andere Dämonen behaupten musste.
„Oh nein, dass wirst du nicht tun!“
Murmelte Aurinia und warf sich mit ihrem Schwert dazwischen. Nun war der Dämon völlig verwirt. Ein lauter hoher Schrei durchbrach den Kampf, und die Dämonen zogen sich schlagartig vom Kampf zurück. Nun hatte Aurinia Zeit, den Verlust auf ihrer Seite zu begutachten. Es waren nur noch sieben Engel auf den Beinen und davon nur fünf, aufrecht. Aurinia wurde wütend, nicht nur, weil dieser Kampf ungleich, sondern weil er eigentlich auch noch sinnlos war. Die sieben Engel waren in der Mitte eines Kreises aus duzenden Dämonen und warteten darauf, dass der Kampf zu Ende ging. Aurinia packte ihr Schwert mit eiserner Hand und wartete.
Plötzlich trat ein Dämon vor, der langes schwarzes Haar hatte, eine Sonnenbrille auf hatte, auch wenn es Nacht war und einen langen Mantel trug. In der einen Hand hielt er eine Peitsche, die er im Kampf eifrig gebraucht hatte. Er war anscheinend der Anführer des Clans. Er fragte:
„Was wollt ihr hier? Das ist unser Gebiet!!“
„Wir suchen nach jemandem. Kennt ihr einen Dämon mit Namen Jesse Dorn?“
Fragte Furia mit sichtlichem Bemühen, ihre Worte nicht hämisch klingen zu lassen. Es kostete sie alle Kraft, sich dazu auf zu raffen, mit einem Dämon zu sprechen. Aurinia vermutete sogar, dass dies das erste mal für Furia war, auch wenn sie schon mehrere hundert Jahre alt war. An einer anderen Stelle des Kreises gingen die Dämonen zur Seite und Aurinia sah, dass Jesse hervor trat.
„Ich bin Jesse! Was willst du Engelweib von mir?“
Zischte er barsch und Aurinia verkniff sich ein grinsen. Sie war nahe dran gewesen, ihm um den Hals zu fallen, oder ihn einfach nur zu begrüßen, aber dass hätte schlimme Konsequenzen für sie gehabt. Jesse kannte sie ja nicht mehr, da er mit Sicherheit dachte, dass sie eine Fee wäre. Furia schnaubte. So hatte sie bestimmt auch noch nie jemand angesprochen. Mit mühe wollte sie gerade etwas sagen, als eine andere, tiefe Stimme sich einmischte.
„Verdammt Jannik!! Habe ich dir nicht gesagt, dass das passieren würde? Warum hörst du nie auf mich?“
Aurinia erkannte die Stimme, noch bevor sie nachsehen musste, wer da sprach. Es war die gereizte Stimme von Vitus. Als sie nachsah, von wo er sprach, sah sie, dass er auf dem höher gelegenen Nachbarsdach stand. Nicht nur er, auch alle anderen engen Freunde von ihm, nämlich die Mitglieder seiner Band und seine drei besten Freunde und deren Untergebene. Stephan, Joe und Leo waren direkt an der Seite von Vitus. Furia war völlig verwirrt und sagte nichts mehr, denn mit den siebzehn dazu gekommenen Dämonen waren die Engel nur noch durch ein Wunder zu retten.
„Ich dachte, dass du lügst und zum anderen dachte ich, dass wir sie locker besiegen könnten, wenn es nur zehn oder so sind. Daher sind wir nicht gegangen.“
Rechtfertigte sich der Dämon mit dem Mantel und den langen Haaren, der Jannik Sandell hieß. Vitus schnaubte verächtlich.
„Du bist noch dümmer als du aussiehst Jannik!!“
„Halt’ die Fresse! Wir machen sie nun fertig, so wie sie uns vernichten wollten, und wenn du nicht mitmachen willst, dann sieh eben zu. Das ist mir Egal.“
Jannik hob seine Peitsche und auch Jesse lies seine Klingen wieder heraus schnalzen. Die Engel wichen ängstlich zurück und Aurinia dachte fieberhaft nach, wie sie diese Situation vielleicht noch kitten konnte. Doch Jesse sprang schon als erster auf sie zu. Sie war so perplex, dass sie nicht einmal mehr ihr Schwert heben konnte. Sie schloss die Augen und hoffte, dass es nicht schmerzhaft werden würde. Doch es passierte nichts. Stattdessen hörte sie das aufeinaderprallen zweier Metallener Gegenstände und das erschrockene einsaugen von Luft, das von den Engeln stammte. Sie öffnete langsam die Augen und sah die seltsamste Situation, die es je gegeben hatte. Jesses Angriff wurde von Vitus abgeblockt, der nun zwischen ihr und Jesse stand. Jesse war völlig perplex und sah Vitus fragend an, als er seine Klingen sinken ließ.
„Was soll das Vitus? Was tust du denn da? Warum hast du meinen Angriff abgeblockt?“
Aurinia wusste nicht, was sie tun sollte und lies nur ihr Schwert fallen. Die anderen sechs Engel sahen sie erschrocken an und die zwei Engel, die sich nur noch mit Mühe auf den Beinen halten konnten, zögerten nicht lange und ließen ihre Schwerter ebenfalls fallen. Nur Furia und drei andere hielten ihre Schwerter weiterhin umklammert.
„Seid ihr verrückt? Wen ihr nicht eure Schwerter nehmt, dann seid ihr wehrlos und sie töten euch!“
Rief Furia ängstlich, doch Aurinia schüttelte den Kopf. Doch nicht sie war diejenige, die Furia antwortete, sondern eine von den anderen beiden, die nun ohne Waffe da standen.
„Das tun sie auch, wenn wir die Schwerter in Händen halten, es sind einfach zu viele Dämonen. Seht ein, dass wir verloren haben.“
„Oder gewonnen.“
Fügte Aurinia nachdenklich hinzu. Alle, sowie Dämonen, als auch Engel sahen zu Aurinia. Aurinia holte noch einmal tief Luft, während Vitus sein Schwert, dass er immer noch auf Jesse gerichtet hatte, etwas senkte. Kühn sprang Aurinia ins kalte Wasser.
„Es tut mir leid Jannik, aber es ist meine Schuld, dass dieser Kampf statt finden musste.“
Begann sie und Furia sah sie panisch an. Sie schien verstanden zu haben, dass Aurinia nicht weiter kämpfen wollte und das Gespräch mit Jannik Sandell suchte. Dennoch wartete sie ab und lauschte, was Aurinia noch sagen würde. Jannik dagegen verstand gar nichts und bevor er fragen konnte, sprach Aurinia weiter.
„Es weiß hier niemand, dass ich den Grund, für diesen Angriff persönlich kenne. Nicht einmal mein Stiefbruder selbst.“
Aurinia wandte sich an Jesse, der sie nachdenklich und interessiert musterte. Er verstand nicht, was Aurinia damit meinte, als es ihm mit einem mal klar wurde.
„Lev? Bist du das?“
Fragte er erstaunt und wies in seiner Stimme eine Spur von Freude auf. Sie nickte und stellte ihren Namen richtig.
„Ja, ich bin’s, Aurinia, deine Stiefschwester Jesse. Das ist der Grund, warum dein Clan angegriffen wurde. Ich kann nämlich nicht gegen Freunde kämpfen und du warst zeitlebens mein Freund, daher solltest du unschädlich gemacht werden.“
Nun wandte sie sich an Jannik, der ungläubig Aurinia musterte. Er hatte durch Jesse schon viel von Aurinia gehört, aber er hätte nie für möglich gehalten, dass eine als Fee geglaubte Person als Engel vor ihm stehen könnte.
„Ich werde auch weiterhin niemanden meiner Freunde angreifen und wenn ich selbst dabei sterben sollte. Ich möchte überhaupt, keinen Dämon angreifen, es sei denn er greift jemanden an, der unterlegen ist, wie ich es vorhin bewies. Selbst dann werde ich nur verteidigen und nicht angreifen.“
Alle sahen sie belustigt an, denn keiner wollte ihr glauben schenken, weder Dämonen, noch Engel. Furia konnte nun endlich einwerfen, was sie schon länger sagen wollte.
„Du bist völlig verrück geworden! Dämonen greifen immer an und selbst deine sogenannten Freunde würden dich töten, wenn sie dazu Gelegenheit hätten. Du musst noch viel über Dämonen lernen, sie leben doch nur, um zu töten!!“
Nicht Aurinia antwortete Furia, sondern alle Dämonen, die alle lauthals protestierten. Jannik bedeutete mit einer Handbewegung, dass sie alle still sein sollten, was sie auch sofort waren. Dann ging er nachdenklich auf Aurinia zu. Er strich sich über sein Kinn und sah Aurinia lange und eindringlich an, dann wandte er sich mit einem Ruck zu Furia um, die sofort von den drei anderen Engeln beschützt wurde.
„Ich glaube eher, dass Sie noch eine menge über Dämonen lernen müssen, meine Liebe. Dämonen greifen nur deshalb an, weil ihr piekfeinen Engel uns ohne mit der Wimper zu zucken, töten würdet, um unsere gottverdammte Seele zu reinigen!! Außerdem haben Dämonen sehr wohl eine andere Aufgabe auf Erden, die euch Engeln anscheinend gar nicht bewusst ist, wie mir scheint. Wir sind dazu da, Menschen die Seele zu nehmen, die böse sind. Ohne uns müsstet nämlich ihr die Drecksarbeit machen!“
Furia lachte verächtlich, diese Antwort hatte sie erwartet, weshalb sie ironisch kreischte:
„Genau, wie konnte ich dass nur Vergessen? Dabei heißt es doch, dass alle Menschen Gnade vor den Augen des Herrn finden und niemand in der Hölle schmoren muss!“
Aurinia mischte sich ein, denn Jannik wurde zunehmend roter vor Wut.
„Das stimmt Furia, aber etwas ist mir an dieser Logik nie recht klar geworden. Gott nimmt nämlich nur die bösen Menschen bei sich auf, die einsehen, dass sie böses getan haben und Vergebung für ihre Taten suchen und sich ändern wollen. Es gibt aber Menschen auf Erden, die keinerlei Skrupel haben, nicht einmal vor der Hölle und weiter Morden. Selbst im Tod gibt es Menschen, die sagen, dass sie es jederzeit wieder tun wollten. Solche Menschen kann Gott nicht bei sich aufnehmen. Habe ich recht?“
Wandte sich Aurinia mit ihrer Vermutung an Jannik, der sie erstaunt und bewundernd betrachtete.
„Wie war noch einmal dein Name meine Süße?“
Fragte er, anstatt auf Aurinias frage einzugehen.
„Aurinia, nicht war? Du bist der Engel, der eine Fee war, habe ich recht? Deine Geschichte verbreitet sich schnell, auch unter Dämonen. Ich muss sagen, du bist ein kluger Engel. Vielleicht der klügste, den es jemals gab. Du hast vollkommen recht. Diese Menschen werden von uns geholt und nur diese Menschen.“
Wandte sich Jannik zischend an Furia.
Ein Dämon aus seinem Clan kicherte leise und flüsterte:
„Und vielleicht ab und zu einer von den anderen.“
Jannik musste lächeln, doch er beherrschte sich. Mit einem amüsierten Blick zu Jesse und Vitus erklärte er dann allen:
„Ich lasse euch gehen. Mir ist nicht nach einem Gemetzel. Zumindest nicht, wenn ein Hoffnungsträger unter den Engeln ist. Dankt Aurinia, dass ich euch am Leben lasse, denn sie hat mehr Verstand, als der Hohe Scheiß Rat, richtet das bitte aus. Und wenn ihr Aurinia nicht ernst nehmt, dann kann ich nichts weiter für euch tun. Keiner der Dämonen wird euch etwas auf eurem Heimweg etwas antun, ihr habt mein Ehrenwort als Führer des Sandell-Clans.“
Die Engel sahen ihn alle ausnahmslos erstaunt an, denn damit hatten sie nie gerechnet. Wie um sicher zu gehen, dass er es sich nicht doch noch anders überlegte, stürzten die Engel Hals über Kopf in den Himmel davon. Aurinia folgte ihnen, doch als sie sah, dass alle Dämonen, außer Vitus, sich ebenfalls zurück zogen, hielt sie an und befahl ihren Feen, ohne sie nach Hause zu fliegen, dann drehte sie um.
Als sie landete, stand Vitus mit dem Rücken zu ihr. Natürlich wusste er, dass sie wieder zurückgekommen war.
„Ich danke dir Vitus, dass du gekommen bist.“
„Ich habe es mir lange überlegt, aber als Jannik sagte, dass er euch locker platt machen könnte und nicht daran dachte zu fliehen, habe ich mich doch dazu durchgerungen. Der Ausgang des Kampfes hat mich erstaunt. Ich hätte so eine Wendung niemals für möglich gehalten.“
Aurinia kam näher zu Vitus und fragte hoffnungsvoll:
„Vielleicht habe ich dir damit gezeigt, dass alles möglich sein kann, auch liebe unter Dämonen und Engeln?“
Vitus drehte sich herum und stellte sich vor sie, dann beugte er sich leicht zu ihr herunter und sah ihr tief in die Augen.
„Du bist eine durchtriebene kleine Hexe, weißt du das? Warum kriegst du immer Recht?“
Aurinia hob ihr Gesicht etwas näher zu Vitus’, berührte ihn aber nicht. Mit einem spöttischen funkeln in den Augen, antwortete sie prompt:
„Weil ich dich liebe!“
Vitus fluchte vernehmlich und zog sie gleichzeitig zu sich her. Entgegen seinen Erfahrungen, dass ihm Schmerzen drohten, wenn er sie berührte, küsste er sie sachte auf den Mund. Aurinia hatte sich so danach gesehnt, ihn endlich zu berühren und ihm wieder nahe zu sein, dass sie fast vor Freude in Ohnmacht sank. Nach ein paar Minuten, in denen sie auf dem Dach standen und sich küssten, beendete Vitus den Kuss. Er sah ihr in die Augen und sagte eindringlich:
„Pass auf dich auf, hörst du? Du könntest wegen deiner Aktion noch ärger vom Hohen Rat bekommen und dann kann ich dich nicht mehr schützen. Ich liebe dich und darum musst du auf dich acht geben.“
Sie nickte und mit einem Sprung rückwärts in die Tiefe verschwand Vitus in der Dunkelheit. Aurinia war viel zu Glücklich, um an den Hohen Rat zu denken. Sie flog lächelnd nach Hause, wo ihre Feen auf sie warteten.
Vitus sah aus der Dunkelheit ihr nach und wartete darauf, dass sich die Schmerzen in seinem Körper ausbreiten würden. Bitter sah er auf seine Arme hinab. Weshalb hatte er sie berührt, obwohl er wusste, dass er danach von unsichtbaren Klingen zerschnitten wurde?
Da kam der Schmerz. Vitus krümmte sich, während seine Arme hauptsächlich zerschnitten wurden, die Schmerzen waren so stark, dass er fast in die Nacht geschrieen hätte, dann hörte es auf. Langsam gingen die Schmerzen davon aber stattdessen brannten seine blutenden Wunden. Fluchend breitete er seine Flügel aus und flog zu seinem Clan zurück, denn wenn er die Wunden nicht gleich verband, dann würden sie ihm all seine Kräfte rauben und dann wäre er ein leichtes Ziel für jeden daher gelaufenen Engel.
Sang und klang los zogen sich alle verbliebenen Engel noch in der selben Nacht, zum Quartier der Heiligen Erde zurück. Furia erstattete dem Hohen Rat sofort Bericht. Dabei lies sie wissentlich weg, als was der Führer des Clans, zu dem auch Jesse gehörte, den Hohen Rat beschrieben hatte. Der Rat hörte aufmerksam zu und unterbrach nicht ein einziges mal und erst, als Furia geendet hatte, fragte Michaela:
„Ihr habt also verloren und den Auftrag nicht ausführen können?“
Furia nickte betrübt. Gabriela, auf der linken Seite von Michaela winkte Furia davon und stellte dann traurig vor den anderen beiden fest:
„Es ist wirklich sehr bedauernswert, dass sich Aurinia nicht für ihre Familie entschieden hat, wie ich es mir eigentlich erhofft hatte.“
Raphaela sah Gabriela nachdenklich an und sagte dann liebevoll zu ihr:
„Du magst ein Stück weit recht haben Gabriela, aber Aurinia hat sich auch nicht für die Dämonen entschieden. Sie steht gerade zwischen den Fronten. Ich muss ehrlich gestehen, dass ich sie für mutiger als so manchen anderen Engel erachte. Immerhin hat sie sechs Engel der Mission vor dem Tode retten können, was ihnen mit Sicherheit gedroht hätte. Außerdem hat sie durch ihre Gefühle zu einem Dämon die Kraft gefunden sich ihrer Familie zu widersetzen. Haltet mich für altmodisch aber die Menschen haben vor vielen Jahren eine Geschichte darüber geschrieben. Ihr kennt sie ebenfalls, es ist die traurige Geschichte von Romeo und Julia.“
Michaela sah Raphaela unwillig an, sie verstand nicht, wovon sie redete, denn sie hielt nicht sehr viel von den Vorstellungen der Menschen, die so anders als die der Engel waren. Sie verstanden es schließlich auch, die Bibel in vielerlei Hinsichten, falsch zu interpretieren.
„Worauf willst du hinaus Raphaela?“
Raphaela sah Michaela und Gabriela an und erklärte langsam:
„In Romeo & Julia geht es um ein Liebespaar, dass sich verliebt, obwohl die Familien der beiden im Streit miteinander liegen. Dieser Streit lässt sich nicht beenden, obwohl Romeo & Julia es versuchten. Schließlich wandten sie einen Trick an, um ihre Familien zu versöhnen, dabei kommt es zu einer Verwechslung, die Romeo das Leben kostet. Aus Liebe folgte Julia ihm in den Tod. Erst der Tod der beiden versöhnte die Familien wieder miteinander.“
Gabriela nickte verstehend und vermutete:
„Möchtest du damit sagen, dass die beiden sterben sollten, damit sich Engel und Dämonen wieder versöhnen? Das ist doch Schwachsinn!!“
Michaela schüttelte entschieden den Kopf und sagte energisch:
„Das lasse ich nicht zu. Für nichts auf der Welt werde ich verantworten, einen Engel zu opfern. Selbst wenn dadurch die Dämonen gehen würden, erlaube ich nicht, einen einzigen Engel zu töten. Da kämpfe ich lieber bis an das Ende der Welt gegen diese Höllenbrut!“
Raphaela schnaufte, denn man hatte sie nicht verstanden.
„Michaela!! Stell dich doch nicht blöd! Ich habe das nicht damit gemeint. Ich wollte euch doch damit nur zeigen, dass wir Aurinia verlieren könnten, wenn wir Herrn Valerian töten lassen würden. Sie liebt ihn, wie Julia ihren Romeo und diese starb für ihn. Vielleicht sollten wir einfach abwarten. Es könnte doch sein, dass Aurinia einen Weg findet, sich mit Dämonen anzufreunden. Wenn wir schon nicht mit den Dämonen im Einklang leben, so könnten wir doch durch sie etwas über Dämonen erfahren.“
Michaela kam eine Idee.
„Ah! Ich weiß wie du das meinst. Sie spioniert etwas für uns aus!!“
„Nein, das meinte ich wiederum nicht. Wir könnten die Dämonen verstehen lernen und über sie lernen. Vielleicht lagen wir all die Jahre, in denen wir gegen sie kämpften, falsch.“
Raphaela atmete langsam aus. Nun kam der Teil, den sie so lange ansprechen wollte, es sich aber nie wirklich getraut hatte. Die Momentane Situation war schon seltsam. Alles hatte sich im letzten Jahr verändert, seit Aurinia bei ihnen war. Langsam begann Raphaela:
„Ich muss gestehen, ich bin des Kämpfens und der Trauer über Verluste müde geworden. Ich bin lange Zeit schon am grübeln, wie man die andauernden Kämpfe beenden und die Feindschaft zwischen Engeln und Dämonen zumindest in gegenseitigen Respekt umwandeln könnte. Vielleicht ist es möglich, die Welt mit den Dämonen zu Teilen und vielleicht brauchen wir die Dämonen ebenso, wie sie uns.“
Gabriela hatte Raphaela nun vollständig verstanden und unterstütze sie nun vor Michaela.
„Michaela, auch du musst zugeben, dass Aurinia recht hatte. Wie Furia erzählte, hat sie immerhin erkannt, dass tatsächlich immer nur durch und durch Böse Menschen von Dämonen getötet wurden. Fast niemand anders. Viele Engel glauben und wissen dies nicht. Nimm einmal an, wir würden die Dämonen besiegen, was dann? Es gäbe auf Erden immer mehr Menschen, die Böses tun würden, da sie nicht in den Himmel aufgenommen werden können. Das wäre ein Problem auch für uns, denn dann wären wir dran, etwas dagegen zu tun, dabei sind wir doch hier, um die Menschen zu schützen und nicht um sie zu bestrafen.“
Raphaela sprang für Gabriela ein, denn sie beide erkannten, das Michaela langsam verstand und ihre raue Schale fiel. Vielleicht konnten sie zu ihrer Freundinn durchdringen und ihr Verständnis wecken.
„Wenn die Engel nicht mehr wären, wäre das auch ein Problem für die Dämonen. Sie wüssten dann nicht, welcher Mensch ein guter und welcher ein böser wäre. Verstehst du? Niemand wäre da, der einen Mantel des Schutzes über die guten werfen könnte und Dämonen wollen nur die bösen Seelen, nicht die guten, damit können sie nichts anfangen.“
Michaela sah nun endgültig ein, dass ihre Kolleginnen recht hatten und das sie im Unrecht war. Hatten die Engel tatsächlich noch nie darüber nachgedacht? Waren die allwissenden Engel immer schon so blind, wenn es um die Wahrheit ging? Sie atmete erschöpft aus. Die Geschehnisse waren verwirrend und schwer zu bearbeiten. Ein Krieg ließ sich nicht einfach beenden, nur weil eine Hand voll Engel es wollte. Gabriela und Raphaela schienen geahnt zu haben, dass Michaela das dachte, denn sie sagten beide gleichzeitig:
„Daher könnten wir alles mal laufen lassen und Aurinia gegebenenfalls zu unserer Botschafterin erklären.“
Michaela verstand und sagte nichts dagegen. Eher im Gegenteil.
„Ja, ihr habt vollkommen recht. Aber Aurinia soll nichts davon erfahren, zumindest noch nicht. Erst wenn sich zwischen Dämonen und Engeln die Wogen etwas gelegt haben, werden wir Aurinia sagen, dass wir inzwischen hinter ihr stehen und den Krieg beenden wollen. Würden wir es jetzt tun, wäre es zu früh und wer weis, was dann passieren würde.“
Raphaela und Gabriela lächelten, ein großer Schritt war getan. Nun mussten sie nur noch abwarten ob Aurinia es auch schaffen konnte, von Dämonen aufgenommen zu werden. Hoffentlich gelang es ihr auch wenn sie glauben würde, das der Hohe Rat es nicht gutheißen würde. Sie war nun auf sich alleine gestellt, mit dem glauben, dass kein Engel sie verstehen würde. Der Hohe Rat beschloss, allen Engeln und ohne Ausnahme, Kampfverbot zu erteilen und zu den Grund Ansichten der Himmlischen Kampfführung zurück zukehren, die eigentlich lautete: Nur zur Verteidigung, nie zum Angriff!! Lieber ausweichen, als kämpfen!
Aurinia wollte nicht glauben, dass sie nicht bestraft wurde und konnte vor allem nicht glauben, dass alle Engel Kampfverbot erhielten. Der Hohe Rat plante etwas, aber sie kam einfach nicht dahinter, was es sein sollte. Es wurden keinerlei Aufträge mehr verteilt und der Auftrag, Vitus Valerian und Jesse Dorn zu töten, wurde augenblicklich zurück gezogen, als Furia ihren Bericht erstattete. Aurinia sollte nun, als Engel, unter Menschen leben und ein normales Leben führen, wie jeder Engel es tat. Für die Menschen war das Gelände, in dem Aurinia nun die längste Zeit lebte, also die Himmlischen Erde, ein Forschungslabor und nichts weiter. Alle Engel, die nicht dort arbeiteten, lebten unter den Menschen. Da Aurinia nicht gebraucht wurde, in den Bürogebäuden und Hochhäusern, die auf dem Gelände standen, kaufte sie sich eine Fabrikhalle, die nicht mehr benötigt wurde. Sie stand leer und so wollte sich Aurinia eine Wohnung in die Halle bauen lassen. Unter Hilfe von Engeln, konnte Aurinia schon nach wenigen Wochen einziehen, dann suchte sie sich einen Job. Sie spielte ernsthaft mit dem Gedanken, wieder Tanzlehrerin zu werden. Vielleicht irgendwo an einer Schule oder so. Daher rief sie nach langer Zeit wieder ihre Freundinnen an, die sie seit fast einem Jahr nicht mehr gesehen hatte.
„Rosa Ward? Tanzlehrerin, der Tanzschule Fantastic Five, was kann ich für sie tun?“
„Hey Rosa, ich bin es, Lev! Habt ihr vielleicht noch Verwendung für die fünfte in eurem Bunde? Ich suche nach einem Job und da ich ja Mitgründerin der Fantastic Five bin, dachte ich, ihr könntet mich wieder aufnehmen.“
Aurinia hörte einen Aufschrei der Freude, dann rief Rosa die anderen drei an das Telefon heran und schaltete auf Konferenzschaltung.
„Lev, das glaube ich nicht!! Du warst auf einmal weg und niemand konnte uns sagen, wo du stecktest, nicht einmal Vitus. Er wollte uns nicht einmal helfen, dich zu suchen, was ist den passiert? Geht es dir gut?“
Aurinia beruhigte ihre Freundinnen und erklärte ihnen, dass sie einfach mal fort wollte und das sie lange Herumgereist sei. Sie habe ihr äußeres verändert und den Namen geändert, um mit ihren Problemen abzuschließen und nun sei sie wieder hier. Aurinia konnte, auch wenn sie es wollte, beim besten willen nicht die Wahrheit sagen.
„Du heißt nun Aurinia? Wir nennen dich einfach Rinia, ok? Und du sagst, du hast deine Haare gefärbt und trägst nun blaue Kontaktlinsen? Wenn es dir hilft, dann sage ich nichts dazu. Natürlich kannst du wieder ein Teil der Fantastic Five werden. Wir haben daher den Namen nicht in Fantastic Four umgeändert, denn wir hofften stets, dass du wieder zu uns kommen würdest. Kannst du gleich am nächsten Montag in unser Tanzstudio kommen? Wir haben einen Auftrag erhalten, nämlich ein paar Mädels, die vor und nach einem Konzert von einer Band auftreten sollen, kräftig in den Arsch zu treten, damit sie eine tolle Performance abgeben. Wir müssen uns ziemlich rann halten. Ist das ok für dich?“
Aurinia freute sich, endlich wieder halbwegs normal zu leben und willigte ein. Als sie auflegte, zitterten ihre Hände, so freute sie sich, dass ihre alten Freundinnen auch weiterhin zu ihr hielten, auch wenn sie sie seit ziemlich genau einem Jahr nicht mehr gesehen hatte.
„Wen hast du angerufen? Hast du einen Job? Können wir da mit? Und was ist das für einer? Erzähl schon!!“
Quengelten Aurinias fünf kleine Feen vor sich hin. Aurinia hatte ihnen ein kleines Puppenhaus gekauft, in dem sie nun lebten und ihre Schlafzimmer hatten. Aus diesem sah nun Vesta neugierig heraus und wartete ungeduldig auf eine Antwort.
„Ja, ich habe einen Job, bei meinen alten Freundinnen und Kolleginnen. Ich arbeite wieder als Tanzlehrerin und wenn ihr euch die ganze Zeit unsichtbar macht, dann dürft ihr mal mitkommen und zusehen. Schon übermorgen ist es so weit.“
In ihrer ersten Nacht schlief Aurinia relativ schlecht in ihrem neuen Zuhause, sie warf sich von einer Seite auf die andere und wartete darauf, endlich einschlafen zu können. Um kurz vor Null Uhr hatte Aurinia ein seltsames Gefühl, fast so, als würde sie beobachtet werden. Langsam drehte sie sich auf die andere Seite und richtete sich erschrocken auf. Jemand stand vor ihrer Balkontüre, die auf den Balkon vor ihrem Schlafzimmer führte. Sie verengte ihre Augen zu schlitzen, um besser erkennen zu können, wer da stand, als die betreffende Person leise an ihre Türe klopfte. Dann sprang Aurinia freudig aus dem Bett und zur Türe.
„Vitus! Was tust du denn hier? Woher weißt du, dass ich nun hier wohne?“
Fragte Aurinia, als sie die Türe aufriss. Vitus sprang rückwärts auf das Geländer ihres Balkons, als sie heraus rannte und bedeutete ihr, ihn nicht zu berühren. Aurinia blieb stehen, denn ihr wurde erst
durch seine Handlung klar, dass es ihm Schmerzen bereitete, sie anzufassen.
„Es ist nicht schwer herauszubekommen, wo sich Personen aufhalten, erst recht nicht, wenn man Beziehungen hat. Hast du ärger bekommen? Immerhin hattest du dich bei dem letzten Kampf sehr weit aus dem Fenster gelehnt und hast gegen deine Engelfreundin argumentiert.“
Vitus wartete neugierig auf eine Antwort doch sie sah ihn bloß herausfordernd an, als sie fragte:
„Hat der kleine Vitus etwa Angst um mich? Um einen Engel?“
„Aber nur vielleicht. Wenn du mir nicht gleich sagst, dass sie dir den Hintern versohlt haben, dann gehe ich wieder. Und?“
Witzelte Vitus und lauerte auf ihre Antwort. Aurinia grinste und zuckte mit den Schultern. Nachdenklich antwortete sie dann auf seine Frage:
„Nein, weder eine Strafpredigt noch sonst irgendetwas dergleichen. Seltsam ist das schon. Außerdem haben sie noch Kampfverbot an alle Engel verteilt. Ich habe sogar angefangen zu hoffen, dass der Hohe Rat über das geschehene nachgedacht hat und nun einen Versuch wagt, die Dämonen und mich in Ruhe zu lassen.“
Mit einem Blick zu Vitus fügte sie noch hinzu:
„Ich weiß, ich weiß. Es ist ein frommer Wunsch, so etwas zu hoffen, aber du musst zugeben, dass sich bis jetzt schon einiges geändert hat.“
Sie sah ihn erwartungsvoll an und Vitus verdrehte die Augen. Wiederwillig brummte er dann:
„Ja, du hast recht. Immerhin bin ich nun hier, bei einem Engel, um sie zu fragen ob es ihr gut geht und ob sie Lust hat, mit ein paar Dämonen was zu trinken, rum zu hängen oder zu tanzen. Hat der Engel Bock auf eine solch widerwärtig niedere Art, Spaß zu haben?“
Fragte er sie durch die Blume, worauf sie Vitus fröhlich angrinste im Viereck herumsprang.
„Natürlich habe ich Lust dazu, seit unserer letzten Tour vor fast einem Jahr, war ich nicht mehr unterwegs um Spaß zu haben. Ich glaube die Engel machen so etwas eigentlich nie. Zumindest kann ich mir so etwas nicht vorstellen. Warte kurz, dann ziehe ich mir etwas anderes als meinen Schlafanzug an.“
Vitus nickte und sah ihr hinterher. Dann fiel ihm noch etwas ein.
„Kannst du nicht etwas weniger helles anziehen? Ich meine, es ist schon etwas unpraktisch wenn du so herum läufst, daran erkennen alle gleich, dass du ein Engel bist.“
Von drinnen hörte Vitus die Gegenfrage:
„Kannst du denn etwas anderes als schwarze Klamotten tragen? Wenn ja, dann ist das schon ziemlich gemein, denn Engel können nur weise Sachen tragen. Alles andere würde sofort verbrennen. Irgendwie hat das wohl was mit der Reinheit der Seele zu tun. Ich habe keine Ahnung.“
Aurinia kam wieder heraus. Sie trug einen knappen Rock und ein Top, das hinter ihrem Hals zusammen lief und ihren Rücken frei lies. Sie sah Vitus fragend an, denn sie erwartete eine Antwort von ihm.
„Ich habe noch nie versucht etwas anderes zu tragen als schwarz. Aber ich glaube, wir können alles tragen, was wir wollen. Stephan trägt nämlich ab und an eine weiße Jacke, die nur an den Seiten schwarze Streifen hat. Du siehst in deinen Klamotten ziemlich gut aus, für einen Engel meine ich.“
Gab Vitus nachdenklich von sich und musterte sie genauer. Mit geheuchelter Dankbarkeit sah sie ihn an, als er lächelte und seine Flügel spannte. Er flog los und wartete, dass sie hinterher kam. Was sie auch sofort tat. Er flog mit ihr über die Stadt und führte sie dann, runter, in dunkle Gassen. Hinter sich hörte er, wie sie leise vor sich her schimpfte:
„Warum müsst ihr immer in diesen dunklen kleinen Gassen hocken?“
„Und warum rennt ihr jeden Sonntag in die Kirche? Weil es eurer Natur entspricht vermute ich mal. Dämonen halten sich eben einfach gerne an dunklen Orten auf.
Wir müssen hier runter und zu Fuß weiter.“
Sie landeten und ließen ihre Flügel verschwinden. Nach ein paar Schritten standen sie vor einer starken Türe und Vitus klopfte an. Die Türe öffnete sich sofort und ein übelgelaunter Dämon kam heraus und baute sich vor Vitus auf.
„Wie lautet dein Name?“
Brummte er drohend. Vitus stöhnte nur auf und sagte dann:
„Ich bin’s, Vitus! Das weißt du doch!! Warum fragst du mich das jedes mal? Wir kennen uns doch.“
Der Dämon sah Vitus an und grinste dann schräg. Mit den Schultern zuckend erklärte der Dämon, dass es eben sein Job sei, von jedem den Namen zu erfahren. Er ging zur Seite und ließ Vitus herein. Als Aurinia ihm hinterher wollte, versperrte der Dämon ihr hastig den Weg und wollte von ihr wissen, was sie hier wollte. Vitus legte eine Hand auf die Schulter des Dämons und sagte zu ihm:
„Komm schon, Hate. Du weißt doch auch, dass ich Himmlischen Besuch mitbringe, Jannik hat es dir doch gesagt. Lass sie vorbei, bevor du sie völlig verängstigst.“
Aurinia sah Vitus böse an, da sie ganz und gar nicht verängstigt war, dies schien den Dämon zu amüsieren und dann ließ er sie grinsend vorbei. Drinnen schloss der Dämon die Türe und setzte sich wieder auf einen Stuhl, hinter der Türe. Vitus führte Aurinia einen Gang entlang, der mit Grafities besprüht worden war. Dann ging es eine Treppe hinunter. Unten angekommen fanden sie sich in einem großen Raum wieder. Dieser war eine schaurig schöne Disco, mit Bar, Tanzfläche, Sitzecken und einer Bühne. Im Raum, der gefüllt war mit Dämonen, wurde es still, als sie erkannten, wen Vitus bei sich hatte. Aurinia wurde es mulmig und wäre da nicht das Problem mit der Berührung, würde sie sich am liebsten an Vitus klammern, der direkt neben ihr stand. Einer der Dämonen drängte sich durch die anderen und kam auf Vitus zu. Sie sah, dass es niemand anderes als Jannik Sandell war, der Führer des Clans, in dem auch Jesse war.
„Na endlich, ich dachte du würdest nie mehr kommen Vitus. Wie ich sehe hast du auch Aurinia dabei.“
Er kam an Vitus vorbei, auf Aurinia zu und verbeugte sich vor ihr. Perplex über das eben passierte sah sie Jannik fragend an und erwartete, dass er sich über sie lustig machte. Doch stattdessen sagte er:
„Es freut mich, dass du mitgekommen bist und nun hier, bei uns bist. Ich habe mit Vitus gewettet, dass du nicht kommst. Nun muss ich Vitus, der davon überzeugt war, dass du kommen würdest, mein Ehrenwort geben, keinen Engel mehr anzugreifen.“
Aurinia sah Vitus fragend an, doch dieser sah nicht zu ihr.
„Das freut mich, ich habe dafür eine schöne Neuigkeit für sie. Kein Engel wird mehr Dämonen aus irgend einem Grund angreifen und sich nur noch verteidigen. So, wie es eigentlich sein sollte.“
Jannik stieß ein lautes Ha! aus und wandte sich mit einem Ruck zu seinen Dämonen um. Er hielt inne und drehte sich wieder zu ihr zurück.
„Glaubst du, dass sie das wirklich tun werden?“
Aurinia nickte und sagte fest entschlossen:
„Mein Ehrenwort und sollte es nicht so sein, wie ich es sagte, dann werde ich mich persönlich darum kümmern, diesen Engel aufzusuchen. Ich möchte, dass sich Dämonen und Engel gegenseitig Respektieren und sich nicht bis an das Ende der Zeit bekriegen. Ich hoffe ehrlich, dass sie der gleichen Meinung sind wie ich, dass Dämonen und Engel durchaus miteinander Leben können.“
Natürlich war Aurinia klar, dass sie sich wieder einmal weit heraus lehnte und sie schon sehr anmaßend war, zu glauben dass ein fremder Dämon, der gleichen Ansicht war wie sie, wo es noch nicht einmal alle Engel waren. Jannik runzelte die Stirn und sah zu seinen Dämonen. Langsam strich er sich über sein Kinn und dachte nach. Dann wandte er sich wieder seinen Dämonen zu und fragte laut:
„Seid ihr der Meinung, dass Dämonen und Engel sich nicht mehr bekriegen sollen? Glaubt ihr, die Engel lassen uns jemals in Ruhe?“
Gebrüll kam als Antwort aus der Menge und wieder trat ein Dämon vor. Es war niemand anderes als Jesse. Verächtlich und mit ungläubiger Stimme sagte er, was jeder andere Dämon in diesem Moment dachte.
„Ja, genau Jannik. Als ob die Engel uns je in Ruhe lassen würden. Ich stimme zu, dass dieser Fucking Krieg sinnlos war, von Anfang an. Dennoch glaube ich, dass die Engel sich immer einmischen werden.“
Aurinia räusperte sich und meldete sich zaghaft zu Wort.
„Ich möchte mich ja nicht einmischen in diese Diskussion, aber wäre es nicht möglich, dass sich Engel und Dämonen zusammen setzen könnten und einen Neuen Rat bilden? Damit die Probleme der Dämonen und der Engel behandelt werden können und niemand benachteiligt wird? So, dass wir uns die Erde teilen. Es muss ja nicht heißen, dass Engel und Dämonen zusammen leben müssen, sondern dass nur eine Verständigung zwischen uns herrscht. So bekommt jeder dass, was ihm zusteht und nicht mehr.“
Aurinia endete und sah hoffnungsvoll zu Jannik und Jesse. Jesse hatte die Stirn unwillig gerunzelt und Jannik sah Aurinia mit einem mal mit Stolz erfüllten Augen an. Mit freudiger Stimme polterte er los:
„Ich hätte nie für möglich gehalten, dass ich so etwas mal erleben würde. Nie!! Du bist der erste Engel mit einer Vernünftigen Ansicht und ich kann sogar behaupten, dass es so etwas nicht einmal unter den Dämonen dieser Welt gibt. Du bist wahrlich eine Hoffnungsträgerin. Nun glaube ich daran, dass wir es wirklich schaffen könnten, einen Ausweg zu finden. Mit deinem Vorschlag gerade könnten wir tatsächlich einiges wieder ins Lot bringen. Wenn der Hohe Rat etwas davon weis, und mir, durch dich, seine Meinung dazu äußern könnte, dann verspreche ich dir, dass ich Dämonen, Vampire und alles was ich habe in die Welt hinaus schicken werde, um zu erfahren, ob alle anderen Dämonen der Welt ähnlicher Meinung sind wie ich. Ich vermute, dass sie das sein werden.“
Aurinia war sprachlos. Mit seinem Satz gerade, machte Jannik jede menge Pluspunkte bei ihr. Und auch Jesse sah seine kleine Stiefschwester nun mit anderen Augen an. Jannik klatschte in die Hände und sagte laut:
„Dann lasst uns mal feiern, denn die Zukunft sieht, wenn auch nur für jetzt, rosig aus!“
Die Dämonen begannen wieder zu reden oder zu tanzen und Jannik nahm Vitus am Arm und führte ihn kurz von Aurinia fort, dafür kam aber Jesse zu ihr.
„Meinen Respekt kleine Schwester, ich hätte nie geglaubt, dass du es so weit bringen würdest.“
Aurinia nickte wissend und sagte stichelnd:
„Ich weiß, du hast geglaubt ich wäre ein Träumer und zu nichts nutze. Ich freue mich ehrlich, es so weit geschafft zu haben. Denn nun kann ich wieder mit dir reden. Du hattest zum Glück nicht ganz recht, als du zu mir sagtest, dass wir uns das nächste mal sehen würden, weil wir uns töten wollten. Wir standen uns zwar in einem Kampf gegenüber aber dennoch wollte ich dich nicht töten, nicht einmal verwunden.“
Jesse grinste und entschuldigte sich ehrlichen Herzens dafür, dass er sie angreifen und töten wollte
und Aurinia verzieh ihm, denn sie wusste, dass er sie niemals töten hätte können, wenn er vorher gewusst hätte, wer sie war.
Vitus wurde von Jannik kurz von Aurinia fort gezogen und als sie außer Hörweite waren, sagte Jannik zu Vitus:
„Sie wäre nicht so bemüht, Engel und Dämonen miteinander zu versöhnen, wenn sie keinen Grund dazu hätte. Also, sag mir lieber Vitus, wie kommt es, dass sie dir so bereitwillig folgt?“
Vitus sah Jannik an und überlegte, ob Jannik ihn verstehen würde, dann legte er seine Karten offen vor Jannik.
„Sie liebt mich Jannik. Sie liebt mich deshalb, weil wir uns als Menschen kennen lernten. Sie wusste weder etwas von Dämonen noch etwas über ihr Schmetterlings-Mal. Und ich muss dir ehrlich sagen, dass ich zu Beginn niemals geglaubt hätte, dass ich mich so sehr in sie verlieben würde. Es ist ein Gefühl in mir erwacht, dass ich nicht kannte und dieses Gefühl kann einen wirklich fast töten, wenn man glaubt, dass sie unerreichbar für einen ist. Ich habe in diesem Jahr, als sie bei den Engeln war, mit Selbstmord-Gedanken gespielt, und den Tag unseres Kennenlernens, oft genug verflucht. Heute bin ich überglücklich, dass sie so viel erreicht hat und das eine winzige Chance besteht, ihr nahe zu sein.“
Vitus endete und wartete auf eine Reaktion von Jannik.
„Ich hätte nie erwartet, dass du einmal Gefühle entwickeln würdest, wie sie jeder Engel und jeder Mensch besitzt. Noch dazu, zu nur einem Mädchen. Du hast dich wirklich verändert, Vitus. Das ist mir aufgefallen, als du sie kennen lerntest, denn da hast du viel gelacht und warst gut drauf. Nun weiß ich auch, warum. Als sie fort war, hast du nicht mehr so viel gelacht, das haben mir einige meiner Dämonen berichtet. Einen Tipp möchte ich dir geben Vitus.“
Vitus sah Jannik an und bedeutete ihm, dass er den Tipp durchaus geben durfte. Jannik legte einen Arm auf Vitus’ Schulter und sagte:
„Pass gut auf sie auf und lass sie nicht gehen, sie ist ein Schatz, wie du ihn nie wieder finden wirst.“
Vitus war erstaunt darüber, dass ihn Jannik verstand und ihn ermutigte. Jannik nickte ihm noch einmal zu und ging aus dem Raum. Etwas verloren stand Vitus alleine da und lächelte in sich hinein, dann ging er zu seinen Freunden, die an der Bar auf ihn warteten. Dort angelangt nickten sie ihm zur Begrüßung zu und Vitus setzte sich. Da es warm war, zog er sich seine Lederjacke aus und bestellte einen doppelten Whisky.
„Das war gerade echt ergreifend. Ich gebe zu, Rinia wird mir immer sympathischer.“
Gestand Leo mit ironischem Unterton, aber alles verstanden, wie er es wirklich meinte und Vitus’ restlichen Clanmitglieder nickten. Vitus lächelte nur und sah in seinen Whisky hinein, den er gerade bekam.
Aurinia kämpfte sich nun durch die Massen, was sich als schwieriges unterfangen erwies, wenn man versuchte, sie nicht zu berühren. Es gelang ihr, Stück für Stück, in Richtung Bar vor zu dringen und schließlich stand sie hinter Vitus und seinen Freunden. Leo, Stephan und Joe begrüßten sie fröhlich.
„Hey, wie geht es euch? Habt ihr es geschafft, Vitus das rauchen abzugewöhnen?“
Fragte Aurinia und Vitus drehte sich zu ihr herum. Er lehnte sich mit den Ellbogen auf die Bar und legte den Kopf schräg, während er sie warnend musterte. Aurinia kribbelte es überall, wenn er sie so ansah und ihr fiel auf, dass sich Vitus wieder etwas erholt hatte. Er war nicht mehr so dünn und seine Harre sahen auch gesünder aus. Versonnen betrachtete sie sein Gesicht, in das ein paar dunkle Locken fielen. Er hatte ein schwarzes ärmelloses Shirt an, dass seine Muskeln leicht andeutete. Sie sah auf seinen linken Arm, auf dem Vitus ein Tattoo hatte, dass seinen Arm vollständig von der Schulter bis zu seinem Handgelenk bedeckte, und riss erschrocken die Augen auf.
„Deine Arme! Was ist mit deinen Armen? Warum sind sie so zerschnitten? Was ist passiert, woher kommen diese Schnitte?“
Vitus sah auf seine Arme und zog eine Grimasse, als er die verheilenden Wunden sah. Aurinia erinnerte sich, das ihr Vitus erklärt hatte, dass er als Bestrafung Schnitte auf der Haut bekam, wenn er sie berührt hatte und ein schlechtes Gewissen durchzuckte sie. Sie kam zu ihm her und wollte seine Arme berühren, hielt aber kurz davor inne.
„Es tut mir so leid, wirklich, ich wollte das nicht. Es tut mir so sehr leid.“
Flüsterte sie entschuldigend und zog ihre Hände schnell zurück, bevor sie ihn doch noch berührte und ihm damit noch mehr weh tat. Die Wunden waren zwar fast verheilt, dennoch konnte sie sich vorstellen, dass es ziemlich weh getan hatte, sie bekommen zu haben. Vitus sah sie an, doch sie konnte ihre Augen nicht davon abwenden. Schließlich sagte er:
„Ich wollte sie dir eigentlich nicht zeigen. Ich habe nur gerade vergessen, dass ich meine Jacke ausgezogen hatte. Ich wollte dir den Anblick ersparen.“
Gequält sah sie ihn an, dann musste sie urplötzlich mit den Tränen kämpfen und weil sie nicht vor Vitus in Tränen ausbrechen wollte, rannte sie blindlings davon. Vitus und seine Freunde waren verdutzt, als sie das tat und er fragte verständnislos:
„Hab ich gerade etwas falsches gesagt?“
Stephan beugte sich zu Vitus herüber, zuckte mit der Schulter und sagte:
„Ich weiß es auch nicht, aber es wäre vielleicht besser, wenn du ihr folgst.“
Vitus nickte, griff nach seiner Jacke und rannte ihr hinterher.
Aurinia stürzte hinaus auf die Gasse und er folgte ihr, bis sie sich in einer Sackgasse befand. Sie wischte sich ihre Tränen aus dem Gesicht und flog auf das Dach. Dort blieb sie stehen und sah in den Sternenhimmel hinauf. Sie war wütend darauf, dass es im Grunde nichts brachte, Engel und Dämonen zu vereinen, wenn sie sich nicht berühren durften. Wie ungerecht doch alles war. Hinter sich hörte sie ein Geräusch und als sie seine Stimme hörte, wusste sie, dass er sie gefunden hatte.
„Es tut mir leid, wenn ich etwas dummes gesagt habe und ich möchte mich dafür entschuldigen.“
Aurinia sah ihn nicht an und sagte leise:
„Es ist nichts, was du gesagt hast. Ich bin nur wütend darauf, dass ich dir so etwas zufügen kann, obwohl ich dich einfach nur berühren und in den Armen halten will. Es ist doch nur meine Schuld! Wäre ich kein blöder Engel, hätten wir dieses Problem nicht!!“
Vitus kam zu ihr und drehte sie grob zu sich herum, dann hob er ihr Gesicht zu seinem hoch und sagte wütend:
„Aber du bist eben ein blöder Engel und wenn ich mich schon damit abgefunden habe, dann musst du das auch. Verdammt, ich liebe dich trotzdem und mir ist es völlig egal, wenn ich bestraft werde, wenn ich dich vorher dafür berühren durfte.“
Aurinia riss sich von ihm los und sagte:
„Nein, lass mich, ich tu dir doch sonst nur weh. Das ist das letzte was ich will.“
„Aber du tust mir noch viel mehr weh, wenn du dich mir entziehst.“
Vitus kam wieder zu ihr her, nahm ihre Hände, zog sie zu sich heran und legte sich ihre Hände um seinen Hals. Dann umfaste er ihre Hüfte und küsste sie fordernd. Auch wenn sich Aurinia innerlich dagegen sträubte, ihn zu berühren, war es um sie geschehen. Sie gab sich seinem Kuss geschlagen und erwiderte ihn. Überwältigt davon, ihm so nahe zu sein, wie sie es lange nicht mehr war, fuhr sie ihm durch seine dunkelbraunen Haare. Er unterbrach den Kuss und sah ihr tief in die Augen, ohne sie dabei los zu lassen. Leise und mit flehendem Blick sagte er:
„Lass mich bitte nicht los.“
Aurinia lächelte und schüttelte den Kopf.
„Werde ich nicht, nicht jetzt und am besten nie wieder.“
Versprach sie und strich ihm zärtlich eine Locke aus seiner Stirn. Vitus schloss kurz die Augen und genoss ihre Berührung, dann lies er sie los und hob sie stattdessen auf seine Arme. Aurinia umschlang seinen Nacken, als er in die Nacht flog.
Er flog in ein leerstehendes Haus und lies sie dann erst herunter. Wieder legte er seine Arme um ihre Hüfte und küsste sie. Als er den Kuss dieses mal unterbrach, sah er ihr wider tief in ihre ungewohnt blauen Augen und nahm sie bei der Hand. Aurinia sah ihn neugierig an, als er sie in einen anderen Raum führte, in dem nur ein altes, aber intaktes Bett stand. Sie lächelte verträumt, als sie das Bett sah, riss sich aber von seinem Anblick los und umschlang seinen Hals, um ihn begierig zu küssen. Vitus konnte ein lächeln nicht verkneifen, denn er hatte nicht erwartet, dass sie so reagieren würde. Aurinia fuhr ihm an seinem Hals entlang und ihre Fingerspitzen folgten zärtlich und versonnen seinen Hals-Schlag-Adern, die auch leicht hervor traten, wenn er sang. Mit schnellen Bewegungen zog sie ihm seine Jacke aus und strich sanft über seine Wunden, an den Armen.
Vorsichtig zog sie sein Shirt aus, worauf er hinter ihrem Hals den Knoten ihres Tops öffnete. Nach und nach wurden es weniger Kleidungstücke, bis Aurinia ihn mit einer Hand hinter sich ins Bett zog.
Nachdem sie miteinander geschlafen hatten, lag sie ihm in den Armen und strich durch seine Haare.
„Ich dachte, dass ich dir nie wieder so nahe sein würde.“
Flüsterte Aurinia ihm in sein Ohr und berührte mit ihrer Nase die seine. Vitus lächelte und küsste sie leicht auf den Mund und sagte:
„Ich auch, und daher bin ich froh, dass wir uns beide getäuscht haben.“
Sie nickte und legte ihren Kopf auf seine Brust. Da sie ein Glücksgefühl durchströmte, wie sie es schon lange nicht mehr gespürt hatte, schlief sie schnell und erschöpft ein. Vitus strich ihr noch etwas durch ihre Haare und lauschte ihren ruhigen Atemzügen. Als er sich sicher war, dass sie tief und fest schlief, löste er sich vorsichtig von ihr und stand auf. Mit fahrigen Bewegungen zog er sich seine Hose an, griff sich seine Jacke und sein Shirt und flog schnell davon.
Als er spürte, dass der Schmerz langsam kam, landete er auf einem Dach. Diesmal war es ungleich schlimmer als beim letzten mal, denn nicht nur seine gerade verheilenden Arme wurden wieder zerschnitten, sondern auch sein gesamter Oberkörper, seine Beine und, mit nur ein paar kleineren Schnitten, auch sein Gesicht. Der Schmerz war unerträglich stark. Vitus bäumte sich auf, streckte seine Arme von sich und schrie in die Nacht. Erst als die Schnitte weniger wurden, konnte er sich beruhigen. Nahe dran, das Bewusstsein zu verlieren, durch den nun nachkommenden, brennenden Schmerz, flog Vitus taumelnd zu seinem Clan zurück. Dabei verlor er genug Blut, um einen Vampir eine Zeit lang am Leben erhalten zu können.
Leo, Stephan und Joe warteten in ihrem Versteck auf Vitus, als dieser regelrecht herein stürzte. Er kroch noch wenige Sekunden entkräftet am Boden entlang, bis er halbwegs die Kraft fand, sich auf zu richten.
„Verdammte Scheiße, Vitus! Was hast du denn getan? Eine ganze Armee von Engeln berührt?! Du bist echt völlig bekloppt. Wie kannst du vergessen was dir droht, wenn du sie berührst?“
Schimpfte Joe laut vor sich hin, während Vitus schleppend auf eine Wand zu ging und sich an sie lehnte, um nicht wieder zusammen sacken zu müssen. Durch den Schmerz, den er noch immer leicht spürte, verunglückte sein grinsen zu einer schiefen Grimasse, worauf Joe nur verständnislos den Kopf schüttelte. Stephan sah Joe böse an und kam zu Vitus, um sich dessen Wunden genau anzusehen.
„Das müssen wir sofort alles verbinden -“
„Lass mich in ruhe Steph, das wird schon wieder.“
Wurde Stephan von Vitus angefahren, der sich mit Mühe aufrecht hielt.
„Ich bin ja kein Mensch, der davon Narben bekommt.“
Leo sah Vitus unwillig an und sagte:
„Da magst du recht haben Vitus, aber wenn du sie nicht verbinden lässt, dann verblutest du und statt Narben zu bekommen, stirbst du uns einfach weg. Das kann ich nicht zulassen, denn ich muss dir noch eine reinhauen, dafür dass du deine Finger nicht von ihr lassen kannst.“
Vitus lächelte und murmelte ein ironisches “Danke“. Damit ließ er sich doch noch reinigen und verbinden. Als Stephan fertig war, war alles von Vitus verbunden, außer sein Gesicht und seine Beine. Joe stützte die Hände in seine Hüfte und sagte genervt:
„Vielleicht sollten wir uns mal nach einer Lösung für dieses Problem umsehen. Wenn das hier nämlich ständig passiert, dann ist in deinem Körper bald zu wenig Blut, um dich überhaupt noch am Leben zu erhalten.“
Vitus nickte schwach und murmelte
„Keine schlechte Idee, wirklich! Aber ich bin gespannt ob es dafür überhaupt eine Lösung gibt!! Viel Spaß beim suchen“
Vitus stieß sich von der Wand ab und schleppte sich aus dem Raum. Stephan sah ihm hinterher und zog die Stirn nachdenklich kraus. Joe wandte sich an ihn:
„Steph, ich brauche deine Hilfe dabei. Kannst du dich mit alten Überlieferungen beschäftigen? Damit ich mich an dich wenden kann? In der Zwischenzeit untersuche ich Dämonisches Blut und so, damit ich dahinterkomme warum wir Engel nicht berühren können oder sollten.“
Stephan nickte und ging ebenfalls davon.
Aurinia erwachte Morgens und stellte traurig fest, dass Vitus nicht bei ihr war. Sie meinte sich sogar noch zu erinnern, dass er sie noch am Abend verlassen hatte, aber sicher war sie sich nicht dabei. Auf jeden Fall wusste sie, dass er schmerzen erlitten hatte oder noch immer erleiden musste. Traurig stand sie auf und sammelte ihre Kleidungsstücke zusammen. Sie schickte in Gedanken all ihre guten Wünsche an Vitus, dass es ihm gut gehen möge und machte sich auf den Weg. Sie musste sich nun darauf Konzentrieren, dem Hohen Rat mitzuteilen, dass positive Gedanken auch von Seiten der Dämonen aufkamen und dass es Hoffnung für alle gab. Bloß wie sie das am besten anstellen konnte, da hatte sie noch keinerlei Ahnung. Im Grunde war es leicht, zu sagen dass man bloß zu erzählen brauche, dass die Dämonen für eine Zusammenarbeit waren, aber es umzusetzen war doch etwas schwieriger. Sie durfte auf jeden Fall nicht gleich mit der Türe ins Haus fallen sondern musste abwarten. Aurinia lies die Zeit für sich arbeiten. In ihrem neuen Job brauchte sie nun Ausdauer und einen klaren Kopf, also würde sie dem Hohen Rat erst langsam die Fortschritte verkünden.
War das alles Kompliziert!!
Am Montag fuhr Aurinia mit ihrem Auto und fünf unsichtbaren Feen, zum Tanzstudio der Fantastic Five. Sie wurde Herzlich von ihren vier Freundinnen Rosa, Florentine, Isabella und Stella begrüßt und wurde natürlich gleich den Tanzschülerinnen vor gestellt.
„Nimm dich aber in acht, die sechs glauben wirklich, dass sie etwas besseres wären und eigentlich von ihrem Manager nur etwas gefoppt werden würden als er ihnen mitteilte, dass sie dringend Hilfe benötigen würden. Wenn sie dich scheiße behandeln, dann Schlag einfach zurück, so wie du es sonst immer getan hast.“
Warnte Isa, Aurinia, die sich auf ein paar Zicken einstellte. Tatsächlich lag Isa nicht daneben. Die sechs Mädchen hatten eine schlanke, wohlgeformte Figur, aber das war auch fast alles. Sie wiesen keinerlei Bauchmuskeln auf und die hatte man in diesem Job nötig, wenn die Show einigermaßen gut werden sollte. Andererseits waren die Mädchen, die etwa 22 Jahre alt sein durften, richtige Schönheiten. Nur in diesem Moment eher weniger. Eine der sechs, von der Aurinia annahm, dass sie die Führerin sein durfte, hatte die Arme verschränkt und stand im Zentrum der, ausnahmslos missgelaunt dreinblickenden, Mädchen. Als Aurinia von ihren Freundinnen in den Tanzraum geführt wurde, drehte sich das Mädchen herum und musterte sie noch schlechter gelaunt, als es je möglich wäre. Als sie sich vorgestellt wurden, erfuhr Aurinia, dass das besagte Mädchen Cäcilie hieß, und den Spitznamen Cilly trug.
„Und wer ist das? Noch eine Lehrerin? Wie viele braucht ihr hier eigentlich? Lohnt sich das etwa, so viele Lehrerinnen zu haben, wenn man doch so wenig Aufträge hat?“
Fragte Cäcilie und ließ ihre Frage mit unverhohlenem Hohn in der Stimme durch den Raum klingen. Aurinia mochte sie nicht und sie war sich sicher, dass Cäcilie sie auch nicht mögen würde.
„Falls es dir nicht ganz klar ist, nach meinen Informationen braucht ihr Hilfe und ihr solltet deshalb dringend die Klappe halten und mitmachen, denn wir haben bei Gott genug andere Aufträge, die mehr einbringen und die dankbarer sind als ihr. Darum befolgt meinen Rat und seid froh darüber dass wir uns eurer annehmen.“
Sagte Aurinia mit schneidender, überzeugter Stimme und Cäcilie war umgehend still. Aurinia und die anderen vier zogen sich dann zurück, um alles weitere kurz durchzugehen.
„Also, Flo und Isa, ihr übernehmt noch immer das Aufbau-Training, oder? Dann seid ihr mal gleich dran, den Mädels ein paar Muskeln zu verpassen. In einer Woche etwa sollten sie so weit sein, um von Rosa mal durch die Mangel genommen zu werden. Stella, du bist noch immer für die Kostüme und das Styling verantwortlich, nicht? Dann solltest du schon mal ein paar Notizen über ihre Bewegungen und ihren Typ machen. Ich überlege mir schon einmal die Choreografie. Alles in Ordnung so weit?“
Übernahm Aurinia wie gewohnt die Führung, als es ihr bewusst wurde, dass sie sich einfach dieses Recht heraus nahm, obwohl sie lange nicht mehr hier war. Daher entschuldigte sie sich umgehend dafür. Ihre Freundinnen strahlten sie aber überglücklich an.
„Also, mal in echt, ich bin froh, dass du wieder hier bist. Deine Behauptung vorhin, wir hätten noch andere Aufträge stimmte nämlich nicht so ganz. Seit heraus kam, dass du nicht mehr bei uns warst, wollte niemand mehr etwas über uns wissen. Du hattest schon immer die Führung inne und mit dir war auch jeder Auftritt ein völliger Erfolg. Ohne dich waren wir untere Klasse, ehrlich!!“
Meinte Stella erklärend und ein schmerzhafter Ausdruck trat ihr ins Gesicht, als sie sich an das eben erzählte, erinnerte. Alle ihre Freundinnen stimmten zu und fielen Aurinia um den Hals.
„Aber jetzt bist du wieder hier und schaffst uns nach oben!!“
Rief Rosa.
Aurinia genoss das Gefühl, gebraucht zu werden und war froh, wieder daheim zu sein. Hier war sie in ihrem Element. Ohne die Leidenschaft für das Tanzen, hätte sie niemals in dieser Schule angefangen und hätte somit auch niemals Vitus kennen gelernt.
Der Tag verlief für Aurinia in normalen Bahnen, aber für Cäcilie und ihre Truppe war es die erste Stufe zur Hölle. Sie wurden, wie es Aurinia angeordnet hatte, von Isa und Flo einmal durch das gesamte Fitnessstudio geschleust, so dass zwei zusammenbrachen und drei fast kotzten vor Schmerz. Am Ende des Tages, an dem Aurinia nur ihnen zugesehen hatte und mit Rosa das weitere Programm besprach, sagte sie gelassen zu ihnen:
„Das war nicht schlecht. So noch eine Woche, und ihr brecht nicht mehr zusammen. Wenn aber doch, dann fliegt das betreffende Mädchen hinaus und ihre Position übernimmt eine der Lehrerinnen. Keine Sorge, dass heutige war erst das Aufwärm-Training, das beste kommt schließlich immer erst am Schluss. Einen schönen Abend und geruhsame Nächte wünsche ich euch, denn die werdet ihr brauchen.“
Cäcilie sah zornig hinter Aurinia her und ging ihrer Truppe, die sich stöhnend zu den Duschen schleppten, hinterher. In den Duschen beklagte sie sich lautstark:
„Diese Schnepfe meint doch wirklich, uns herumkommandieren zu können. Ich wette die hat genauso wenig drauf, wie die anderen.“
Aurinia fuhr nichtsahnend nach Hause und ließ sich in ihre Couch sinken Sie wusste ja nichts von der schlechten Stimmung, die Cilly verbreitete.
„Und? Was sagt ihr nun dazu? Ihr wart tatsächlich immer so still, dass ich manchmal dachte, ihr wärt davon geflogen.“
Murmelte sie erschöpft, als fünf plopps zu hören waren und ihre kleinen Feen erschienen. Sie flogen herum und ließen sich auf Pflanzen, Gardinenstangen und anderen Einrichtungsgegenständen nieder, von denen sie Aurinia beobachteten.
„Du warst schon ziemlich hart zu ihnen. Muss man das immer sein? Oder magst du diese Cäcilie nicht?“
Fragte Flora und ließ sich auf Aurinias Schulter nieder. Diese lächelte und gestand:
„Ja, ich gestehe, diese Cäcilie ist eingebildet und dass muss ich irgendwie ändern, sonst versaut sie die allgemeine Stimmung. Unter mieser Laune zu arbeiten geht allen sehr an die Nerven, nicht nur den Schülerinnen selbst. Aber wahrscheinlich schätze ich sie einfach nur falsch ein, vielleicht ist sie ja ein prima Kerl. Mal sehen, wie sich dass noch mit der entwickeln wird.“
Aurinia behielt recht, Cäcilie weigerte sich so manches mal, weiter zu trainieren, so dass Aurinia oft einschreiten musste. Dennoch bestanden sie diese Woche halbwegs gut, so dass Aurinia sich weniger Sorgen um die Kräfte ihrer Schüler machen musste, als sie am Anfang befürchtet hatte. Stella erzählte Aurinia, dass sie weniger, als zwei Monate Zeit bekamen, aus den Püppchen eine Professionelle Truppe zu basteln. Aurinias Feen halfen abends, weitere Verhaltens Möglichkeiten gegenüber Cäcilie durch zu gehen, damit sie nicht immer als der Hardcore-Ausbilder herüber kam, der nur befahl und keinen Wiederspruch erduldete. Stella ging in ihrem Job auf, sie erdachte sich mehrere Kostüme und Frisuren und erwartete stets, dass man sich auch für sie Zeit nahm. Immerhin mussten die Individuellen Mase der Tänzerinnen genommen werden, damit jede ihr perfekt sitzendes Kostüm bekam und dass nichts am Kostüm, die Choreografie störte.
Lange Rede, kurzer Sinn, Aurinia musste sich um alles kümmern und hatte keinen Nerv für den Hohen Rat. Es waren weitere zwei Wochen vergangen, in denen die Girls Fitness-Übungen, erste Grund Tänze, Kostüm-Proben und andere Dinge über sich ergehen lassen mussten. In der Zwischenzeit war für alle klar, die etwas mit dem Auftritt zu tun hatten, das zwischen Aurinia und Cäcilie eine Feindschaft bestand. Egal was man tat, diese beiden hatten sich gefressen. Cäcilie versuchte stets eigene Choreografien durch zu boxen und war schnell bereit, bei ihrem Manager zu petzen wenn etwas gemacht werden sollte, dass sie nicht wollte. Auirinia war einmal mehr, in den Unterricht von Rosa, beordert worden, um ihr zu helfen.
„Ich weigere mich, solch lahme Übungen zu machen. Ich möchte, dass diese Wissenschaftlich getesteten Übungen, die ich gerade vor gemacht hatte, als unser Grundprogramm übernommen werden. Das was wir bis jetzt machen mussten war Oma-Gewackel! Das ist unser unwürdig!!“
Regte sich Cäcilie einmal mehr über die Tänze von Rosa auf. Aurinia stemmte die Arme in die Hüfte und runzelte wütend die Stirn. Das war schon die dritte Diskussion, die sie mit Cäcilie führen musste und es war noch nicht einmal ein ganzer Monat vergangen.
„Wie oft muss ich denn noch erklären, dass wir euch noch nicht das Grund-Programm beibringen, sondern dass es erste Übungen sind und mehr nicht? Die Bühne, die Beleuchtung und der ganze Brimborium drum herum ist momentan wichtiger und erst in einer Woche können wir den Tanz durchkauen. Ich arbeite immer ohne Grundprogramm, jeder Schritt ist einzigartig und keiner wiederholt sich. Daher müsst ihr euch hier, auf diese Übungen, konzentrieren, damit ihr später nicht völlig verzweifelt. Wir haben verdammt wenig Zeit, das durch zu gehen. Nehmt also diese Chancen wahr und versaut euch nicht alles. Ich möchte ab jetzt, nicht mehr gerufen werden müssen, um so eine Ansprache noch einmal zu führen. In einer Woche werdet ihr mich haben, dann Gnade euch Gott! Geniest die Zeit davor.“
Aurinia sah Cäcilie herausfordernd in die Augen, allerdings las sie da, pure Verachtung. Cäcilie würde niemals aufgeben und auf Aurinia hören. Aurinia schlug die Augen nieder und ging niedergeschlagen davon. Sie hasste jetzt schon den Tag, an dem sie mit ihnen arbeiten musste!
Rosa und Aurinia trafen sich in ihrem Besprechungszimmer, in dem sich eigentlich immer jemand anderes von ihren Freundinnen befand, aber sie waren alle so eingespannt, dass niemand mehr Zeit hatte, ruhig hin zu sitzen um einen Kaffee zu schlürfen. So waren die beiden ungestört.
„Es tut mir leid dich immer her holen zu müssen, ich weiß ja, dass du dir die Choreografie noch nicht ganz ausgedacht hasst und dass du noch immer auf der Suche nach passenden Liedern bist. Ich bekomme bald einen Vogel mit diesen störrischen Mädchen, ehrlich gesagt, bin ich froh, sie dir bald abgeben zu können.“
Rosa lächelte entschuldigend bei ihrem Satz. Aurinia seufzte tief und packte ihre Sachen in ihre Tasche. Wieder war ein Tag vergangen, in dem sie nicht die passende Musik gefunden hatte. Dabei sollte sie in einer Woche fertig sein, damit sie Unterrichten konnte! Da piepste die Sprechanlage. Es war wahrscheinlich die Sekretärin, die in der Eingangshalle saß und Termine vergab.
„Was ist denn, Frau Harman?“
Fragte Aurinia und hielt die Sprechtaste gedrückt. Ein kurzes Rascheln kam und dann antwortete eine ältere Frauenstimme:
„Hier ist ein Mann, der mir nicht seinen Namen nennen will, aber zu ihnen möchte
Frau Hall. Können sie herunterkommen? Ich möchte ihn nicht nach oben lassen. Wäre das in Ordnung?“
„Ja, ich habe gerade eh Feierabend, ich komme gleich zu ihnen, danke.“
Aurinia grinste Rosa schief an, warf sich ihre Tasche um und ging hinaus.
Cäcilie und ihre Freundinnen waren ebenfalls gegangen, als vor ein paar Minuten, Rosa den Tag als beendet erklärt hatte und Aurinia gefolgt war. Sie alberten herum und lobten Cilly so, als hätte sie den Streit gewonnen, den sie vorhin angefangen hatte, als sie nach unten in die Empfangshalle kamen. Sie war zwar groß, aber karg eingerichtet. Ein paar Sofas, an der einen Wand, machten es dem Wartenden etwas gemütlich und direkt gegenüber davon, an der anderen Wand, saß die Empfangsdame hinter ihrem Schreibtisch. Ein paar Mütter mit ihren Kindern warteten darauf, endlich Unterrichts Einlass zu erhalten, als die Eingangstüre aufschwang und ein dunkelhaariger Mann die Halle betrat. Es wurde in der Halle merklich leiser, denn alle Personen, die hier Tanzunterricht nahmen, waren nicht gewohnt, Menschen wie ihn hier zu sehen. Der Mann war groß, schlank gebaut und trug ausnahmslos schwarze Klamotten. Zusätzlich lies ihn seine bleiche Haut, fast ungesund aussehen. Eine Mutter packte sogar ihr Kind und ging vom Schreibtisch der Empfangsdame fort, als der Mann darauf zuhielt. Cäcilie und ihre Freundinnen maßen den Mann mit einem kurzen Kennerblick und stuften ihn zu einem potentiellen Flirtkandidaten ein.
Während Cäcilies beste Freundinnen Cris und Lea verstohlen zu ihm sahen und sich leise darüber unterhielten, was er wohl hier zu suchen hatte, besah sich Cäcilie den Mann etwas näher. Sie war eine begehrte Frau und kannte sich in der Männerwelt inzwischen gut genug aus. Auch war sie sehr wählerisch weshalb sie positiv erstaunt war, dass ihr dieser Mann gut gefiel. Er hatte dunkelbraune, lockige Haare und graugrüne Augen, die er schwarz geschminkt hatte. Ein paar Locken fielen ihm in seine Stirn, so dass sie seine blasse Haut und seine hypnotisierenden Augen auf unwiderstehliche Art attraktiv erscheinen ließen. Unter seinem schwarzen Shirt wieß er einige Bauchmuskeln auf, was zeigte, dass er keineswegs untrainiert war.
Cäcilie verlor keine Zeit und ging direkt auf ihn zu, Cris und Lea waren dicht hinter ihr. Als sie hinter ihm stand, hörte sie gerade noch, wie er mit tiefer Stimme verlangte, sofort hochgelassen zu werden. Die Sekretärin allerdings sagte ausdrücklich, dass er hier warten solle, dann wandte sie sich einfach von ihm ab. Der Mann hatte seine Arme auf dem Schreibtisch aufgestützt und wollte anfangen die Empfangsdame anzupöbeln, als Cäcilie sagte:
„Kann ich ihnen helfen? Wen suchen sie denn? Ich bin eine der bekannten Schülerinnen, die hier gerade ihr Training durchziehen. Vielleicht kenne ich denjenigen den sie suchen?“
Der Mann drehte sich herum und Cäcilie stellte mit Belustigung fest, dass der Mann von ihrem Aussehen eingeschüchtert wurde. Verlegen sagte er mit wohlklingender, tiefer Stimme:
„Wenn sie hier Schülerin sind, dann kennen Sie sie sicher, ich suche –“
Er wurde von Cäcilie unterbrochen, die sofort mit gespielter Kränkung flirtete:
„Sie suchen eine Sie? Wie schade, ich hätte doch eher behauptet, dass sie eine Sie gefunden haben, nicht wahr?“
Der Mann sah sie an und sah schüchtern zur Seite, als Cäcilie etwas näher zu ihm heran kam. Er versuchte darauf etwas vor ihr aus zu weichen, was aber nicht gelang, da der Schreibtisch direkt hinter ihm war. Mit einem bezaubernden Augenaufschlag sagte sie fröhlich:
„Entschuldigen sie wenn ich ihnen zu nahe getreten bin. Das ist aber noch kein Grund, vor mir auszuweichen, ehrlich. Ich habe noch nie jemanden gefressen. Hätten sie Lust –“
Doch Cäcilie wurde von Aurinia unterbrochen, die heruntergekommen war und den Mann erkannte.
„Vitus, das ist aber eine angenehme Überraschung, dich auch mal wieder hier zu sehen.“
Vitus sah Aurinia dankbar und erschrocken zugleich an, denn er hatte nicht bemerkt, dass sie schon hier war. Cäcilie runzelte unwillig die Stirn. Das Der Mann zu Aurinia wollte, war zwar beschissen genug, aber dass Aurinia ihn anscheinend persönlich kannte und sich auch noch freute, ihn zu sehen, war etwas zu viel für sie. Der Mann flüchtete regelrecht vor Cäcilie und kam zu Aurinia, die mit ihm nach draußen ging. Cäcilie kochte vor Wut!!
„Ich glaube einfach nicht, dass Aurinia so gutaussehende Männer kennen soll und sie dann auch noch vor mir wegschnappt! Keine Sorge, ich werde Aurinia schon noch alles heimzahlen.“
Schwor sie sich und sah den beiden hinterher, die sie völlig vergessen hatten.
Aurinia war erfreut, Vitus wieder zu sehen und sie wollte ihm so gerne zeigen, wie sehr sie sich freute. Nur leider war ihr eine Grenze gesetzt. Sie wusste genau, dass er wohl noch dabei war, die letzten Wunden zu verarbeiten und daher konnte sie ihn nicht berühren. Wenn sie ihn genauer betrachtete, dann fiel ihr auf, dass er kleine Schnitte am Hals und an den Händen aufwies, die gerade verheilten. In ihr meldete sich das schlechte Gewissen.
Draußen, vor der Eingangstüre sog sie begierig die Luft ein, denn sie hatte das Gefühl, seit einer Ewigkeit nicht mehr richtig eingeatmet zu haben. Da er nur neben ihr stand, sah sie ihn schräg an und fragte:
„Du bist hier her gekommen um mich zu sehen? Warum?“
Vitus sah sie in gespielter Gekränktheit an, dann tat er als müsse er noch einmal überlegen und sagte dann ausweichend:
„Hab ich doch gerade vergessen. War nur ’n Scherz, ich wollte nur sehen, ob bei dir alles ok ist und wollte dich besuchen. Einfach so, um dich zu sehen. Wenn du keinen Wert auf mich legst, dann kann ich ja jetzt wieder gehen. Ich hab auch noch andere Verpflichtungen.“
Über Vitus’ Gesicht huschte ein lächeln und er wollte gerade so tun, als ob er tatsächlich gehen wollte. Aurinia wollte ihn zurückhalten, als ihr klar wurde, dass sie ihn dann berühren musste.
„Halt, warte. Ich habe gar nicht gesagt, dass ich nicht mit dir zusammen sein wollte. Ich freu mich riesig, dass du mich nicht vergessen hast. Immerhin hast du dich das letzte mal einfach aus dem Staub gemacht.“
Gab sie ihm zu bedenken und Vitus kam wieder zurück. Mit gequälter Miene sah er sie an und erklärte, als sie sich in Bewegung setzten:
„Das hat nichts mit dir zu tun. Ich fand es einfach besser, zu gehen, bevor du sehen musst
wie –“
Aurinia nickte, als er einfach stockte. Sie wusste, dass er es nicht sagen wollte, denn er wollte ihr nicht das Gefühl geben, daran schuld zu sein. Betrübt sah sie zu Boden und er steckte seine Hände in seine Hosentaschen. Dann warf er seinen Kopf in den nacken und sah in den Himmel. Was sollten sie dazu noch sagen? Es war ausweglos und Aurinia hasste es. Leise flüsterte sie neben ihm:
„Es ist schwierig dir zu zeigen dass ich dich liebe, wenn man sich nicht berühren darf. Am liebsten wollte ich dir vorhin um den Hals fallen und jetzt, würde ich mich gerne bei dir unterhaken.“
Um ihm wenigstens nahe zu sein, kam sie näher zu ihm her. Wenig überzeugt versuchte Vitus, Aurinia Hoffnung zu machen.
„Joe meinte es gäbe vielleicht eine Lösung oder zumindest sucht er fieberhaft nach einer.“
Da sie ihn kannte sah sie ihn mit auf die Seite geneigtem Kopf an und fragte ungläubig nach:
„Und du glaubst daran aus vollem Herzen, nicht wahr?“
Vitus sagte zwar nichts darauf, aber es war ihr schon Antwort genug, zu sehen, wie er die Stirn runzelte. Um das Thema wechseln zu können, fragte Aurinia einfach, was sie nun machen wollten. Kurzerhand entschloss sich Vitus dazu, sie mitzunehmen, um ihr ein paar Clubs zu zeigen, in denen er, und ein paar Freunde von ihm, sich öfter aufhielten. Im Grunde waren es dann typische Orte, an denen sich Dämonen aufhielten. Zu Beginn sträubte sich Aurinia dagegen, mitzukommen, denn sie hatte noch viel zu tun und da konnte sie nicht die ganze Nacht um die Häuser ziehen, aber Vitus ließ ihr keine Wahl. Ohne auf ihre Proteste zu reagieren, drohte er, sie zu berühren um sich selbst Schmerzen zu zufügen. Lauthals drohte Aurinia zurück, ihn dann zu verkloppen, aber natürlich wagte sie es nicht, es wirklich zu tun. Daher kam sie widerwillig mit.
Es war dann doch nicht so schlimm, wie sie dachte. Sie saß mit Stephan, Leo, Joe und Vitus in einem Club und unterhielt sich mit ihnen. Ab und zu verspürte sie heftige Gewissensbisse, denn sie war ja immerhin ein Engel, und sollte sich nicht mit Dämonen abgeben, aber sie konnte diese Gedanken erfolgreich damit abtun, dass es ein erster Schritt sei, die beiden Familien miteinander zu versöhnen. Um kurz nach Mitternacht brachte Vitus, Aurinia nach Hause.
Auf ihrem Balkon verabschiedeten sie sich voneinander.
„Dann wünsche ich dir noch Kraft, Nerven und Spaß bei deinem Job und deinen Nervensägen.“
Stichelte Vitus sie, worauf Aurinia nur müde lächelte. Sie hatte ihm an diesem Abend alles erzählt, was sie in letzter Zeit beschäftigte und stresste. Auch erzählte sie Vitus von Cilly, die immer ihren eigenen Dickkopf durchbringen wollte. Vitus erzählte dann seinerseits, dass diese Cilly ihn, kurz bevor Aurinia kam, heftigst angemacht haben soll. Aurinia glaubte Vitus zu erst nicht, da sie dachte, er wollte sie nur wieder foppen, aber schließlich gab sie sich geschlagen, denn sie kannte Cilly schon gut genug, um sagen zu können, dass es ihre Art war.
Sie legte die Stirn in runzeln und kam wieder zu Vitus, der sich auf dem Balkongeländer in die Hocke gekniet hatte und sie abwartend betrachtete. Als sie direkt unter ihm stand, sah sie hoch, in seine wunderschönen Augen.
„Ich würde dir gerne einen Abschiedskuss geben, aber ich glaube das lasse ich lieber, was?“
Vitus lächelte über ihren Satz und sagte mit obercooler Stimme:
„Mensch, Rinia man muss sich doch nicht immer berühren oder küssen, als ob wir ein verliebtes Pärchen wären, die ihre Finger nicht bei sich lassen können.“
Aurinia reagierte sofort. Ebenso, wie sie wusste, dass er es nicht so gemeinte hatte, tat und sagte sie nun etwas, dass sie auch nicht wirklich so meinte. Als kleiner Gegenangriff auf seine coole mache.
Sie sah ihn eiskalt an, drehte sich zu ihrer Balkontüre um und sagte beleidigt:
„Wenn du das so siehst, dann gehe ich wohl besser. Nachher wird es dem Herrn Vitus Valerian auch noch peinlich, mit mir gesehen zu werden. Natürlich müssen wir dies unter allen umständen verhindern, wo kämen wir denn sonst hin, wenn alle glauben würden, zwischen uns liefe etwas!!“
Sie sah ihn nicht, wie er vom Balkongeländer heruntersprang und mit einem grinsen auf sie zuging.
Erst als sie fühlte, wie er sie wieder zu sich herum drehte, bemerkte sie, dass er ihr gefolgt war. Er umschlang ihre Hüfte und trat nahe an sie heran. Mit einem glitzern in den Augen sagte er:
„Du weißt doch ganz genau, dass ich nicht die Finger von dir lassen kann. Wenn es mir wirklich um die Schmerzen ginge, dann würde ich dich nicht berühren. Ich kann dich zwar nicht ständig anfassen, aber für die wenigen male, in denen ich es tun kann, pfeife ich auf die Schmerzen.“
Er wollte sie küssen, doch dann befreite sie sich aus seiner Umarmung. Fragend sah er sie auch etwas enttäuscht an und Aurinia erklärte:
„Das hast du schön gesagt, bloß hast du vergessen dass es mir danach jedes mal weh tut, zu sehen, was du nur durch mich erleiden musstest. Ich bin deiner Meinung, aber gleichzeitig sehe ich nicht ein, dass du dich wegen mir entstellst. Ich liebe dich Vitus, aber ich halte es nicht aus, mir vorzustellen, nein, zu wissen, dass du nicht kommen kannst, weil du noch die Wunden verarbeitest.“
Vitus sah sie traurig an und sie fügte hastig hinzu, um ihren Worten die schärfe zu nehmen:
„Nicht falsch verstehen Vitus! Ich liebe dich und deinen Körper und es gibt nichts schöneres, als dir nahe zu sein, deinen Geruch einzuatmen oder deine Berührungen zu spüren.“
Aurinia kam wieder etwas näher zu ihm und sah ihm traumverloren in sein Gesicht.
„Oder durch deine Haare zu fahren und dir dabei in deine Augen sehen. Es gibt so viele Dinge die ich mit dir machen will, bloß darf ich es nicht, denn es ist nur ein kurzes Vergnügen, im Gegensatz zu den Schmerzen, die wir beide dadurch erleiden. Verstehst du mich?“
Vitus nickte niedergeschlagen und sprang mit einem Flickflack wieder auf das Geländer. Er lächelte sie an, gab ihr einen Luftkuss und machte einen Sprung in die Nacht hinaus, in der er schnell und geräuschlos verschwand. Aurinia hatte zurück gelächelt, aber ihr war nicht zum lachen zumute. Müde und erschlagen ging sie in ihr Bett.
Vitus dagegen hatte, nachdem sie dies sagte, auf seinem Nachhauseflug, einen Entschluss gefasst. Er würde Joe eigenhändig ausnehmen, wenn er sich nicht endlich den Arsch aufriss, um eine Lösung für dieses Problem zu finden. Stephan war schon dabei, bei so vielen Clans wie möglich, an alte Überlieferungen der Dämonen und Engel, zu kommen und war ständig unterwegs. Doch Joe war noch immer dabei allein und zurückgezogen in seinem kleinen Labor, das Blut von Vitus und anderen Dämonen zu untersuchen. „Eine langwierige Prozedur“ hatte Joe erklärt und einfach unbeirrt weiter experimentiert, jedes mal, wenn Vitus nachfragen lies, wie weit er schon war.
Aurinia war frühmorgens schon wieder im Tanzsaal, um nach Liedern zu suchen, die sie für ihre Choreografie verwenden konnte. Sie hatte schon die sechste CD eingelegt und war nahe dran alles hinzuwerfen, als Isa und Flo dazukamen und ihr geduldig halfen. Doch es war trotzdem schwierig etwas zu finden. Stella kam nach einer Stunde fröhlich in den Raum und hielt eine CD in Händen, die gerade neu erschienen sei und auf die sie sehnlichst gewartet hatte.
„Ich dachte schon, sie würden nie dazu kommen das Teil zu veröffentlichen!! Darf ich sie einlegen? Ich würde sie euch gerne zeigen.“
Aurinia zuckte mit den Schultern und ging zu Rosa, die auch gerade dazu gekommen war und sie sprechen wollte.
„Der Manager der Schnecken hat bei mir gestern angerufen und meinte, dass die Show ein Erfolg werden müsse, da irgendwelche Investoren und Interessenten des Managers dabei zusehen wollten und etwas für uns Herausspringen sollte. Er will uns also Druck unterm Hintern machen. Meinst du, du schaffst das??“
Aurinia wollte gerade gestehen, dass sie noch nicht einmal wusste, zu welcher Musik sie es aufführen wollte, als sie, durch die gerade entstandene Pause, die Musik der CD von Stella hörte. Es war eine Musik, die einem unter die Haut ging und die tiefe, hauchende Stimme des Sängers ging ihr durch Mark und Bein, als ob sie sie kennen würde. Die Musik selbst hatte gut eingesetzte Gittarensolos darin und war insgesamt im Dark-Musik oder Gothic Bereich angelegt. Mit einem mal fiel es ihr auf!
Die Stimme war ihr vertraut, da sie Vitus Valerian gehörte, ihrem geliebten Dämon und Sänger der Band THE BLACK DEATH! Mit einem Ruck wandte sich Aurinia um und kam zu Stella. Warum war ihr nicht früher eingefallen, dass Vitus ein sehr bekannter Rockmusiker war und emotional, melancholisch, romantische Musik machte?
Mit einem entrückten lächeln im Gesicht erinnerte sich Aurinia an ihre erste Begegnung:
Sie war gerade aus ihrer Vorstellung gekommen und wollte sich in ruhe im Backstage Bereich umziehen, als Stella, die schon hinaus gerannt war, um die Gratulationen entgegenzunehmen, wieder hereinplatzte und erzählte, dass mehrere bekannte Musiker in der Stadt waren und ihre Vorstellung besucht hatten. Eine Band hatte sie sogar schon kennen gelernt, es war die international bekannte Gruppe THE BLACK DEATH und sie wollte unbedingt ihnen ihre Freundinnen vorstellen. Aurinia, damals noch Leaven genannt, konnte sich nicht erfolgreich wiedersetzen. Sie wurde auf fünf Männer in schwarzen Klamotten zugeschoben, die in einem Kreis standen und auf Stella warteten, als sich einer der fünf, der mit dem Rücken zu Aurinia stand, zu ihr umdrehte. Leaven war sofort hin und weg und wollte nicht mehr einfach verschwinden, sondern diesen Mann kennen lernen, andererseits wusste sie auch nicht, was sie sagen sollte. Er war unglaublich! Er trug eine schwarze, Lederjacke und darunter ein schwarzes, normales Shirt. Seine graugrünen Augen waren schwarz umschminkt und passten, durch seine bleiche haut, perfekt zu seinen dunkelbraunen Haaren, von denen nur eine Locke in seine Stirn fiel.
„Rinia? Bist du noch hier? Oder hast du einen größeren Ausflug vor?“
Riss Stella Aurinia aus ihren Erinnerungen, während Flo an ihrer stelle antwortete:
„Vergiss es, hast du denn vergessen, dass Vitus der Sänger von THE BLACK DEATH ist? Sie wird gerade wohl in Gedanken bei ihm sein, wo auch immer er gerade steckt.“
Aurinia lächelte ertappt. Rosa runzelte nachdenklich die Stirn und fragte Aurinia, ob sie denn noch etwas von Vitus gehört hatte, seit er vor einem Jahr einfach gegangen war. Aurinia nickte und erklärte:
„Ja, er war sogar gestern hier, um mich hier zu besuchen. Wir haben noch Kontakt und ich hatte große Schwierigkeiten, ihn dazu zu bringen, seine Gefühle mir gegenüber zu zeigen. Ihr könnt mir glauben, er kann stur sein, wie ein Esel, aber ich habe gewonnen. Vielleicht wird ja noch etwas aus uns.“
Aber wahrscheinlich erst, wenn sie es schafften die Barriere zu überwinden, dachte sich Aurinia bitter noch hinzu.
„Jetzt last mich mal rann, ich muss mir die Lieder anhören, denn ich glaube, so romantische, gothic Musik ist einfach genial! Wir können damit mit der Mehrzahl der Jugendlichen in unserer Aufführung rechnen, denn diese art von Musik ist gerade der Trend. Außerdem kann man wundervolle Kostüme dazu tragen und Wahnsinns Choreos erfinden!! Diese Musik ist unglaublich!! Stella, diese CD ist eingezogen!“
Freute sich Aurinia, als sie schon von Lied zu Lied schaltete, um sich einen ersten Einblick in die CD zu verschaffen. Stella zog eine Schnute, nahm aber bereitwillig in Kauf, dass Aurinia ihre CD für einige Zeit benötigen würde. Aurinia zog sich in einen extra Tanzraum zurück, um dann ihre Schrittabläufe und Bewegungen für die Choreografie einzustudieren.
Damit war auch diese Woche schnell vorbei, und Aurinia durfte, die inzwischen fertiggestellte, Choreografie ihren Schülerinnen beibringen. Sie verkündete ihren Mädels, dass sie zur Musik von THE BLACK DEATH tanzen würden und dass sie sich die CD jeweils brennen oder besorgen sollten, damit sie auch zuhause üben konnten.
Zu Beginn verhielt sich Cäcilie sehr ruhig, was aber darauf zurück zu führen war, dass sie fast nicht mit der Schrittabfolge hinterher kam und dann konnte sie sich, bei Gott, nicht beschweren. Was Cäcilie zusätzlich schlauchte, war die Tatsache, dass alle ihre Freundinnen, außer Cris und Lea, auf Aurinias Seite gewechselt waren, da sie Aurinia für die fähigste Lehrerin hielten, die es gab. Außerdem waren ihre Choreografien einfach unglaublich, auch wenn sie streng war. Alle, außer Cilly, Cris und Lea, waren nun froh, von Aurinia unterrichtet zu werden.
Cäcilie schwor Aurinia Rache, denn das mit diesem gutaussehenden Mann war auch noch nicht ausgestanden. Sie begann sich allmählich zu fragen, was zwischen ihm und Aurinia lief, sie hatte die beiden schon ein paar mal zusammen gesehen und die Blicke, die Aurinia ihm zuwarf waren tiefer, als es bei einer Freundschaft üblich war, aber auf der anderen Seite, hatte sie noch nicht beobachten können, dass sie sich umarmten oder küssten, ja geschweige denn berührten! Fast so, als ob ein Schutzband zwischen ihnen bestünde, dass ihnen verbot, sich zu berühren.
Ein paar der anderen, jüngeren Schülerinnen, die noch zu dieser Tanzschule kamen behaupteten, dass zwischen Aurinia und ihm etwas lief, aber andere wiederum sagten, dass da nichts war.
In der ersehnten Pause gingen die Mädchen zum CD-Player, um sich die CD näher betrachten zu können, denn die Gruppe THE BLACK DEATH war ihnen bekannt, nur die neue CD noch nicht. Als Cäcilie ebenfalls hinzu kam, stellte Cris erfreut fest:
„Cäcilie! Sieh doch mal, der Sänger!“
Sie deutete auf ein Gruppenfoto der Band, im Inneren der CD und wartete, dass Cäcilie hinsah, dann fügte sie noch hinzu:
„Kommt er dir nicht bekannt vor?“
Cäcilie blieb die Luft weg. Natürlich kannte sie ihn, sie kannte ihn schon vorher, sie mochte die Musik von THE BLACK DEATH, aber sie war nicht darauf gekommen, dass hier, im Tanzstudio, der Sänger Vitus Valerian ein und aus ging!! Sie hatte es für abwegig gehalten, dass ein bekannter Rockmusiker, ausgerechnet hier her kam. Sie war mit einem mal freudig geschockt, denn die Tatsache dass er ihr schon so nahe war, lies sie erschauern. Vielleicht gab es eine Möglichkeit, ihn näher kennen zu lernen? Es musste ja nicht unbedingt wahr sein, dass etwas zwischen Aurinia und Vitus Valerian war. Immerhin war sie sich sicher, dass sie sich nie berührten und jemanden den man sehr mag, will man doch berühren, oder nicht?
Den Rest des Tages war Cäcilie beschäftigt, Aurinia zu studieren, wie sie sich bewegte, wie sie sprach und was sie tat, es musste doch irgendwo ein sichtbares Zeichen geben, dass sie sich verliebt hatte! Cäcilie fand nichts an Aurinias Benehmen, was auf einen solchen Zustand deutete und in ihr begann Hoffnung aufzukeimen.
Aurinia dagegen bemerkte nicht, weshalb Cäcilie ständig vor sich hinlächelte und ausnahmsweise den Mund hielt.
So ging es die restliche Woche lang weiter, allerdings mit dem einen Unterschied, dass sich Cäcilie nun mehr und mehr überlegte, wie sie Aurinia am besten vor allen Blamieren oder als doof darstellen konnte. Auch Cris und Lea stellten fest, dass zwischen Cäcilie und Aurinia mehr war, als nur eine Meinungsverschiedenheit in allen Situationen sondern dass inzwischen einfach nur der pure Hass bestand. Cäcilie beschwerte sich zwar bei ihrem Manager, dass Aurinia nun die Fäden in Händen hielt und keinerlei Einwände in ihre Choreographie erlaubte, aber er behauptete, dass es schon in Ordnung gehen würde. Nach und nach begann der Manager sogar, Aurinia in den höchsten Tönen zu loben, denn er hatte eine kleinere Aufführung mit Kindern gesehen und war begeistert, von ihrem Können.
Kurzum, selbst der Manager freute sich auf die schon bald bevorstehende Aufführung und war nicht mehr auf der Seite von Cäcilie.
Dieser Umstand ließ in Cäcilie eine Boshaftigkeit gegenüber Aurinia erwachen, die sogar Cris und Lea erschreckte, so dass sie sich nicht mehr getrauten, ihrer Freundinn zu wiedersprechen.
Aurinia und Vitus bemerkten von diesen Dingen nichts.
Aurinia hatte ihre Probleme mit der Choreografie und mit dem Hohen Rat, dem sie noch immer nichts von den guten Nachrichten erzählt hatte und Vitus war damit beschäftigt, eine Lösung für das altbekannte Problem zu finden. Abends sahen sich die beiden öfter, aber da Aurinia immer schnell müde war, blieb Vitus nie sehr lange mit ihr in den Bars.
„Steph behauptet, kaum noch in den alten Geschichten durchzublicken, da alles und überall erwähnt wird und auf jeder verdammten Seite eines Buches, das wichtige mit dem unsinnigen und unnötigen verbunden wird, so dass er schon fast alles hingeschmissen hätte. Ach, lassen wir das Thema. Joe weis noch immer nicht so recht, wo er Anfangen soll und bittet dich um etwas Blut, um etwas Haut oder um Haare.“
Aurinia hatte Vitus aufmerksam zugehört, als sie in einer Bar saßen und etwas tranken. So wie sie es oft taten, in letzter Zeit. Inzwischen war die Aufführung nur noch knapp eine Woche entfernt.
Vitus saß neben ihr und erzählte von den Dingen die sich zwischen Stephan und Joe ereigneten, während er seine Zigarette rauchte. Aurinia hatte mehrmals bemerkt, dass auch er Stress hatte, denn er rauchte schon die neunte an diesem Abend und, obwohl er Kettenraucher war, tat er dies nur, wenn er gestresst war. Sie vermutete, dass es nicht nur an den Untersuchungen von Joe und Stephan lag. Er hatte anscheinend noch mehr Probleme als dieses, aber er wollte es ihr nicht sagen und sie wollte ihn nicht ausfragen. Wenn er es ihr verschwieg, dann hatte er wohl seine Gründe.
„Ok, wann soll ich ihm dieses Zeug vorbei bringen?“
Vitus dachte nach und antwortete dann kopfschüttelnd:
„Besser jetzt gleich, dann nehm' ich es mit und du musst nicht zu uns in die dunklen Gassen.“
Aurinia lächelte. Er hatte ihr noch immer nicht gezeigt, wo genau sein Versteck war und er wusste genau, dass sie die Gassen nicht ausstehen konnte, da dort seine Schattenwesen lauerten. So konnte er sich sicher sein, dass sie ihn nicht störte. Zumindest jetzt nicht, denn er hatte gerade schwere Probleme mit einem anderen Clan und da sollte sich Aurinia nicht einmischen.
Auf seinen Vorschlag hin, schnitt sich Aurinia mutig in den Arm und sammelte einen halben Becher voll Blut, den sie dann Vitus überreichte. In einem Reagenzglas, dass er mitbrachte, verstaute sie ein paar einzelne Haare.
„Und die Haut? Wie machen wir das? Soll ich mir etwas abschneiden oder so?“
Fragte Aurinia ironisch. Vitus bedachte sie mit einem genervten Blick und sagte:
„Das macht nichts, es geht auch ohne. Ich glaube er kann auch über die Haare alles herausbekommen, was er benötigt. Ich bringe es gleich zu ihm, bevor ich Durst auf Blut bekomme.“
Vitus zwinkerte schalkhaft mit einem Auge und stand auf. Aurinia kam mit ihm mit und fragte vor der Türe:
„Durst auf Blut? Trinkst du etwas Blut, wie ein Vampir?“
Vitus hörte ihren leicht ängstlichen Unterton. Er hatte einen Scherz machen wollen, aber er hatte nicht bedacht, dass Aurinia nicht wusste, dass es nicht so war. Zumindest nicht ganz...
„Nein, trinke ich nicht, aber andererseits, tu ich es auch doch.“
Aurinia sah Vitus mit aufgerissenen Augen an und faste sich unmerklich an den Hals. Vitus versuchte sie zu beruhigen:
„Nein, ich trinke auf jeden Fall kein Engels Blut. Ich bin außerdem kein Vampir. Die sind davon abhängig, da sie nichts anderes zu sich nehmen können, aber ich bin da frei. Es gibt Dämonen die nur Blut trinken, dann die Dämonen die nichts trinken, die heißen dann Vegetarier und die, die beides manchmal machen.“
Aurinia sah ihm skeptisch hinterher, als er loslief und fragte dann:
„Und du? Was bist du für einer?“
Vitus hielt an wandte sich aber nicht zu ihr um, als er erwiederte:
„Willst du das wirklich wissen?“
Aurinia lächelte, zog die Schultern hoch und plauderte dann fröhlich:
„Nein, vielleicht hast du recht, ich muss ja nicht immer alles wissen. Außerdem hast du es doch schon gesagt. Du sagtest gerade: Nein du trinkst nicht, aber andererseits doch. Damit deute ich, dass du einer von denen bist, die halbe, halbe machen. Lass uns gehen, bevor ich mir noch einrede dass du gleich über mich herfällst.“
Aurinia zwinkerte und Vitus lächelte. Er verabschiedete Aurinia, wie immer, auf ihrem Balkon und flog zurück in sein Versteck. Joe war, wie immer in letzter Zeit, in einem Raum, der nun nur noch vom ganzen Clan, als das Labor bezeichnet wurde. Er war sogar schon aus seinem Zimmer aus- und in das Labor eingezogen, um sogar dort zu schlafen.
„Joe! Ich habe was du wolltest. Blut eines Engels und ein paar Haare von ihr. Kannst du damit etwas anfangen?“
Joe kam zu Vitus und nahm die zwei Behälter entgegen, die er ihm sogar persönlich mitgegeben hatte. Mit einem, vor Ekel, verzogenen Gesicht besah er sich den Inhalt des Bechers, bevor er sagte:
„Engelsblut!! Bääh, wie ich das hasse. Warum haben die Zicken immer blaues Blut? Warum haben sie nicht rotes, wie die Menschen?“
Vitus sah sich die blaue Flüssigkeit ebenfalls an und sagte mit einem hochgezogenen Augenbraue:
„Was weiß ich? Wenn ich es wüsste, könnte ich dir auch gleich erklären warum wir schwarzes Blut haben. Es liegt wahrscheinlich einfach daran, dass wir verschieden sind und andere Vorgänge im Körper haben als Menschen oder Engel! Wenn mich nicht alles täuscht, haben wir doch auch eine völlig verschiedene DNS als Menschen und Engel.“
Joe sah Vitus ungläubig an, als er sich noch einmal überlegte, was er gerade von seinem Führer gehört hatte, obwohl sich dieser eigentlich nicht in biologischen und chemischen Dingen auskannte. Leise murmelte er dann vor sich hin:
„Andere Vorgänge, andere DNS? Zum Beispiel, die Sache mit dem nicht Berühren?“
Vitus sah Joe überrascht an. Anscheinend hatte er gerade, ohne es zu bemerken, die Lösung geliefert. Ohne Zeit zu verlieren rannte Joe zu den anderen Reagenzgläsern und Apparaten, um gleich das zu testen, was er gerade angedacht hatte. Vitus zuckte mit den Schultern und verzog sich lieber, bevor Joe ihn Volllabern würde, denn er verstand nichts von diesen Dingen. In Chemie und Biologie war er nie der Stärkste.
Aurinia und Stella waren an den letzten Tagen vor der Aufführung, zu einhundert Prozent im Tanzstudio, weil sie die letzten Details klären wollten, oder waren stets in der Halle um die Lichter zu überprüfen und somit die Elektriker zu nerven.
Schließlich war es kurz vor der Aufführung und in allen wuchs die Nervosität. Besonders in Aurinia. Sie hatte schon lange keine Aufführung mehr und diesmal war sie sogar die Hauptrolle. Es ergab sich in der letzten Zeit, dass Cäcilie nachließ, weshalb auch immer, und die Hauptrolle Aurinia überlassen hatte. Aurinia hatte keinerlei Zeit, um darüber nachzudenken, weshalb ihre Freundin, ihr diesen Part überlassen haben könnte. Und schon war der Tag herangerückt.
Kurz vor der Aufführung füllte sich der Saal in Sekunden, so dass niemand mehr hinein passte. Hinter dem Bühnenvorhang standen die sechs Mädchen und lugten hinaus.
„Wow!! Seht euch das mal an! Da draußen sind sogar lauter Prominente! Da oben, könnt ihr sie sehen? Sie sind alle auf der oberen Tribüne!“
Sagte Lea und deutete nach oben. Aurinia war gerade dazugekommen, um ihnen noch einmal Mut und Glück zu wünschen, als sie diesen Satz hörte. Mit einem Lächeln erklärte sie:
„Ja, das da oben sind nur Prominente. Kann sein, dass euch nicht alle bekannt sind, aber dort oben dürfen nur die hin, die nicht zum normalen Stand gehören und auch vor eventuellen Fans geschützt werden müssen. Jetzt aber Schluss damit. Ihr seid perfekt vorbereitet und seid wirklich alle gut! Ihr braucht euch keinerlei Panik einreden, denn ihr habt alles drauf und seid nun die Elite!!“
Aurinia zwinkerte aufmunternd in die Runde und wandte sich nun dem Backstage Raum zu, in dem dann die Mädchen warten würden, die auf ihren nächsten Auftritt lauerten. Gerade waren die restlichen fier der Fantastic Five anwesend. Stella wrang ihre Hände und sah nervös herum, dann kam sie mit schnellen Schritten auf Aurinia zu, um an ihrem Kostüm herum zu zupfen und ihre Schminke und Frisur zu begutachten. Mit einem Kopfschütteln murrte sie, als sie Aurinias Locken wieder zurecht friemelte:
„Also, nein! Dass du immer so viel herumhampeln musst!! Ich verstehe ja noch immer nicht, weshalb du dich so standhaft gewehrt hast, ein hellblaues Kleid, wie alle anderen zu tragen, aber nun sei wenigstens etwas bei der Sache und verunstalte es nicht. Meine Güte, man kann doch jeden Fleck auf diesem weißen Kleid sehen!!“
Stella schüttelte noch einmal den Kopf und ging rasch davon. Schuldbewusst sah Aurinia ihre anderen Freundinnen an und Rosa sagte beruhigend:
„Du weißt doch, dass Stella vor jeder Aufführung tausend Tode stirbt. Alles muss perfekt sein. Mann merkt es aber darum auch genau, dass man hier eine super Aufführung sehen darf, denn bei ihr ist immer, alles korrekt und das schätzt das Publikum. Ich bin so froh, dass sich so schnell herumgesprochen hat, dass du wieder hier bist. Hast du die Leute gesehen? Die Halbe Stadt und unheimlich viele Prominente sind hier.“
Isa nickte und sagte noch bewundernd:
„Ja, ich bin ebenfalls froh darüber. Mal ehrlich, Stella und du habt hier mal wieder eine Wahnsinnige Show vorbereitet. Schon allein eure Kleider sind der Hammer!“
Um ihren Worten noch mehr Nachdruck zu verleihen, ging Isa zu Aurinia und besah sich ihr Kleid noch einmal genau. Aurinia lächelte dankbar, brachte aber erinnernd zum Ausdruck:
„Ihr habt aber das meiste beigetragen. Ohne euch, wären wir jetzt ebenfalls nicht hier. Oh, ich glaube ich bin jetzt dann dran.“
Aurinia zwinkerte noch einmal mit den Augen und ihre Freundinnen antworteten mit dem hochgereckten Daumen. Damit ging sie nach draußen. Wie immer stellte sich nach und nach, die Übelkeit bei Aurinia ein, die sie immer kurz vor der Aufführung überraschte. Isa hatte recht. Die Kostüme waren die besten, die sie je von Stella erhalten hatte. Es waren alle im gleichen Stil, nur mit dem Unterschied dass die der anderen sechs Mädchen hellblau waren und das von Aurinia in weis, da sie ja nichts anderes tragen durfte. Insgesamt zogen sie sich drei mal um. Das erste und damit auch das, dass sie gerade trugen, war ein Kleid, dass gerade bis unter den Hintern ging und Trompeten-Ärmel hatte. Das zweite war mit Pailletten übersäht und war Ärmellos, aber ansonsten ähnlich dem ersten. Das letzte war ein Zweitteiler. Der obere Teil hatte keine Ärmel und wurde am Rücken nur mit drei Schnüren gehalten. Der Rock, der ebenso lang war, wie das erste und zweite Kleid, hatte einen Unterrock, der ca. 5 Zentimeter herausblitzte. Es war allgemein bekannt, dass Stella einen favel dafür hatte, im laufe einer Show, die Kostüme immer knapper werden zu lassen. Abgesehen davon, dass die Kleider stören würden, wenn sie länger wären, waren sie doch ziemlich sexy. Aurinia war egal, in was sie tanzte, denn sie konnte auf der Bühne sowieso nicht an ihre Kleidung denken.
Dann begann endlich die Show. Alles verlief nach Plan und das Publikum war regelrecht geschockt davon, wie gut sie alle waren. In der Pause, die etwa 15 Minuten ging, zog Cäcilie ihre Freundinnen Lea und Cris heimlich und unbemerkt zur Seite.
„Ihr wisst noch, wann wir einfach abgehen?“
Die beiden nickten ergeben.
„Gut. Das wird dieser Schnepfe eine Lehre sein. Sie wird nicht wissen wie es ihr geschieht und dann wird sie sich vor allen blamieren!“
Cäcilie lachte sich ins Fäustchen und ihre Freundinnen sahen sich elend an. Der Plan von Cäcilie sah vor, dass sie nach der Pause, wenn dass Vierersolo von ihnen drei und Aurinia kam, einfach mit den anderen abgehen würde und Aurinia dann alleine auf der Bühne stand. Sie würde sich dann, da ihre drei Partnerinnen nicht mehr da waren, zu Tode blamieren. Damit wäre dann zwar die Aufführung ruiniert, aber man konnte die Schuld auf die schieben, die die Choreografie erdacht hatte, nämlich Aurinia.
Gesagt, getan. Aurinia und ihre sechs Mädchen waren auf der Bühne und tanzten, als die Stelle kam, vor der Aurinia am meisten Angst hatte, denn es war eine heikle Angelegenheit gewesen, diesen Part mit Cäcilie einzustudieren. Als es so weit war, bemerkte Aurinia schnell, dass Cäcilie, Cris und Lea nicht mehr auf der Bühne waren und sie alleine dastand. Aber Aurinia war Professionell.
In Sekundenbruchteilen erarbeitete ihr geübtes Gehirn eine Einzelchoreografie auf die Musik und dachte sich innerlich:
„The show must go on!”
Das Publikum bekam nie mit, dass diese Stelle eigentlich nicht vorgesehen war, da Aurinia alleine eine Performance hinlegte, bis die anderen wieder, wie geplant, dazukamen. Als Aurinia ihren Teil beendet hatte und sich nun hinter der Bühne für den letzten Teil umziehen musste, kochte sie innerlich vor Wut. In der Garderobe, wo Stella um sie herum rannte und sie zurecht machte, tobte sie:
„Ich kann es nicht glauben!! Sie wollte mich in die Pfanne hauen, sie ist wirklich gut. Sie hat nie und nimmer vergessen, dass sie da bei mir sein sollten! Sie hat das mit Absicht gemacht. Nun weiß ich auch, warum sie mir die Hauptrolle übergeben hatte!! Dieses Miststück, wenn ich herausbekomme, dass das Publikum etwas gemerkt hat, dann werde ich sie in die Mangel nehmen, das schwöre ich!!“
Aurinia tobte noch ein paar Minuten, bis sie wieder auf die Bühne musste. Als alles vorbei war, verbeugten sie sich bis zu elf mal, da das Publikum tobte. Hinter dem Vorhang standen Aurinias Freundinnen und hatten Tränen in den Augen, vor Freude. Sie hatten von hinten mit angesehen, wie sie Standig Ovations bekamen und das Publikum unbedingt eine Zugabe verlangte.
„Ich bin so Stolz auf dich Aurinia, wirklich! Es ist toll, wieder Applaus zu erhalten, du bist einfach die Beste!!“
Flo sprang Aurinia freudig an den Hals und drückte sie fest an sich. Aurinia war so fertig, sie war nur noch im Stande, wie dämlich zu grinsen. Es hatte sich gelohnt, die letzten zwei Monate, wie ein Idiot zu schuften, auch wenn...
„Aber ich wusste nicht, dass du dir eine Soloaktion vorbehalten hast. Wann hast du die denn eingebaut?“
Fragte Rosa nachdenklich, die nicht mitbekommen hatte, wie Aurinia in der Garderobe gewütet hatte. Aurinia verzog erinnernd das Gesicht.
„Das habe ich gerade eben, auf der Bühne erarbeitet, weil die drei, mit denen ich da was machen sollte, nicht da waren.“
Aurinia sah sich im Bühnenauftrittsraum um, aber sie konnte im Gewimmel das herrschte, die drei Zielpersonen ihrer Wut nicht sehen. Daher begann sie, sich abzuschminken und sich um zu ziehen, um nach draußen zu gehen. Wie üblich waren nun alle Besucher des Auftrittes, eingeladen worden, noch etwas in der Eingangshalle der Festhalle zu sich zu nehmen und ein paar Pläuschchen zu halten. Dadurch hatte Stella auch THE BLACK DEATH, und Aurinia schließlich Vitus, kennen gelernt. Nach wenigen Sekunden waren die Mädchen nach draußen gerannt, um sich von Familienmitgliedern, Freunden und Bekannten gratulieren zu lassen. In der Menge draußen erkannte Aurinia weder jemanden, der ihr bekannt war, noch irgendwelche Leute, mit denen sie etwas verbunden hätte. Als sie ein Mann ansprach.
„Guten Abend, sie sind also Aurinia, diejenige, die das alles auf die Beine gestellt hat? Ich bin der Manager der Mädchen und ich muss sagen, sie haben eine super Leistung erbracht, meinen Respekt. Wir sind uns zwar noch nie persönlich begegnet, aber dennoch freue ich mich, ihnen herzlichst Gratulieren zu können.“
Der Mann war sichtlich froh darüber, mit Aurinia endlich einmal sprechen zu können und wollte gerade weitere Lobeshymnen singen, als sich Aurinia schnell davor rettete.
„Entschuldigen sie mich bitte? Ich suche drei Mädchen, die hier irgendwo sein müssen. Wären sie so nett?“
Heuchelte Aurinia eine Entschuldigung und verdrehte innerlich die Augen. Damit ging sie weiter. Tatsächlich fand sie die drei, wie sie gerade bei ein paar fremden Menschen standen, die Aurinia nicht kannte und die sich mit Cilly und den beiden anderen freuten. Zielstrebig und mit neu aufkeimender Wut, ging sie zu ihnen. Als sie hinter Cäcilie stand, die gerade begann, sich selbst in höchsten Tönen zu loben sagte sie kalt:
„Stimmt, das habt ihr drei toll gemacht, mich einfach stehen zu lassen. Verdammter mist, warum wart ihr nicht hier?“
Cäcilie sah Aurinia ebenso kalt an und sagte scheinheilig:
„Wo sollen wir gewesen sein? Wir haben alles richtig gemacht, wenn du es nicht drauf hast, uns diese Choreografie richtig bei zu bringen...“
Aurinia fuhr fast aus der Haut. Nun war sie auch noch schuld daran! Mit Laut erhobener Stimme brauste sie auf:
„Was? Ich glaube ich höre schlecht!? Ihr habt vor der Aufführung immer alles richtig gemacht. Ihr wolltet mich nur vor allen Menschen blamieren! Ich könnte euch verfluchen so wütend bin ich und du hast die Stirn, mir die Schuld daran zu geben? Das ist doch der größte Schwachsinn, den ich jemals gehört habe!! Ich hätte gute Lust, dir eine zu –“
„Ruhig Blut, kleine. So etwas ist aber nicht die richtig feine Art.“
Unterbrach sie jemand hinter ihr. Aurinia hielt inne und dachte darüber nach, dann wurde ihr klar, wer das sagte. Doch dass sie wusste das er es war, beruhigte sie nicht. Cilly fiel der Mund auf als sie Vitus hinter Aurinia sah und fing sich sofort wieder. Das war ihre Chance!
Schnell huschte Cilly an Aurinia vorbei und schmiegte sich an den verblüfft aussehenden Vitus, der damit nicht im mindesten gerechnet hatte. Mit bezauberndem Augenaufschlag hauchte Cilly:
„Ach Sie sind es. Wir haben uns lange nicht mehr gesehen, nicht wahr?“
Sie zwinkerte. Vitus kramte angestrengt in seinem Gedächtnis, kam aber zu keinem Ergebnis das ihm sagte, woher er diese Person kannte. Seine Freunde hinter ihm zogen entweder eine Augenbraue hoch oder runzelten die Stirn, dass konnte er deutlich spüren, aber der Gesichtsausdruck von Aurinia war schlimmer. Sie sah aus, als hätte ihr jemand ins Gesicht geschlagen. Cilly sah ebenfalls zu Aurinia und wartete auf eine Reaktion, die sie auch erhielt.
Mit einem sofortigen, aufgesetzten lächeln im Gesicht, ging Aurinia auf Vitus zu und sagte kalt:
„Vitus! Schön das du gekommen bist, warst du bei der Vorstellung? Ich habe dich nicht gesehen, hat dir die Show gefallen? Freut mich. Wenn ihr mich jetzt entschuldigt...“
Sie nickte den Clanmitgliedern von Vitus zu, sah Vitus noch einmal verletzt an und ging an ihm einfach vorbei.
Vitus war überfordert mit dieser Situation, mit der er noch nicht einmal gerechnet hatte aber irgendwie nun auch noch die Schuld dafür trug. Ihm wurde Siedendheiß bewusst, dass das Mädchen sich noch immer an ihn schmiegte und so stieß er sie grob von sich ab. Er sah ihr böse ins Gesicht und lies sie einfach stehen, um Aurinia zu folgen. Er wollte nicht, dass sie etwas dachte, dass nie passiert sein konnte. Es war schwierig, ihr durch all die Menschen zu folgen, die in der Eingangshalle standen, aber schließlich erreichte er sie doch. Er riss sie an ihrer Schulter herum und sagte eindringlich:
„Was war dass den gerade? Meinst du, dass ich diese Frau kannte? Ich bin ihr erst einmal begegnet und die denkt sich gleich was aus, aber dafür kann ich doch nichts. Bitte glaub mir wenn ich dir sage, dass da nichts war!“
Aurinia sah ihm in seine aufrichtigen Augen, dann wurde ihr langsam klar, dass sie überreagiert hatte. Hatte sie wirklich für kurze Zeit angenommen, dass Cilly etwas mit Vitus hatte? Sie wusste doch genau dass Cilly eine falsche Schlange war und dass sie sie sicher nur wieder verarschen wollte. Sie schüttelte den Kopf und sah frustriert auf den Boden. Mit kleinlauter Stimme nuschelte sie:
„Sorry Vitus, natürlich ist es Blödsinn, so etwas zu denken. Aber ich bin einfach nur gestresst, wurde heute aufs übelste hintergangen und bin so hundemüde...“
Sie lächelte matt. Froh darüber dass sie ihm glaubte, strahlte Vitus sie an und sagte fröhlich:
„Schon besser. Ich hab es viel lieber, wenn du lächelst und nicht böse auf mich bist. Meinst du, du hältst es noch ’ne weile aus, lieb zu mir zu sein?“
Aurinia grinste und viel Vitus stürmisch um den Hals, um ihm zu zeigen, wie sehr sie ihn liebte und wie gerne sie ihm es auch zeigte. Nach wenigen Sekunden wurde Aurinia klar, dass sie ihn berührte und daher lies sie ihn hastig los, als hätte sie sich an ihm verbrannt und sah ihn mit gequältem Gesichtsausdruck an. Während sie anklagend auf ihre Hände sah, sagte sie leise:
„Entschuldige, ich wollte nicht –“
„Was wolltest du nicht?“
Fragte Vitus schelmisch und nahm sie mit einer schnellen Bewegung wieder in seine Arme. Aurinia war so verdutzt, dass sie sich nicht wehren konnte, und lies sich von Vitus widerstandslos einen Kuss auf
die Lippen geben. Als er sie küsste, glitten seine Finger langsam an ihren Knöpfen von ihrer Bluse nach oben, zu ihrem Hals und begannen die zwei obersten Knöpfe zu öffnen. Aurinia löste sich und sah ihn verwirrt an, als er fragte:
„Was ist? Darf ich dass denn nicht mehr?“
Aurinia war nicht fähig etwa sagen zu können und daher schüttelte sie nur den Kopf.
Von weitem hatte Cilly beobachtet, wie Vitus an Aurinia herumfingerte. Sie wurde dunkelgrün vor Neid, denn nun hatte sie den Beweis, dass etwas zwischen Aurinia und Vitus war, und dass sie ihn endgültig verloren hatte. Daher verzog sie sich leise mit ihren zwei Freundinnen.
Hinter Vitus hatten sich Stephan und Joe, die diebisch grinsten, sowie Leo den beiden angenähert.
Aurinia war noch immer verwirrt, warum Vitus sie so bereitwillig berührte, darum fragte sie nach:
„Hä? Ich verstehe nicht, habt ihr etwa die Lösung gefunden?“
Vitus grinste und Joe antwortete:
„Nicht ganz, das kommt noch. Wenn du dich bereit erklärst, in ein paar Nächten, also bei Vollmond, zu uns zu kommen, dann erkläre ich dir die Lösung. Das was du gerade siehst, ist nur für heute Abend. Vitus hat nur einen Trunk bekommen, der verhindert, Wunden zu bekommen. Leider wirkt er nur dieses eine mal. Aber dennoch habe ich eine dauerhafte Lösung gefunden.“
Aurinia lächelte, denn das war wahrlich die beste Nachricht, die sie seit langer Zeit erhalten hatte. Und sie war schon lange nicht mehr in der Lage gewesen zu hoffen, dass der Tag, an dem sie Vitus anfassen durfte, ohne ihn danach verschwinden zu sehen, in greifbare Nähe rücken würde. Vor lauter Freude darüber konnte sie nicht aufhören, wie ein Depp zu grinsen. Etwas belustigt darüber, sagte Stephan:
„Jetzt hör aber mal auf damit, sonst mache ich mir noch sorgen!“
Leo zuckte mit der Schulter, stellte sich neben Stephan und legte seine Hand, beruhigend auf dessen Schulter. Mit einem hinterhältig, fröhlichen Ton sagte er, was ihm Aurinia nie zugetraut hätte:
„Weißt du nicht mehr? Vitus hat ebenso doof gegrinst, als du und Joe es ihm erzählt hattet. Ich vermute die beiden sind sich einfach zu ähnlich und darum gehören sie auch zusammen.“
Leo grinste Vitus böse an, der geknickt feststellte:
„Habe ich genauso ausgesehen, wie sie gerade? Das ist nicht gerade gut oder? Nichts für ungut Rinia, aber ein Führer eines Clans sollte nicht so doof aussehen, denn damit könnte er seine Autorität untergraben.“
Aurinia lächelte nicht mehr, sondern funkelte Vitus nur an. Sie wusste, dass er es nicht ernst meinte, aber gleichzeitig wusste sie auch, dass er recht hatte. Ein Dämon sollte nicht wie ein Idiot in der Gegend herumlaufen und grinsen, da hatte er recht, aber er hätte es auch etwas netter sagen können. Das zeigte sie ihm auch, indem sie sich umdrehte und sagte:
„Entschuldigt Jungs, aber ich muss mich noch vollends Umziehen und meine Mädels verabschieden.“
So schnell wie sie konnte, verschwand sie in der Menschenmenge. Sie hatte vor, Vitus nun noch eine weile schmoren zu lassen, indem sie sich diesmal nicht fangen lies. Natürlich hatte sie sich schon fertig gemacht und es war nun auch vollends egal, die Mädchen noch zu verabschieden, denn die meisten waren ja schon fort. Daher konnte sie gleich nach Hause gehen.
Die nächsten Tage waren ereignislos und Aurinia langweilte sich regelrecht. Sie konnte nun zwar etwas mehr Zeit mit ihren Feen verbringen, aber es fehlte doch etwas. Am Tag vor der Vollmondnacht, in der sie annahm, dass sie von Vitus abgeholt wurde, beschloss sie, zur Heiligen Erde zu gehen. Vor ein paar Tagen hatte sie schon eine Nachricht an den Hohen Rat gesandt, dass sie unbedingt mit ihnen reden müsse. Sie hatte ja seit ihrer Verwandlung, nicht mehr mit ihnen geredet und nun musste sie sich ein Herz fassen, endlich zu sagen, dass es Frieden unter Dämonen und Engeln geben könnte. Damit ging sie zur “Zentrale der Engel“, der Heiligen Erde.
Als sie ankam, wurde sie von drei Feen erwartet, um sie dann zum Hohen Rat zu führen. Aurinia wusste nicht, wie genau sie nun unterbreiten sollte, dass sie bei Dämonen gewesen war und dass sie noch immer Vitus liebte. Ruhig und tief durchatmend beschloss sie einfach, abzuwarten, wie sich alles ergeben würde, denn vielleicht musste sie ja nicht erzählen, dass sie Vitus liebte.
Sie wurde vor den Hohen Rat gebracht, der aber in Gesellschaft von mehreren, bedeutenden Engeln war. Die Mehrzahl hatte sie noch nicht kennen gelernt, aber Minerva, Diana und Furia kannte sie ja schon. Sie nickte ihnen zu, als sich alle Blicke erwartungsvoll auf sie legten. Aurinia hegte die Vermutung, dass der Hohe Rat sie in Anwesenheit von allen wichtigen Engeln, “vernehmen“ würde. Michaela begann, wie immer, als erste:
„Nun, Aurinia, warum hast du uns von Tibet hier her beordert? Was gibt es, dass du uns unterbreiten willst?“
Aurinia wrang ihre Hände und sah verstohlen zu all den anderen Engeln, die auf ihre Antwort warteten. Minerva bemerkte ihren Blick und nickte ihr aufmunternd zu. Da Aurinia sie in guter Erinnerung hatte, auch wenn sie nicht immer damit einverstanden gewesen war, was sie getan hatte, begann Aurinia ehrlich und in der Hoffnung, keinen Fehler zu begehen:
„Ich muss euch wegen der Geschehnisse vor fast zwei Monaten, etwas mitteilen, dass die meisten wahrscheinlich eh schon längst wissen. Ich bin nicht ganz, wie jeder Engel.“
Gabriela sah Aurinia mit erhobener Augenbraue fragend an.
„Auf was genau willst du hinaus?“
Aurinia sah ihr standhaft in die Augen und sagte:
„Ihr wisst doch genau, dass es ein Versuch war, mich für die Engel zu gewinnen, indem ich den Clan meines Bruders und den Clan eines Freundes von mir, zerstören sollte. Nun, ihr habt eingesehen, dass es ein Fehlschlag war und ich möchte endlich sagen, dass ihr im Irrtum wart. Denn, auch wenn ich vielleicht keinen mir bekannten Dämon angreifen kann, so würde ich doch niemals einen der meinen verraten. Nie! Ich bin, mit Leib und Seele ein Engel und habe nicht vor, nur weil ich eingesehen habe, dass Dämonen nicht unbedingt schlecht sein müssen, an diesem Umstand etwas zu ändern.“
Raphaela begann als einzige zu lächeln. Aurinia spürte, dass sie wohl ahnte, was sie als nächstes sagen wollte und holte noch einmal tief Luft, bevor sie sagte:
„Ich gestehe, ich liebe einen Dämon.“
Alle Engel sogen erschrocken die Luft ein und manch eine raunte ein: „Ist doch nicht möglich!“ oder ein: „Das ist Frevel!“ Aurinia lies ihre Worte wirken und fügte nichts weiter hinzu. Nur der Hohe Rat sagte und tat nichts, dagegen aber der Rest der Engelschar. Alle begannen aufgeregt zu tuscheln und zu Debatieren, ob sie vom Luzifer besessen sei. Nach ein paar Minuten beendete Gabriela das anschwellende Getöse.
„Ruhe!“
Alle verstummten und sahen erwartungsvoll zum Hohen Rat. Michaela lächelte zwar nicht, aber dennoch hatte sie einen Wissenden Ausdruck auf dem Gesicht, als sie sagte:
„Das ist uns aufgefallen Aurinia und deswegen bist du nun hier? Um etwas zu bestätigen, dass wir seit zwei Monaten wissen? Nein, es sogar viel länger geahnt hatten? Das ist nicht dein ernst, oder?“
Die Engel im Raum hielten alle den Atem an, als sie erfuhren, dass der Hohe Rat so etwas schon länger wusste, aber nichts dagegen getan hatte und von diesen Dingen, die noch eröffnet werden würden, waren nun alle gespannt. Vielleicht wurde es noch interessanter, als es schon war?
Aurinia sah auf den Boden und nuschelte kleinlaut:
„Nein, ihr habt recht, das war nicht der eigentliche Grund. Ich bin hier, um etwas zu berichten. Ich habe mich, durch die Person, die ich liebe, mit Dämonen unterhalten können. Furia kennt ihn, er heißt Jannik. Jannik Sandell und ist der Führer des Clans, in dem auch mein Bruder ist. Er ist der Meinung, dass es Frieden zwischen Engeln und Dämonen geben kann, aber nur, wenn Engel auch dazu bereit sind. Viele Dämonen haben den Kampf satt, sowie auch die damit verbundenen Irrtümer, dass Dämonen Herzlos seien und so weiter. Ich und auch Jannik, bestreiten ja nicht, dass es keinen Grund gibt, weshalb es Dämonen und Engel gibt, aber dennoch braucht dies nicht zu bedeuten, dass man sich deswegen töten muss.“
Aurinia sah Michaela und den anderen beiden in die Augen und sagte weiter:
„Versteht ihr? Natürlich sind Dämonen dazu da, die bösen Menschen in Angst und Schrecken zu versetzen, natürlich holen sie die bösen Menschen in die Hölle und natürlich sind sie die Verkörperung der Verführung und all der Dinge, die wir ablehnen, aber anders herum ist es doch genauso!“
Michaela und Gabriela sahen sich an und Michaela sagte dann genervt:
„Das wissen wir, worauf genau willst du hinaus?“
„Ich und Jannik haben uns überlegt, dass es vielleicht eine Möglichkeit gibt, die uns schon die Menschen seit einiger Zeit vormachen. Wir bilden einen neuen Rat. Darin sind alle wichtigen Engel und alle wichtigen Dämonen vertreten. Dadurch werden Dinge beschlossen und niemand kann mehr auf eigene Faust etwas unternehmen. Seht mal den Vorteil für uns, wir wären dann im Bilde, welcher Mensch, geholt werden soll, und welchen sie vergessen haben. Wir müssten keinen Krieg mehr führen und wären endlich in der Lage, uns auf die Dinge zu konzentrieren, für die wir eigentlich hier sind. Wir müssen die Dämonen ja nicht zu uns einladen, aber wenigstens ihre Verstecke Respektieren und sie anerkennen. Immerhin haben wir all die Zeit über völlig vergessen, dass sie ebenfalls Lebewesen sind und dass auch sie ihr Leben genießen wollen und ein Recht haben, hier zu sein.“
Aurinia war völlig fertig, sie hätte noch mehrere Stunden lang solch gute Argumente bringen können, daher hörte sie nun besser auf. Sie fühlte außerdem, dass Minerva und Diana auf ihrer Seite standen und dass auch Raphaela nicht abgeneigt war, ihr zu zustimmen.
„Und du bist dir sicher, dass sie Dämonen uns nicht austricksen? Um uns dann nieder zu metzeln?“
Fragte Gabriela unsicher nach und Aurinia schüttelte bestimmt den Kopf.
„Nein. Ich war ja bei ihnen. So wie wenn hier nun auf einmal ein Dämon stehen würde, so war ich unter Dämonen, in einem Versteck und habe das selbe Gespräch auch mit Jannik geführt. Die Dämonen haben ja die selbe Angst, denn sie glauben ständig dass Engel kommen um sie anzugreifen. Jannik versprach mir sogar, das er, wenn er durch mich erfahren sollte, wie ihr darüber denkt, sich selbst darum kümmern würde, zu erfahren, wie auch alle anderen Dämonen in der Welt über einen solchen Rat und den damit verbundenen Frieden denken würden. Er ist sich sicher, dass alle seiner Meinung seien. Natürlich wird es auch unter ihnen, in der Anfangszeit welche geben, die dem, und uns, nicht trauen. Ebenso wie es welche unter uns geben wird, aber ich glaube, zusammen werden wir so etwas schaffen.“
Michaela und die anderen beiden wiegten den Kopf, so als würden sie nachdenken, dann sagte Raphaela:
„Schön, dass du uns so etwas sagst. Wir hofften, dass du unsere Hoffnung für diesen Frieden sein würdest. Da wir aber nicht von Heute auf Morgen dem zustimmen können, wollen wir dich bitten, als unsere Botschafterin zu dienen. Du bist die einzige die in Kontakt mit Dämonen steht und wirst auch als einzige von ihnen geduldet. Du kannst diesem Herrn Sandell berichten, dass wir ebenfalls seiner Meinung sind und nun auch eine Antwort von Seiten der Dämonen erwarten. Bitte verlasst nun alle den Raum. Außer dir natürlich Aurinia.“
Alle gingen und Aurinia, die gerade ebenfalls gehen wollte, kam nun noch einmal zurück. Sie wartete, bis Gabriela begann:
„Wir wissen, dass du dich sehr von Herrn Valerian angezogen fühlst, aber dennoch bitten wir dich, dich von ihm fernzuhalten. Wir wissen nichts über Dämonen und könnten dich nicht schützen, wenn etwas passieren würde und du bist nun unsere einzige Hoffnung. Also erwarten wir von dir dass du dich, vor wem auch immer, schützt.“
Aurinia zog eine Schnute und sagte trotzig:
„Nein, das werde ich nicht. Seht es so, wenn es zwischen mir und Vitus nicht funktionieren
würde, dann bräuchten wir auch nicht diese ganze Show hier abziehen, denn sie wäre dann für den Arsch.“
Aurinia wurde sich bewusst, was für Vokabular sie verwendete und fügte rasch hinzu:
„Entschuldigt, das wollte ich nicht. Dennoch müsst ihr einsehen, dass ich mir von niemandem Vitus verbieten lasse, nicht einmal vom Hohen Rat, der es schon einmal versuchte, mich und Vitus auseinander zu bringen. Vergesst nicht, dass ich in dieser Hinsicht nachtragend bin und nicht so schnell vergesse. Guten Tag.“
Aurinia sah die drei kalt an und ging dann davon. Der Hohe Rat kannte Aurinias Eigenarten schon und war daher nicht mehr geschockt. Raphaela sagte nur noch, um Michaela etwas zu beruhigen:
„Hatten wir nicht gewusst, dass wir mit dem Auftrag einen Fehler begehen würden?“
Aurinia fühlte sich nach ihrer Audienz, befreiter. Sie hatte nun mit dem Hohen Rat gesprochen und konnte Jannik sagen, dass er seine Dämonen und Helfer ausschicken konnte, um noch mehr von anderen Dämonen zu erfahren. Er hatte sicherlich, lange genug gewartet.
Am nächsten Abend, schien der Vollmond mit aller Kraft in Aurinias Schlafzimmer, so dass sie, selbst wenn sie schlafen wollte, keinen Schlaf gefunden hätte. Die Stunden vergingen und Vitus kam einfach nicht. Unruhig ging sie hinaus auf den Balkon, um im Nachthimmel ein Zeichen von ihm zu erspähen, nur um festzustellen, dass er nicht auf dem Weg zu ihr war. Langsam wurde sie traurig. Hatte sie ihn etwa schwerer Verletzt, als sie es beabsichtigt hatte? War er so nachtragend, dass er sie erst im nächsten Monat holen würde? Sie rätselte und rätselte, kam aber auf keinen grünen Zweig, als sie vom Bett aus, ein Geräusch auf ihrem Balkon vernahm. Fröhlich sprang sie aus ihrem Bett und auf den Balkon.
„Meine Güte, da bist du ja endlich! Ich dachte schon, du hättest mich vergessen.“
Vitus lies gerade seine Flügel verschwinden, als sie herausstürmte und ihn fast berührt hätte vor freude. Mit einem belustigten Funkeln in den Augen stellte er fest:
„Verdient hättest du es auf jeden Fall. Das du mich so abservieren kannst, müssen wir noch ändern, kapiert? Aber lass uns später darüber reden. Ich habe mich verspätet, weil noch eine Sitzung einberufen worden ist, an der ich nicht fehlen durfte. Komm gleich mit, wir haben nur noch wenig Zeit.“
Ohne noch ein weiteres Wort zu verlieren, sprang er in die Nacht hinaus und Aurinia kam ihm hinterher. Er brachte sie wieder in ein Viertel, in dem dunkle Gassen unter ihnen lagen. Nach Aurinias empfinden, war es eine andere Gasse, als die, in der sie Vitus vor mehr als einem Jahr verfolgt hatte. Sie gingen runter und Aurinia stellte sich in den Schutz von Vitus’ Rücken. Sie kam ihm so nah, dass sie ihn, wenn er auf einmal stoppen sollte, berühren würde, aber das war ihr egal. Sie fand es einfach unheimlich in diesen Gassen, in denen alles mögliche lauerte. Vitus war der einzige, der sie schützen könnte. Er führte sie in ein augenscheinlich, leer stehendes, altes Haus, das wohl unter der Erde, von Dämonen bewohnt wurde. Auch hier gab es im unteren Bereich, mehrere Wege, wie ein unterirdisches Labyrinth und Vitus führte sie zielsicher in den hintersten Bereich. In dem Raum angelangt, in den Vitus sie führen wollte, fand Aurinia einige seltsame Apparaturen und Gegenstände vor. Der Raum war groß und verdreckt und sah aus, wie aus einem Horrorfilm. Joe, Stephan uns Leo waren ebenfalls hier, die sie begrüßten. Dann begann Stephan, ohne großes Brimborium:
„Ich muss schnell machen, wenn wir es heute noch hinter uns bringen wollen. Also, ich fand in einigen steinalten Aufzeichnungen eine Legende. Dieser zufolge waren die ersten Wesen auf Erden die Engel. Ein Engel des damaligen Hohen Rates stellte sich gegen Gott und fiel. So wurde sie zur Dienerin des bösen Luzifer, der durch ihr Wissen eine neue Rasse formte. Ebenso, wie Gott seine Engel hatte, erschuf er sich seine Dämonen. Um die Reinheit seiner Engel zu schützen, belegte Gott seine Schützlinge mit einem Schutzmantel. Der Schlüssel dazu läge in ihrem Blut. Das blaue Blut hat die Eigenschaft, zu erkennen, ob ein Dämon den Engel berührt, oder ob es ein Mensch ist. Wenn es ein Dämon ist, kann dieses Blut die altbekannten Schnitte herbeiführen, als Strafe, dass ein Dämon einen Engel berührt hat. Und jetzt du, Joe.“
Joe trat hervor und erläuterte:
„Das brachte mich unter anderem auf die Idee, dass es im Blut der Engel einen Stoff geben muss, der für diese Vorgänge verantwortlich ist und habe nach einigen Untersuchungen auch gefunden, was ich suchte. Lange Rede, kurzer Sinn. Ich habe die Lösung hier, in diesem Reagenzglas.“
Er hob eine, violett schimmernde Flüssigkeit hoch, die im trüben Licht der Fackeln seltsam blau leuchtete. Er grinste breit, stellte es wieder bei Seite und kam zu drei weiteren Behältern, die ebenfalls mit Flüssigkeit gefüllt waren. Diese war zwar durchsichtig, erschienen aber manchmal in den regenbogenfarben, wenn Licht sich darin spiegelte. Mit einem kleinen Gläschen in der Hand, das mit Menschenblut gefüllt war, trat er an den ersten Behälter.
„Ich habe festgestellt, dass Menschenblut eine bestimmte Substanz aufweißt, die in ihrer DNS kodiert ist. Wenn ich Menschliches Blut hier, in diese Flüssigkeit kippe, wird die Substanz sichtbar.
Er leerte das Gläschen in den Behälter, worauf das Blut seine Farbe, von rot, auf grün wechselte. Mit einem griff zu einem neuen Gläschen, dass mit Dämonen Blut gefüllt war, erklärte er:
„Ebenso wusste ich, dass Dämonen Blut auch eine solche Substanz hat, aber diese muss natürlich anders sein als die Menschliche, da die DNS anders ist.“
Er leerte das Gläschen in den zweiten Behälter. Das, fast schwarze, Dämonen Blut verfärbte sich auf der Stelle in blau. Nun hielt Joe ein Gläschen mit Engelsblut, mit dem er auf den dritten Behälter zu ging.
„Und dann ist mir durch Zufall ein Tropfen von Engelsblut, in diese Flüssigkeit gefallen. Seht her, welche Farbe es hat.“
Er leerte das Gläschen und das Blut war nicht mehr blau, sondern gelb. Aurinia verstand nicht, worauf er hinaus wollte und tat ihre Unwissenheit kund. Joe grinste und Vitus sagte liebevoll:
„Mir ging es vor ein paar Tagen ebenso wie dir. Ich hasse dieses Wissenschaftliche Gewäsch.“
„Pass auf, ich erkläre es. Wenn ich nun, das verfärbte Engelsblut, mit dem verfärbten Dämonen Blut vermische –“
Er vermischte die beiden Flüssigkeiten, in einem vierten, leeren Behälter.
„Dann wird es zu der Farbe Grün! Damit erkennen wir, dass wenn wir Dämonen und Engels Blut vermischen, dass wir dann Menschen Blut erlangen. Oder anders gesagt erhalten wir, wenn wir die dämonische und die Himmlische Substanz vermischen, die menschliche Substanz, und die ist ungefährlich wie wir wissen, denn wir können Menschen ohne Gefahr anfassen. Verstanden?“
Mit einem Triumphierenden grinsen, stellte Joe die Becher wieder weg und sah Aurinia abwartend an. Doch diese verstand noch immer nicht, worauf er genau hinauswollte.
„Ist ja schön, aber was hat das mit der Barriere zu tun?“
Leo hatte seine Arme vor der Brust verschränkt und stand etwas abseits. Als sie das fragte, grinste er in sich hinein und senkte schnell den Kopf, um Vitus unmut nicht zu erregen. Aurinia war es peinlich, dass sie anscheinend nicht die Bohne Ahnung hatte, was hier gerade erklärt wurde. Joe lies erschöpft den Kopf hängen und Stephan erklärte daher für ihn:
„Sie mal, wir können Menschen berühren, aber keine Engel.. Also, musst du irgendwie, diese Substanz, eliminieren. Darum hat Joe ein Zeug gemischt, das Engels Blut und Dämonen Blut beinhaltet. Was weiß ich, genau, wie er das gemacht hat, aber dadurch wird dein Blut etwas Menschlicher. Nicht ganz, aber so, dass deine DNS diese verantwortliche Substanz nicht mehr so produziert, wie jeder andere Engel. Verstehst du?“
Aurinia verstand nun endlich.
„Und es ändert nichts daran, dass ich ein Engel bin? Es verändert auch ganz sicher, nur die Substanz und nicht meine DNS?“
Stephan und Joe nickten beide heftig, und Joe fügte noch hinzu:
„Naja fast, es wird nur der Teil deiner DNS verändert, der für die Substanz koordiniert, nicht mehr. Das ist hundert prozentig ungefährlich. Vertrau mir.“
Dann überreichte Joe, Aurinia das Reagenzglas. Aurinia besah sich die Flüssigkeit und verzog das Gesicht.
„Da ist Blut drin? Wie ekelig!“
Vitus sah Aurinia aufmunternd an und sagte:
„Das kann sein, aber du bist die einzige, die das trinken kann. Du musst nämlich etwas an deiner DNS ändern, nicht ich, sonst würde ich es selbst trinken. Du schaffst das schon, es ist ja nur ein paar Sekunden lang ekelig, dann ist alles vorbei.“
Aurinia nickte tapfer und schluckte noch einmal kräftig, dann trank sie das Gläschen aus. Sie verzog das Gesicht, weil diese Flüssigkeit einen widerlichen Nachgeschmack besaß. Vitus lächelte sie stolz an uns wollte ihr das Reagenzglas aus den Händen nehmen, als sie sich verkrampfte und es fallen ließ. Sie krümmte sich, dann ging sie langsam zu Boden. Vitus war mit einem Satz neben ihr, um zu sehen, was denn war.
„Es brennt wie Feuer! Im ganzen Körper, fast so, als würde das pure Gift in meinen Adern fliesen. Es tut so weh!“
Jammerte Aurinia, als sie sich wandte. Vitus nahm sie in die Arme und wollte sie halten, was aber nicht so leicht gelang, da sie krampfhaft zuckte. Mit einem fragenden und drohenden Blick zugleich sah Vitus zu Joe der mit sorgenvollem Blick dem Geschehen zugesehen hatte.
„Ganz ruhig Vitus, meine Schuld ist das nicht, ehrlich! Ich meine, ich kann doch nicht wissen, wie sie darauf reagiert, oder? Ich konnte es doch nirgends Testen! Aber ich vermute, dass es einfach daran liegt, dass ihre DNS versucht, sich gegen das Zeug zu wehren. Es wird sicher gleich aufhören.“
Als Joe das sagte, beruhigte sich Aurinia und der Schmerz in ihren Adern lies etwas nach. Total entkräftet blieb sie in Vitus’ Armen liegen, der neben ihr, auf dem Boden saß. Er streichelte ihr sanft über das Gesicht und flüsterte ihr aufmunternd ins Ohr. Leo bedeutete Joe und Stephan, dass sie gehen sollten und verzog sich mit ihnen lautlos aus dem Labor.
Aurinia lies sich von Vitus mitreisen und konzentrierte sich auf seine beruhigende Stimme. Die Schmerzen klangen zwar noch durch ihre Adern, aber sie genoss die Berührungen. Sie wusste, es war vorbei. Nun endlich konnte sie ihn berühren, wie sie es wollte und darüber war sie unendlich glücklich.
Einige Zeit saßen sie zusammen auf dem Boden und sagten nichts zueinander. Dann fragte Aurinia, mit liebevollem Nachdruck:
„Du sagtest, dass wir noch etwas daran ändern müssten, dass ich dich abservieren kann. Warum sollten wir das, wenn du doch verstehst, mich zum Deppen zu machen?“
Vitus runzelte die Stirn.
„Ich mache dich zum Deppen? Wann und wo?“
„Stell dich doch nicht unwissend. Ich weiß ja, dass du es nicht ernst meinst, wenn du mich ärgerst. Darum bin ich der Meinung, dass ich dich dafür auch ab und zu mal abservieren darf. Ich werde es dir nicht leicht machen, jetzt, wo ich keinerlei Skrupel mehr habe, dich zu berühren.“
Aurinia setzte sich auf und löste sich aus Vitus’ Umarmung. Sie sah ihm, auf allen vieren, in die Augen. Mit einem verführerischen Blick flirtete sie:
„Da hast du dir schon was eingebrockt. Nun hast du einen Engel am Hals, der es sogar geschafft hat, den Hohen Rat dazu zu bringen, mit den Dämonen Frieden zu schließen. Also warte bloß ab, was ich noch so alles tun kann.“
Aurinia lächelte und Vitus sah erstaunt in ihre Augen. Dann grinste er schräg und schlug die Augen nieder.
„Das du eine Nervensäge bist, weiß ich doch schon längst.“
Aurinia sah ihn empört an, als sie hörte, was er witzelte. Doch sie lachte nicht darüber sondern stand auf. Mit verschränkten Armen sah sie kalt zu ihm herunter, der sie überrascht vom Boden aus ansah.
„Ich bin also eine Nervensäge? Das können wir auch ändern.“
Sie wollte sich herumdrehen und ihn wieder einmal „abservieren“, wie er es nannte, als er, geschmeidig wie eine Katze, aufsprang und sie wieder zu sich her zog.
„Entschuldige Rinia, wenn du es falsch verstanden hast. Natürlich bist du eine Nervensäge, aber das ist auch der Grund warum wir uns nicht an die Kehle gegangen sind. Du hast nicht aufgehört, für deine Liebe zu kämpfen und dass wiederum ist doch deine große Stärke. Außerdem liebe ich es doch so an dir.“
Erklärte er flehend und Aurinia lächelte ihm ins Gesicht.
„Ich weiß. Ebenso, wie ich weiß, dass du es nicht ernst meintest. Aber dennoch muss ich dir darauf jedes mal einen Seitenhieb verpassen. Nur damit deine Beleidigungen nicht zur Gewohnheit werden. Ach, und noch etwas. Du bist richtig süß, wenn du dich wieder bei mir entschuldigen musst, weißt du das?“
Vitus lächelte erleichtert und setzte wieder seine coole Miene auf. Mit einem lässigen Achselzucken behauptete er:
„Natürlich weiß ich dass, meine ganzen anderen Freundinnen sagen es mir ständig. Uff –“
Aurinia sah ihn strafend an und boxte ihm in den Bauch, weshalb er sie losließ. Mit eisigem und erfreuten Blick, verschränkte sie die Arme und baute sich vor ihm auf. Er hielt sich den Bauch und lachte, während er erklärte:
„So, so. Ist das die Eifersucht? Oder warum habe ich gerade so etwas verdient?“
Aurinia sagte nichts und ging zu dem Tisch, an dem Joe seine Geräte und Behälter stehen hatte. Statt auf seine Frage zu antworten fragte sie neugierig:
„Sag mal, warum sollte ich an Vollmond kommen? Gibt es da einen bestimmten Grund dafür?“
Vitus trat hinter sie und sagte leise:
„Ich habe dich zuerst etwas gefragt. Erinnerst du dich?“
„Ja, ich erinnere mich und dafür hast du auch keine Antwort verdient, du Depp! Ich bin nicht eifersüchtig, im Gegenteil! Ich bemitleide das Mädchen, das dich lieben sollte.“
Aurinia spürte, dass Vitus zusammenzuckte und weil sie wusste, dass er sie nun fragend ansah, erklärte sie ihm langsam, während sie sich zu ihm herumdrehte:
„Ja weißt du Vitus, du bist erstens nicht so unwiderstehlich wie du dich hältst und zweitens, muss dieses Mädchen ziemlich um dich kämpfen, den ich gebe dich nicht einfach her. Und sollte es mal zu meinen Ungunsten stehen, dann wird dieses Girl, viel damit beschäftigt sein, dich zu halten und zu verstehen, denn das ist bei Herrn Valerian ziemlich schwer. Ich spreche aus Erfahrung.“
Vitus lächelte nicht, sondern sah ihr tief in ihre Augen. Dann sagte er nur:
„Das mit dem Vollmond war unnötig. Er hatte nichts damit zu tun, er war einfach bloß Joes splien. Mehr nicht.“
Aurinia legte den Kopf auf die Seite, als er nicht weitersprach, denn sie erwartete noch mehr, als dass, aber es kam nichts mehr dazu. Vitus sah ihr nur weiter in ihre Augen, bis es ihr unangenehm wurde.
„Was ist? Warum starrst du mich so an? Ehrlich, eigentlich liebe ich deine unendlich tiefen Augen, aber wenn du so unheimlich bist, ist dass dann doch noch mal etwas anders. Sag, warum du mich gerade so anstarrst, sonst box ich dich wieder!“
Aurinia hob die geballte Faust, um ihrer Drohung Nachdruck zu verleihen, aber Vitus reagierte nicht weiter darauf, sondern schlang seine Arme um ihre Hüfte und zog sie nahe zu sich heran. Ja, er presste sie regelrecht an sich, dann sagte er herausfordernd:
„Dann zeig mal, wie du das nun machen willst. Los, ich warte.“
Aurinia verzog das Gesicht und versuchte sich aus seinen starken Armen zu befreien. Als sie einsehen musste, dass er stärker war als sie, gab sie auf.
„Das ist Unfair! Du bist doch viel stärker als ich, du Fiesling.“
Mit einem Schmollmund sah sie ihn an, bis beide lächeln mussten. Vitus dachte kurz nach und stellte dann fest:
„Mir ist aufgefallen dass deine Aufführung auf unserem neu erschienenen Album basierte. Du hast fast alle Lieder von uns ausgesucht, warum dass denn?“
Aurinia lächelte und erklärte:
„Ganz einfach, weil du so schöne Texte hast und eure Musik einfach nur der Wahnsinn ist. Woher hast du nur deine Inspiration für die Texte? Ich meine deine alten Lieder waren lang nicht so romantisch, oder? Oder jedenfalls anders romantisch, als die jetzigen.“
Vitus küsste Aurinia und sah ihr tief in ihre Augen als er flüsterte:
„Meine Inspiration? Die steht vor mir. Du bist oder warst der Grund dafür, diese Texte zu schreiben. Ich habe damit begonnen, als ich dich verließ und es mir so miserabel ging. Es war gut, etwas zu haben, an dem ich meine Gedanken und Gefühle verarbeiten konnte, um mit der Situation klar zu kommen.“
Aurinia seufzte fröhlich auf und flüsterte:
„Das war gerade wirklich süß von dir. Das ist so schön, dich zu berühren. Ich liebe dich, mehr denn je.“
Aurinia sank in seine Arme und hielt sich an ihn geklammert fest. Vitus lächelte zufrieden. Solche Meinungsverschiedenheiten, wie vorhin, würde es noch öfter geben. Er wusste, ebenso, wie sie, dass es zu ihnen beiden gehörte, wie das Amen in der Kirche und der Satansgruß in einen Rockschuppen. In seinen Armen nuschelte Aurinia:
„Sag mal, was war dass denn für eine Versammlung von der du geredet hast?“
Vitus sagte nichts und hielt sie nur fest. Da sie keine Antwort erhielt, sah sie ihm wieder ins Gesicht. Dann sagte er widerwillig:
„Nichts weiter, das übliche in letzter Zeit. Es gibt Clinch zwischen verschiedenen Clans. Ich habe mich vor längerer Zeit etwas zu weit aus dem Fenster gelehnt und habe den Zorn eines anderen Clans auf mich gezogen. Da aber auch ein paar der Dämonen und Schattenwesen in meinem Clan, nicht mit dem einverstanden waren, musste ich einige Dinge klar stellen. Jetzt stehen wieder alle hinter mir, das bedeutet, der andere Clan hat keine Chance. Ich habe davon viel Leo, Joe und Stephan zu verdanken, die immer auf meiner Seite waren. Aber genug davon ich will dich da nicht mit hineinziehen. Du erzähltest, dass du dem Hohen Rat klar gemacht hast, dass Frieden auch auf unserer Seite erwünscht ist? Das ist doch wunderbar! Das freut mich riesig, ehrlich!“
Aurinia machte sich wieder von ihm los und sah ihm skeptisch in die Augen. Unsicher fragte sie einfach:
„Willst du mich ablenken?“
Vitus stöhnte auf und sah ihr genervt in ihr Gesicht.
„Warum willst du immer alles wissen? Lass mich doch das erzählen, was ich dir erzählen will. Nicht mehr, nicht weniger, ok? Wir Dämonen haben auch unsere eigenen Probleme, nicht nur die, die ihr uns bereitet.“
„Schon gut, ich sage nichts mehr. Mir war eben nur aufgefallen, dass du in letzter Zeit noch mehr geraucht hast, als du es eh schon tust. Ich habe mir nur Sorgen gemacht, aber wenn du nicht reden willst, dann muss ich mich eben damit abfinden.“
Versöhnend sah sie ihm verführerisch in seine Augen. Mit einer kleinen Bewegung strich sie durch seine Haare. Vitus genoss ihre Berührung und lächelte, als sie fragte:
„Wenn das hier dein Versteck ist, dass ja so gehütet wird, dann wohnst du doch auch hier,
oder? Magst du mir dann nicht mal deine “Wohnung“ zeigen? Wenn es denn so etwas hier
unten gibt?“
Er zwinkerte mit einem Auge und nahm sie bei der Hand. Als er sie wieder durch die dunklen Gänge führte, die eher an eine Gruft erinnerten, bemerkte sie, dass ab und zu, auch andere Dämonen hier unten waren. Schließlich waren sie wieder in einem Raum, in den man nur gelangte, wenn man eine schwere Türe passierte. Diese war aus Eisen und war verziert mit religiösen Motiven, auch wenn es Satanistische Anschauungen waren, denn es war das Höllenfeuer abgebildet, sowie einige verlorene Seelen, die das Pech hatten, hier gelandet zu sein. Im inneren des Raumes war es gemütlich, aber nicht anders, als in den Gängen. Einige Fackeln an den Wänden erleuchteten das dunkel, brachten aber nicht sehr viel wärme und Helligkeit. Im vorderen Bereich des Raumes war eine Art Wohnzimmer Bereich. Zwei dunkelrote Sofas, die auch schon einmal neuer ausgesehen hatten, standen um einen alten, niedrigen Tisch, der schwer und massiv war. Außerdem wurde er von kleinen grotesken Figuren und Skeletten getragen. Im hinteren Bereich des Raumes war eine weitere Türe, die aber nicht besonders geschmückt war und es gab noch einen alten, wieder schön verzierten, Sekretär. Er sah aus, als würde er direkt aus dem vorigen Jahrhundert stammen, so alt und verstaubt war er. Rechts an der Wand war ein offener Kamin, in dem es hell loderte. Vitus schloss die schwere Türe hinter ihnen und drehte sich zu Aurinia um. Mit einer Ausladenden Geste, trat er in den Raum und sagte stolz:
„Das hier, ist Vitus Valerians Reich. Führer des Clans Valerian und damit kein zu unterschätzender Gegner. Tritt ruhig ein. Aber ich glaube, ich zeige dir den nächsten Raum auch gleich, was?“
Er nahm sie an der Hand und ging zur hinteren Türe. Dahinter war sein Schlafzimmer. Auch dieses wurde von ein paar Fackeln erhellt. Abgesehen von ein paar dunkelroten Sesseln und einem schweren Schrank, gab es noch ein Himmelbett. Aurinia erschauert, als sie es genauer betrachtete.
Es war dunkelrote Bettwäsche darauf, die ausnahmsweise nicht staubig war, wie das meiste hier und wurde von durchsichtig, schwarzen Vorhängen gesäumt. Mit einer schnellen Bewegung war Aurinia bei Vitus und klammerte sich an ihn. Vitus sah sie belustigt an.
„Hast du Angst vor meiner Inneneinrichtung? Brauchst du nicht, ehrlich. Ich glaube, bis jetzt hat sie noch niemanden gefressen.“
Aurinia sah gequält an ihm hoch und Vitus lächelte plötzlich nicht mehr. Er nahm ihr Gesicht in seine Hände und hob es zu sich hoch. Leise flüsterte er beschwörend:
„Keine Angst, ich bin bei dir und werde dich schützen, vor was auch immer.“
Dann küsste er sie sanft. Dadurch wurde Aurinia schlagartig das unangenehme Gefühl genommen. Sie krallte sich wie eine ertrinkende an ihm fest und küsste ihn immer verlangender, bis sich Vitus etwas von ihr löste und aufseufzte. Sie ansehend fragte er unsicher:
„Was geht denn bei dir ab?“
Aurinia lächelte verlegen und zuckte nur unwissend mit der Schulter. Mit einem ausweichenden Blick sagte sie schelmisch:
„Was soll den sein?“
Vitus lächelte sie durchschauend an und zog sie fest zu sich heran. Mit einem tiefen Blick, der keinerlei Unaufrichtigkeiten zuließ flüsterte er:
„Ich liebe dich und freue mich so, dich für immer in meinen Armen halten zu können, deinen Geruch einzuatmen und deiner Stimme zu lauschen.“
Er küsste sie wieder, und glitt dann von ihrem Kinn, hinunter zu ihrem Hals, den er liebevoll liebkoste. Aurinia lächelte und fuhr mit ihren Fingern durch seine Haare, dass sie so sehr liebte, wie auch alles andere an ihm. Wieder war sie die erste, die begann, ihn auszuziehen.
Als sie in seinen Armen lag, nachdem sie mit einander geschlafen hatten, streichelte sie verträumt an seinen Armen entlang und zeichnete jede Linie seines Ganz-Arm-Tattoos nach. Dann fragte sie plötzlich:
„Sag mal, wie alt bist du eigentlich wirklich? Ich meine, laut offizieller Fassung, die du durch deine Band und so haben musst, bist du 29 Jahre alt. Aber du bist ein Dämon, der eigentlich Unsterblich ist. Wenn du mir jetzt eröffnest, dass du 200 Jahre alt bist, dann lache ich!“
Vitus musste schmunzeln. Aurinia richtete sich auf und beugte sich über ihn, um ihm in die Augen sehen zu können. Mit einem fragenden Blick sah sie ihn an. Er grinste und sagte beschwichtigend:
„Ich kann dich beruhigen. 200 Jahre bin ich noch nicht alt. Dennoch bin ich tatsächlich älter als 29 Jahre, das stimmt. Ich bin eigentlich 49 Jahre alt. Warum kommst du nun auf diese Frage? Was geht hinter deiner Stirn vor?“
Aurinia sah nachdenklich drein und lies sich wieder in seine Arme sinken. Murmelnd überlegte sie:
„Dann bist du... äh, moment. Ah, ich hab’s. Du bist also genau 25 Jahre älter, als ich? Also, eigentlich doppelt so alt, wie ich? Das ist doch der Hammer!“
Sie richtete sich auf, als sie das sagte und rutschte etwas von ihm weg. Vitus sah sie fragend an, als sie den Kopf schief legte und ihn musterte. Mit einem kritischen Blick, maß sie seinen nackten Oberkörper, seine Haare und seine Augen, als sie sagte:
„Dafür hast du dich aber gut gehalten.“
Vitus verzog sein Gesicht und sah sie in geheuchelter Dankbarkeit an. Mit einem schnellen griff, nach ihrem Arm, zog er sie wieder zu sich, um sie wieder in seine Arme zu schließen.
„Das ist wirklich lieb von dir, danke. Du weißt aber schon, dass Dämonen ab einem gewissen alter, nicht mehr älter werden, oder? Ebenso wie ihr Engel.“
Aurinia nickte. Sie meinte es auch nicht ernst. Vitus war im Grunde für immer ein 29 Jähriger. Ebenso, wie sie für immer 24 Jahre sein würde. Dadurch kam sie wieder auf eine weitere Frage.
„Und wie war das mit deiner Familie, oder eher, mit deinen Eltern? Ich meine, deine Mom war ja kein Dämon, weil es keine weiblichen Dämonen gibt. Erzähl doch mal was von dir!“
Vitus streichelte sie, während er zu erzählen begann:
„Meine Mutter war eine Satanistin und lernte so, meinen Vater kennen, der damals der Führer eines bekannten Clans war. Sie wurde, wie bei vielen Menschen es der Fall war, darin eingeweiht, das es Dämonen gab und heiratete meinen Vater. Als Nachfolger für den Clan, gebar meine Mutter zuerst einen Sohn, dann mich und zum Schluss eine Tochter. Meine kleine Schwester starb, kurz nach der Geburt, da mein Vater ein Dämon war und sie dann eine Dämonin geworden wäre, was es aber nicht gab und nie geben wird. Mein Vater wurde ziemlich früh, bei einem Kampf zwischen zwei Clans, getötet und meine Mutter wurde von allen Menschen als verrückt abgestempelt und in die Klapse verfrachtet. Mein älterer Bruder übernahm die Nachfolge im Clan meines Vaters und ich schlug mich selbst durch das Leben. Ich fand Freunde, mit denen ich, später meinen eigenen Clan gründete. Leo, Joe, Stephan und die anderen waren stets bei mir und sind nun, nicht mehr aus meinem Clan wegzudenken.“
Aurinia lauschte seinen Erzählungen und als er geendet hatte, fragte sie nachdenklich:
„Und du hast nie versucht, deine Mutter zu befreien?“
Vitus schüttelte den Kopf und erklärte nur, dass er nie eine Mutter-Sohn Beziehung zu ihr hatte, wie es bei Menschen vielleicht so der Fall war. Dazu war er von Anfang an, zu sehr Dämon. Aurinia zog eine Augenbraue hoch und fragte weiter:
„Es gab zwischen Clans so blutige Kämpfe, dass mehrere Tote, darunter auch dein Vater, zu beklagen waren? Das ist ja schlimm!!“
Vitus lächelte und sagte nur:
„Was heißt hier denn, gab? Es gibt diese Feindschaften noch immer. Erst letztens sind wir einem Kampf mit Mühe und Not entkommen. Wir haben keine Durchstrukturierung wie bei euch Engeln. Bei uns verwaltet sich jeder selbst. Dann kann es, wie auch bei Menschen, zu Meinungsverschiedenheiten kommen. Ein Kampf, oder eine Fehde ist nicht unüblich. Mein Bruder metzelte den anderen Clan aus Rache für unseren Vater, einfach nieder. Es war der erste Kampf, den ich mitkämpfen durfte, bevor ich den Clan meines Vaters, und ab da auch meines Bruders, verlies.“
Vitus schwelgte in Erinnerungen und Aurinia sah ihn mit gemischten Gefühlen an. Das er so verträumt daran denken konnte, einen Kampf geführt zu haben! Das sie das barbarisch fand, sagte sie laut und Vitus lachte nur auf.
„Da siehst du mal wieder, das Engel und Dämonen dennoch verschieden sind. Du hast eine andere Meinung darüber, als ich. Aber keine Angst, ich werde dich deshalb doch nicht für den Kampf ermuntern.“
Er wiegte sie beruhigend in seinen Armen hin und her. Aurinia war beruhigt, denn ihr war es zwar nicht völlig egal, dass er kämpfte, aber es war doch besser, wenn er seine Begeisterung dafür nicht
auch noch auf sie ausweiten würde. Sie lächelte und hielt ihn fest. Es gab eine Sache, bei der sie ihre Einstellung “nie wieder zu kämpfen“ ganz klar brechen würde. Bei dam Gedanken daran, dass Vitus etwas passieren könnte, spürte sie Angst, Wut und Trauer auf einen Schlag und dass schon, obwohl sie nur daran dachte. Sollte ihm etwas passieren, würde sie sich auch noch einmal kräftig überlegen, ob sie nicht doch wieder kämpfen würde.
Sie muss wohl gefröstelt haben, so das Vitus auffiel, das mit ihr etwas war, denn er fragte besorgt:
„Was ist denn mit dir? An was denkst du?“
Aurinia schüttelte den Kopf und sagte ablenkend:
„Nichts, ich habe nichts gedacht, mir war nur etwas kalt, mehr nicht.“
Sie wollte ihn nicht belügen, aber gleichzeitig wollte sie ihm nicht sagen, dass sie Angst um ihn hatte. Viel schlimmer wäre es nämlich, das er an sie denken würde und nicht bei der Sache wäre, wenn er wieder kämpfen musste. Das könnte tödlich für ihn sein. Vitus reagierte so, das Aurinia dankbar dafür war, dass er ihr glaubte oder zumindest so tat, als würde er es, denn er hauchte ihr einen Kuss auf die Wange, dann zog er die Bettdecke wieder hoch und umschlang sie wärmend.
„Dann sollten wir es uns etwas wärmer machen, wenn es dir kalt ist, findest du nicht auch?“
Aurinia nickte. Sie presste ihre Wange an seine Brust und atmete seinen Duft tief ein. In wenigen Minuten war sie so glücklich und zufrieden, dass sie in seinen Armen einschlief.
Aurinia und Vitus erwachten wieder, als jemand in Vitus’ Schlafzimmer gerannt kam und schrie:
„Vitus! Mach schnell, die Burtons haben unsere Schattenwesen angegriffen und fordern dich heraus!! Joe und seine zwei Kumpels sind schon los!“
Aurinia richtete sich nicht auf, sondern versuchte krampfhaft heraus zu bekommen, wer da sprach, und wo sie sich befand. Vitus dagegen war mit einem Schlag wach und setzte sich kerzengerade auf und sah zu demjenigen, der gesprochen hatte und der nun schon wieder das Zimmer verlies. Mit einem Fluch, den Aurinia noch nie gehört hatte, sprang er aus dem Bett und rannte zu dem Schrank. Aurinia ordnete die bekannte Stimme von eben endlich ein und setzte sich nun auch auf.
„War das gerade Leo? Was hat er gesagt? Jemand greift euch an? Was hast du vor?“
Vitus zog sich in Windeseile eine Hose an, die natürlich schwarz war und griff nach einem schwarzen, kurzen Hemd, während er nur sagte:
„Ja, das war Leo und wir werden angegriffen, weshalb ich nun los muss. Du bleibst hier, bis ich wiederkomme, kapiert?“
Er wollte schon zur Türe, als sich Aurinia aus dem großen Bett arbeitete und bestimmt sagte:
„Nein ich komme mit!“
Vitus blieb stehen und drehte sich unwillig herum. Aurinia hatte sich mit einem schnellen Fingerschnippen etwas zum Anziehen hergezaubert und war schon fertig angezogen, als sie mit ängstlicher und zittriger Stimme bettelte:
„Lass mich nicht alleine hier, ich kriege sonst die Krise, wenn ich daran denke, dass du vielleicht nicht mehr wiederkommst. Dann bin ich lieber bei dir, als hier auf dich warten zu müssen.“
Vitus runzelte die Stirn und sagte drohend:
„Wenn du mitkommst, lenkst du mich ab und das kann für uns beide tödlich enden. Nein, du bleibst hier!“
Aurinia schüttelte den Kopf und wollte gerade heftigst protestieren, als Vitus mit einem Schlag, wütend wurde und mit erhobener Stimme brüllte:
„Nein! Du bleibst hier und wenn es das letzte ist, was ich tue, dann halte ich dich hier eben gefangen! Glaubst du im Ernst, dass ich dich zu diesem Kampf mitnehme, dich, einen Engel? Gerade noch. Sie würden dich in wenigen Sekunden gevierteilt haben. Mige! Gas! Ihr bleibt hier und achtet auf sie, dass sie das Versteck nicht verlässt und wenn doch, dann werde ich euch eigenhändig töten!!“
Ohne auf Aurinia zu achten, die wie vom Donner gerührt im Zimmer stand und Vitus ungläubig ansah, ging er mit schnellen Schritten aus dem Zimmer. Sie hatte mit einem Schrecken bemerkt, wie er sich verändert hatte. Er hatte einen harten Gesichtsausdruck und alles liebevolle, war von ihm abgefallen, von einer Sekunde auf die andere. Um ihn zur Rede zu stellen, rannte sie ihm hartnäckig hinterher, doch als sie die Türe zum Wohnbereich passieren wollte, hörte sie zwei hohe zischende Stimmchen und zwei Schattenwesen versperrten ihr den Weg. Zwar gingen sie ihr nur bis zur Hüfte, aber dennoch waren sie bereit, sie anzugreifen. Sie sagten:
„Nein, das würde ich nicht tun an deiner Stelle. Vitus sagte doch, dass du hier bleiben sollst, hast du nicht gehört? Wir passen schön auf dich auf und werden dich, wenn nötig, angreifen, um den Befehl von Vitus durchzuführen. Du hast keine Chance, hier zu verschwinden, das ist das Reich des Bösen und damit, das von Vitus.“
Aurinia wusste von ihrer ersten Begegnung, dass diese Wesen Menschen oder Engel fraßen und das wollte sie nicht am eigenen Leib bewiesen haben. Sie lies die Schultern hängen und fügte sich, denn sie wollte nicht mit Gewalt an ihnen vorbei. Vielleicht hatte Vitus auch recht. Sie würde ihn sonst nur in sein Verderben reisen, wenn sie mitgehen würde. Sie ging zurück und lies sich auf dem Bett nieder. Mutlos und entkräftet vor Angst, vergrub sie ihr Gesicht in ihren Händen.
Die Schattenwesen sahen sich fragend an und kamen näher zu ihr her, um sie zu betrachten. Aurinia sah erschrocken auf und wollte wissen, was sie wollten und warum sie so starrten.
„Wir wollten nur mal den Grund für diese gehäuften Kämpfe betrachten. Ich verstehe nicht, warum sich Vitus dafür entschieden hat, lieber einen anderen Clan zu bekriegen, als dich zu töten. Ich kann nicht verstehen, warum er das getan hat.“
Aurinia sah die Wesen fragend an.
„Ich bin schuld an diesen Kriegen? Ist das euer ernst, oder wollt ihr mich nur ärgern? Wenn es wahr ist, wie genau ist das passiert?“
Die Wesen sahen sich erschrocken an, denn anscheinend hatten sie zu viel gesagt. Mit wachsender Beunruhigung wichen sie vor Aurinia einen Schritt zurück. Diese richtete sich auf und sagte eindringlicher:
„Los sagt mir sofort, was ihr damit angedeutet habt, sonst werde ich mir etwas antun und behaupte ihr hättet das getan. Dann würde euch Vitus bestrafen! Sagt mir lieber gleich, was ihr damit meintet, dann mache ich euch garantiert keine Schwierigkeiten. Mein Ehrenwort!“
Der Bluff von ihr ging auf, denn panisch sahen sich die Wesen an und beschlossen ohne ein Wort zu sagen, dass sie ihr lieber freiwillig erzählten, was in letzter Zeit im Clan passiert war.
„Wir sagen es nur, wenn du Vitus nicht sagst, dass wir es dir gesagt haben. Am besten sagst du gar nicht erst, dass du es weißt. Wenn du dein Ehrenwort brichst, haben wir nichts mehr zu verlieren und werden dich dafür ebenso töten. Versprichst du es?“
Aurinia wurde es mulmig, dennoch erklärte sie, dass ein Engel sein Ehrenwort immer halten müsse, ob er wollte oder nicht. Damit schienen die Wesen zufrieden zu sein und einer der beiden erklärte:
„Also, genau wissen wir es auch nicht, aber vor ein paar Monaten kam ein Botschafter des Burton-Clans zu uns und forderte von Vitus, dein Leben.“
„Warum? Warum mein Leben, wie kommen die da drauf? Die kennen mich doch gar nicht!“
„Sie haben erfahren, dass du einen Kampf gegen den Sandell-Clan geführt haben sollst und dass dich Jannik, also der Führer des Sandell-Clans, laufen lassen haben soll. Darauf wollten die Mitglieder des Burton-Clans, dein Leben, als Ausgleich. Was dabei noch zu beachten ist, ist die Tatsache, dass der Führer des Burton-Clans nicht will, dass sich Vitus in einen Engel verliebt. Darum wollen sie von ihm, dein Leben haben.“
Aurinia dachte nach. Sie schüttelte den Kopf und stellte erbost fest:
„Aber das kann doch diesem Führer egal sein, wen Vitus liebt. Oder? Verdammt, da braucht sich der Typ nicht einzumischen!“
Das Wesen kicherte und erklärte in einem Tonfall, wie man ihn bei kleinen, begriffstutzigen Kindern anwendet:
„Nein, in diesem Falle nicht. Immerhin muss er doch dafür sorgen dass der Burton-Clan nicht in Verruf gerät und seinen reinen Namen beibehält. Wenn Vitus sich in einen Engel verlieben würde, würde auch das Ansehen des Burton-Clans, vor den anderen Clans sinken.“
Aurinias Gehirn ratterte doch sie kam auf keine Erklärung, was der Burton-Clan mit dem Valerian-Clan gemein haben soll. Warum mischte sich der Führer des Clans in Vitus’ Leben ein? Sie fragte die Wesen diese Dinge und das andere Wesen sagte:
„Nun, ganz einfach. Asmus Burton ist der große Bruder von Vitus Valerian. Daher hat er die Verantwortung dafür übernommen, den Burton-Clan in gutem Ansehen zu halten.“
Aurinia fiel der Mund auf und stotternd fragte sie nach:
„Aber, Vitus und dieser Asmus haben verschiedene Nachnamen, wie kann das sein? Ich meine, ihre Eltern waren doch verheiratet, oder etwa nicht?“
„Ja, waren sie. Juska Burton heiratete die sterbliche Melanie Valerian. Als Juska getötet wurde, übernahm Asmus, als ältester Sohn der Familie Burton, die Führung des Burton-Clans. Vitus Burton ging davon und gründete seinen eigenen Clan, da er nie im Schatten seines Bruders stehen wollte. Dazu übernahm er den Mädchennamen seiner Mutter, der Valerian lautete. Denn mit dem Namen Burton hätte er nicht noch einen Clan gründen können, denn ein solcher existierte bereits.“
Aurinia war geschockt. Der große Bruder von Vitus, dieser Asmus und Vitus bekämpften sich? Und sie war schuld daran, dass sich zwei Brüder bekriegten? Es war ja niedlich, dass Vitus sie vor seiner Familie verteidigte, aber doch nicht mit einem Krieg!! Sie musste etwas tun, nur was? Sie kannte diesen Asmus ja nicht einmal. Sie stand entschlossen auf und ging zur Türe. Die Wesen waren in Lichtgeschwindigkeit vor ihr, um ihr den Weg zu versperren.
„Was hast du vor? Erinnre dich an dein Ehrenwort!“
Aurinia nickte erschlagen und sagte beruhigend:
„Ja, tu ich und ich habe nicht vor es zu brechen. Ich werde gehen und nicht hinter Vitus herrennen. Ihr dürft mir zeigen, wie man hier ungesehen herauskommt und dann verschwinde ich lieber von hier. Es tut mir leid, das ihr und der Valerian-Clan gerade so viel Streit um die Ohren habt. Ich werde einen Brief an Vitus schreiben, dass euch keine Schuld trifft und dass ich nur gegangen bin. Ich bin doch keine Gefangene und ich werde ihm sicher nicht hinterherennen, sondern nur nach Hause gehen. Ich werde ihn in dem Brief bitten, euch zu verschonen. Helft mir hier raus! Ich muss fort hier!!“
Aurinia flehte die Wesen an und sie gaben nach einiger Zeit nach.
„Gut, wir bringen dich hier raus. Wenn wir dafür Stress von Vitus bekommen, geschieht es uns nur recht, also können wir dir helfen. Komm mit, hier entlang.“
Ein Wesen ging voran und das andere sah diesem entgeistert hinterher. Während Aurinia einen Brief an Vitus schrieb, sagte das ängstliche Wesen zu dem, der Aurinia hier hinaus bringen wollte:
„Mige, bist du etwa total Crasy? Wir werden geröstet, oder den Vampiren zum Futter vorgeworfen!! Vitus bekommt es sicher heraus, dass wir ihr alles erzählt haben. Er wird es sicher daran bemerken, dass sie einfach gegangen ist. Welchen Grund sollte sie denn sonst dazu haben?“
Aurinia kam dazu und erklärte dem ängstlichen Schattenwesen, der anscheinend Gas hieß:
„Ich habe ihm alles erklärt und er wird nicht böse sein. Wenn aber doch, dann kommt zu mir. Ich denke ihr wisst schon, wo ich zu finden bin und dann werde ich euch schützen, als Ausgleich dafür, dass ihr mich hier raus bringt.“
Mige war einverstanden und zog den protestierenden Gas hinter sich her, während er hinaus auf die dunklen Gänge trat, um Aurinia den Weg nach draußen zu zeigen.
Gas und Mige verzogen sich, als sie Aurinia nach draußen geführt hatten wieder in die unterirdischen Gänge zurück. In einem Winkel, in dem sie auch vor dem Ruf von Vitus gewesen waren, stritten sie noch immer, ob es richtig gewesen war. Da kam der Clan wieder zurück. Vitus wurde von Leo, Joe und Stephan begleitet, während die anderen sich in die Wohnräume und Zimmer begaben, die für alle da waren. Mige und Gas schlichen sich in den Wohnraum von Vitus und sahen, wie er und seine drei engsten Berater und Freunde hereintraten. Stephan war am Arm verletzt und hielt sich eine blutende, offene Wunde, während Leo nur ein paar kleinere Kratzer abbekommen hatte. Joe wetterte:
„Ich glaube es nicht, dass sie nun schon einfach so auf uns los gehen. Kurz vor dem Morgengrauen einen Kampf zu führen war nicht gerade das, auf was wir vorbereitet waren. Nach Fusso und Hawk zu urteilen, haben wir über 40 Schattenwesen verloren. Warum musste Antto so unaufmerksam sein?“
Vitus war inzwischen ins Schlafzimmer gegangen und achtete nicht auf Joes Ausführungen, als er aufgebracht wieder herein kam. Leo bemerkte sofort, dass etwas nicht stimmte.
„Was ist? Ist sie weg?“
Vitus nickte und rief zornig nach Mige und Gas. Diese erschienen auch sofort mit gesengtem Kopf, vor ihrem Herrn. Mit einem ungeduldigen Ausdruck fragte Vitus, ob Aurinia es geschafft habe, an ihnen vorbei zu entkommen. Sein Ton zeigte Mige und Gas, dass sie keinen Fehler begehen durften, wenn sie weiterhin ihrem Herrn dienen wollten.
„Also, nicht ganz, wir haben sie hinausgebracht, aber nur weil sie meinte, sie wolle nach Hause. Außerdem hat sie einen Brief hinterlassen.“
Gas deutete auf den alten Sekretär, auf dem ein Brief an Vitus lag. Vitus ging hin und riss ihn auf. Nachdem er ein paar Zeilen gelesen hatte, beruhigte er sich etwas. Am Ende sah er auf und musterte die beiden Schattenwesen langsam, die auf eine Reaktion von ihm wiederum warteten. Vitus klappte den Brief wieder zusammen und legte ihn zurück. Leo getraute sich als einziger zu fragen, was den nun sei. Vitus lächelte, schlug die Augen nieder und lehnte sich an den Sekretär.
„Aurinia erklärt mir mit diesem Brief, dass sie nach Hause gehen würde um von dort aus dann nach Jannik zu suchen. Sie will ihm sagen, dass er sich nun darum kümmern kann, andere Dämonen auf seine Seite zu ziehen. Sie bittet mich, die beiden Würmer da hinten zu verschonen, da sie nur das taten, was sie wollte und dass sie ihr Ehrenwort gegeben hätte, nicht mir hinterher zu laufen. Was haltet ihr davon?“
Stephan sah auf und sah zu den beiden Schattenwesen. Mit schmerzverzerrtem Gesicht stellte er trocken fest:
„Wenn die beiden mit jedem Gefangenen so umgehen, sind sie zu nichts zu gebrauchen.“
Vitus nickte zustimmend sagte aber mit ehrlichem Bedauern:
„Ganz meiner Meinung und wenn die Bitte von Aurinia nicht existieren würde, würde ich sie
nun bestrafen.“
Die Beiden zuckten zusammen als hätte er sie geschlagen und wichen ängstlich vor Vitus zurück. Vitus bedeutete ihnen mit einer Geste, schnell zu verschwinden, bevor er es sich nicht doch noch anders überlegete. Was sie auch sofort und erleichtert taten. Stephan grinste schief.
„Da ist noch mehr, zwischen den beiden und Aurinia gelaufen. Ich wette, Aurinia hat die beiden erpresst.“
Stellte Stephan fest, wurde aber von Joe beschimpft:
„Nein, dass kann nicht sein. Engel sind nicht so drauf, dass könnten die nicht.“
Vitus verschränkte nachdenklich die Arme und sagte murmelnd:
„Aber Aurinia ist kein gewöhnlicher Engel. Vergiss nicht, dass sie einen Dämon liebt, Frieden für Dämonen und Engel will und Dämonen ein Stück weit zumindest versteht. Ich wäre mir also nicht ganz so sicher bei deiner Behauptung Joe!“
Leo nickte und wandte sich nachdenklich an Vitus:
„Dann vermutest du, dass sie es geschafft hat, die beiden auszuhorchen? Ich meine damit den Betreff unserer kleinen Zwischenfälle mit dem Burton-Clan? Selbst wenn sie es wüsste, wo wäre denn das Schlimme daran?“
Vitus sah Leo an und stieß sich vom Sekretär ab, um umher zulaufen. Mit aufkeimender Wut erklärte er, während er im Zimmer auf und ab ging:
„Ganz einfach Leo! Ich kenne sie, sie wird sich schuldig fühlen, mir aus dem Weg gehen und versuchen, alles wieder in Ordnung zu bringen!!“
Leo verstand und Joe ebenfalls, denn er sagte aufstöhnend:
„Nein, ich weiß was du meinst. Sie würde dann nach Asmus suchen und ihn bitten, wieder nett und lieb zu sein und dann hat sie sich selbst in seine Hände gespielt! Das darf doch nicht wahr sein, dann waren all die Zwischenfälle mit ihm für die Katz, denn er hätte sie dann sowieso!“
Vitus nickte betrübt und blieb stehen. Stephans Arm blutete noch immer, aber alle hatten ihn vergessen, inklusive er selbst. Er lehnte sich an die Wand und steigerte sich in seine Argumentation so hinein, dass er mit diesem Arm herumwedelte, als wäre er gesund.
„Dann müssen wir Wachen aufstellen. Wir müssen sie von morgens bis abends überwachen und aufpassen, dass sie keinen Scheiß macht! Aaah...“
Stephan bemerkte wieder, dass er verwundet war, da ein stechender Schmerz seinen Arm durchfuhr und setzte sich hin. Joe versorgte nun hinterhältig grinsend seinen Arm und Vitus dachte über das gesagte nach.
„Deine Idee ist gut, aber wir müssen es so machen, dass sie nichts davon bemerkt, verstanden? Dann gehe ich los und teile den Dienst ein. Leo hilft mir dabei.“
Die beiden gingen nach draußen.
Aurinia ging tatsächlich nach Hause und dachte daran, gegen abend, Jesse anzurufen. Er wusste mit Sicherheit, wo Jannik steckte. Bis dahin hatte sie alle Hände voll zu tun, ihren Feen zu versichern, dass sie nicht in Gefahr gewesen war, da ihre Feen bemerkt hatten, dass sie in der Nacht fort gegangen war. Sie verschwieg nur, bei wem sie gewesen war, denn dann hätte sie Beschuldigungen, Vorwürfe und Beileidsbekundigungen hören dürfen.
Am abend rief sie Jesse an.
„Jesse? Ich bin’s, deine kleine Schwester, Rinia. Ich muss dich fragen, ob ich Heute abend Jannik treffen darf.“
Aurinia hörte am anderen Ende ein leises aufseufzen, bevor er sagte:
„Um was geht es denn? Um den Hohen Rat? Wenn ja, dann werde ich dich zu ihm bringen, wenn nein, dann muss ich mir jetzt genau anhören, was sonst noch wichtig sein könnte.“
Aurinia lächelte und bestätigte, dass es um den Hohen Rat ging. Er verabredete sich mit ihr, vor ihrer Türe und zwar kurz vor Mitternacht.
Als sie da wartete, bemerkte sie nicht, wie ein Schatten auf ihrem Dach entlanghuschte und sie beobachtete. Als Jesse kam und sie mit sich nahm, folgte der Schatten den beiden so, dass es keinem der beiden auffiel.
Jesse führte Aurinia in eine Szene Bar, die fast ausschlieslich von Satanisten, Gothic-Freaks und Dämonen besucht wurde. Im hinteren Teil saß Jannik in einer Nische und unterhielt sich mit zwei weiteren Freaks. Jannik trug auch jetzt eine Sonnenbrille und Aurinia erinnerte sich, dass sie ihn noch nicht einmal gesehen hatte, als er keine trug. Jesse näherte sich und bedeutete Aurinia etwas weiter abstand zu halten. Als er vor Jannik stand, sagte er:
„Jannik? Hier ist jemand, der dich sprechen möchte und ich bin mir sicher, dass du dafür jede andere Verhandlung saußen lässt, denn du hast schon über zwei Monate darauf warten müssen. Aurinia ist hier und will mit dir sprechen.“
Jannik richtete sich auf und winkte die anderen Wesen, die anscheinend Vampire waren, davon. Dann stand er auf und bedeutete Aurinia, sich zu ihm zu setzen.
„Endlich bekomme ich die Nachricht, auf die ich gewartet habe. Danke Jesse.“
Jesse nickte und setzte sich zu Jannik und Aurinia. Diese nickte dankbar Jannik zu und ließ sich nieder. Ohne weiteres Gesülze fing sie an:
„Der Hohe Rat ist erfreut darüber, dass auch ein paar Dämonen für einen Frieden sind und möchte, dass ich als Botschafterin zwischen euch und dem Hohen Rat diene. Als erstes möchte er euch sagen, dass er ganz eurer Meinung ist, es aber nicht schafft, von Heute auf Morgen, Frieden auszurufen. Ich bin sicher, dass auch ihr das nicht könnt. Sie wollen weiterhin, dass ihr euch auch über die anderen Dämonen kundig macht. Könnt ihr euer Versprechen einlösen?“
Jannik lächelte und sagte:
„Natürlich werde ich dass und zwar sofort. Jesse! Du must zu den anderen und alles in die Wege leiten. Wir haben das alles ja schon besprochen.“
Jesse nickte und stand auf, um die beiden zu verlassen, aber nicht ohne vorher noch einen bewundernden und stolzen Blick zu Aurinia zu werfen. Aurinia lächelte ihn dankbar an und wandte sich wieder zu Jannik. Da sie nicht wusste, wie sie mit dem nächsten Thema beginnen konnte, sah sie auf ihre gefalteten Hände hinab. Jannik blieb nicht verborgen, dass sie noch mehr auf dem Herzen hatte. Er mochte sie, da sie vernünftige Ansichten vertrat und daher konnte er nicht mit ansehen, dass sie etwas bedrückte, weshalb er sie fragend ansah. Unter seinem Blick hatte Aurinia das Bedürfnis, es ihm zu sagen.
„Ich habe eine Frage. Wisst ihr etwas über die Streitereien zwischen dem Burton- und Valerian-Clan? Wenn ja, dann sagt mir bitte alles was ihr darüber wisst.“
Jannik sah Aurinia nachdenklich an und lehnte sich zurück. Er musterte sie aufmerksam und entschloss sich dazu, vorsichtig zu sein.
„Was weißt du alles über die Auseinandersetzungen? Und was weißt du über die Clans?“
Aurinia schlug die Augen nieder, begann aber alles zu erzählen, was sie seit neuestem darüber wusste. Als sie endete, pfiff Jannik durch seine Zähne hindurch und setzte sich wieder gerade hin. Er sprach nichts dazu sondern dachte angestrengt nach, dabei nahm er schließlich doch seine Sonnenbrille ab. Überraschender weise hatte er schöne, dunkle Augen, die sein schlankes Gesicht geheimnisvoll erscheinen ließen. Aurinia wusste nicht, wie sie seine Zurückhaltung deuten sollte und blieb still. Sie wartete auf eine Antwort.
„Dann weißt du schon fast zu viel. Hat dir das alles Vitus erzählt oder wie bist du an diese
Informationen gekommen?“
Aurinia sah entschuldigend zu Jannik und dieser wusste sofort, dass Vitus ihr nichts von alledem gesagt hatte. Er schüttelte auseufzend den Kopf und sah Aurinia ins Gesicht.
„Das war nicht gut. Wenn er einen Grund hat, dich nicht damit zu behelligen, dann war es sicher dieser, dass er es alleine klären will und deine Hilfe nicht möchte. Außerdem wollte er dir keine Angst machen und dich irgendwie gefährden. Aber dass du es nun weißt, wirft seine Pläne durcheinander und du befindest dich in Gefahr. Du musst zu ihm und es ihm sagen.“
Aurinia schüttelte bestimmt den Kopf.
„Nein, werde ich nicht. Ich möchte zu Asmus Burton und ihn sprechen. Vielleicht gelingt es mir, ihn zu besänftigen.“
Jannik sah erschrocken auf und Aurinia entgeistert an. Mit befehlsgewohnter Stimme sagte er:
„Das darfst du nicht! Du kennst Asmus doch gar nicht, woher willst du wissen, dass er sich einfach umstimmen lässt? Du weißt anscheinend ein paar wichtige Dinge über die Dämonen nicht. Dann will ich dir mal erklären, dass Asmus ein Dämon ist, wie er im Buche steht. Er ist knallhart und gefürchtet. Er ist vollkommen loyal gegenüber seiner Familie und möchte nicht, dass Vitus das Blut der Familie beschmutzt. Andererseits ist er auch wie ein großer Bruder. Er möchte nicht, dass Vitus in sein verderben rennt, denn er ist unumstößlich der Meinung, dass Engel nur dazu da sind, die Dämonen zu töten. Asmus’ Clan ist einer von denen, bei denen ich mir sicher bin, dass sie schwer umzustimmen sind.“
„Dann helft mir, ihn umzustimmen! Gemeinsam können wir das schaffen.“
Bat Aurinia und Jannik schüttelte den Kopf.
„Nein, denn er lässt sich noch nicht einmal von Vitus, seinem kleinen Bruder und damit sein eigen Fleisch und Blut umstimmen. Glaub mir, ich weiß dass Vitus schon lange damit beschäftigt ist, ihn zu beruhigen aber das einzige was er bis jetzt schaffte, waren ein paar kleinere Kämpfe die er nicht abwenden konnte. Asmus ist eine schwere Nuss.“
Aurinias Augen wurden hart und sie stand auf. Als Jannik sie fragte, was sie denn nun vor hätte, erklärte sie nüchtern, dass sie eben Asmus alleine Suchen müsse. Jannik blieb sitzen und sagte, dass er es für idiotisch hielt, er aber Aurinia nicht aufhalten würde, wenn sie in ihr verderben rennen wollte. Darauf stürmte Aurinia aus der Bar. Jannik blieb sitzen und trank einen Schluck aus seinem, mit Blutrotem Inhalt gefüllten, Glas. Dann fluchte er, stand auf und zog sich seine Jacke über, um ihr hinterher zu rennen.
Draußen fand er sie eine Ecke weiter, wie sie sich an die Mauer lehnte und in den Sternenhimmel sah. Als er sich näherte, sagte sie:
„Ich wusste, ihr würdet mir helfen, denn ihr seid immer so gut zu mir. Ich danke euch, auch wenn ich noch nicht weiß, wie ich mich dafür revangieren kann.“
Jannik brummte nur:
„Vergiss es Kleine. Du bist die kleine Schwester von Jesse, meiner rechten Hand und du bist die große Liebe von einem Freund und Verbündeten. Vitus darf sich überlegen, wie er mir das wieder zurück zahlt, denn ich rette immerhin seinen Schatz und sein Leben, auch wenn es waghalsig ist, zu Asmus zu gehen. Wenn ich dich aber schon nicht davon abhalten kann, dorthin zu gehen, dann begleite ich dich wenigstens. Nun komm schon, ich hole noch ein paar Dämonen und dann statten wir Asmus einen Besuch ab. Wollen wir hoffen, dass wir das überleben.“
Die beiden flogen zu einem Dach, auf dem Jannik einige hohe Schreie ausstieß. Kurz darauf kam Jesse, in Begleitung von fünf anderen Dämonen. Ohne etwas zu fragen, flogen Jesse und die anderen, Jannik hinterher. Nach fast einer halben Stunde landeten sie wieder auf einem Dach und Jesse stellte nun überrascht fest:
„Das ist doch die Gegend von Asmus’ Clan! Was habt ihr zwei vor? Jannik? Du weißt aber, dass Aurinia hier nicht herkommen sollte?“
Jannik nickte und bedeutete Jesse mit einer Hand, still zu sein. Was er auch sofort war. Aurinia las in Jesses Augen, dass er dennoch nicht einverstanden damit war, Aurinia in solche Gefahr zu bringen. Da er aber nichts mehr gegen Jannik sagen konnte, beschloss Jesse, näher zu Aurinia zu gehen. Aurinia lächelte und sagte leise zu ihm:
„Du kannst mich übrigens nun berühren. Joe, aus Vitus’ Clan hat mir ein Mittel verabreicht, weshalb ich nun auch Dämonen berühren kann, ohne sie zu verletzen.“
Jesse sah sie erstaunt an und wollte etwas sagen, als Jannik unterbrach.
„Still jetzt! Da unten verziehen sich gerade die Schattenwesen vom Burton-Clan. Wir können runtergehen.“
Was sie auch sogleich taten. Der Schatten, der Aurinia und Jesse seit Mitternacht verfolgte, war nun noch immer bei ihnen, entschied sich aber nun endlich dazu, zu verschwinden. Jannik, Jesse und Aurinia landeten zu erst und dann kamen die anderen fünf Dämonen. Doch die Schattenwesen des Burton-Clans waren nicht alle weg. Eines war noch da und bevor Jannik etwas tun konnte, gab es Alarm und ein paar andere Dämonen waren zu Stelle.
„Was wollt ihr hier?“
Fragte einer der Dämonen und Jannik sagte:
„Wir wollen zu Asmus. Ich bin Jannik und muss ihn sprechen, wir haben jemanden bei uns, der ihn ebenfalls sprechen will, der aber unter unserem Schutz steht. Wenn ihr also die Güte hättet, uns zu ihm zu lassen?“
Der Dämon sah Jannik skeptisch an und musterte Aurinia aufmerksam. In seinen Augen konnte sie lesen, dass er vermutete, nun endlich den Engel vor sich zu sehen, den sie von Vitus verlangt hatten. Darum nickte er und bedeutete ihnen, ihm zu folgen. Er führte sie einige Straßen entlang, die wie ausgestorben dalagen und hielt erst vor einer prächtigen, alten Villa, die so düster aussah, dass es jedem Horrorschriftsteller eine Gänsehaut herunterlaufen lassen konnte. In einem großen Saal, der fast gänzlich von Dämonen, Schattenwesen und Vampiren ausgefüllt war, stand am anderen ende ein großer Sessel, der sicher den Status eines Throns inne hatte. Darauf saß aber niemand. Jesse stand nun direkt neben Aurinia und hätte sie sicher auch in seine Arme geschlossen, wenn er nicht genau wüsste, dass es etwas übertrieben war. In der Mitte des Saales mussten sie stehen bleiben, als der Dämon, der sie geführt hatte, in einen anderen Raum ging. Nach ein paar Minuten kam er wieder, aber in Begleitung eines anderen Dämons, der anscheinend verwundet war, denn er trug einen Arm in einer Schlinge. Aurinia vermutete, dass dies Asmus war und daher betrachtete sie ihn etwas genauer. Er sah Vitus tatsächlich ähnlich, aber nicht ganz. Er war nur wenige Jahre älter aber genauso groß und genauso bleich. Seine Statur war ebenso wie die von Vitus’ nur seine Haare und sein Gesicht waren nicht gleich. Er hatte schulterlange, leicht gelockte, blauschwarze Haare und leuchtend grüne Augen, die nicht so warm waren, wie die graugrünen Augen von Vitus. Dieser Dämon ließ sich auf dem Sessel nieder und betrachtete die Neuankömmlinge mit Interesse.
Jannik blieb ruhig stehen, bis er es nicht mehr aushielt. Er trat vor und verbeugte sich. Dann sagte er ehrerbietig:
„Ich bin Jannik Sandell, Führer des Sandell-Clans. Ich bin sicher, dass du mich kennst Asmus Burton. Ich bin Verbündeter des Valerian-Clans und sozusagen ein Freund deines Bruders Vitus Valerian.“
Asmus lächelte, auch wenn es nicht fröhlich aussah und sagte großzügig:
„Das weiß ich und Freunde meines Bruders sind auch meine Freunde Jannik. Was verschafft mir die Ehre?“
Jannik atmete auf, denn er hatte schon den verdacht gehabt, dass Asmus auch gegen Verbündete oder Freunde seines Bruders war, aber dass es doch nicht so war, lies ihn etwas freier reden.
„Ich bin hier, um dir jemanden vorzustellen, Asmus. Das hier...“
Jannik winkte Aurinia neben sich und deutete dann auf sie.
„Ist Aurinia Hall. Ein Engel, der es geschafft hat das Herz eines Dämonen höher schlagen zu lassen, nämlich das deines Bruders Vitus Valerian.“
Asmus richtete sich auf und sah Aurinia aufmerksam und interessiert an, dann sagte er:
„Endlich lerne ich diese Hexe kennen. Du bist also die, die es verstanden hat, meinen Bruder durchdrehen zu lassen?“
Aurinia wehrte sich, auch wenn sie wusste, dass sie auf feindlichem Gebiet war.
„Erstens bin ich keine Hexe und zweitens habe ich nichts mit deinem Bruder angestellt. Außerdem ist er nicht durchgedreht, sondern ihr!“
Asmus sah sie erstaunt an und seine Dämonen und Vampire wurden laut. Mit einer Handbewegung waren alle wieder still und Asmus fragte:
„Wie kommst du darauf, dass ich durchgedreht wäre? Ich habe nur versucht Vitus wieder zur Vernunft zu bringen. Mehr nicht. Aber er scheint auf dich lieber hören zu wollen, als auf mich. Darum haben wir uns gestritten. Da du nun aber freiwillig zu mir gekommen bist, hat dieser Streit ein Ende.“
Er sprach nicht weiter, sondern lächelte Aurinia kalt an. Hoffnungsvoll sagte sie:
„Was ist so schlimm daran, einen Engel zu lieben? Ich musste meiner Familie zwar auch beweisen, dass ich ihn liebe, aber sie haben es inzwischen halbwegs verstanden. Warum ihr nicht auch? Es ist nicht schlimm, vor allen dingen nicht jetzt, wo doch Engel und Dämonen kurz davor stehen, sich wieder zu versöhnen!“
Asmus lachte höhnisch und stand auf.
„Ja, davon habe ich gehört. Engel, sowie auch Dämonen wollen eine Allianz eingehen, um Frieden zu schaffen. Alles schön und gut, aber ich glaube, dass ihr Hexen uns vernichten wollt, indem ihr uns in Sicherheit wägt und dann angreift. Gib zu, dass es so ist und dann werde ich dich töten.“
Aurinia wich aus, während Asmus immer näher zu ihr herkam. Bei seinem letzten Satz, erschien ein ähnliches Schwert in seinen Händen, wie dass von Vitus. Dabei zog er sich seine Schlinge aus, die ihn nur behinderte, auch wenn sein Arm frisch verbunden worden war und geschont werden sollte. Jesse sprang vor Aurinia und lies seine Klingen heraussausen. Asmus lachte wieder und sagte:
„Ein Held, wie süß. Geh aus dem Weg Kleiner, das hier ist eine Familiäre Sache, denn sie hat Vitus verhext.“
Jesse lächelte Asmus kühn und böse zugleich an und erklärte ruhig:
„Wenn das hier eine Familien Sache ist, dann betrifft es mich genauso. Erst recht, wenn du beschuldigst, dass meine kleine Schwester, deinen kleinen Bruder verhext haben soll.“
Asmus blieb stehen und sah Jesse erstaunt an. Ungläubig darüber, was er gerade gehört haben soll, sah er Aurinia genauer an, bevor er murmelte:
„Das kann nicht sein, meine kleine Schwester ist gestorben. Sie kann nicht deine Schwester sein.“
„Stimmt. Wir sind Stiefgeschwister, aber ich liebe sie und darum werde ich sie schützen. Verdammt Asmus! Siehst du denn nicht, dass sich große Brüder nicht in das Leben ihrer Geschwister einmischen dürfen? Sondern höchstens als jemand, der immer bei ihnen ist, aber nicht als Befehlsgewalt! Es ist doch ihre Entscheidung, ob sie zueinander gehören wollen oder nicht!!“
Erklärte Jesse außer sich und gleichzeitig auch verzweifelt. Asmus schien ihm zugehört zu haben und Aurinia dachte, dass er tatsächlich darüber nachdenken würde, aber er reagierte dennoch anders. Er befahl mit einer Geste, seinen Dämonen, Jannik und seine Gefolgsleute gefangen zu nehmen. Das schloss auch Jesse mit ein, der sich zwar wehrte, aber keine Chance gegenüber hundert Vampiren und Dämonen sah und seinen Wiederstand schließlich aufgab. Aurinia war alleine. Asmus ging wieder zu ihr und hob sein Schwert, während er sie aufforderte:
„Na los! Verteidige dich, ich weiß dass ihr Engel ebenso Kampfgeil seid, wie ihr immer glaubt, dass wir es seien. Zieh dein Schwert und kämpfe gegen mich!!“
Aurinia wich etwas weiter aus und schüttelte bestimmt den Kopf. Zwar hatte sie Angst, aber sie würde nicht kämpfen, erst recht nicht gegen den Bruder von Vitus, egal wie böse er war. Sie war nur hierher gekommen, um mit ihm zu reden, nicht um ihn zu töten. Jannik fluchte und schrie:
„Bist du verrückt? Kämpfe, sonst wird er dich töten! Ich kann nichts mehr für dich tun, denn es ist aussichtslos, wir sind in der Unterzahl!! Verdammt, mach etwas!“
Aurinia schüttelte wieder den Kopf und kämpfte mit den Tränen. Sie wollte Vitus nicht verlassen, egal was sie im Paradies erwarten mochte. Jannik war völlig fassungslos und lies seine Schultern mutlos hängen. Asmus kam näher zu Aurinia und als sich diese in die Knie nieder lies, schrie Jannik:
„Verzeih mir Vitus, ich wollte nie, dass es so kommt. Ich wollte euch doch nur helfen. Verzeih mir!!“
Asmus hob sein Schwert und wollte es niedersausen lassen, als gepollter am anderen Ende des Saales seine Aufmerksamkeit erregte. Er lies das Schwert sinken und sah in die Richtung, hinter Aurinia.
Dort waren zwanzig seiner Dämonen damit beschäftigt, vier Dämonen zurück zu drängen, die sich gewaltsam eintritt verschaffen wollten. Einen davon erkannte Asmus sofort. Er war fast nicht zu halten und stürmte auf Asmus zu, während fünf Dämonen an ihm dran hingen und ihn versuchten aufzuhalten. Asmus donnerte:
„Lasst ihn los! Komm her, aber tu bloß nichts falsches!!“
Die Dämonen taten wie gehiesen und zogen sich zurück. Der Dämon schritt aus und kam zu Asmus. Als er Aurinia erreichte, sprangen wieder Dämonen hervor und hielten ihn an den Armen fest. Asmus ging zurück zu seinem Sessel und lies sich nieder. Dann winkte er seine Dämonen mit dem Gefangenen her. Vor Asmus drückten die Dämonen den Gefangenen auf den Boden, vor Asmus, in die Knie. Aurinia sah auf und erkannte, wer der Gefangene war. Jannik ebenfalls, denn er rief:
„Vitus! Was machst du hier? Woher weißt du, dass wir hier sind?“
Vitus’ Kopf wurde ebenfalls niedergedrückt, so dass er nicht aufsehen konnte. Er wehrte sich, aber es brachte nichts. Asmus sagte:
„Ist ja egal. Fakt ist, dass mein kleiner eigensinniger Bruder hier ist und das zählt. Ich habe deine kleine Schnecke schon kennen lernen dürfen und sie hat doch tatsächlich versucht, mich
zu überzeugen, dass die Engel Frieden wollen.“
Asmus bedeutete, den Dämonen, Vitus loszulassen, was sie taten. Vitus stand trotzig auf und sah Asmus hasserfüllt in die Augen. Mit fester Stimme sagte er:
„Fick dich selbst! Behandle mich nicht, wie ein kleines Kind. Du Scheiß Kerl dachtest wirklich, dass du dich für immer in mein Leben einmischen kannst, was? Aber warum dachtest du, warum ich diesen Clan verlassen habe und einen eigenen gegründet habe? Das du seid dem Tod unseres Vaters geglaubt hast, auf mich aufpassen zu müssen, hat mich echt angekotzt. Das du aber noch immer mitmischen willst obwohl ich mich von dir abwandte, nehme ich dir wirklich übel!“
Asmus tat so, als würde ihn Vitus’ Ton treffen und sagte beleidigt, fast traurig:
„Aber Vitus, ich dachte immer, die Familie müsste zusammenhalten. Das trifft mich nun wirklich sehr!“
Sein Blick wurde schlagartig hart.
„Stimmt, Vitus, es hätte mir schon früher auffallen müssen, dass du dich von mir und der Familie abwandtest, denn immerhin hast du auch den Namen unserer Mutter angenommen. Die Person, die du noch viel mehr hasst, als mich! Weißt du, eigentlich wollte ich dir deinen Willen lassen und ich würde mich auch normalerweise nicht einmischen, aber das du dich in einen Engel verlieben musstest, ist bedenklich und darum habe ich versucht dich zur Vernunft zu bringen.“
Vitus drehte sich weg und sagte:
„Danke dafür, aber ich möchte es so, wie es war und nicht anders.“
Asmus wurde sichtlich wütend. Aber Vitus reagierte nicht darauf und ging zu Jannik, der noch immer von Dämonen gefangen gehalten wurde. Vitus stellte sich vor ihn und sah ihm kühl in die Augen.
„Das war die größte Schnapsidee, die du je hattest Jannik. Große Klasse, wirklich. Wenn du nicht gefangen wärst, würde ich dir eine verpassen, die sich gewaschen hat, mein lieber Freund. Ohne dich, wäre Rinia nie so weit gekommen. Ich hatte sie überwachen lassen, um sie davor zu schützen, hier her zu kommen, aber mein Freund hat ihr natürlich den Weg zeigen müssen. Vielen Dank auch.“
Jannik sah Vitus verzweifelt an und begann sein Verhalten zu erklären:
„Es tut mir leid Vitus, aber sie hat mich irgendwie herum gekriegt, obwohl ich doch wusste, dass es eine dumme Idee war, hierher zu kommen. Ich hoffe, dass du mir das irgendwann einmal verzeihen kannst.“
Enttäuscht und zweifelnd, sah Vitus weg und kam zu Jesse. Auch er war betrübt über die Situation doch statt sich zu verteidigen sagte er flehend:
„Vitus, auch wenn es scheiße gelaufen ist, habe ich gehofft, dass sie mit ihrer Überzeugungskraft es schaffen könnte, deinen Bruder zu überzeugen. Jetzt liegt alles nur noch in deinen und ihren Händen. Wenn mein Tod etwas nützen würde, weißt du genau, dass dies das kleinste Opfer von mir wäre. Rette Rinia, ich liebe sie doch so, auch wenn sie ein verdammter Engel ist!“
Vitus nickte verstehend, doch Asmus lachte laut darüber.
„Das ist doch Schwachsinn! Wie kann man als Dämon einen Engel lieben? Erst recht einen so dummen Engel?“
Vitus wurde wütend und kam auf Asmus zu.
„Du hast keine Ahnung, also halt den Mund. Sie denkt eben mit ihrem Herzen und auch wenn es eigentlich so wäre, hast du keines, mit dem du denken oder fühlen könntest. Das ist etwas, das du nicht verstehst. Wusstest, du, was ich vor einiger Zeit getan habe? Ich war bei unserer Mutter, in der Klapse. Sie hat mir erzählt, dass unser Vater alles für sie getan hätte und das ist auch sehr unüblich. Wir Dämonen zeugen zwar über die Menschen unsere Kinder, aber das bedeutet nicht, dass wir sie schätzen oder gar lieben! Aber unser Vater hat es getan und das war auch der Grund, warum er starb.“
Vitus machte eine Pause und sah Asmus an. Dieser hatte die Stirn gerunzelt und lauschte Vitus’ Erzählung. Dann fragte er, auf was er anspielte.
„Du weißt es nicht, habe ich recht? Du hast zwar seinen Tod gerächt, hattest aber keine Ahnung, wie es dazu kam! Gut, dann will ich dich erlösen. Unsere Mutter sollte geopfert werden, aber unser Vater wehrte sich dagegen. Schlussendlich opferte er sich selbst für sie. Darum wurde sie wahnsinnig und wurde in eine Irrenanstalt geschickt. Es war die Liebe, die du nicht verstehst!“
Asmus stand wie vom Donner gerührt da und zuckte bei Vitus’ letztem Satz zusammen. Mit glasigen Augen sah er Vitus ängstlich an, fast so, als erinnerte er sich an etwas. Mit zittriger leiser Stimme stammelte er:
„Das ist also der Grund, warum unsere Eltern dich immer mehr mochten, als mich?“
Vitus fragte ungläubig nach:
„Was faselst du da? Sie sollen mich mehr gemocht haben? Drehst du nun vollends durch? Sie haben niemanden gemocht, weder dich, noch mich!“
Asmus schüttelte den Kopf:
„Nein, du verstehst nicht, kleiner Bruder. In mich legten sie zwar die Erwartungen, dass ich den Clan übernehmen würde, aber in dich legten sie andere Hoffnungen. Ich habe sie mal belauschen können und da sagten sie, dass sie fühlten, dass du anders über Dämonen, Menschen und Engel dachtest, als ich oder andere Dämonen und dass sie es für gut hielten. Leider würdest du aber nie den Clan übernehmen können, weil du jünger als ich bist. Glaub mir, auch wenn sie so taten, als würden sie niemanden Lieben, haben sie es doch getan. Und zwar so gut versteckt, dass es mir erst jetzt richtig klar geworden ist.“
Vitus war skeptisch doch Asmus nickte bekräftigend mit dem Kopf. Er ging zu Aurinia, die noch immer auf dem Boden kniete und nicht wagte sich zu bewegen, aber angestrengt lauschte. Sie zuckte ängstlich zusammen, als sie bemerkte, das Asmus zu ihr kam. Asmus blieb vor ihr stehen und dachte nach.
„Und Engel wollen wirklich keinen Krieg mehr? Ich meine, auch ohne hinterhältiger Sache? Wisst ihr, in letzter Zeit waren keine Engel mehr unterwegs...“
Jannik unterbrach Asmus hoffnungsvoll in seinem Gedankengang.
„Ja, weil sie uns nicht jagen wollen und sich ebenso den Frieden ersehnen. Darum ist Aurinia ein Gast von mir, sie hat mir geholfen, mit dem Hohen Rat in Kontakt zu kommen. Die glauben nämlich auch, dass wir was krummes vorhaben. Diese Missverständnisse müssen wir beilegen und uns mal richtig übereinander aufklären!!“
Asmus schien wieder darüber nachzudenken und Vitus hegte sogar langsam die Hoffnung, dass er diesmal verstehen würde. Doch es kam wieder anders. In Asmus Hand erschien wieder die Klinge, mit der er in einer schnellen Bewegung ausholte und sie auf Aurinia niedersausen lies. Vitus schrie auf und stürzte zu Aurinia. Mit gestrecktem Sprung war er über ihr und nahm sie in seine Arme, das Schwert hielt nur ganz knapp über seinem Rücken an.
„Bist du verrückt? Was wenn ich dich nun getötet hätte Vitus?“
Vitus lies Aurinia nicht los und sagte erschöpft:
„Das wäre mir egal gewesen. Es war die einzige Möglichkeit sie zu retten und ich würde es noch viel öfter für sie tun. Wenn du unbedingt Wiedergutmachung dafür haben willst, dass ich liebe, dann töte mich.“
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